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Markus Albers: Digitale Erschöpfung

Rezensiert von Hendrik Epe, 06.10.2017

Cover Markus Albers: Digitale Erschöpfung ISBN 978-3-446-25662-0

Markus Albers: Digitale Erschöpfung. Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen. Hanser Verlag (München) 2017. 256 Seiten. ISBN 978-3-446-25662-0. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.

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Thema

Die Digitalisierung ist in aller Munde. Angefangen von Plattformen wie Facebook, Twitter und Co. über Möglichkeiten der dezentralen, flexiblen Zusammenarbeit (Arbeit 4.0) bis hin zu der Frage, was uns im Hinblick auf die Digitalisierung in naher und ferner Zukunft bevorsteht (bspw. Virtual und Argumented Reality oder Blockchain) lassen sich Entwicklungen skizzieren, die das Leben eines jeden Einzelnen, gleichzeitig aber auch die Organisationen, in denen wir arbeiten und die Gesellschaft als Ganzes vor neue Fragen und Herausforderungen stellen.

Das Gefühl, im Angesicht dieser zunehmenden Dynamik und Komplexität überfordert zu sein, ist mehr als verständlich. Wie soll man den Überblick behalten, wenn immer mehr Informationen auf immer mehr Kanälen verfügbar sind? Wo sind Ruheräume? Wie lange halten wir ein „always on“ aus? Wo lassen sich Möglichkeiten finden, in Ruhe zu arbeiten? Welchen Sinn machen Entwicklungen wie bspw. offene Büros ohne Rückzugsmöglichkeiten? Wie entkommt man der ständigen Erreichbarkeit?

Markus Albers fokussiert diese und mehr Fragestellungen aus einer übergreifenden, nicht spezifisch auf Organisationen der Sozialwirtschaft fokussierten, Perspektive. Gleichzeitig sind diese Fragen auch bspw. im Umgang mit Klientinnen und Klienten, aber auch in der täglichen Arbeit in den Organisationen, mit Führungskräften und KollegInnen in sozialwirtschaftlichen Organisationen von großer Relevanz. Die zunehmenden Ausfallzeiten aufgrund psychischer Belastungen (Burn-Out) sind nur ein hochgradig signifikantes Signal in der Sozialen Arbeit.

Schon allein mit Blick auf den Lebenslauf von Markus Albers wird jedoch deutlich, dass dieser nicht aus einer technologiekritischen oder gar -ablehnenden Haltung argumentiert. Vielmehr steht im Vordergrund, ob und welche Chancen die Digitalisierung bietet, Arbeit und Kommunikation tatsächlich besser zu gestalten. Diese positive, proaktive Grundhaltung findet sich gerade im Kontext der Sozialen Arbeit nicht immer.

Autor

Markus Albers lebt als Autor, Berater und Unternehmer in Berlin. Er ist Mitgründer und geschäftsführender Gesellschafter von Rethink sowie Mitgründer von Neuwork. Er war Autor bspw. bei Brand Eins oder Berlin-Korrespondent von Monocle und Redakteur der Welt am Sonntag und beim SZ-Magazin. Markus Albers hat die Bücher „Meconomy“, „Rethinking Luxury“ und „Morgen komm ich später rein“ verfasst. Er ist Mitglied der International Academy of Digital Arts and Sciences sowie Juror der Lovie Awards, des Best of Content Marketing Awards und von Forework.

Entstehungshintergrund

Der Entstehungshintergrund des Buchs „Digitale Erschöpfung“ zeigt die in der Einleitung schon erwähnte offene Haltung des Autors gegenüber Themen der Digitalisierung und des „Neuen Arbeitens“: Insbesondere mit dem Buch „Morgen komm ich später rein“ hat Markus Albers eine Lobeshymne auf die Möglichkeiten des flexiblen, digitalen Arbeitens, verfasst. Nach einigen Jahren stellte sich jedoch eine unbefriedigende Situation ein, die sich darin zeigte, dass sich die gewonnene Distanz vom Schreibtisch durch permanente Erreichbarkeit und ständige Kommunikation auflöste, was wiederum neue Belastungen mit sich brachte. Darauf basierend ist das Buch „Digitale Erschöpfung“ entstanden mit der Grundfrage: Wie kann angesichts zunehmender Digitalisierung und Verdichtung der digitalen Kommunikation die Kontrolle zurück gewonnen werden?

Aufbau

Das Buch „Digitale Erschöpfung“ gliedert sich grob in die zwei Teile „Irrwege“ und „Auswege“.

Der Teil „Irrwege“ zeigt auf, wie es zu dem Gefühl der Überforderung und Erschöpfung gekommen ist. Beginnend bei einer Einschätzung, ob die Neue Arbeitswelt eher Fluch oder Segen ist, wird anhand eines „normalen“ Tages sehr anschaulich beschrieben, wo die wesentlichen Probleme neuer Medien, neuer Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten oder auch Verhaltensweisen liegen, die zur digitalen Erschöpfung führen.

Der Teil „Auswege“ zeigt dann auf, welche Wege und Optionen es gibt, aus dem Dilemma der Erreichbarkeit zum Preis der Freiheit auszubrechen. Es werden verschiedene Zugänge und Wege geschildert, wie der Autor versucht, gelingend eine Balance zwischen Arbeit, Erreichbarkeit, Ungestörtsein und der Familie zu gestalten. Dies geschieht nicht nur auf eigenen Schilderungen, sondern vornehmlich basierend auf Gesprächen mit Experten aus verschiedenen Kontexten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden nach jedem Kapitel in individuelle und Arbeitgeberstrategien konkret zusammengeführt.

Inhalt

Vorab: Das Buch ist kein wissenschaftliches Fachbuch. Entsprechend gut zu lesen ist es. Gleichzeitig ist es jedoch die Schilderung des Autors, basierend auf seinen eigenen Erlebnissen, angereichert mit fundierten Informationen hochkarätiger GesprächspartnerInnen. Hinzu kommt ein umfangreiches Quellenverzeichnis, das Möglichkeiten bietet, sich weiter in die Thematik zu vertiefen.

Inhaltlich wird insbesondere die Erfahrung von Markus Albers mit unterschiedlichen Phasen der Digitalisierung deutlich und auch sehr transparent dargestellt. Gerade die anfängliche Euphorie des Autors für die Möglichkeiten der Digitalisierung und die damit einhergehende Freiheit und Flexibilität der Arbeit wird unterstrichen durch die dem Buch vorausgehenden Publikationen („Morgen komm ich später rein“) sowie die Erfahrungen in der Arbeit in entsprechend digitalisierten Arbeitskontexten. Dieser Hintergrund des Autors hebt die Publikation erfrischend ab von den üblichen Warnschriften vor einer zunehmenden Digitalisierung. So wird sich die technologische Entwicklung nicht aufhalten lassen und viel eher die Frage zu beantworten sein: „Wie können wir die Entwicklung so gestalten, dass unser Leben, wie wir es kennen, nicht fundamentalen Schaden nimmt?“ (35).

Gerade auch mit Blick auf die Digitalisierung im Kontext sozialwirtschaftlicher Organisationen erachte ich diese Haltung als deutlich zukunftsfähiger als eine negative, warnende, ablehnende Haltung aller technologischen Neuerungen gegenüber.

Entsprechend interessant ausgeführt sind die Darstellungen der Gespräche mit den unterschiedlichen ExpertInnen aus dem Digitalisierungs- und „New Work“ Kontext im zweiten Teil des Buchs. Hier werden sehr unterschiedliche individuelle ebenso wie organisationale Strategien und Herangehensweisen im Umgang mit neuen Technologien und Arbeitsweisen dargestellt und diskutiert. Beispielsweise schildert der Autor eindrücklich seine (nicht nur positiven) Erfahrungen mit dem Gebrauch eines sog. „dumb phones“, also einem Mobiltelefon, dass nur Telefonieren und SMS versenden kann. Auch die übergreifenden Schilderungen, wie Organisationen langsam und kontinuierlich verändert werden können, um digitale Kommunikation für alle Beteiligten sinnvoll zu ermöglichen, gehen über die Schilderung von Allgemeinplätzen weit heraus. Interessant ist auch der Blick in die Zukunft virtueller Realität mit Überlegungen, ob mehr Technisierung zu einer besseren Arbeit führen kann. Albers schließt das Buch mit einem kritischen Ausblick auf die Gegenwart und die Zukunft und führt noch einmal die Kernaussagen zusammen.

Es lassen sich – wiederum als Brücke zu den Organisationen der Sozialwirtschaft – viele sinnvolle Tipps und Herangehensweisen entnehmen, die für die digitale Transformation auch in der Sozialwirtschaft wirksam sein können.

Diskussion

Ist es an der Zeit, sich mit den Grenzen der Digitalisierung und der digitalen Erschöpfung zu beschäftigen? Aus einer übergreifenden Perspektive unbedingt: So sind die Schilderungen von Markus Albers nicht aus der Luft gegriffen, sondern beschäftigen viele Menschen in der heutigen Arbeitswelt. Und hier ist jeder individuell gefragt, Wege im gesunden Umgang mit der Digitalisierung zu finden.

Aus der spezifischen Perspektive der Sozialwirtschaft ist es in meinen Augen vor allem wichtig, sich einer die Technisierung auch der Sozialen Arbeit nicht gänzlich ablehnenden, sondern gestaltenden Haltung zu widmen. Wie bereits angedeutet erlebe ich es in meinen Umfeldern (beruflich, privat ebenso wie in verschiedenen sozialen Netzwerken) so, dass im Kontext der Sozialen Arbeit die ablehnende Haltung gegenüber der Digitalisierung noch überwiegt. Gerade aus dieser Perspektive zeigt das Buch „Digitale Erschöpfung“ Wege auf, sich den Herausforderungen der Digitalisierung auf individueller und organisationaler Sicht zu stellen, ohne die Chancen aus dem Blick zu verlieren. Hier könnte man These vertreten, dass es ein Vorteil von Organisationen der Sozialwirtschaft ist, sich erst jetzt dem Thema der Digitalisierung verstärkt zu nähern (so zumindest mein etwas pauschaler Eindruck aus meiner Filterblase), um so die Fehler anderer Branchen und die damit einhergehenden Überlastungssyndrome zu vermeiden.

Dies zumindest ist meine Hoffnung, die ich damit verbinde, dass sich die Soziale Arbeit jetzt verstärkt mit die Profession und die Disziplin betreffenden Themen der Digitalisierung zu befassen.

Fazit

Wie aus den obigen Ausführungen herauszulesen ist, erachte ich das Buch „Digitale Erschöpfung“ als uneingeschränkt lesenswert. Für beide Perspektiven – die individuelle ebenso wie die organisationale Perspektive – lassen sich hilfreiche Tipps und Hinweise ziehen, wie ein positiver Umgang mit einer nicht aufzuhaltenden Digitalisierung gelingen kann, ganz unabhängig von der jeweiligen Branche, in der man tätig ist.

Selbstverständlich bedarf es aus einer spezifisch sozialwirtschaftlichen Perspektive einer Übertragung und Anpassung der Ausführungen, Tipps und Gestaltungsmöglichkeiten auf die jeweilige Organisation und die jeweiligen Arbeitsfelder. Dabei besteht aber meine Hoffnung, wie formuliert, darin, dass Fehler vermieden und Möglichkeiten für die Organisationen und die Professionellen in den Organisationen genutzt und gestaltet werden können.

Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit kommt für mich noch hinzu, dass ein erfolgreicher Umgang mit den Herausforderungen permanenter Erreichbarkeit und den damit einhergehenden Überlastungen auch ein Arbeitsfeld sozialer Arbeit darstellen kann. Als nur ein Beispiel: Die Beratung von Eltern, wie mit der Nutzung digitaler Medien im Haushalt umgegangen werden kann, ist spannend, bedarf aber eines grundlegenden Verständnisses aktueller und sofern möglich auch zukünftiger digitaler Gegebenheiten.

Rezension von
Hendrik Epe
M.A.
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Es gibt 11 Rezensionen von Hendrik Epe.

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ISSN 2190-9245