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Ingo von Münch: Meinungsfreiheit gegen Political Correctness

Rezensiert von Prof. Dr. Gertrud Hardtmann, 24.11.2017

Cover Ingo von Münch: Meinungsfreiheit gegen Political Correctness ISBN 978-3-428-15268-1

Ingo von Münch: Meinungsfreiheit gegen Political Correctness. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2017. 164 Seiten. ISBN 978-3-428-15268-1. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.

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Thema

Hüter der Political Correctness (lt. Duden ‚die von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig erkannte Gesinnung‘) haben inzwischen die Herrschaft i.S. einer Denk- und Sprachpolizei in allen relevanten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens übernommen, nach Timothy Ash ein ‚drastischer Verlust an Freiheit‘. von Münch beschäftigt sich seit Jahren mit den Grundrechten der freien Meinungsäußerung, der Informations- und Pressefreiheit in Forschung und Lehre und plädiert engagiert gegen Political Correctness.

Autor

Ingo von Münch war von 1965 bis 1998 Professor für Öffentliches Recht zunächst an der Universität Bochum und später der Universität Hamburg. 1987 – 1991 war er zweiter Bürgermeister, Wissenschafts- und Kultursenator von Hamburg und zu Gastprofessuren in Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und den USA. Veröffentlichungen u.a. ‚Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft‘ (2007), ‚„Frau komm!“ Die Massenvergewaltigung deutscher Frauen und Mädchen 1944/45‘ (2009), ‚Rechtspolitik und Rechtskultur: Kommentare zum Zustand der Bundesrepublik Deutschland‘ (2011), ‚Gute Wissenschaft‘ (2012).

Entstehungshintergrund

Da inzwischen aus Wortspielen (‚Weihnachtsperson‘ statt ‚‚Weihnachtsmann‘) insofern Ernst geworden ist, als eine Gesinnungspolizei inzwischen weite Teile der Öffentlichkeit kontrolliert, täglich neue ‚heilige Kühe‘ kreiert werden und Sprechverbote und Meinungszensur um sich greifen, plädiert Münch gegen die ‚Gralshüter der Correctness‘ und für einen offenen Diskurs i.S. des Grundgesetzes Artikel 5 Absatz 1: ‚Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.‘

A. Einführung (4 Seiten). Angesichts der unterschiedlichen Meinungen zu der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge 2015, die viele berechtigte Fragen aufwirft (die Rolle von Staatsgrenzen, die Kosten, die ökonomischen Folgen, die europäische Solidarität, die Aussetzung des Familiennachzugs, obgleich die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht) sind unterschiedliche Meinungen und Standpunkte unvermeidlich (Flüchtlingskrise, -problem, -frage, -chaos). Der Verfasser, Jahrgang 1932 (!), möchte nie wieder in einem Land leben, in dem Meinungsäußerungen unterdrückt und gegängelt werden.

B. Was bedeutet „Political Correctness“? (3 Seiten). Nach dem Duden die „von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig anerkannte Gesinnung“, die sich als Gesinnungsdiktatur in Form von Reden und Schweigen äußern kann. Münch bringt Beispiele aus der Flüchtlingsbewegung, der Nahrungsmittelbranche (‘Mohrenkopf‘), der Schule, der Genderbewegung (‘die Polizei deine Freundin‘) und der Politik (‘Wanderschaft statt Aussiedlung‘).

C. Gibt es eine Leitkultur? (7 Seiten). Ist Leitkultur eine ‚unseliger Begriff‘, ein ‚Begriffsunglück‘, ein mit dem Grundgesetz inhaltlich festgelegter Begriff? Gibt es eine völkisch, religiös oder ideologisch eingefärbte Leitkultur und muss diese ‚entsorgt‘ werden? Oder bezeichnet der Begriff das Fundament unseres Zusammenlebens? Sollte man nicht offen und kontrovers darüber diskutieren? Die Ablehnung einer deutschen Leitkultur in den Medien, setzt andererseits anscheinend eine europäische Leitkultur als selbstverständlich voraus.

D. Political Correctness und Islam (4 Seiten). Schweinefleisch, Alkohol, nackte Frauenskulpturen, Frauenbilder, Satire – ist Anpassung an den Islam interkulturelle Sensibilität oder Selbstverleugnung?

E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln (11 Seiten). Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten informierten über die Ereignisse zunächst überhaupt nicht, die Ministerpräsidentin sprach erstmals am 4. Januar mit dem Innenminister über die Ereignisse. Empörungsrituale und Verharmlosung (vonseiten der Polizei) waren zu beobachten, zwischen Hysterie und Hetze. Kaum ein Ereignis in Deutschland hat eine solche Beachtung gefunden. Das lange Schweigen der Leitmedien wurde im Ausland registriert (feige politische Korrektheit?). 662 Frauenhaben Übergriffe gemeldet, verurteilt wurden bisher nur zwei Männer.

F. Verschweigen der Herkunft der Täter (18 Seiten). Schlimmer als Schweigen ist Nicht-Handeln, wenn Handeln geboten ist. Der Pressekodex des Deutschen Presserats empfiehlt, die Zugehörigkeit von Verdächtigen oder Tätern zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann zu erwähnen, wenn es zum Verständnis des Vorgangs notwendig ist, wegen der Gefahr, Vorurteile gegenüber Minderheiten zu schüren. Dem steht das Aufklärungsbedürfnis der Bürger gegenüber, das, wie Münch an zahlreichen Beispielen zeigt, verletzt wird und mitunter auch zu abstrusen Formulierungen (‚Männer mit Migrationshintergrund‘, ‚Großfamilien‘ anstelle von ‚libanesischen Clans‘) führt und zu einer uneinheitlichen Handhabung. Bei ausländischen Straftätern ist es wichtig zu wissen, ob sie aus einem sicheren Herkunftsland kommen und abgeschoben werden können. Verschweigen verletzt Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit.

G. Herrschaft über die Sprache (5 Seiten). Von Münch zählt eine Reihe von ‚Unwörtern des Jahres‘ auf, die der Zensur unterliegen. Sprachpolizei wird zu Denkpolizei, wenn schwarz als Farbe wegen der Assoziation zu ‚Schwarzen‘ in der Werbung nicht mehr verwendet werden darf (Kosmetikunternehmen Beiersdorf). Political Correctness grassiert besonders in ihren Herkunfts- (d.h. englischsprachigen) Ländern.

H. Ausgrenzung von abweichenden Ansichten (3 Seiten). Themen, die nicht dem Mainstream entsprechen, werden nicht mehr angesprochen. Aber jemand, der Toleranz fordert muss auch selbst Toleranz aufbringen. Wer sich Sorgen wegen der vielen Flüchtlinge macht, verhält sich deshalb noch nicht politisch unkorrekt oder unchristlich. Zivilcourage ist gefragt, Mut und Eintreten für die Meinungsfreiheit.

I. Faschismuskeule (7 Seiten). Gern wird der Vorwurf Faschismus benutzt, wenn Argumente fehlen, mit der Folge, dass der Faschismus eher verharmlost wird. Ist ‚Islamofaschismus‘ vielleicht doch eher ‚religiöser Fanatismus‘? Und was ökologisches Denken mit Faschismus zu tun (‚Ökofaschismus‘)?

J. Rassismuskeule (10 Seiten). Rassismusvorwürfe, schnell erhoben und gegen missliebige Andersdenkende eingesetzt, gehören fast zum gängigen Streitvokabular in Deutschland. AfD-Wähler werden damit denunziert. Die Väter des Grundgesetzes Artikel 3 hatten aber die skandalöse Rassengesetzgebung der Nazis im Auge und nicht Ängste und Antipathien gegen Flüchtlinge und Ausländer. Was geschieht, wenn ‚Rasse‘ durch ‚Population‘ oder ‚Ethnie‘ ersetzt wird?

K. Die Nazikeule (4 Seiten). Ist das schwerste Geschütz gegen Andersdenkende, dabei sind Gleichsetzungen mit der NS-Zeit generell abwegig. Aber die negative Wirkung ist, dass sich sogar Rechtsradikale damit als Verleumdungsopfer, mithin als Opfer, inszenieren können (‚Nazischlampe‘ für Alice Weidel).

L. Debattenkultur gegen Unkultur (5 Seiten). Das Grundgesetz fordert die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Religionsausübung für alle Religionen, also auch für den Islam. Aber Kritik an einer Religion ist nicht mit Rassismus gleichzusetzen. Ist etwa gesetzlich vorgeschrieben, das man ‚islamophil‘ sein muss?

M. Hass-Spirale ohne Ende? (6 Seiten). Nach Einschätzung seiner Wähler hat Trump mit seiner Kampagne gegen die Plage der Political Correctness Erfolg gehabt. Zur demokratischen Gesellschaft gehört Kritik, Widerspruch und Disput soweit sie nicht gegen Strafrechtsbestimmungen oder zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht verstoßen. Hass vergiftet nicht nur die politische Atmosphäre, das Zusammenleben und führt zu irrationalen und destruktiven Urteilen, die einen Diskurs unmöglich machen. Deshalb bringt Gegen-Hass auch nichts. Mitunter wird als Hass diffamiert, was nur eine gegenteilige andere Meinung ist.

N. Hetzer am Pranger: „Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“ (6 Seiten). Oft wird als ‚Hetze‘ nur eine Meinungsäußerung oder eine heftige Kritik an Personen oder Zuständen bezeichnet, die dem eigenen Weltbild nicht entsprechen. Als scharfes Unwerturteil hat es mitunter auch strafrechtliche Folgen, was zu einer Kriminalisierung von Meinungsstreitigkeiten führen kann und sich als Hetzkampagne auch politisch auswirkt. Beleidigungen, Drohungen, Beschimpfungen sind kein positiver Beitrag zu einer Debattenkultur.

O. Populismus – eine Worthülse? (12 Seiten). Ist die Einordnung ‚Populismus‘ stärker vom Zeitgeist beeinflusst, als wir im Allgemeinen annehmen? Das Wort wird inzwischen inflationär gebraucht und ist ein fast leeres ‚Allzweckwort‘, das allerdings in der Absicht gebraucht wird, einen Standpunkt, den man nicht teilt, zu diffamieren. Der Duden definiert Populismus als ‚eine opportunistische Politik, die Gunst der Massen zu gewinnen‘; letzteres ist allerdings das Ziel jeder Volkspartei. Als Kampfbegriff ist der Begriff bei uns inflationär in Gebrauch gegen die politische Rechte (Nachwirkung der NS-Zeit). Populismus speist sich aus Meinungen und Gefühlen, während Demokratie das Staatswesen organisiert. Volksabstimmungen können, müssen aber nicht generell, populistisch sein. Überschneidungen mit anderen negativ besetzten Urteilen sind möglich, aber nicht notwendig. Diskussionsverweigerung führt zur Ausgrenzung auch von denen, die gesprächsbereit sind. Selbst progressive Kritik an reaktionären Inhalten, z.B. des Islam, kann als ‚Rassismus‘ bezeichnet werden. Mit ‚Vereinfachern‘ muss man diskutieren und argumentieren.

P. Die Verantwortung der Medien (16 Seiten). Presse-, Rundfunk- und Informationsfreiheit sind Grundrechte und ermöglichen Wissensaneignung, Teilhabe und Kommunikation, daran ändert auch die Digitalisierung nichts. Misstrauen und Unzufriedenheit kann auch gerechtfertigt sein, und sei es nur gegen einen ‚Mainstream-Journalismus‘, der ein- und ausgrenzt. Unseriös ist ‚publizistischer Einheitsbrei‘, wenn z.B. wegen des Versagens einzelner Beamten (Fall Dschaber al-Bakr) die Justiz in Sachsen attackiert wird. Publizistische Hysterie (Geltungssucht), der Horden- und Gesinnungs-Journalismus untergraben das Vertrauen. Die Verrohung der Sprache muss nicht übernommen werden. Offene Kritik an der Berichterstattung ist notwendig, aber keine generelle, und Aufmerksamkeit dafür, was verschwiegen, unterschlagen, unvollständig oder erst nachträglich berichtet wird. Verlorenes Vertrauen ist nicht leicht wieder zu gewinnen. Das Gleiche, merkt von Münch an, gilt auch für die Wissenschaft.

Q. Zusammenfassung (4 Seiten).

Diskussion und Fazit

Reichlich Fußnoten und viele Beispiele geben diesem lebendig und mit viel Engagement geschriebenen Buch Farbe und Buntheit, was dem Thema angemessen ist, auch wenn vielleicht der eine oder andere Beleg weniger überzeugend ist und ich mir mitunter eine ausführlichere Darstellung gewünscht hätte. Der Autor hat sich in der Presse- und Meinungslandschaft in Deutschland (und der Schweiz) wie ein Sammler umgesehen, um aus der reichen Sammlung seiner Fundstücke fundiert gegen Political Correctness und für Meinungsfreiheit in ihrer Vielfalt zu plädieren und einen Beitrag zu einer demokratischen Diskussionskultur zu leisten. Positiv ist auch, dass das Buch trotz seiner ernst zu nehmenden Inhalte unterhaltsam, d.h. lesbar geschrieben ist.

Viele Beispiele lassen sich gut mit Jugendlichen und Heranwachsenden diskutieren, teils mit Humor, teils mit ernsthafter Betroffenheit. Das Buch eignet sich auch in der etwas trockenen alphabetischen Anordnung der Kapitel vorzüglich dazu, einen Aspekt herauszunehmen und über Political Correctness und Meinungsfreiheit auch im eigenen Verhalten und in der Beurteilung anderer nachzudenken und zu diskutieren.

Fazit: Ein aktuell wichtiges Thema, aufmerksam, selbstkritisch und sensibel der Tendenz von Verketzerungen und Diskriminierung abweichender Meinungen entgegenzutreten.

Rezension von
Prof. Dr. Gertrud Hardtmann
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Es gibt 111 Rezensionen von Gertrud Hardtmann.

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Zitiervorschlag
Gertrud Hardtmann. Rezension vom 24.11.2017 zu: Ingo von Münch: Meinungsfreiheit gegen Political Correctness. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2017. ISBN 978-3-428-15268-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23397.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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