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Hans-Peter Waldhoff: Im Spannungsfeld von Eros und Thanatos

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 18.10.2017

Cover Hans-Peter Waldhoff: Im Spannungsfeld von Eros und Thanatos ISBN 978-3-95832-137-3

Hans-Peter Waldhoff: Im Spannungsfeld von Eros und Thanatos. Eine psychoanalytische und erkenntniskritische Untersuchung. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2017. 100 Seiten. ISBN 978-3-95832-137-3. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.

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Die Triebkräfte des Denkens selbst denken

Die bedeutsamste Leistung und gleichzeitig Herausforderung für den Menschen ist das Denken! Hinter dieser eher tautologischen Feststellung ist all das verborgen, was wir gemeinhin als das Geheimnis und Abenteuer des Lebens bezeichnen (vgl. dazu auch: Hans-Peter Waldhoff, Christine Morgenroth, Angela Moré, Michael Kopel, Hrsg., Wo denken wir hin? Lebensthemen, Zivilisationsprozesse, demokratische Verantwortung, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/19997.php). Es sind die intellektuellen, physischen und psychischen Anforderungen, die der anthrôpos, das mit Vernunft ausgestattete menschliche Lebewesen zu bewältigen hat. Nur wenn es den Menschen gelingt zu begreifen, dass das Leben Freude und Mühsal, Bestand und Veränderung, Aufgabe und permanente Auseinandersetzung mit dem „Fluss des Lebens“ bedeutet, kann es ihm gelingen, ein gutes, gelingendes Leben zu führen. Diese Diktion drückt sich im philosophischen und psychologischen (Nach-)Denken über die Frage aus: „Wer bin ich?“, und sie wird zum Anspruch im kantischen sapere aude mit den Nachfragen: Was kann ich wissen? – Was soll ich tun? – Was darf ich hoffen? Hinter der Aufforderung, selbst zu denken und nicht (nur) andere für sich denken zu lassen (Karl Heinz Bohrer, siehe auch: Jetzt. Die Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/22496.php), steckt ja auch das Heraklitsche Geheimnis: panta rhei – alles fließt!

Autor

Der Soziologe und Sozialpsychologe von der Hannöverschen Leibniz-Universität, Hans-Peter Waldhoff, greift mit seinem Nachdenken über das Denken in die Schatzkiste des menschlichen Denkens seit Menschen denken können. Er bezeichnet sein Essay als „Stimmkonzert über Leben, Tod und Denken“, also über das, was Mensch ist. Es ist das Wissen über sich selbst, und es sind die Bemühungen, mit der eigenen Identität und den intellektuellen Ansprüchen den Anderen zu verstehen und ihn in seinem Sosein zu akzeptieren; gleichzeitig aber auch sich bewusst zu sein, dass jeder Mensch, wenn er bei sich leben will, den Mitmenschen zum Leben braucht, ihn beeinflusst und sich vom Anderen beeinflussen zu lassen (vgl. dazu auch: Tali Sharot, Die Meinung der Anderen. Wie sie unser Denken und Handeln bestimmt – und wie wir sie beeinflussen, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/22651.php). Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die Zeit ihres beruflichen Lebens wissenschaftlich tätig sind, zu einem Zeitpunkt, der im Allgemeinen die Lebensphase des „Ruhestandes“ einleitet, zur Feder greifen und Ausschau nach den eigenen „Fluss des Lebens“ halten. Mir scheint, dass Hans-Peter Waldhoff dies zu seinem 64. Lebensjahr motiviert, und dabei Leserinnen und Leser Anteil nehmen lässt: „Wie reißende Unterströmungen sehe ich die Triebkräfte des Lebens und des Todes, von Eros und Thanatos“. Es ist keine Autobiographie; aber es steckt Autobiographisches drin!

Aufbau und Inhalt

Gewissermaßen in 24 Stationen formuliert er seinen Dialog mit sich und den historischen und aktuellen Denkhelfern und öffnet damit seine psychoanalytischen und erkenntnistheoretischen Perspektiven auch als Diskurs für das Hier und Heute. Es sind Zitate und Quellen, die sich als „denkende Lebensfreude“ darstellen; es ist die erstaunende und anklagende Nachschau darüber, wie das Nichtdenken in die Welt kommt; es ist der Hinweis darauf, dass der Mensch bei seinem Denken nicht nur die Dimensionen von Raum und Zeit zu bedenken hat, sondern, im Sinne von Norbert Elias, auch die von ihm selbst geschaffene Dimension des „symbolischen Universums“ einbeziehen muss. Er holt aus dem Erfahrungsschatz des menschlichen Denkens die real existierenden Wegstrecken, Einbahnstraßen und Sackgassen hervor, die sich als „abtötendes Denken“ im Alltäglichen, Individuellen, Gesellschaftlichen, Faktischen und Wissenschaftlichen darstellen. Es sind jedoch keine Kassandrarufe, sondern – unter Bezugnahme auf die in der Psychoanalyse hervorgegangenen Gruppenanalysen – Fingerzeige über die Gefährdungen des individuellen und kollektiven Daseins; gleichzeitig die Handreichung zur Förderung des eigenen Denkprozesses. Der Autor entwickelt daraus eine „Genealogie des Denkens“ und stellt fest: „Die menschliche Denktätigkeit benötigt geschützte und freie äußere und innere, beziehungsweise gesellschaftliche und intrapsychische Denkräume“.

Fazit

Eros und Thanatos sind die beiden wesentlichen Gravitationskräfte des denkenden Menschenlebens. Sie lassen sich nur erkennen und als positive, „lebensrettende“ und -helfende Lebenskräfte einsetzen, wenn sich das Bewusstsein bildet, dass Bewusstes und Unbewusstes im menschlichen Leben mächtig wirkt, sowohl zum Wohl, als auch zum Schaden des individuellen und lokal- und globalgesellschaftlichen Lebens der Menschen auf der Erde. So endet die philosophische, soziologische und psychologische Betrachtung des Denkens und Tuns der Menschen zwangsläufig mit der Hoffnung: „Vielleicht gelingt es uns, unsere Welt nicht vor der Zeit zu zerstören“.

Gerade tickert eine Nachricht mit der Überschrift „Gerst zweifelt an humaner Intelligenz“ über die Medien. Der deutsche Astronaut, der 2018 als Kommandant auf der internationalen Raumstation ISS ins All zurückkehren wird, habe Zweifel, ob Außerirdische das Leben auf der Erde als intelligent einstufen würden; sie betrachteten die Zustände, wie wir Menschen mit unserem Lebensraum umgehen, indem wir das Amazonasgebiet rodeten, uns bekriegten, die Meere überfischten und die Luft zum Atmen verpesteten, sicherlich als äußerst unintelligent (HiAZ vom 12. 9. 2017, S. 32). Was könnte uns vor dieser Einschätzung bewahren? Denken – Denken – Denken!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1695 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245