Kai Müller, Klaus Wölfling: Pathologischer Mediengebrauch und Internetsucht
Rezensiert von Michael Christopher, 06.06.2018

Kai Müller, Klaus Wölfling: Pathologischer Mediengebrauch und Internetsucht. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2017. 152 Seiten. ISBN 978-3-17-023361-4. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Thema
Das Buch „Pathologischer Mediengebrauch und Internetsucht“ ist ein kleines Werk zu einem aktuell viel besprochenen Thema, dass sich der Materie aus der klinisch medizinischen Sicht nähert und den Fokus auf die Gefahren und die Behandelbarkeit von der Internetsucht legt. Es reiht sich ein, in ein Verlags-Konglomerat verschiedener Bände über die Risiken, den Formen und Interventionen zum Thema Sucht, von denen bereits dreizehn Bücher veröffentlicht sind.
Autoren
Kai Müller ist Doktor der Humanbiologie und arbeitet an der Ambulanz für Spielsucht der Universitätsklinik Mainz.
Klaus Wölfling ist Psychologe und Doktor der Humanwissenschaften. Er ist psychologischer Leiter der gleichen Ambulanz.
Aufbau
Das Buch Pathologischer Mediengebrauch und Internetsucht ist in acht inhaltliche Kapitel aufgebaut, gerahmt von der Einleitung und einer Synopse. Die Kapitel bauen aufeinander auf. Schaubilder, Fallvorstellungen und Kästen mit Erläuterungen runden das Buch ab.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Im ersten Abschnitt stellen Kai Müller und Klaus Wölfling verschiedene Studien aus Deutschland, Europa, Taiwan und der USA zu der von ihnen beschriebenen Internetsucht in der Bevölkerung dar, die jeweils auf unterschiedliche Prävalenzen des Suchtverhaltens kommen, von 0,3 % bei einer Untersuchung bei Festl bis 15,3 % in einer taiwanesischen Studie. Die Autoren beobachten dabei, dass Online-Computerspiele eher bei Männern ein Suchtproblem herbeirufen könnten und bei Frauen die Gefahren eher bei sozialen Netzwerken lägen (31).
Weiter gehen die Autoren näher auf die neurobiologischen Prozesse bei Suchtverhalten ein und finden hier Übereinstimmungen zwischen Substanzmittelabhängigkeit und süchtigem Online-Verhalten.
Im dritten Abschnitt beschreiben die Autoren die verschiedenen Formen, die sie unter dem Begriff Internetsucht sehen, wie Computerspielesucht, Online-Sex-Sucht, suchtartige Nutzung von sozialen Netzwerken, Online-Kaufsucht und Online Glücksspielsucht.
Müller und Wölfling beschreiben die psychosozialen Aspekte der Internetsucht, wie körperlich Folgeerscheinungen (u.a. Schlafstörungen), negative Auswirkungen auf das Leistungsniveau, negative finanzielle Effekte sowie Folgen auf das Sozialverhalten und die soziale Einbindung, wobei die Autoren hier die Frage nach Henne und Ei stellen.
Im Abschnitt über die Ätiologie (ursächliche Zusammenhänge), versuchen die Kai Müller und Klaus Wölfling anhand von Modellen die Internetsucht zu erklären. Es werden neurobiologische Prozesse beleuchtet, das Verhaltenssuchtmodell vorgestellt, das Komponentenmodell, tiefenpsychologische Modelle und das Problem der Immersion beschrieben.
Die Anwendung der Modelle führen schließlich zu der Diagnostik der Internetsucht, um sie von einer dysfunktionalen Internet-Nutzung abzugrenzen. Besonders in der Jugend seien hier keine trennscharfen Diagnosen möglich, da sich z.B. intensives Computerspielen mit der Zeit auch wieder normalisieren könne.
Aus der Diagnostik entspringt die Therapieplanung und Interventionen, wobei die Problematik, dass hier eine Abstinenz aus Gründen der Technisierung nicht anzustreben sei, sondern ein kontrollierter Umgang mit dem suchtauslösenden Medium gelernt werden müsse. Ein weiteres Problem stellen fehlende Studien zur Wirksamkeit von Therapien dar, da das Feld der Internetsucht noch zu jung sei. Ein weiteres Problem sehen die Autoren in der fortschreitenden Immersion, die die Menschen immer weiter in virtuelle Welten hineinziehen kann.
Am Ende ihres Buches plädieren Müller und Wölfling für die Etablierung einer Behandlungskette, die aus Prävention, Frühintervention, ambulanten und stationären Angeboten und der Nachsorge bestehen solle, damit hier lückenlos auf verschieden Stadien der Sucht eingewirkt werden könne.
Diskussion
Kai Müller und Klaus Wölfling kommen aus der Praxis. Sie betreuen Menschen mit Suchtverhalten in einer Mainzer Ambulanz. So stellen sich viele Fragen zur Behandelbarkeit dieser Verhaltenssucht. Dabei fokussieren sie sich auf medizinische Ansätze zur Sucht. Sie stellen viele klinische Studien vor und arbeiten sich stringent vor. Ein roter Faden ist deutlich erkennbar. Sie sehen das Problem der Internetsucht, aber stellen deutlich dar, dass diese in Abgrenzung zu ähnlichen Störungen diagnostiziert werden müsse. Die Warnung, dass man Differential-Diagnostisch vorgehen müsse, ist wichtig, dass man ein suchtähnliches Verhalten über einen gewissen Zeitraum beobachten müsse, ebenso.
Schwierig wird es, wenn die Autoren das Feld der Wissenschaftlichkeit verlassen und in blau unterlegten Textfeldern mal so ins Blaue schießen. So unter anderem geschehen, als sie das von ihnen geschilderte Phänomen des pathologischen Hortens digitaler Güter beschreiben (63). Natürlich mag es legitim sein, Gedankengänge aus der Praxis in die Öffentlichkeit zu bringen, doch vermissen die Autoren es, hierzu dem Leser Näheres zu bringen als irgendwelche allgemeine Phrasen. So bleibt das Buch in einer gewissen Spannung zwischen der richtigen Abgrenzung von Störung und Sucht auf der einen Seite und einem Verzetteln in speziellen Verhaltensauffälligkeiten. Abgeleitet davon könnte man am Ende auch, wenn man vom digitalen Bereich weggeht, von einer Brettspielsucht (analog zur Online-Gaming-Sucht), Bibliothekssucht (ausufernde Informationssuche) oder eine Schlagerkonzertsucht (Online-Streaming) sprechen. Auch das Modell der generellen Internetsucht wird nicht griffig. Es ist auch der Kürze des Buches geschuldet, dass hier von den Autoren nur ein knapper Überblick gegeben werden konnte.
Fazit
Das von Kai Müller und Klaus Wölfling geschriebene Buch „Pathologischer Mediengebrauch und Internetsucht“ richtet sich ganz klar an medizinisches Personal, dem das Phänomen der Internetsucht näher gebracht werden soll. Hierzu gehen die Autoren thematisch schlüssig vor, stellen viele Studien und Ansätze vor und warnen davor, bei vielen Patienten voreilig die Diagnose Internetsucht zu stellen.
Jedoch legen die Autoren zu selten die medizinische Brille ab. Sie schlagen Behandlungsformen vor, wobei hierzu abschließenden Untersuchungen noch fehlen. Im Grunde ist Pathologischer Mediengebrauch und Internetsuchtein guter Einstieg, um sich mit der klinischen Problematik dieses Suchtverhaltens auseinanderzusetzen.
Rezension von
Michael Christopher
Filmwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift manycinemas
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