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Heinz Cornel, Gabriele Kawamura-Reindl et al. (Hrsg.): Resozialisierung. Handbuch

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 03.05.2018

Cover Heinz Cornel, Gabriele Kawamura-Reindl et al. (Hrsg.): Resozialisierung. Handbuch ISBN 978-3-8487-2860-2

Heinz Cornel, Gabriele Kawamura-Reindl, Bernd-Rüdeger Sonnen (Hrsg.): Resozialisierung. Handbuch. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2018. 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. 661 Seiten. ISBN 978-3-8487-2860-2. D: 59,00 EUR, A: 60,70 EUR.

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Thema

„Zur Umsetzung des Resozialisierungsauftrags bedarf es in der Praxis des Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe eines breiten rechtlichen, kriminologischen, methodischen und institutionellen Wissens. Die 4., grundlegend überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Handbuchs vermittelt praxisorientierte interdisziplinäre Fachkenntnisse rund um Resozialisierung, Erziehung und Sozialisation. Es berücksichtigt aktuelle rechtliche Entwicklungen und kriminologische Erkenntnisse und zeigt eine Vielzahl von möglichen Resozialisierungsmaßnahmen und Hilfeleistungen für straffällig gewordene Menschen auf. Erweitert um die internationale Dimension, die Gestaltung von Übergängen, die Perspektiven eines Resozialisierungsgesetzes und um das Thema Opferhilfe richtet sich das Handbuch als Basislektüre und praktisches Nachschlagewerk an Studierende der Sozialen Arbeit, Erziehungs-, Rechts- und Sozialwissenschaften, an die Fachkräfte in der Justiz und der Straffälligenhilfe, in Jugendämtern und in Justizvollzugsanstalten.“ (Verlagsinformation)

Herausgeber und Herausgeberin

  • Dr. Heinz Cornel ist seit 1988 Professor für Jugendrecht, Strafrecht und Kriminologie an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.
  • Gabriele Kawamura-Reindl ist seit 1998 Professorin an der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm.
  • Dr. Bernd-Rüdeger Sonnen ist em. Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg.

Aufbau und ausgewählte Inhalte

Die auf über 600 Seiten versammelten Aufsätze können natürlich unmöglich in aller Ausführlichkeit beschrieben werden. So sei es dem Rezensenten gestattet, eine Auswahl bei den zu kommentierenden Artikeln zu treffen, wohlwissend, dass er damit nicht jedem der Autoren/-innen und auch nicht den einzelnen Artikeln gerecht wird.

Die Grobgliederung ist wie folgt:

  1. Grundlagen
  2. Resozialisierung jugendlicher und heranwachsender Straftäter
  3. Resozialisierung erwachsener Straftäter
  4. Besondere Zielgruppen und Problemlagen
  5. Vertiefungsgebiete

A. Grundlagen

1. Cornel beginnt den Sammelband mit einem grundlegenden Artikel „Zum Begriff der Resozialisierung“. Er konstatiert, dass die „Zahl der Äußerungen über Begriff und Inhalt von Resozialisierung… Legion seien“ (S. 32). Des Weiteren wird die Geschichte des Begriffs referiert und von einer Vielzahl von anderen Begriffen abgegrenzt (z.B. Rehabilitation, Behandlung, Erziehung). Im weiteren Verlauf gelangt der Autor und Herausgeber zu einem angesichts des Buchtitels bemerkenswerten Fazit: „Da die Analyse all der zitierten Definitionen, der Gebrauch in der Alltagsprache und der Bezug zur Sozialisation und anderen Fachtermini letztlich wenig Klarheit bringen, soll versucht werden, die Inhalte des Wortfeldes ‚Resozialisierung‘, so, wie der Begriff entsprechend dem heutigen kriminologischen und pönologischen Erkenntnisstand gebraucht wird, und entsprechend den Verpflichtungen und Begrenzungen der Verfassung zu umreißen“ (S. 51). Da also keine klare Begriffsbestimmung vorgelegt werden kann, greift der Autor zu möglichen (sozialarbeiterischen) Inhalten, er nennt Beratung, materielle Hilfen, Ausbildungsangebote etc. Interessant an diesem einleitenden Artikel ist aus Sicht des Referenten die offenkundig zutage tretende Schwierigkeit, für den in den folgenden Artikeln verwendeten Begriff „Resozialisierung“ eine adäquate und wissenschaftsgemäße Definition vorzulegen.

2. Cornel setzt die Reihe mit dem Beitrag zu „Rechtsgebieten der Resozialisierung“ fort und führt den Leser an verschiedenste Rechtsgebiete wie Sozialrecht, Strafrecht, Strafprozessordnung, Zeugnisverweigerungsrecht etc. heran.

3. Mit dem Thema „Delinquenz und strafrechtliche Sozialkontrolle“ befasst sich Sonnen. Er klärt wesentliche Begriffe (z.B. Norm und Normverletzung), stellt die Beziehung zur Kriminalpolitik her und arbeitet als Intention heraus, Kriterien für eine „rationale Kriminalpolitik“ zu finden. Es schließen sich verschiedene Statistiken zum Umfang der Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung an.

4. Mit „Resozialisierung und internationale Menschenrechtsstandards“ überschreibt Dünkel seinen Beitrag. Er gibt einen Überblick über die, für Resozialisierung relevanten Menschenrechtsstandards, z.B. Europäische Menschenrechtskonvention und Empfehlung des Europarats.

B. Resozialisierung jugendlicher und heranwachsender Straftäter

Die drei Unterabschnitte im Bereich „I. Ambulante Dienste und Maßnahmen“ sind von Trenczek verfasst.

5.-6. Der erste Beitrag ist zwar mit „Allgemeine Jugendhilfe“ überschrieben, behandelt aber (unter Verwendung z.T. gleicher Literatur) ebenso wie der zweite (Jugendgerichtshilfe) die Jugendhilfe im Strafverfahren. Thematisiert wird die Rolle des Jugendamtes, die Abgrenzung bzw. Konvergenz zwischen Jugendhilferecht und Jugendstrafrecht sowie die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe.

7. In seinem dritten Beitrag thematisiert Trenczek die Jugendstraffälligenhilfe. Hier geht der Autor auf die Frage nach dem Zwangskontext ein, definiert Leistungen der Jugendhilfe und betont mehrfach, dass diese Leistungen ihren Ursprung in dem Jugendhilfebedarf haben, nicht aber in Weisungen der Strafvollzugsbehörden. Dies scheint ihm insbesondere in Bezug auf die Finanzierung dieser Leistungen wichtig zu sein (S. 120, S. 124; S. 143; S. 145; S. 149), der er ein höchst differenziertes Teilkapitel widmet.

Unter dem Teil „II. Stationäre Maßnahmen“ sind drei Artikel versammelt:

8. Zunächst befasst sich Lindenberg mit dem Thema „Geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe“. Neben einem geschichtlichen Überblick, den rechtlichen Grundlagen und Zahlen, legt der Autor seine Überzeugung dar, dass die Frage der Nützlichkeit der geschlossenen Unterbringung wissenschaftlich nicht zu beantworten sei (S. 167).

9. Das Thema „Jugendarrest“ bearbeitet Sonnen. Er geht dabei sowohl auf die geschichtliche Bedeutung als auch auf die rechtlichen Rahmenbedingungen des Jugendarrestes (als Urteils- oder als Ungehorsamsarrest) ein.

10. Mit der „Jugendstrafe“ befasst sich erneut Sonnen. Er benennt die gesetzlichen Grundlagen und führt die aktuelle Rechtsprechung aus. Besonders mit dem Theorem der „schädlichen Neigungen“ als Voraussetzung für die Verhängung der Jugendfreiheitsstrafe (§ 17, Abs. 2 JGG) setzt sich der Artikel kritisch auseinander und fordert wegen der normativen und empirischen Befunde, „die Voraussetzungen der Verhängung der Jugendstrafe neu zu formulieren und insbesondere den Begriff der schädlichen Neigungen zu streichen.“ (S. 184)

C. Resozialisierung erwachsener Straftäter

Dieser Teil hat zwei Unterabschnitte. Der erste Unterabschnitt ist überschrieben mit: I. Ambulante Dienste und Maßnahmen

11. Das Thema „Gerichtshilfe“ beleuchtet Thier. Die Dilemmata in diesem Sozialen Dienst bringt er in folgendem Zitat auf den Punkt: Der „Rollenkonflikt der Gerichtshilfe zwischen den Polen ‚Ermittlungshilfe für die Justiz‘ versus ‚professioneller sozialarbeiterischer Akteur mit dem Ziel der Reintegration Straffälliger‘ verdeutlicht, dass die Gerichtshilfe seit ihrer Einführung weder ein klares professionelles und bundesweit einheitliches Profil noch eine solch relevante Rolle wie die Jugendgerichtshilfe und die Bewährungshilfe entwickeln konnte.“ (S. 195) Sein Vorschlag: „Die Fachkräfte der Gerichtshilfe sollten sich nicht nur auf kurzfristige und einmalige Diagnosen und Prognosen beschränken, sondern als Sozialarbeiter in der Justiz auch mittel- und längerfristige Betreuungs- und Unterstützungstätigkeiten wahrnehmen.“ (S. 198)

12. Über Bewährungshilfe schreibt Grosser. Neben einer detailreichen Schilderung der rechtlichen Grundlagen, werden Aufgaben und Wirkungsweisen der Bewährungshilfe thematisiert. Dabei weist er auf den Doppelauftrag von Hilfe und Kontrolle und den damit verbundenen Rollenkonflikt hin. Der mit aktueller Literatur versehene Beitrag greift auch die unterschiedlichen Konzepte von Bewährungshilfe auf, die derzeit in kontroverser Weise diskutiert werden. Heftig übt der Autor Kritik an der sogenannten „Risikoorientierten Bewährungshilfe“, der er vorwirft, sich „ausschließlich …auf die risikorelevanten Einstellungen, Verhaltensweisen und Lebensumstände“ zu konzentrieren (S. 211). Informationen darüber, wer – zumindest in Deutschland – einen Ansatz vertritt, der sich so charakterisieren lässt, oder wo er in dieser Weise diskutiert oder gar verwirklicht wird, finden sich in dem Artikel allerdings nicht.

13. Ebenfalls von Grosser stammt der Artikel über die Führungsaufsicht. Auch hier werden sehr ausführlich die gesetzlichen Grundlagen referiert und mit aktueller Literatur belegt. Kritik übt der Autor an der Organisation: Hier seien die „aufgesplitterten Zuständigkeiten von Aufsichtsstelle, Bewährungshilfe und forensischer Ambulanz ein entscheidendes Hemmnis (sic!) für die Entwicklung einer wirkungsvollen Praxis.“ (S. 223) Die Forderung ist entsprechend „die Aufhebung der zerfaserten Praxis und die Konzentration der Aufgaben in eine Gesamtkonzeption der Sozialen Dienste der Justiz als eigenständiger Fachbereich neben Gerichtshilfe und Bewährungshilfe“ (ebd.). Leider gehen die methodischen Vorstellungen zum Umgang mit der Gruppe stark rückfallgefährdeter und gefährlicher Straftäter nicht weit über die Formulierung hinaus, man müsse „Hilfe und Beratung und Unterstützung bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Sozialleistungsträgern“ anbieten sowie „Einfluss nehmen auf die soziale Infrastrukturplanung für sozial Benachteiligte“ (S. 210).

14. Mit der Freien Straffälligenhilfe setzt sich Kawamura-Reindl auseinander. Sie betont den „ganzheitlichen Hilfeansatz“, der „zum einen die sozialen Problemlagen berücksichtigt, die den Ausgangspunkt für straffälliges Verhalten bilden und Hilfe zur Verbesserung von Lebenslagen erfordern. Zum anderen bietet sie als Spezialdienst Hilfen zum Umgang mit den justiziellen Folgen von Straffälligkeit, also auch von justiziellen Sanktionen und Inhaftierung an.“ (S. 236) Als nicht ganz einfach wird die finanzielle Lage der Freien Straffälligenhilfe beschrieben, die in den letzten Jahren dazu geführt habe, dass sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert hätten (S. 242).

15. „Gemeinnützige Arbeit zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen“ überschreiben Bögelein und Kawamura-Reindl ihren Beitrag. Neben einem Überblick über bundesländerspezifische Regelungen werden die Ungereimtheiten der Ersatzfreiheitsstrafen beleuchtet. Insbesondere die strafverschärfende Wirkung der Armut (S. 250) und Möglichkeiten von Alternativen in Form gemeinnütziger Arbeit werden auf überzeugende Weise aufgezeigt.

Es folgt der zweite Teil des Themas „Resozialisierung erwachsener Straftäter“. Er ist überschrieben mit: II. Stationäre Maßnahmen

16. In einem längeren Aufsatz beschäftigt sich Cornel mit der Untersuchungshaft. Neben Gründen für sie kommen auch Vollstreckungsthemen und Hilfsmöglichkeiten zur Sprache.

17. Ebenfalls von Cornel stammt der folgende Beitrag zur „Haftentscheidungshilfe und Untersuchungshaftvermeidung“. Diese Ermittlungen zu der sozialen Situation, Arbeit, Wohnen etc. werden meist von der Gerichtshilfe durchgeführt. Das erkennbare Anliegen des Autors ist die Haftverkürzung.

18. Cornel verfasst auch die dritte Abhandlung in diesem Kapitel über „Resozialisierung im Strafvollzug“. Er greift damit wieder seinen Eingangsbeitrag auf und erläutert erneut sein Verständnis von Resozialisierung als „Resozialisierungshilfen und Resozialisierungsangebote“ (S. 311; Hervorhebung W.K.), die von ihm mit der „Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit“ (S. 312) verknüpft werden, wobei der Autor sich hier auf Leistungsansprüche aus dem SGB I und SGB XII bezieht. Entlassvorbereitung, offener Vollzug, Arbeitspflicht, Unterricht und Schule, Disziplinarmaßnahmen und schließlich sehr ausführlich mögliche (und im Band genauer beschriebene) Angebote Sozialer Arbeit sind weitere Themenfelder dieses Aufsatzes.

19. Im vierten Unterabschnitt befasst sich Bartsch mit dem Thema „Sicherungsverwahrung“. Hier wird insbesondere die rechtliche Lage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2011 und die Reaktionen der Bundesländer referiert.

D. Besondere Zielgruppen und Problemlagen

20. Kawamura-Reindl befasst sich mit der Resozialisierung straffälliger Frauen. Neben statistischen Zahlen und Bedarfsklärungen geht sie ausführlich auf das Hilfesystem ein. Die vorgestellten Hilfsangebote werden systematisch an verschiedenen Lebens- und Problemlagen der Zielgruppe (z.B. Ausbildung, Mutter-Kind-Vollzug) aufgezeigt.

21. „Drogenabhängige Menschen in Haft“ lautet das Thema, dem sich Stöver annimmt. Er wartet mit beeindruckenden Zahlen zum Zusammenhang von Drogenkonsum und Kriminalisierung auf. Auch hier liegt ein Schwerpunkt auf den Hilfeangeboten. Der Artikel lädt durch seine vielen aktuellen und internationalen Forschungsergebnisse und Literaturverweise dazu ein, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.

22. Die Arbeit mit „psychisch kranken Straftätern“ beschreibt Hahn. Er geht auf Behandlungsansätze und Entlassungsvorbereitung im Maßregelvollzug ein. Das interessante und brisante Thema „Sonderfall Sexualstraftäter?“ beleuchtet den politischen und öffentlich-medialen Umgang mit dieser keineswegs homogenen Tätergruppe. Seine Forderung nach Versachlichung der Diskussion begründet er (wenn auch leider z.T. mit sehr alten Literaturverweisen) mit den niedrigen Rückfallzahlen und der Unmöglichkeit einer Trennung von Sexual- und anderen Intensivtätern.

23. Köhler widmet sich der Behandlung von männlichen Gewalt- und Sexualstraftätern im Strafvollzug. Er versteht unter Resozialisierung die „Behebung der kriminellen Neigung“ (S. 416), mithin ist Behandlung „nur Mittel zum Zwecke der Rückfallverminderung“ (S. 417). Der Autor geht zunächst auf den aktuellen „what-works“-Diskurs ein, referiert dann zwei Behandlungsprogramme für erwachsene Straftäter und anschließend solche für Jugendliche, wobei er deutliche Kritik an den Anti-Gewalt-Trainings verschiedenster Couleur übt. Schließlich plädiert der Autor für eine „integrative Sozialtherapie“, die längst nicht mehr ein rein psychiatrisch-psychotherapeutisches Angebot sei (S. 427). Wegen seiner Internationalität, Aktualität, aber auch wegen der auf Evidenz basierenden Grundausrichtung gefällt dem Rezensenten dieser Artikel ausgesprochen gut.

24. Das Thema „Resozialisierung bei nichtdeutscher Staatsangehörigkeit“ bearbeitet Graebsch. ihre These zum Thema „Ausländerkriminalität“, die sie im Laufe des Artikels ausführt, lautet: „Die sich bereits in den polizeilichen Kriminalstatistiken findende überdurchschnittliche Repräsentanz von Ausländern ist wesentlich durch die unterschiedliche sozialstrukturelle Zusammensetzung sowie statistische Erfassung der Gruppe der Ausländer im Vergleich zu der der Wohnbevölkerung erklärbar.“ (S. 435)

25. Mit der kühnen These „Ohne Schuldenregulierung scheitert die Resozialisierung“ warten Homann und Zimmermann in ihrem Artikel „Resozialisierung und Verschuldung“ auf. Zur Begründung dieser (allerdings mir sehr alten Erhebungen belegten) These, werden viele Informationen präsentiert, wie Schulden bei Straftätern (insbesondere Drogenabhängigen) entstehen und welche Möglichkeiten die Schuldnerberatung hat.

26. Einen lupenrein juristischen Artikel über „Arbeitslosigkeit“ legt Hammel vor. Er beschreibt die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit, Fragen der Leistungsberechtigung, des Leistungsausschlusses und Grundlagen des SGB II und einige für haftentlassene Personen relevante Aspekte des SGB XII und SGB VIII.

E. Vertiefungsgebiete

27. „Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) ist eine in Deutschland marginale Form des Umgangs mit Straftaten.“ (S. 479) So beginnt Winter seinen Artikel über „Täter-Opfer-Ausgleich und Restorative Justice“. Es werden ausführlich die Geschichte, die rechtlichen Grundlagen, die Geschichte der rechtlichen Entwicklung sowie die rechtlichen Grundlagen im Jugendstrafverfahren, die strafprozessuralen Grundlagen, referiert, wobei Wiederholungen des bereits Ausgeführten nicht ausbleiben. Auffallend und vom Autor selbst kritisch angemerkt ist das Fehlen neuerer Statistiken und v.a. wissenschaftlicher Evaluationen, die vorgelegten stammen fast alle aus den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es folgen einige „Innovationen“ (z.B. Streitschlichtung an Schulen, Konfliktvermittlung in Fällen von familiärer und häuslicher Gewalt).

28. In einem gut gegliederten und mit aktueller Literatur ausgestatteten Artikel setzt sich Kawamura-Reindl mit „Hilfen für Angehörige Inhaftierter“ auseinander. Sie beschreibt zunächst anschaulich die Folgen für Partner, Kinder und Eltern, um dann Hilfemöglichkeiten aufzuzeigen. Als „Innovationsaufgaben“ werden Alternativen zur Haft und die Forderung nach Unterbringungsmöglichkeiten genannt, die Angehörige möglichst wenig belasten.

29. Um Registrierungsfragen (z.B. im Zusammenhang mit dem Bundeszentralregister) geht es Sonnen im Beitrag „Rechtsfolgen nach dem Registerrecht“.

30. Riekenbrauk beschäftigt sich mit dem Thema „Schweigepflicht – Datenschutz – Zeugnisverweigerungsrecht“. Er geht dabei aus juristischer Sicht auf die Fragestellungen Sozialer Arbeit in der Resozialisierung ein, insbesondere werden Offenbarungspflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht behandelt, daneben einschlägige Datenschutzbestimmungen und zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz.

31. Gebhardt überschreibt seinen Artikel „Gnadenrecht und Gnadenpraxis“, in dem er u.a. sehr praktische Tipps gibt, wie man ein Gnadengesuch an die richtigen Behörden stellt.

32. In einem in reichem Maße mit aktueller Literatur ausgestatteten Beitrag erläutert Pruin die „Gestaltung von Übergängen“, also die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Institutionen der Straffälligenhilfe. Systematisch werden die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen, sozialrechtliche Ansprüche, Landesstrafvollzugsgesetze, Organisationsgesetze der Bundesländer und entsprechende Verwaltungsvorschriften referiert. Interessant sind neben den Lösungen für das Übergangsmanagement durch die verschiedenen Bundesländer auch die Kooperationsvereinbarungen mit der Freien Straffälligenhilfe. Nach dem systematischen Durchgang durch alle Regelungen kommt Pruin zu einem wenig günstigen Fazit: „In keinem Bundesland führten die Reformdebatten zu ernsthaften Diskussionen über einen einheitlichen Justizsozialdienst, der sowohl innerhalb als auch außerhalb des Justizvollzugs für die Haftentlassungshilfe zuständig sein könnte.“ (S. 585)

33. Einen bebilderten Beitrag über „Resozialisierung, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit“ schreibt Haas. Seine Grundthese: Es ist unverzichtbar, „den Zielen, Intentionen und Wirkungen Sozialer Arbeit mit Straffälligen Publizität zu verleihen – mit professioneller Öffentlichkeitsarbeit und idealerweise unter Mitwirkung jener Personen, die sich der Resozialisierung Straffälliger widmen“ (S. 593). Allerdings scheint er zu bezweifeln, dass gerade diejenigen, die er gewinnen will, nämlich die Professionellen, sich dafür auch gewinnen lassen. Deshalb werden vier Seiten mit Interviews angefügt, die der Autor mit Journalistenkollegen durchgeführt hat, die allesamt beschreiben, wie man das Resozialisierungsanliegen in die Öffentlichkeit bringen könnte.

34. Cornel/Dünkel/Pruin/Sonnen/Weber begründen in dem Artikel „Kriminalpolitik für ein Resozialisierungsgesetz“ ihre Sicht der Notwendigkeit eines Landesresozialisierungsgesetzes.

35. In der 4. Auflage ist der Aufsatz von Hartmann/Priet über „Opferhilfe“ neu hinzugekommen. Die Autorinnen beginnen sehr grundsätzlich (geschädigte Menschen als Opfer), gehen dann auf Viktimologie ein, zunächst geschichtlich, insbesondere unter dem Fokus der Gewalt gegen Frauen. Es folgen psychotraumatologische Perspektiven auf die Situation von Kriminalitätsopfern. Hervorgehoben wird insbesondere die stressinduzierende oder helfende Wirkung des sozialen Umfelds und der psychosozialen Hilfen. Das Handlungsfeld professioneller Opferhilfe schließt den Artikel ab.

Diskussion

In seiner Rezension der 3. Auflage bemerkte Michael Stiels-Glenn treffend: „Handbücher sind selten handlich.“ (www.socialnet.de/rezensionen/7826.php) Auch seiner damaligen Feststellung, einige der „AutorInnen – so z.B. Cornel – [hätten] verstärkt auf neuere Quellen zurückgreifen können, um neue Entwicklungen zu beleuchten“ kann in der Rezension zur 4. Auflage nicht widersprochen werden. Wenn – um nur ein Beispiel zu nennen – auf „neuere kriminologische Erkenntnisse“ mit Verweis auf eine Quelle von 1990 (S. 185) hingewiesen werden soll, so stellt sich – wie schon in der 3. Auflage – die Frage nach der Aktualisierung mancher Beiträge (oder einer Erklärung, weshalb die entsprechende Stelle nicht aktualisiert werden konnte). Dies ist allerdings nur bei einigen der Aufsätze zu bemängeln. Andere, insbesondere die neu hinzugekommenen, sind mit reichlich hochaktueller Literatur bestückt.

Bemerkenswert ist die Fülle der einbezogenen Themenfelder: Nahezu alle Bereiche des Strafvollzugs, viele Tätergruppen, Problemlagen und juristische Sachgebiete auf dem Gebiet werden angesprochen und verbessern ein ohnedies hilfreiches Sammelwerk. Dies gilt besonders auch für die neu hinzugekommenen Themengebiete (z.B. Opferhilfe) und die Aktualisierung älterer Beiträge (z.B. Übergangsmanagement). Diese zeigen, dass die Herausgeber/-innen bestrebt sind, sich neuen Diskussionen zu stellen und mit Erfolg daran gehen, neue Autoren/-innen als Experten/-innen für das jeweilige Fachgebiet zu gewinnen.

Besonders den juristisch interessierten Leser/-innen werden in großem Maße Informationen vermittelt. So beginnt fast jedes einzelne Kapitel mit den Rechtsgrundlagen, auch sind viele der Autor/-innen aus der Juristenzunft oder argumentieren juristisch. Da das Feld der Resozialisierung nicht anders als „justiznah“ zu bezeichnen ist, ist eine Orientierung an den gesetzlichen Rahmenbedingungen denn auch unabdingbar, weshalb diese Ausrichtung durchaus nachvollziehbar ist. Allerdings stellt das Recht insbesondere für die Sozialarbeiter/-innen nur eine der nötigen bezugswissenschaftlichen Quellen dar. Psychologische, soziologische oder forensische sind andere sehr nützliche und notwendige Wissensbestände. Diese finden sich in dem Handbuch zwar auch, allerdings weitaus weniger.

Was allerdings wirklich weitgehend fehlt, sind zwei Perspektiven: die sozialarbeits-methodische und die internationale. Es werden bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Stöver oder Köhler) von den Autoren/-innen weitgehend deutschsprachige Bezugsquellen und damit auch Bezugswissen verwendet, was angesichts des immensen Wissens gerade im angelsächsischen Sprachraum verwundert. Selbst im Artikel, der mit im Titel mit „Restorative Justice“ angekündigt ist, findet sich nicht eine Quelle, die sich mit der mittlerweile unüberschaubaren englischsprachigen Literatur befasst. Wenn man bedenkt, was sich z.B. an Wissen im European Forum for Restorative Justice (www.euforumrj.org) versammelt, ist es bedauerlich, dass die internationale Perspektive fehlt. Das Gleiche gilt auch für die „Desistance-Forschung“, die lediglich angesprochen, aber nicht vertieft wird. Da viele neue Ansätze aus dem Ausland kommen (man denke nur an die Resozialisierungserfolge in den skandinavischen Ländern), wird man wohl kaum ohne einen systematischen Einbezug internationaler Wissensbestände auskommen können.

Was das Sozialarbeiterisch-Methodische betrifft, wäre über die Beschreibungen von Hilfs- und Institutionsangeboten hinaus das Eingehen auf sozialarbeiterische Handlungssituationen (z.B. Beziehung, Motivation, schwierige Handlungssituationen in Zwangskontexten) für den praxisorientierten Nutzer durchaus wünschenswert. Ein positives Beispiel hierfür bietet der Artikel von Köhler, der neben einer empirischen auch eine methodische Ausrichtung beinhaltet, wie sie sich der Rezensent vorstellt. Auch die Darstellung der Hilfen für Angehörige von Kawamura-Reindl gehen in die sozialarbeiterische Richtung, die durchaus verstärkt werden könnte. Eine solche stärker sozialwissenschaftliche (und aus Sicht des Rezensenten damit empirische) „Handschrift“ hätte zudem den Vorteil, dass die normative „Schlagseite“, die schon Stiels-Glenn in seiner Rezension angemerkt hat, etwas zurücktreten könnte. Zugegebenermaßen muss gewiss berücksichtigt werden, dass die vorherrschende juristische Ausrichtung des Handbuches durch die genannten Aspekte möglicherweise etwas abgeschwächt würde. Ob das für die angezielte Leserschaft wünschenswert ist, ist natürlich eine Frage, die nur die Herausgeber beantworten können. Für die Soziale Arbeit wäre sie es allemal.

Was dem Herausgeberwerk gut gelingt, ist der Überblick über die verschiedenen Leistungen, die im Bereich von Straffälligenhilfen möglich sind, und ein Ausblick, in welchen Organisationsformen diese angeboten werden. Auch die Einführungen in die Handlungsfelder (Bewährungshilfe, Gerichtshilfe, verschiedene Haftformen usf.) sind insbesondere für einführende Lehrveranstaltungen in unseren Hochschulen sehr brauchbar. Die in den Artikeln aufgezeigten Diskussionsstränge und daraus entstehenden Konflikte vermitteln z.B. Studierenden, welche Besonderheiten sie in diesem Feld zu gewärtigen haben.

Fazit

Das vorliegende Handbuch bietet einen umfassenden Überblick über juristische Ausgangspunkte, Problemlagen und Arbeitsbereiche der Hilfeleistungen für Straftäter. Insbesondere diejenigen Leser, die einen ersten Einblick in das Arbeitsfeld erhalten wollen, finden in dem Handbuch ein hilfreiches Nachschlagewerk, das durch seinen klaren Aufbau leichte Orientierung besonders auch für Neueinsteiger ermöglicht. Wer sich vertieft in juristische Fragestellungen dieses Arbeitsfeldes einlesen will – das betrifft z.B. Studierende, Juristen, Strafverteidiger, Kriminologen, alle, die mit Straffälligen arbeiten und die juristisches Basiswissen benötigen –, kann das Handbuch mit großem Gewinn lesen. Sozialarbeiter/-innen und Psychologen/-innen, die sich konzeptionell-methodischen Fragen stellen, finden in einigen Artikeln wichtige Hinweise.

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 56 Rezensionen von Wolfgang Klug.

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ISSN 2190-9245