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Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 22.01.2018

Cover  Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht ISBN 978-3-8487-4450-3

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2017. 380 Seiten. ISBN 978-3-8487-4450-3. D: 94,00 EUR, A: 96,70 EUR.

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Thema

Die Reform des Sexualstrafrechts war lange überfällig, neben redaktionellen Änderungen waren vor allem Anpassungen hinsichtlich Schutzlücken, Sanktionsrahmen und Straftatsbeständen notwendig geworden. Im Auftrag des Bundesjustizministeriums arbeitete ab 2015 eine hochranging besetzte Reformkommission, die nun ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Die Empfehlungen der Kommission bilden die Grundlage für die anstehende Novellierung des Sexualstrafrechts, voraussichtlich in der nächsten Legislaturperiode.

Herausgeberin und AutorInnen

Der Abschlussbericht wurde vom Bundesjustizministerium für Justiz, dem Auftraggeber der Reformkommission herausgegeben, an der Experten aus Wissenschaft, Strafjustiz, Strafverteidigung und der Landesjustizverwaltungen beteiligt waren.

Aufbau

Der Band ist nach einem Vorwort des Bundesjustizministers Heiko Maas und dem Abdruck der Eröffnungsrede der Staatssekretärin Stefanie Hubig in drei Abschnitte unterteilt. Diese gehen in der Einleitung auf den Auftrag, die Entwicklung des Sexualstrafrechts, die Arbeitsweise, Mitglieder und externe Berater der Reformkommission ein, berichten im zweiten Abschnitt ausführlich über den den Verlauf der Beratungen und präsentieren im dritten Abschnitt die erarbeiteten 61 Empfehlungen.

Zur Einleitung

Der Einleitungsabschnitt bietet einen komprimierten, dabei ausführlichen historischen Überblick des deutschen Sexualstrafrechts (siehe dazu ausführlich Brüggemann: Entwicklung und Wandel des Sexualstrafrechts in der Geschichte unseres StGB. Die Reform der Sexualdelikte einst und jetzt. www.socialnet.de/rezensionen/14534.php), die Bedeutung der (letzten) Gesetzesänderungen im Jahr 2016 für die Arbeit der Reformkommission, deren Arbeitsweise, ihre Mitglieder und die beteiligten externen Fachkräfte

Zum Verlauf der Beratungen

Die Reformkommission hat in 28 Sitzungen zehn Themenkomplexe abgearbeitet. Diese umfassen grundsätzliche Fragestellungen (Einverständnis bei sexuellen Kontakten), Regelungsbedarf im Kontext sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, die Neuordnung des gesamten Abschnitts hinsichtlich Konsistenz und Lösung bestehender Wertungswidersprüche, Reformbedarf hinsichtlich der Strafvorschriften zur Prostitution, Exhibitionismus, Pornografiedelikte, sowie materielle und prozessuale Folgeänderungen. Diese Themenkomplexe werden in ihrer jeweiligen Bearbeitungshistorie, den eingeholten internen und externen Expertisen dargestellt, die inhaltlichen Inputs (z.B. bei den Erfordernissen der polizeilichen Ermittlungsarbeit im Kontext sexueller Nötigung) dargestellt und zusammengefasst. Vor diesem fachlichen Hintergrund erfolgte dann die Diskussion hinsichtlich Stimmigkeit und Reformbereich der jeweiligen rechtlichen Aspekte und gesetzlichen Regelungen, deren Diskussionsergebnisse in Form von Abstimmungsprotokollen dargestellt wird. Über die umfangreiche Darstellung dieser Diskussion hinaus, wurden die Protokolle der einzelnen Kommissionssitzungen online veröffentlich, womit ein Höchstmaß an Transparenz erreicht wird.

Zu den Kommissionsempfehlungen

Der Abschnitt umfasst die 61 Empfehlungen der Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts. Diese umfassen (zusammengefasst):

  • Die Regelungen zum Straftatsbestand Sexuelle Nötigung in § 177 StGB war reformbedürftig, die jetzt geltende Norm der „Nein-heißt-Nein-Lösung“ bedarf einer kritischen Überprüfung, die einzelnen Nötigungs- und Übergriffstatbestände sollten in getrennten Vorschriften geregelt und gekürzt werden;
  • Einzelne Qualifikationstatbestände (z.B. Ausnutzen einer schutzlosen Lage) sollten gestrichen werden;
  • Begrenzung des Bewaffnungsaspekts des Täters auf die Fälle, bei denen tatsächlich Gewalt anwendet wurde;
  • Differenzierung des Strafrahmens bei sexueller Nötigung in Bezug auf Anwendung, bzw. Nicht-Anwendung von Gewalt;
  • Beibehaltung des Straftatsbestands der sexuellen Belästigung und Differenzierung seiner begrifflichen Grundlagen und Erscheinungsformen;
  • Streichung des erst 2016 eingeführten § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen);
  • Beibehaltung der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren;
  • Absehen von der Bestrafungsregelung bei Jugendlichen mit nur geringem Altersunterschied zum kindlichen Opfer;
  • Differenzierung der Tatbestände im § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern);
  • Zusammenführung der Tatbestände „Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ und „Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger“, Differenzierung der Tatbestände;
  • Streichung des „Kuppeleiverbotes“ in § 180 StGB (Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger);
  • Bestand der geltenden Altersgrenzen in § 182 StGB(Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung);
  • Streichung der Tatbestände in § 182 StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen) um die, welche gegen Entgelt durchgeführt werden, Erweiterung der Tatbestände um hands-off-Delikte;
  • Erfassungen der Tathandlungen an Dritten in § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) und Ergänzung um die Gruppe der Untergebrachten in der stationären Jugendhilfe und um die mit richterlicher Genehmigung Untergebrachten, Erweiterung des Täterkreises auf alle in Institutionen Tätige, auch wenn sie nicht direkt in Betreuungskontakt stehen, unabhängig vom jeweiligen Berufsbild;
  • Differenzierung und Vervollständigung des geschützten Personenkreises;
  • Neuordnung und Systematisierung des gesamten Abschnitts zum Sexualstrafrecht;
  • Verschärfung der Regelungen in §§ 176 und 177 StGB hinsichtlich gemeinsamer Tatbegehung;
  • Zusammenführung der bislang in mehreren Abschnitten und Gesetzen verstreuten Regelungen zur Prostitution und deren teilweise verschärfende Differenzierung;
  • Einführung der Freierstrafbarkeit in Fällen der Zwangsprostitution;
  • Streichung der Straftatsbestände der Ausübung verbotener Prostitution und jugendgefährdender Prostitution;
  • Sprachliche Anpassung der Begrifflichkeiten hinsichtlich der IT-Technologie;
  • Streichung des Straftatsbestands des Exhibitionismus, bzw. Einführung einer geschlechtsneutralen Formulierung;
  • Streichung des Tatbestandes der „Erregung öffentlichen Ärgernisses“;
  • Reduktion der Tatbestände der Verbreitung von Pornografie auf Fälle des Jugendschutzes;
  • Streichung der Tathandlung der Tierpornografie;
  • Beibehaltung der Höchststrafe im Zusammenhang mit Besitz von Kinderpornografie;
  • Definition der Konstellationen jugendpornografischer Medien;
  • Berücksichtigung der medialen Vielfalt als Verbreitungswege von Pornografie und
  • Einschränkung der Regelungen hinsichtlich fiktiver Kinder- und Jugendpornografie.

Die einzelnen Reformvorschläge werden in diesem Abschnitt ausführlich erläutert und deren fachliche Grundlagen dargestellt.

Zielgruppe

Der Abschlussbericht richtet sich an alle Interessierte, vor allem an die im

Bereich der Rechtspolitik, des Strafrechts, Strafvollzugs und der Straffälligenhilfe tätigen Fachkräfte.

Diskussion

Die Reform des Sexualstrafrechts war bereits zu Beginn der letzten Legislaturperiode ein dringend anstehender Aufgabenschwerpunkt, einige Reformen wurden bereits 2016 realisiert, die damals getroffenen Änderungen galten in Fachkreisen als Schnellschuss, als übereilte Reaktion auf die in der Silvesternacht 2015/2016 bekannt gewordenen Übergriffe auf Frauen u.a. am Kölner Hauptbahnhof. Insbesondere die Einführung der sog. „Nein-heißt-Nein-Regelung“, welche die gesetzliche Hürde für eine Anklage deutlich nach unten korrigierte, wurde neben breiter Zustimmung in der Öffentlichkeit durch kritische Kommentare ergänzt. Auch war damals ein neuer Straftatsbestand der Begehung von Straftaten aus Gruppen heraus (in § 184i StGB) eingeführt worden. Die Arbeit der Kommissionsgruppe wurde von diesen Ereignissen und den daran anknüpfenden Diskussionen begleitet, auch wenn der Auftrag an die Expertengruppe bereits im Februar 2015, also lange vor der „Silvesternacht“ erteilt worden war.

Die Dokumentation der Reformkommissionstätigkeit, die Diskussionen und erarbeiteten Reformempfehlungen zeigen, dass hier mit erheblicher Sorgfalt gearbeitet wurde, wobei kriminologische, strafrechtliche, prozessbezogene und Opferschutzaspekte berücksichtigt wurden. Die genauen Protokolle der einzelnen Sitzungen stehen zudem als Internetressource (www.bmjv.de/abschlussbericht-reformkommission-sexualstrafrecht) zur Verfügung. Damit sind die erforderlichen Transparenzanforderungen, die bei einer solchen Thematik angezeigt sind mehr als erfüllt.

Die Expertenkommission bemängelt im vorliegenden Bericht neben bereits seit längerem in der Kritik stehenden Regelungen im Deutschen Sexualstrafrecht auch die in 2016 erfolgten Reformschritte. Zwar bestanden hier deutliche Lücken, etwa bei sog. „Klima der Gewalt-Fällen“, diese werden allerdings durch die zuletzt getroffenen Änderungen nicht als ausreichend sicher, bzw. praktikabel eingeschätzt. Die Erfassung der Fälle, wenn ein Opfer erkennbar sexuelle Handlungen ablehnte, der Täter aber nicht diesem Willen entspricht, ohne diesen zu brechen (also keine Gewalt anwendete) sei weiter schlecht geregelt, das Gesetz erfülle hier nicht die rechtsförmlichen Vorgaben einer guten Gesetzgebung, die einzelnen Tatbestände sollten getrennt behandelt werden und die praktischen Erfahrungen mit den neuen Regelungen kritisch evaluiert werden. Die neuen Regelungen im § 184i StGB werden gar als handwerklich missglückt und wenig nachvollziehbar eingeschätzt, der Tatbestand an sich als unerforderlich eingeschätzt, da die entsprechenden Straftaten bereits durch andere Regelungen erfasst und geahndet werden könnten. Die Gruppenzugehörigkeit alleine widerspreche zudem rechtsstaatlichen Grundprinzipien.

Hinsichtlich der Regelungen zur sexuellen Belästigung („Grapschen“) spricht sich die Reformkommission auch mehrheitlich für eine entsprechende Verschärfung aus.

Schließlich wird eine grundsätzliche Überarbeitung und Neuordnung, vor allem eine bessere Gliederung und Anpassung der Inhalte (z.B. im Bereich der Verbreitung von Pornografie, welche im Kern auf die Verhältnisse aus den 1970er Jahren fußt und die modernen Kommunikationswege nicht berücksichtigt) angemahnt.

Die vorgelegten Vorschläge bieten eine gute Grundlage für die – wohl in der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages umzusetzende – Reform in diesem sensiblen Gesetzesbereich.

Fazit

Der Abschlussbericht der Reformkommission zum Deutschen Sexualstrafrecht bietet neben den konkreten Reformvorschlägen einen umfassenden Abschnitt zur Geschichte und jüngsten Entwicklung des Deutschen Sexualstrafrechts und gibt einen differenzierten Einblick in die Arbeitsweise und Stationen der Reformkommissionstätigkeit. Damit beschreibt die Kommission die – auch nach den zuletzt in 2016 vorgenommenen Änderungen – notwendigen Reformbedürfnisse und bietet eine differenzierte Diskussionsgrundlage für die Weiterentwicklung des Deutschen Sexualstrafrechts.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 22.01.2018 zu: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2017. ISBN 978-3-8487-4450-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23456.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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