Christine Einhellinger, Stephan Ellinger et al.: Studienbuch Lernbeeinträchtigungen. Bd. 2: Handlungsfelder und Förderansätze
Rezensiert von Prof. Dr. Hans-Jürgen Pitsch, 27.10.2017
Christine Einhellinger, Stephan Ellinger, Oliver Hechler, Anette Köhler, Edwin Ullmann: Studienbuch Lernbeeinträchtigungen. Bd. 2: Handlungsfelder und Förderansätze. Athena-Verlag e.K. (Oberhausen) 2014. 384 Seiten. ISBN 978-3-89896-547-7. D: 29,50 EUR, A: 30,40 EUR, CH: 40,50 sFr.
Thema
Vorliegender Band 2: „Handlungsfelder und Förderansätze“ des „Studienbuch Lernbeeinträchtigungen“ setzt den Band 1: „Grundlagen“ (2013, vgl. die Rezension) fort und ergänzt ihn um weitere Erörterungen und Förderansätze zu den Themenbereichen Übergänge, Förderung sowie Diagnostik und Beratung, die in Band 1 keinen Platz mehr gefunden hatten, und bereitet gleichzeitig weitere Spezifizierungen in Band 3: „Diskurse“ (2016, vgl. die Rezension) vor. Alle drei Bände stehen seit 2017 auch als E-Book im PDF-Format zum Herunterladen zu verbilligtem Preis zur Verfügung.
Autor(inn)en und Herausgeber(inn)en
Die Autor(inn)en von Band 1 (2013), allesamt in unterschiedlichen Funktionen Mitglieder des Lehrstuhls Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen an der Universität Würzburg, treten hier als Herausgeber(innen) auf. Hinzu kommen noch ein Uni-Mitglied der Fachrichtung geistige Entwicklung sowie zwei Autorinnen und vier Autoren aus der Kinderdorf- und schulischen Praxis und dem schulpsychologischen Dienst, die zusätzlich per Lehrauftrag an die Uni Würzburg gebunden sind.
Entstehungshintergrund
In Band 1 des „Studienbuch Lernbeeinträchtigungen“ mit dem Untertitel „Grundlagen“ wurde vor dem Hintergrund zunehmend inklusiver Beschulungen auch von Schülern mit schwerwiegenden Lernbeeinträchtigungen gefragt, ob in Zukunft auch weiterhin Förderschullehrer, und wenn ja, mit welchen Aufgaben, benötigt werden und worauf sie vorzubereiten sind. Hierauf Antworten für den Förderbereich der Lernbeeinträchtigungen, aber auch Entscheidungshilfe bei der Studienwahl zu geben, ist Anliegen von Band 1.
Vorliegender Band 2 schließt an Band 1 an, da es wesentlich mehr Themen und Förderansätze gibt, als in Band I aufgenommen werden konnten, zum Anderen, um auch Praktiker(innen) die Möglichkeit zu geben, „die verschiedenen Handlungsfelder sonderpädagogischer Lernhilfe aus nächster Nähe zu beschreiben“. Zielgruppe sind nunmehr neben den am Studium Interessierten auch „Studierende für das Lehramt an allen Schulformen und interessierte Pädagoginnen und Pädagogen, die Lernen und Lernbeeinträchtigungen als die Kernaufgabe pädagogischer Professionalität ansehen“ (Vorwort, S. 7; kursiv i. O.).
Aufbau und Vorwort
Der Band gliedert sich in drei Teile:
- „Übergänge“ mit Beiträgen zum Übergang vom Kindergarten zur Schule (Edwin Ullmann) und von der Schule ins Erwerbsleben (Anette Köhler) sowie zur Schülerfirma als Sprungbrett in die Berufswelt (Volker Reinhard).
- „Förderung“ enthält Beiträge zum Mathematikunterricht (Christoph Ratz), zu Migrationshintergrund und Schriftspracherwerb (Christine Einhellinger), zum Reciprocal Teaching (Oliver Hechler), zu Mobbing (Dagmar Zeller-Dittmer), zur Aufmerksamkeitsförderung durch Advance Organizer (Stephan Ellinger) und zur Förderung bei Traumatisierung (Eva-Maria Hoffart und Gerald Möhrlein).
- „Diagnostik und Beratung“ umfasst drei Beiträge zum sonderpädagogischen Gutachten (Jörg Tilly), zu beratenden Tätigkeiten (Oliver Hechler) und zum Mobilen Sonderpädagogischen Dienst im Rahmen von Inklusion (Christoph Schwind).
Ein Sachregister und ein Verzeichnis der Autor(inn)en schließen den Band ab. Die Literaturverzeichnisse sind den einzelnen Beiträgen unmittelbar beigegeben.
In ihrem Vorwort (S. 7-9) nehmen die fünf Herausgeber(innen) Bezug auf Band 1 und die aktuelle Diskussion um ein inklusives Bildungswesen, die Suche nach in inklusiven Unterrichtsformen verwendbaren Methoden und abgesicherten (evidenzbasierten) Förderprogrammen. Sie stellen fest, dass „sich pädagogische Überlegungen und Evidenzbasierung gegenüber zu stehen“ scheinen, befürchten ein Anwachsen der „Bedrohung durch eine Ingenieurisierung der Humanwissenschaften“ und fordern, „Pädagogik muss auch zukünftig nach pädagogischen Maßstäben strukturiert werden dürfen“ (S. 7; kursiv i. O.). Damit thematisieren sie die in der Rezension zu Band 1 angedeutete Rivalität zwischen Pädagogik und Evidenzforschung und ordnen „Pädagogik“ in einer klaren Hierarchie oben an: Der Band sei „in erster Linie von pädagogischen Ideen geleitet – auch wenn, [mit der Einschränkung:] wo möglich, durchgängig belastbare Befunde aus empirischen Untersuchungen zurate gezogen werden“ (ebd.).
Zu Teil I Übergänge
Teil I beginnt mit einem Beitrag von Edwin Ullmann: „Entwicklungsaufgabe Schulanfang – Übergang vom Kindergarten in die Schule“ (S. 13-40). Bis ins 18. Jahrhundert zurückgreifend skizziert Ullmann Sichtweisen der Kindheit, die Entwicklung des Kindergartens und des Übergangs in die Schule sowie theoretische Hintergründe zur „Schulfähigkeit“ unter verschiedenen Perspektiven. In Vorbereitung auf das schulische Lernen diskutiert er anschließend Fragen des Schriftspracherwerbs (Einhellingers Beitrag in Band 1 auf frühe Förderung hin akzentuierend), des Rechnenlernens (Ratz im gleichen Band vorgreifend), der sozialen Voraussetzungen zum Schulbesuch und Fragen der Beobachtung und Schulfähigkeitsdiagnostik (mit tabellarischer Übersicht über mögliche Testverfahren).
Ans Ende der Schulzeit springt Anette Köhler mit ihrem Beitrag „Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen im Übergang von der Schule ins Erwerbsleben“ (S. 41-76). Auch Köhler greift in die Gründerzeit im 19. Jahrhundert zurück, um die Entwicklung beruflicher Fördermaßnahmen zu skizzieren. „Merkmale der Übergänge, Akteure und gesetzliche Grundlagen“ stellt sie kurz dar, um sich dann ausführlich den „Organisationsstrukturen der beruflichen Rehabilitation“ zu widmen. Neben den traditionellen Formen der Berufsbildungswerke, der Berufsförderungswerke und der Werkstatt für behinderte Menschen beschreibt sie auch die neueren Dienste wie die Integrationsfachdienste, Berufliche Trainingszentren, Regionale Einrichtungen für psychisch Kranke und betriebliche und arbeitsplatzbezogene Einzelmaßnahmen. Verschiedene Maßnahmen zur Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und Berufsausbildung werden unter „Benachteiligtenförderung“ beschrieben. Nicht vergessen werden die Erwähnung förderlicher Faktoren im Übergang und aktuelle Daten zur Berufsbildung. Insgesamt beschreibt sie eine Vielfalt an Möglichkeiten, welche individuelle passgenaue Unterstützungen ermöglichen sollen.
Eine Möglichkeit zur Vorbereitung von Schülern auf die Arbeitswelt ist die Schülerfirma, die Volker Reinhard unter der Überschrift „Die Schülerfirma als Sprungbrett in die Berufswelt? Perspektiven für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ (S. 77-100) vorstellt. Reinhard skizziert die kurze Geschichte der Schülerfirmen bzw. Schülerübungsfirmen mit möglichen Einsatzbereichen und Hinweisen zu Planung und Organisation und beschreibt detailliert einen Jahresablauf wie einen Tagesablauf in einer solchen aus eigener Erfahrung.
Zu Teil II: Förderung
Teil II wird eingeleitet zur Frage „Was macht guten Mathematikunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigungen aus?“ (S. 103-117) von Christoph Ratz, einem ausgewiesenen Vertreter der Mathematikdidaktik aus der Geistigbehindertenpädagogik. Ratz versteht Mathematik als „Wissenschaft von den Mustern“ (S. 104 f.) und mit Wittmann Didaktik als „Design Science“, als „Wissenschaft, die Lernumgebungen auf fachlichen Grundlagen gestaltet“ (S. 106). Diese fachlichen Grundlagen findet er im Triple-Code-Modell von Dehaene und im Zahlen-Verknüpfungs-Modell von Krajewski, welche ihn, auf die KMK-Vorgaben bezogen, ein (wie ansonsten ständig empfohlen) kleinschrittiges Vorgehen kritisch sehen lassen. Mathematik versteht er als Tätigkeit, damit als sozial und kommunikativ mit dem Schwerpunkt der Erarbeitung von Lösungsstrategien mittels Argumentieren, Hinterfragen, Vermuten, Begründen, Modellieren und Darstellen. Bei seinen methodischen Überlegungen betont er vor allem die Bedeutung von Fehlern als Lernchancen innerhalb des von ihm favorisierten „Aktiv-entdeckenden Lernens“ (S. 114). Passende Förderprogramme sind nur in geringster Zahl auf Evidenz untersucht, und bisher mit nicht hoffnungsvoll stimmenden Ergebnissen.
Im nächsten Beitrag greift Christine Einhellinger mit „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Schriftspracherwerb“ (S. 119-152) eine bereits in Band 1 angerissene Thematik auf und entfaltet breit und detailliert die Thematik „Migration“ und deren Erscheinungsformen, Hintergründe und durch sie aufgeworfene Probleme. Die gerade im Türkischen feststellbare (orale) Erzählkultur nötigt bereits in der vorschulischen Förderung zu besonderer Beachtung des Aufbaus phonologischer Bewusstheit und zum Einsatz von Büchern, beginnend mit Bilderbüchern einschließlich der Anleitung von Eltern zum Umgang mit ihnen. Auf Schule bezogen sieht sie im Anschluss an die Berliner Lesekompetenz-Längsschnittstudie von Schründer-Lenzen (2009) die Suche nach „der“ günstigsten Lese-Schreib-Lernmethode als weniger erfolgversprechend für den Schriftspracherwerb an. Wichtiger sei die Bedeutung eines geringeren Migrantenanteils wie auch insgesamt guter individueller Lernvoraussetzungen in einer Klasse (S. 133). Schulische Förderung von Sprache und Schriftsprache erfordert zunächst die Erhebung des Sprachstandes, den (auch sozialen) frühen Kontakt mit der Zweitsprache Deutsch und eine systematische Sprachförderung mit Beachtung der grammatischen Strukturen. Sprachkenntnisse sind Voraussetzung zum Erwerb der Schriftsprache und phonologische Bewusstheit Voraussetzung der Rechtschreibung. Die Entwicklung der Schreibkompetenz ist an Tätigkeit gebunden und in ihrer Struktur von Tätigkeit her bestimmt, was auch die Orientierung an der Lebenswelt der Schüler verlangt und bis zum literarischen Lesen führt. Eltern und Familie sind dabei mit zu unterstützen. Auswirkungen auf die Schulentwicklung werden kurz gestreift.
Die Frage des Textverstehens vertieft Oliver Hechler mit dem Beitrag „Reciprocal Teaching – Förderung von Textverstehen“ (S. 153-178) anschließend an internationale Forschungsergebnisse zur Lesekompetenz mit mäßigem Abschneiden Deutschlands. Zur Verbesserung stellt er eine fünfstufige Strategie zum Einsatz des Reciprocal Teaching vor, welches er als wechselseitiges Lernen und Lehren bestimmt (S. 159). Ausführlich werden theoretische und erkenntnistheoretische Grundlagen wie Einsatzmöglichkeiten in der schulischen und außerschulischen Erziehung vorgestellt und der Erkenntnis-gewinnende Kern, die Abduktion, in ihrer betonten Unsicherheit, Vorläufigkeit und Offenheit als ein (von Hechler so nicht benanntes) heuristisches Verfahren erläutert und auf weitere Anwendungsbereiche hin ausgewiesen. Konsequent müsste sich jetzt der übernächste Beitrag „Aufmerksamkeitsförderung durch Advance Organizer“ von Stephan Ellinger (S. 197-207) anschließen, in welchem der auf David Ausubel zurückgehende aufmerksam-Macher und Vorstrukturierer „Advance Organizer“ ausdrücklich zur Förderung des Aufmerksamkeitsverhaltens nutzbar gemacht wird. Hierzu werden Einsatzmöglichkeiten im Lernprozess vorgestellt wie auch ein Phasenschema zur Erarbeitung.
Etwas unglücklich dazwischen geschoben ist der Beitrag von Dagmar Zeller-Dittmer „Mobbing in der Schule – Grundlagen, Prävention- und Interventionsmöglichkeiten“ (S. 179-195) mit durch Grafiken illustrierten Grundlagen und nützlichen Hinweisen zur Prävention und Intervention. Auch Mobbing kann zu Traumatisierungen führen, und so schlösse sich jetzt sinnvoll der übernächste Beitrag „Förderung bei Traumatisierung“ von Eva-Maria Hoffart und Gerald Möhrlein (S. 219-245) an. Abläufe von Traumatisierungen, Symptome und Verarbeitungsmöglichkeiten von Traumata werden, durch Beispiele illustriert, erörtert, Täter-Opfer-Kontakte abgelehnt und deren Verhinderung zur Aufgabe auch von Schule erklärt, und störende Auswirkungen auf das Lernen bis zu manifesten Beeinträchtigungen erläutert. Fördermaßnahmen können nur auf der Basis stabiler und vertrauensvoller Beziehungen aufbauen, sodass Beziehungsarbeit vordringlich ist. Ist diese soweit gelungen, werden Übungen zur Stabilisierung vorgeschlagen und am Beispiel einer eigenen Maßnahme erläutert.
Zu Teil III Diagnostik und Beratung
Teil III schließt an den Beitrag zur Testtheorie in Band 1 an und führt diesen fort. Ausführlich beschreibt Jörg Tully „Das sonderpädagogische Gutachten im förderdiagnostischen Prozess“ (S. 249-289) mit präziser Beschreibung der Bedingungen, Rechtsgrundlagen mit Gültigkeit für Bayern, Informationsquellen und Abläufe einschließlich Hinweisen zur Ableitung von Fördermaßnahmen aus den diagnostischen Ergebnissen. Verwirrt wird der Leser durch eingeschobene Vignetten von sechs Kindern, von denen sich nur zwei in Auswertung und Förderort-Empfehlung wiederfinden, wie durch fehlende Daten (Geburtsdatum, Datum der Testdurchführung? Lebensalter), um die Angemessenheit der ausgewählten Testverfahren nachvollziehen zu können, zu denen eine umfangreiche Übersicht (S. 282-286) beigegeben wird.
Den logischen Anschluss bietet Oliver Hechler mit seinem Beitrag „Beratende Tätigkeit in der Sonderpädagogik“ (S. 291-340). Beratung ist sprachliches Geschehen, und so widmet Hechler der Erziehung zur und durch die Sprache eine breite Einleitung. Er benennt acht Gesprächsformate der Beratung von der Information über die Anleitung bis zur Konfrontation und der Konsultation, von denen Information, Anleitung und Moderation auch Bestandteile von Unterricht, die Exploration von gutachterlicher Tätigkeit sind. Unter Konfrontation versteht er nicht eine umstrittene konfrontative Pädagogik, sondern die Mitteilung des „Das geht nicht!“. Beratende Tätigkeit bezieht er abschließend auf die erzieherische Praxis als eine „erzieherische Redeform“ (S. 335).
Beratung von Schülern, Lehrern wie ganzen Schulen ist schließlich „Die Arbeit des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD) im Rahmen von Inklusion – Ein Praxisbeispiel von Christoph Schwind aus einem mittelfränkischen Förderzentrum“ (S. 341-373), mit welchem Titel auch der Name des Verfassers und die regionale Eingebundenheit mitgeteilt sind. Schwind beschreibt den MSD als bayerische Eigenkonstruktion mit bayerischen Rechtsgrundlagen, mittelfränkischen Spezifizierungen und Einsatzmöglichkeiten wie auch den Möglichkeiten, diesen Dienst im Rahmen inklusiver, integrativer und kooperativer schulischer Arrangements vor allem bei der Förderplanung und deren Evaluation in Anspruch nehmen zu können. Dabei spielt die von Hechler thematisierte Beratung eine entscheidende Rolle; direkte Lernhilfe und Assistenz sind anderen Personen zugewiesen. Die ausführliche Darstellung einer Einzelmaßnahme für ein einzelnes Kind und die kurze Skizzierung eines besonderen Zentrums im Landkreis Neustadt an der Aisch runden diese Ausführungen anschaulich ab.
Ein Sachregister (S, 375-378) und das Autorenverzeichnis (S. 379 f.) schließen diesen Band 2 ab. Literaturverzeichnisse sind den einzelnen Beiträgen beigegeben.
Diskussion
Gesamteindruck: Band 2: „Handlungsfelder und Förderansätze“ des „Studienbuch Lernbeeinträchtigungen“ hält, was Titel, Herausgeber und Autoren versprechen. Der Bogen ist von der vorschulischen Förderung bis zum Übergang ins Erwerbsleben, von der Didaktik einzelner Fächer bis zu methodischen Einzelfragen, von psychologischen Problemen bis zur Mitarbeit in integrativer/inklusiver schulischer Förderung sehr weit gespannt. Damit kann dieser Band auch einen breiten Leserkreis ansprechen von am Studium der Lernbehindertenpädagogik lediglich Interessierten über bereits Studierende bis zu aktiv tätigen Pädagogen, die zu einzelnen hier angesprochenen Fragen weitere Informationen suchen. Einige Beiträge fassen die Inhalte semesterlanger Vorlesungen oder Seminare in kompakter Form zusammen und orientieren so beim Einlesen in ansonsten wenig übersichtliche Bereiche.
Pädagogik vs. Evidenz: Im Vorwort werden „pädagogische Überlegungen“ und „Evidenzbasierung“ kontrastiert, als seien es unvereinbare Gegensätze. Das ist nun durchaus nicht der Fall, auch wenn in vorliegendem Band einige Beiträge pädagogisch-normativ fundiert sind und andere empirisch. Auch wer empirisch forscht, auch wer Materialien oder Programme auf Evidenz untersucht, bedarf der Theorie, der normativen Zielsetzung, der Ableitung von Hypothesen aus Theorie und bisheriger Forschung und schließlich wieder der hermeneutischen Verfahren zur Interpretation seiner Forschungsergebnisse. Hilfreich zur Überwindung dieses vermeintlichen Gegensatzes kann eine Neuinterpretation der Ratz´schenAnmerkungen zu evidenzbasierten Förderprogrammen sein: Evidenzforschung an Methoden und Materialien kann auch dazu dienen, untaugliche oder nur wenig effektvolle kommerzielle Angebote auszusortieren, ehe Geld für Nutzloses ausgegeben wird. Selbst wenn sie nur das leisten würde, wäre sie ihr Geld wert. Solche Evidenzforschung sollte aber durch Außenstehende erfolgen, nicht durch die Entwickler von Programmen und Materialien selbst.
Landeskinder: Der dezidierte Bezug auf Bayern, sogar auf einen einzelnen Regierungsbezirk, macht bei einigen Beiträgen Umdenken und Umarbeitungen in Hinblick auf die jeweils gültigen länderspezifischen Regelungen erforderlich.
Fazit
Der Band „Handlungsfelder und Förderansätze“ des von Lernbehindertenpädagogen der Universität Würzburg gestalteten Bandes 2 des „Studienbuch Lernbeeinträchtigungen“ deckt eine große Bandbreite unterrichts- und lernrelevanter Themen ab und bietet fundierte Informationen für Studieninteressierte, Studierende und bereits pädagogisch Berufstätige an allgemeinen wie an besonderen Schulen. Vor allem die fachbezogenen Beiträge zu nicht länderrechtlich regulierten Bereichen lassen sich weit über Bayerns Grenzen hinaus mit Gewinn lesen.
Rezension von
Prof. Dr. Hans-Jürgen Pitsch
Sonderschulrektor i. R., bis 2008 Université du Luxembourg
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Es gibt 8 Rezensionen von Hans-Jürgen Pitsch.
Zitiervorschlag
Hans-Jürgen Pitsch. Rezension vom 27.10.2017 zu:
Christine Einhellinger, Stephan Ellinger, Oliver Hechler, Anette Köhler, Edwin Ullmann: Studienbuch Lernbeeinträchtigungen. Bd. 2: Handlungsfelder und Förderansätze. Athena-Verlag e.K.
(Oberhausen) 2014.
ISBN 978-3-89896-547-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23232.php, Datum des Zugriffs 08.12.2024.
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