Anne-Marie Tausch, Reinhard Tausch: Sanftes Sterben. Was der Tod für das Leben bedeutet
Rezensiert von Prof. Dr. Christiane Burbach, 30.08.2018

Anne-Marie Tausch, Reinhard Tausch: Sanftes Sterben. Was der Tod für das Leben bedeutet. Rowohlt Verlag (Reinbek) 2017. 361 Seiten. ISBN 978-3-688-10195-5. D: 12,99 EUR, A: 13,40 EUR.
Entstehungshintergrund und Thema
Das Buch ist entstanden aus der gemeinsamen Trauerarbeit des Ehepaares Tausch angesichts der Brustkrebs-Erkrankung von Anne-Marie Tausch im Jahre 1978. Es ist gestaltet in konzentrischen Kreisen. Der innere Kern und das erste Kapitel des Buches ist der persönlichkeitsinternen Entwicklung von Anne-Marie Tausch und ihren Angehörigen angesichts der Erkrankung und ihres Weges zum Sterben gewidmet. Der nächste Kreis im folgenden Kapitel erzählt von Erfahrungen bei der Begleitung Sterbender. Das letzte große Kapitel befasst sich mit den Erfahrungen, die Menschen bei Sterbemeditationen machen.
Die innere Entwicklung
„Meine Erfahrung in meiner Krankheit ist es, dass die Tür zum wirklichen Leben nicht nach außen aufgeht, sondern nach innen.“ (33)
Sowohl das Erleben Anne-Maries als auch das ihrer drei Töchter Angelika, Cornelia und Daniela und ihres Ehemannes Reinhard werden nachgezeichnet. Wichtige Akzente liegen hier bei der Unsicherheit im Hinblick auf den Verlauf der Krankheit, der unterschiedlichen Ängste der verschiedenen Familienmitglieder, die Bedeutung der Gespräche und des Zuhörens, der Stellenwert des Entdeckens der eigenen Spielräume, die für das eigene Wohlergehen genutzt werden können, das Loslassenlernen von Möglichkeiten, die zu schwer werden und nicht mehr geleistet werden können, die Auseinandersetzung mit dem sich verändernden Körperbild, das liebevolle Annehmen des eigenen Körpers, das Annehmen der Schmerzen, der Umgang mit der Trauer über das kommende Sterben, die Erfahrung der Freiheit von Angst in Hinblick auf das Sterben und die Erfahrung, dass der Tod als Erlösung erwartet wird, das Loslassenkönnen der Sterbenden, die Probleme mit divergenten Behandlungsvorschlägen der Ärzte, der Semi-Ehrlichkeit bei der Beratung hinsichtlich bestimmter Behandlungsmethoden, die Belastung durch Heilungsversprechen, die nicht einlösbar waren. Hilfreich waren Briefe, die Mitgefühl und Fürsorge ausdrückten.
Auch die letzte Wegstrecke auf das Sterben hin wird aus der Perspektive sowohl der Sterbenden als auch der des Ehemannes und der Töchter beschrieben. Anne-Marie hofft im Hinblick auf das Sterben darauf, keine großen Schmerzen und die Kraft zum Sterben zu haben. (54) Den Angehörigen hilft, dass sie Anne-Marie nahe sind und sie begleiten und, dass sie auch ihr eigenes Leben wahrnehmen und leben. Das Sterben selbst verläuft friedlich. (58ff) Bemerkenswert ist, dass die Familie die Tote lieber noch ein paar Stunden länger in der Wohnung behalten hätte, um den Tod tatsächlich zu realisieren. (60) Schließlich werden auch die Schritte der Beerdigungsfeier, die Meditation der Freunde nach 14 Tagen, die Gefühle der nächsten Monate beschrieben. Dabei denkt Reinhard auch darüber nach, welche Facetten der Liebe er erfahren hat. (69)
Erfahrungen bei der Begleitung Sterbender
R. Tausch führte mit einem Team eine Befragung durch, bei dem hilfreiche und störende Erfahrungen in diesem Kontext erkundet werden sollten. 94 Angehörige zwischen 17 und 69 Jahren und 83 medizinische Helfer zwischen 18 und 34 Jahren gaben dazu Auskunft. Bedeutsam an dieser Darstellung ist, dass die Erfahrungen im O-Ton festgehalten wurden, sodass die Leser*in sofort auch eine Szene vor sich sieht.
Generell ist die Begleitung Sterbender besonders von Seiten der Angehörigen mit intensiven Gefühlen verbunden. Als hilfreich hat sich für alle Beteiligten gezeigt, wenn sie sich mit dem Sterben auseinandersetzen, mit den Sterbenden sprechen über das, was diese gerne besprechen möchten, wenn für die Sterbenden einfühlsam gesorgt wird und die Begleitenden Hilfe erhalten.
Als belastend und überfordernd wurde das Abwehren von Sterben und Tod erlebt, besonders, wenn es von den Sterbenden selbst ausgeht. Die Wahrheit zu verschweigen, die Strategie der Hoffnung zu verfolgen, obwohl medizinisch nichts mehr zu hoffen ist, beschwichtigen, ignorieren des wahrhaften Zustandes, abwehrende Alltagsweisheiten, situationsunangemessenes Verhalten der unterschiedlichen medizinischen und helfenden Berufsgruppen, Überforderungen der Helfer*innen.
Als wohltuend in der Abschiedssituation wurde immer wieder erlebt, den Sterbenden intensiv zu begleiten, ihn nicht alleine zu lassen, empathisch zu sein und Versöhnung zu ermöglichen. Das alles bewirkt, so die Autoren, dass Sterbende und Begleiter*innen zum Frieden und zur Ruhe finden.
Als störend und schwer wurden die Tabuisierung des Sterbens, ein nicht angemessenes Berufsethos der Helfenden, unangemessene Orte des Sterbens (Stationszimmer mit öfters klingendem Telefon) (188), fehlende rechtzeitige Information der Angehörigen, lieblose Behandlung der Sterbenden und Nicht-loslassen-Können der Sterbenden erlebt. Tausch hofft darauf, dass die Hospizbewegung den Umgang mit Sterbenden und ihren Angehörigen nachhaltig verändern wird.
Als belastend bei der Beerdigung wurden folgende Erfahrungen erlebt: Riten und Förmlichkeiten, die aus Sicht der Betroffenen Gefühlsäußerungen verhindern, die vielen Menschen bei der Beerdigung, „verlogene“ Trauerfeiern mit unpersönlichen Ansprachen (200), und „heuchlerisches“ Beisammensein nach der Beerdigung (201). Einige Befragte messen der Beerdigungsfeier überhaupt keine Bedeutung bei.
Positiv wird die Beerdigungsfeier gesehen, wenn sie mit den Gefühlen und Bedürfnissen der Angehörigen im Einklang steht. Wenn es möglich ist, Trauer und Schmerz zuzulassen, wenn die Nähe anderer guttut, Musik und Reden Halt geben und die Angehörigen das Begräbnis auch aktiv mitgestalten können, dann ist es eine Hilfe in der Trauer.
Die Zeit nach der Beerdigung ist besonders gekennzeichnet durch die Erfahrung des Fehlens und der Leere. (208f) Vielfach haben Angehörige das Gefühl, ein Stück weit selbst mit gestorben zu sein.
Als besonders belastet wird, besonders bei einem unvorbereiteten Tod, das Nicht-Loslassenkönnen, das mit einem Nicht-Wahrhaben-wollen einhergeht, erlebt. Quälend wirken Versäumnisse, die die Angehörigen sich vorwerfen, wie z.B. vergessene Geburtstage, aufgeschobene Besuche, versagte Liebesbeweise oder der mangelnde Mut, das Gespräch zu suchen etc. Zur Trauer gesellt sich teilweise eine enorme Wut, wenn der Tod eines Angehörigen durch Suizid eingetreten ist.
Erleichternd wirkt für viele Betroffene das Sprechen über das, was geschehen ist.
Die Erfahrung mit dem Sterben anderer bewegt Menschen, auch über ihren eigenen Tod nachzudenken und für sich zu klären, was ihnen beim eigenen Sterben wichtig ist.
Viele berichten davon, dass die Sterbebegleitung ihre Sicht auf das Leben, ihre Werte und Gewohnheiten verändert hat. Ein wesentlicher Grundtenor ist, dass sie sensibler, intensiver und stärker der Gegenwart verpflichtet leben. Die Erfahrung der Begrenztheit des Lebens steigert seine Kostbarkeit, schärft den Blick für das Wichtige und das Unwichtige. (228f) Zum Wichtigen gehört u.a., die Einmaligkeit der Menschen, der Freunde und Verwandten zu entdecken, der Bedeutung des Liebesbandes unter den Menschen inne zu werden.
Erfahrung mit Sterbemeditationen
Das Ehepaar Tausch hat schon vor dem Tod Anne-Maries Sterbe-Meditationen durchgeführt, Reinhard Tausch setzte diese Arbeit später fort.
In diesem Kapitel werden die wichtigsten Erfahrungen zusammengetragen. Die Tiefenentspannung hilft gegen die Angst. (240) Die Meditation und das Gespräch in der Gruppe wurden als beruhigend und schön erlebt. Motiviert, an einer Sterbemeditation teilzunehmen, sind Menschen, weil sie starke Ängste haben gegebenenfalls unvorbereitet mit dem Tod eines nahen Angehörigen konfrontiert zu sein, weil sie sich mit dem Thema und den dazu gehörigen Gefühlen auseinander setzen wollen, die erfahrene Sprach- und Gefühllosigkeit überwinden, sich auf das eigene Sterben vorbereiten, etwas über das Leben lernen wollen oder die ärztliche Hilflosigkeit den Patienten gegenüber überwinden möchten.
Im Einzelnen mögen die zusammengetragenen Erfahrungen der eigenen Lektüre und Auseinandersetzung damit überlassen bleiben. So viel sei jedoch angemerkt: Bemerkenswert ist der Umgang mit dem körperlichen Verfall (270ff), die Transformation von Problemen zu „irdischen Problemen“, die an Bedeutung verlieren (283), die Erkenntnis, noch nicht richtig gelebt zu haben, macht das Sterben schwer (290), die Sterbestunde ist auch die Stunde der Wahrheit über die menschlichen Beziehungen. Was im Rückblick auf das gelebte Leben zählte, waren nicht Beruf und materielle Dinge, sondern die Menschen, die kostbar waren (306f); manche entdecken, anderen zu wenig „gedient“ zu haben, zu wenig ihre Liebe und Wertschätzung gezeigt zu haben (307). Zu den Änderungswünschen im Anschluss an die Sterbemeditation zählt dann bei denen, die sich dazu geäußert haben: Halbherzigkeiten sein zu lassen, tiefere Beziehungen einzugehen, mehr zu lieben. (316ff)
Fazit
Das Buch ist von großer Bedeutung für alle Menschen, die sich mit Tod und Sterben auseinandersetzten wollen. Es ist eine Pflichtlektüre für alle, die professionell in Medizin, Pflege, Sozialer Arbeit, Theologie, Psychologie oder Pädagogik sterbenden Menschen begegnen. Ebenso eignet sich das Buch für die Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeitender im Palliativ- und Hospizdienst.
Rezension von
Prof. Dr. Christiane Burbach
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