Katharina Schneider: Ästhetische Erfahrung in Spielpraktiken von Kindergartenkindern
Rezensiert von Ulrike Ziemer, 18.01.2018
Katharina Schneider: Ästhetische Erfahrung in Spielpraktiken von Kindergartenkindern. Eine ethnografische Studie im Elementarbereich. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 355 Seiten. ISBN 978-3-7799-3659-6. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.
Thema
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um eine ethnografische Studie im Elementarbereich. Untersucht werden die Art und Weise von Als-Ob Spielen und die dabei gemachten ästhetischen Erfahrungen von Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren.
Autorin
Die Autorin Katharina Schneider, ist akademische Mitarbeiterin an der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Ihre Schwerpunkte in der Arbeit und Forschung sind Ethnographie der Kindheit, Spielforschung, Ästhetische Bildung und Erfahrung.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch wurde 2014 als Dissertation von Frau Katharina Schneider an der Goethe-Universität Frankfurt vorgelegt und 2017 im Verlag Belz Juventa veröffentlicht.
Aufbau
Die Hauptstruktur des Werkes wird durch drei Kapitel mit entsprechenden Unterpunkten dargestellt.
- Theoretische Grundlagen: Ästhetische Erfahrungen und Spielpraktiken von Kindergartenkindern
- Methode und Durchführung der Untersuchung
- Ästhetische Erfahrung in Als-Ob-Spielen: Ergebnisse der Untersuchung
Eingerahmt werden diese Abschnitte in eine ausführliche Einleitung, ein abschließendes Fazit und den entsprechenden Literaturangaben.
Inhalt
Frau Katharina Schneider beschreibt in ihrer Einleitung, wie sich die Studie und ihre Forschungsfrage entwickelt hat. Obwohl in der Wissenschaft der Blick auf frühe Bildungsprozesse immer intensiver geworden ist, fehlen ganzheitliche Studien zur Bedeutung des Spiels bei Lern- und Bildungsprozessen von Vorschulkindern. Die Autorin schöpft aus den Erkenntnissen der Kunstpädagogik und der erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung und betrachtet das kindliche Spiel somit aus einer interdisziplinären Perspektive. Hierbei liegt ihr besonderes Interesse auf den Als-Ob-Spielen von 2 – 6 jährigen Kindern.
Ihre Forschungsfrage, die den Kernpunkt des vorliegenden Werkes darstellt, lautet: „Wie machen Kinder im Alter von 2 bis 6 Jahren ästhetische Erfahrungen und welche Rolle kommt dabei dem Spiel der Kinder, im Besonderen dem Als-ob-Spiel, als möglichen Rahmen für ästhetische Erfahrungen zu.“ (Seite 14)
Zu Beginn werden die theoretischen Grundlagen von Spielpraktiken und ästhetischen Erfahrungen erläutert. Das Spiel wird als eine Form von Praxis beschrieben. Die Autorin nimmt im Gegensatz zur Spielforschung eine „praxistheoretische Perspektive“ (S. 22) auf das Spiel ein. Gemeinschaftliche soziale Konstellationen ermöglichen es Kindergartenkindern „Spielpraktiken“(S. 22) zu gestalten.
Als-Ob-Spiele erlauben Rahmenunterscheidungen im Spiel. Durch autonome Handlungen wird eine eigene Wirklichkeit erzeugt. Regeln bestimmen, was in diesem Rahmen bedeutsam ist.
Wissenschaftler, wie zum Beispiel Csikzentmihalyi, Heckhausen oder Montessori, weisen den lustvollen Spielererfahrungen unterschiedliche Deutungen zu. Frau Schneider betrachtet den „Flow“ – Zustand bei Als-Ob-Spielen unter den Aspekten der Spielabläufe und der Wechselbeziehungen zwischen den Kindern.
Die unterschiedlichen Blickwinkel und Definitionen der Begriffe „Ästhetik – Aisthesis“ werden beschrieben. Für ihre Forschungsarbeit stellt Frau Schneider die persönlichen und zwischenmenschlichen Wahrnehmungen von Kindern bei Als-Ob-Spielen in den Mittelpunkt.
Für die vorliegende Studie ist es entscheidend die Begriffe ästhetisches Verhalten und ästhetische Praxis voneinander zu unterscheiden.
Von ästhetischem Verhalten spricht man, wenn individuelle und bewusste sinnliche Wahrnehmungen überdacht und mit früheren Erfahrungen kombiniert werden. Die ästhetische Praxis umfasst die Fähigkeit zum Nachahmen und die Auseinandersetzung mit Wahrnehmungen im sozialen Miteinander.
Das zweite Kapitel widmet sich den Methoden, die zur Durchführung der Untersuchung angewandt wurden. Der Begriff der Ethnologie bezeichnet hierbei keine Forschungsmethode, sondern eher den strategischen Prozess. Die Erforschung von unterschiedlichen Kulturen und Sozialsystemen von menschlichen Gruppen, erfordert die Teilhabe am Leben dieser Gruppen für einen begrenzten Zeitraum. Das spielende Kind und seine Interaktion mit Menschen und Materialien stehen im Mittelpunkt der Studie. Durch Beobachtung, Teilnahme am Leben der Kinder und anschließende Analyse versucht die Autorin Erkenntnisse für ihre Forschung zu gewinnen. Hierbei wird der modernen Kindheitsforschung Rechnung getragen indem von der Annahme ausgegangen wird, dass Kinder „Experten ihrer eigenen Kultur und Lebenswelt“ sind (S. 98).
Das Untersuchungsfeld wird durch 25 Kinder im Alter von 2 bis 6 Jahren gebildet. Die Kinder besuchen gemeinsam eine Kindergartengruppe in der katholischen Kindertagesstätte „St. Michael“. Die gewählte Kindertagesstätte wurde unter anderem ausgewählt, da das Freispiel dort im Tagesablauf fest eingebettet ist. Dies stellt wiederum einen wichtigen Aspekt für die Durchführung der teilnehmenden Beobachtungen dar, die sich über ein Kindergartenjahr erstreckte.
Im dritten Abschnitt des vorliegenden Werkes wurden die Ergebnisse der Untersuchungen unter folgenden Punkten betrachtet:
- Organisation von Spielräumen
- Aushandlungs- und Darstellungsprozesse im Spiel
- Materialität von Spielpraxis
- Narrativität von Als-Ob-Spielen
- Pädagogische Praxis in Kindertagesstätten und ihr Einfluss auf die ästhetische Praxis von Kindergartenkindern
Die Autorin nahm bei der Analyse der jeweiligen Beobachtungen drei verschiedene Blickwinkel ein. Sie beurteilte die Studien aus Sicht einer „Kunstpädagogin“, einer „Ethnografin“ und aus der Sicht einer „ethnomethodologischen Konversationsanalytikerin“.
In ihrem Fazit fast die Autorin die Ergebnisse ihrer Studie zusammen. Der wesentliche Blick der Studie ist nicht auf das einzelne Kind mit seinen individuellen ästhetischen Spielerfahrungen gerichtet, sondern auf die ästhetischen Prozesse die sich im sozialen Zusammenwirken im Spiel von Kindern zeigen. Bei der Auswertung wird besonderen Wert auf die Ergebnissicherung für weitere kunstpädagogische und erziehungswissenschaftliche Studien zum Spiel von Kindern gelegt. Damit Kinder Wissen über das Spiel erwerben können, werden geeignete Spielräume sowie ein entsprechender Rahmen zum Spielen benötigt. Ebenso haben Materialien und die Sprache, bzw. die Art und Weise des miteinander Sprechens, Auswirkung auf die kindlichen Als-Ob-Spiele. Besonders bedeutsam sind die Interaktionen zwischen den Kindern, die sich beim sinnlichen Erleben und gemeinsamen Nachahmen zeigen und Auswirkungen auf den gesamten Spiel Prozess haben.
Diskussion
Die im vorliegend Buch vorgestellte Studie von Frau Katharina Schneider nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt der wissenschaftlichen Forschung. Gut nachvollziehbar beschreibt sie erste Vorüberlegungen und theoretische Anlehnungen. Der Weg zur Entstehung der Forschungsfrage wird ebenso dargestellt, wie die Wahl der Forschungsmethoden. Interessant sind die Auszüge aus ihren Beobachtungsprotokollen und ihre persönlichen Erfahrungen beim Prozess des Beobachtens. So war es anfangs erforderlich eine neue Rolle, neben den Erzieherinnen, als Beobachterin zu schaffen. Teilnehmende Beobachtung erfordert höchste Konzentration, Verfügbarkeit und die Möglichkeit Notizen und Mitschnitte zu machen. Nicht vereinbar damit sind anfallende Alltagstätigkeiten. Es ist Frau Schneider, nach ihren Beschreibungen, gelungen gegenüber den Kindern, Eltern und Pädagogen die Rolle der „Forscherin“ einzunehmen. Beeindruckend ist, dass sie sich Zeit genommen hat, die Kindergartengruppe ein ganzes Kindergartenjahr zu begleiten. Dies ermöglichte ihr einen großen Erfahrungsschatz zu sammeln und ihre Schlüsse auf der Basis einer beachtenswerten Datenmenge zu ziehen. Somit sind Tage, an denen das Beobachten weniger gut gelungen ist zwar als einzelne Beschreibung interessant, aber für das Gesamtergebnis unwesentlich. Die Vielzahl der Situationsbeschreibungen erlaubt ein theoretisches Miterleben der Spielpraktiken.
Der wissenschaftliche Hintergrund des Forschungsansatzes wird sehr ausführlich und mit vielen Literaturverweisen beleuchtet. Es werden unterschiedliche Perspektiven und Ansätze dargestellt und eine eigene Haltung aufgrund der Erfahrungen aus der teilnehmenden Beobachtung eingenommen.
Die Ergebnisse der Studie werden am Ende zusammengefasst und ermöglichen es Erkenntnisse in die weitere Forschung einzubinden. Die Literaturliste am Ende des Buches ist hilfreich zur weiteren Recherche.
Fazit
Bei der vorliegenden interdisziplinären Studie „Ästhetische Erfahrung in Spielpraktiken von Kindergartenkindern“ handelt es sich um die Dissertation von Katharina Schneider an der Goethe-Universität Frankfurt. Frau Schneider betrachtet das Vorgehen, die Entwürfe und die Gestaltung von Als-Ob-Spielen. Hierbei werden auch die „Darstellungs-, Ausgestaltungs- und Aushandlungsprozesse.“(S. 13) bei Als-Ob-Spielen aus einem ethnographischen Blickwinkel beobachtet und dokumentiert. Die Autorin beschreibt die Vielschichtigkeit und die Abläufe von Spielpraktiken junger Kinder und die dabei entstehenden ästhetischen Erfahrungen.
Das Werk richtet sich an WissenschaftlerInnen und interessierte Menschen aus dem vorschulpädagogischen Umfeld.
Rezension von
Ulrike Ziemer
Dipl. Heilpädagogin (FH)
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Es gibt 31 Rezensionen von Ulrike Ziemer.
Zitiervorschlag
Ulrike Ziemer. Rezension vom 18.01.2018 zu:
Katharina Schneider: Ästhetische Erfahrung in Spielpraktiken von Kindergartenkindern. Eine ethnografische Studie im Elementarbereich. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2017.
ISBN 978-3-7799-3659-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23452.php, Datum des Zugriffs 05.12.2024.
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