Christiane Richard-Elsner: Draußen spielen
Rezensiert von Monika Pietsch, 04.06.2018

Christiane Richard-Elsner: Draußen spielen. Lehrbuch. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 216 Seiten. ISBN 978-3-7799-3693-0. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
In dem Buch geht es um eine „Selbstverständlichkeit“ für viele: das Draußenspiel als freies Kinderspiel im Freien, ohne Anleitung durch oder Anwesenheit von Erwachsenen.
Autorin
Dr.- Ing., M.A. Christiane Richard-Elsner leitet die Arbeitsgruppe Draußenkinder im ABA Fachverband (Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V.). Ihre Schwerpunkte sind das freie Kinderspiel im Freien, eigene Mobilität von Kindern und historische Kindheitsforschung.
Entstehungshintergrund
Trotz vieler Sportangebote bewegen sich Kinder zu wenig. Als Grund werden unter anderem: der Straßenverkehr, Prioritäten von Erwachsenen, ängstliche Eltern, Ganztagsbetreuung u.v.m. genannt. 2011 gründete sich die Gruppe „Draußenkinder“ im ABA Fachverband. Es gab viele Anfragen an diese Gruppe und mit diesem Buch werden die Antworten zusammengefasst.
Inhalt
1. Einleitung
2. Draußenspiel und seine biologische Verankerung. Richard-Elsner versucht den Oberbegriff „Spiel“ zu fassen und kommt zu dem Schluss, dass es keine allgemeingültige Definition gibt. Draußenspiel oder freies Kinderspiel im Freien hat sich im Zeitverlauf verändert. Folgende Stichpunkte spielen in der Definition eine Rolle: Von Eltern und Betreuungspersonen unbeobachtet, selbstbestimmtes Spiel in Bezug auf Ziel, Zeit, Ort, Materialien und Spielpartnern, kreative Nutzung von natürlichem und gefundenem Material und dem eigenen Körper, Spiel unter Einsatz des ganzen Körpers und der Sinne, vorwiegend im Freien, Beobachtung der Umgebung, Spiel in altersmäßig- und geschlechtsgemischten Gruppen im Alter von ca. 4- 14 Jahren, Erweiterung des Aktionsradius mit dem Alter, Eltern und Betreuungspersonen geben Grenzen vor. In der momentanen Zeit spielt das Draußenspiel für Kinder keine Rolle mehr, dabei sei das Draußenspiel nach Richard-Elsner ein biologisch angelegtes Bedürfnis nicht nur beim Menschen.
3. Kindheit im Wandel-Draußenspiel in der Geschichte. Hier zeigt Richard-Elsner wie das Draußenspiel in der Evolution stattgefunden hat, aber auch in den verschiedenen Zeiten möglich war und umgesetzt wurde. Durch die formale Bildung, die Industrialisierung und Modernisierung wurden die Freiräume für freies Spiel draußen immer geringer. Auch der Wert, dem das Spiel zugedacht wurde, verringerte sich.
4. Draußenspiel heute – Marginalisierung. Obwohl das Bewegungsbedürfnis biologisch verankert ist, verändert sich das kulturelle Umfeld. Kulturelles Wissen wird vor allem durch gezielte pädagogische Impulse vermittelt. Als Grund sieht Richard-Elsner die veränderte Raumnutzung, die Erwerbstätigkeit der Eltern, die eingeschränkte eigenständige Mobilität von Kindern. Eltern trauen ihren Kindern weniger zu und sind ängstlicher. In der Fachöffentlichkeit wird das Draußenspiel marginalisiert. Mit den Auswirkungen allerdings beschäftigen sich Medizin, Sportwissenschaft, Psychologie, Umweltwissenschaft und Raum- und Stadtplanung.
5. Entwicklungsförderung durch Draußenspiel. Beim Draußenspiel bewegen sich die Kinder viel, das fördert die Motorik, stärkt das Immunsystem, verbessert die Konzentrationsfähigkeit, trainiert das Handlungsvermögen und die Sprachfähigkeit im Zusammenspiel mit anderen. Darüber hinaus machen Kinder z.B. Naturerfahrungen oder entdecken kreative Lösungen. Richard-Elsner schlussfolgert, dass das Draußenspiel durch die Autonomie der Kinder das Familienleben entspannen würde und den Medienkonsum reduziert. Das Kind macht Selbstwirksamkeitserfahrungen und erlebt sich in seinen Grenzen und im Zusammenspiel mit der Umgebung.
6. Wege zu einer Inklusion des Spielbedürfnisses von Kindern in den Alltag. Richard-Elsner plädiert zunächst dafür dem Draußenspiel den angemessenen Wert zurück zu geben. Dazu braucht es anregungsreiche Räume (Kinderräume, Streifräume), freie Zeit (mind. 2 Stunden täglich oder mehr), Materialien (Spielzeug und unstrukturierte Objekte, Naturmaterialien) und einen angemessenen Wert des Draußenspielens. Wie das zu erreichen ist, stellt Richard-Elsner am Schluss vor:
- eine Spielleitplanung für Kommunen oderStadtteile, die die Spielfreundlichkeit erfasst.
- die bespielbare Stadt (Bsp. Griesheim) zeigt die Vernetzung von Plätzen und Orten, sog. Kinderwege
- auf naturnahen Spielplätze können Kinder Sinneserfahrungen machen, herkömmliche Spielplätze können umgebaut werden.
- Naturerfahrungsräume ohne Spielgeräte könnten aus Brachflächen entstehen und vorsichtig gestaltet werden.
- Spielstraßen auf Zeit, sind Wohnstraßen, die stundenweise gesperrt werden. Dort könnte ein Spielmobil mit Materialien verkehren.
- Wohlbefinden und Sicherheit im Wohnumfeld wird ermöglicht indem z.B. Ladeninhaber und andere Akteure per Aufkleber signalisieren: Hier bekommst du Hilfe.
Es folgen Danksagung und Literatur.
Diskussion und Fazit
Richard-Elsner zeigt nach und nach auf wie sehr Kinder in der heutigen Zeit pädagogisiert werden. Neben Schule oder Kindergarten, der Nachmittagsbetreuung, den Vereinen, der musischen und sportlichen Betätigung bleibt kaum noch Zeit sich mit sich selbst und draußen zu beschäftigen. In der Städteplanung lässt der Autoverkehr Freiräume verschwinden, Eltern werden ob der vielen Gefahren ängstlich.
Dem gegenüber stehen die Vorteile und der Nutzen von Draußenspiel für Kinder. Neben den gesundheitlichen Vorteilen (Ärzte alarmieren seit Langem im Zusammenhang mit Fettleibigkeit Bewegungsmangel, Schlechtsichtigkeit und Rückenprobleme) der Bewegung müssen Kinder Regeln verhandeln und Kooperation einüben, also soziales Lernen einüben.
Richard-Elsner stellt sich mit diesem Buch kritisch zur allgegenwärtigen Bildung und Betreuung von Kindern. Erziehende und Pädagogen werden gefordert mit den Kindern für deren Rechte einzutreten; sie zu unterstützen. Doch die Kinder los zu lassen, ist sicher der schwierigere Schritt bei der Umsetzung und Reintegration von Draußenspiel in den Alltag der Kinder, Familien und pädagogischen Einrichtungen. Es sind alle gefordert: Politik und Gesellschaft, um Veränderungen einzuleiten und um zu setzen. Eltern indem sie das Zutrauen in die Kinder wieder gewinnen, PädagogInnen, die sich „überflüssig“ machen, Vereine, die den Wert des unstrukturierten Spiels erfassen und zumindest auf Freizeiten Räume öffnen.
Das Buch zeigt auf, dass sich etwas verändert hat und dass das Draußenspiel Gefahr läuft ganz verloren zu gehen. Es ist doch schon bemerkenswert, dass es eine Bewegung braucht um dieser Selbstverständlichkeit Gehör zu verschaffen.
Rezension von
Monika Pietsch
Training und Konstruktives Lernen
selbständige Trainerin und Beraterin, Schwerpunkt: Team- und Führungskompetenzen mit den Methoden des konstruktiven Lernens
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