Sarah Kumnig, Marit Rosol et al. (Hrsg.): Umkämpftes Grün (Stadtentwicklung und Stadtgestaltung)
Rezensiert von Julia Marinaccio, 07.05.2018
Sarah Kumnig, Marit Rosol, Andreas Exner (Hrsg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. transcript (Bielefeld) 2017. 268 Seiten. ISBN 978-3-8376-3589-8. D: 29,99 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 36,80 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist ein Sammelband mit Forschungsbeiträgen zu urbanen Gemeinschaftsgärten als Ausdruck politischen Aktivismus. Der Band ist Ergebnis der Konferenz „Grüne städtische Gemeingüter? Grüne urbane Aktivitäten im Öffentlichen Raum – zwischen Aufwertung, Privatisierung, sozialökologischer Transformation und Recht auf Staat,“ die im Oktober 2015 an der Universität Wien organisiert wurde.
Herausgeberin und Herausgeber
Herausgegeber sind die drei StadtforscherInnen Sarah Kumnig, Marit Rosol und Andrea*s Exner. Sarah Kumnig arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Marit Rosol ist Direktorin des Studienprograms Global Urban Studies am Institut für Geographie der Universität Calgary und Andrea*s Exner ist Mitarbeiter beim Projekt Green Urban Commons, das am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien angesiedelt ist und vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) gefördert wird.
Aufbau und Inhalt
Die Beiträge gliedern sich in drei Abschnitte:
- Der erste Abschnitt umfasst drei Aufsätze zur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Konzept der commons im Kontext von urbanen, gemeinschaftlichen Gärten als Ausdruck politischen Aktivismus und territorialer Aneignung unter besonderer Berücksichtigung von Lefebvres Ansatz zu Recht auf Stadt (Rosol S. 11- 32; Eizenberg S. 33-62; Haderer S. 63-80).
- Der zweite Abschnitt befasst sich mit Forschungsansätzen, insbesondere der Aktionsforschung, und präsentiert Zugänge und Erfahrungsgehalte von Forschenden, die sich an der Schnittstelle zum Aktivismus befinden, sowie Einblicke Projekte, in welche die AutorInnen involviert waren oder sind (Dyck van, Tornaghi, Halder, Haide von der & Saunders S. 81-108; Halder, Haide von der, Artola & Martens S. 109-138).
- Der dritte und umfangsreichste Abschnitt des Sammelbands präsentiert fünf Fallstudien zu Gemeinschaftsgärten und urbaner Landwirtschaft in Wien (Kunmig S. 139- 260; Exner& Schützenberger S. 161- 186), Köln (Viehoff & Follmann, S. 233-261), Düsseldorf und Hannover im Vergleich (Sondermann S. 210 -231) und Lausanne (Ernwein S. 187-207).
Diskussion
Die von den HerausgeberInnen gewählte Struktur arbeitet zwar die Diversität von urbanen Gärten und deren vielschichtigen Funktionen in Städten heraus, macht jedoch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand an sich zum Hauptthema des Sammelbands. Hieraus ergeben sich nicht nur interessante Einsichten in konkrete Beispiele von Gemeinschaftsgärten und urbaner Landwirtschaft in unterschiedlichen urbanen Kontexten, der Blick wird mehr noch auf die Forschung und die Forschungsprozesse gelenkt. Hier überrascht der Sammelband mit teilweise erfrischenden und unkonventionellen Lösungen, um sich Fragen der Theorie und Methodik zu nähern.
So ist der Beitrag von Eizenberg (S. 33-62) als eine Replik auf Rosols (S. 11- 32) im selben Abschnitt zu verstehen, wo Eizenberg direkt auf Rosols theoretischen Ansatz von urban commoning Bezug nimmt und ihre Ansätze hinterfragt bzw. offen kritisiert. Diese strukturelle und inhaltliche Entscheidung ist sehr spannend, hätte jedoch einer weiteren Erklärung bedurft. Warum wurde gerade diesem Disput so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung beigemessen? Abseits davon sind die dargelegten theoretischen Perspektiven in den drei Beiträgen eine sinnvolle Einführung in die aktuelle theoretische Debatte und sie besprechen zentrale analytische Begriffe, die später in den Fallstudien im dritten Abschnitt zur Anwendung kommen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der zweite Abschnitt (wenngleich er im Vergleich zu den anderen beiden auffallend kurz ausgefallen ist), der sich stark mit dem Thema Aktionsforschung auseinandersetzt und Aspekte diskutiert, wie die Schwierigkeit des Zugangs zu handelnden Personen und Gruppen, die Abgrenzung von dem/der Forschenden zum Forschungsobjekt, aber auch der Beitrag, den Forschung für Bürgerbeteiligungen leisten kann. Hier fällt der Artikel von Halder, Haide von der, Artola & Martens (S. 109-138) durch seine unkonventionelle Darstellung auf: Der über einen längeren Zeitraum entstandene Austausch von E-Mails zwischen den AutorInnen beleuchtet Fortschritte, Rückschritte, Frustrationen und Entwicklungen von verschiedenen Stadtprojekten und reflektiert diese im Kontext der allgemeinen Forschung zu urbanen Gärten und Landwirtschaft.
Die Fallstudien im dritten Abschnitt bieten schließlich Einblick in konkrete Projekte in unterschiedlichen urbanen und nationalen Kontexten. Dabei bieten die Artikel vielfältige Blickwinkel, indem sie ihren Fokus auf Akteure (GärtnerInnen, Stadtmanager) (Exner & Schützenberger S. 161-186), Aushandlungs-, Stadtplanungs- und Entwicklungsprozesse (Ernwein S. 187-208; Kumnig S. 139- 160; Viehoff & Follmann, S. 233- 262) von Gartenprojekten legen. Die AutorInnen gehen in ihren Beiträgen wichtigen Fragen zu sozialer Diversität und Inklusion, gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten sowie Dynamiken von politischen Bewegungen und deren Auswirkungen auf die Gemeinschaftsprojekte nach. Der nationale Kontext ist auf den deutschsprachigen Raum beschränkt (i.e. Österreich, Deutschland und Schweiz) – wenngleich sich der Artikel von Eizenberg (S. 33-62) auf Erfahrungswerte aus den USA bezieht. Derartige Eingrenzungen können methodisch durchaus Sinn machen, sollten jedoch an geeigneter Stelle begründet werden.
Fazit
Das Buch empfiehlt sich als Lektüre für ein Publikum, das ein starkes Interesse an akademischer Forschung hat, da es ein guter Einstieg in die theoretische Debatte zum Thema urbane Landwirtschaft/Gartenprojekte und seine zentralen Begriffe, den Ansatz der Aktionsforschung, sowie der Anwendung von beiden in konkreten Fallbeispielen ist. Jene LeserInnenschaft, die sich verstärkt in die konkreten Praktiken von urbaner Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten einlesen möchte, sollte direkt in den dritten Abschnitt einsteigen und ihre Lektüre auf die Fallbeispiele konzentrieren.
Rezension von
Julia Marinaccio
Sinologin und Politikwissenschaftlerin, arbeitet am Taipei Wirtschafts- und Kulturbüro in Österreich (Wien)
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Zitiervorschlag
Julia Marinaccio. Rezension vom 07.05.2018 zu:
Sarah Kumnig, Marit Rosol, Andreas Exner (Hrsg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. transcript
(Bielefeld) 2017.
ISBN 978-3-8376-3589-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23333.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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