Tina Brenneisen: Das gelbe Pony
Rezensiert von Thomas Hax-Schoppenhorst, 22.01.2018
Tina Brenneisen: Das gelbe Pony. Parallelallee Verlag (Berlin) 2017. 232 Seiten. ISBN 978-3-946972-07-5. 24,00 EUR.
Thema
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um einen Comic. Die Geschichte: Duschköpfe sind vom Markt verschwunden. „Die Schwarzmarktpreise liegen bei 1000 Euro“, klagt Henry gegenüber seinem Nachbarn. Andererseits kommt der Duschkopfmangel Henry auch gelegen. Er dient dem schüchternen, umständlichen Einzelgänger als Vorwand, seinen Nachbarn anzusprechen. Eine spezielle Freundschaft entwickelt sich: Die beiden verweigern den Konsum, erzeugen künstlich weitere Notstände. „Der Mangel schweißte uns zusammen“, findet Henry. Wie die Geschichte endet, sei hier aus guten Gründen nicht erzählt.
Autorin und Zeichnerin
Tina Brenneisen absolvierte ein Studium der Psychologie und Philosophie an der TU Dresden und der FU Berlin und wurde dann als Comiczeichnerin, Illustratorin, Karikaturistin und Autorin in ihrer Wahlheimat Berlin tätig. Die Künstlerin illustriert Kinderbücher und schreibt Graphic Novels für Jugendliche und Erwachsene. Sie nimmt mit ihren Arbeiten an Comicfestivals teil und veranstaltet eigene Workshops.
Brenneisens erste veröffentlichte Arbeiten waren in den Jahren 2010/11 mehrere Hefte einer Comic-Heft-Reihe mit dem Titel „Die Blaumänner“. An den Kinderbüchern „Das Monster-Musical“ und „Die Schlafburschen“ von A. Wallis Lloyd war sie als Illustratorin beteiligt. In Berlin gründete sie 2013 den kleinen unabhängigen Verlag Parallelallee, in welchem sie Comics und illustrierte Literatur herausgibt. Im Jahr 2015 erhielt Brenneisen ein zweimonatiges Stipendium im AIR-Programm in Krems an der Donau, einem der größten Artist in Residence-Programme Österreichs.
Ihr Comicbuch „Das Licht, das Schatten leert“ weist autobiografische Züge auf. Die Künstlerin setzt sich darin mit dem Thema der von ihr selbst erlittenen Totgeburt auseinander. 2016 erhielt sie den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung.
Entstehungshintergrund
„Woran es dem Westen am meisten mangelt, ist der Mangel selbst.“ Dieser Ausspruch von CouHE ist leitmotivisch dieser feinfühligen Parabel über die Nöte des modernen Menschen, Einsamkeit, soziale Isolation und unsere Überflussgesellschaft vorangestellt.
Aufbau
Nach einem Prolog wird die Geschichte von Henry und seinem Nachbarn über 224 Seiten erzählt. Ein in jeder Hinsicht überraschender Epilog bildet das Ende. Bis auf eine Ausnahme sind pro Seite 2 Panels mit abgerundeten Rahmen abgedruckt. Die Zeichnungen sind durchgehend schwarz (mit markantem Strich), wobei die Hintergrundfarbe hellgelb ist.
Inhalt
Zwischen Henry und dem Nachbarn entwickelt sich ein Verhältnis zwischen Zweckgemeinschaft und Freundschaft; Henry modelt seine Badewanne zu einem gigantischen Duschkopf um, sein Nachbar will mit einem Fahrrad seinen eigenen Strom erzeugen. Durch dieses gemeinsame Tüfteln entsteht eine zerbrechliche Nähe. Aber es kommt, wie es kommen muss, denn zu verschieden sind die Männer in ihren Haltungen. Eine Frau, in die sich der Nachbar verliebt, ist der letzte Schritt ins Leben ohne den anderen.
Warum der Comic den Titel „Das gelbe Pony“ trägt, welches Henry erst im zweiten Teil der Geschichte erwirbt, sollte Gegenstand der Arbeit mit diesem nicht gerade alltäglichen Comic sein.
Diskussion
Die Frage nach den Motiven, eine Geschichte wie diese in der beschriebenen Weise anzulegen, beantwortete Tina Brenneisen an anderer Stelle sehr ausführlich: „Mit zunehmender Individualisierung steigt die Freiheit des Einzelnen, damit aber auch seine Überforderung. Wo kaum eine Bindung festgelegt ist, muss der Einzelne sich ständig selbst darum bemühen. Das ist nicht nur sehr anstrengend und aufwendig, es ist auch beängstigend und krankmachend. Denn gelingt ihm das nicht, diese für ihn so wichtigen Bindungen eigenhändig herzustellen, wird er seine Einsamkeit nicht als befreiend, sondern als sehr bedrohlich erleben. Er ist dann nicht nur sozial isoliert, ohne Schutz und Halt, sondern empfindet diesen Zustand auch noch als ein Versagen, das er selbst verschuldet hat. Ein destruktiver Startpunkt für eine Folge weiterer Probleme.
Zwischenmenschliche Begegnungen, die außerhalb dieses Leistungsmodells stehen, werden zunehmend rarer. Automatisierung und Rationalisierung ersetzen einen Großteil der Berührungspunkte zwischen Menschen. Da, wo der Gemeinschaftssinn des Einzelnen gefragt
wäre, wo seine Solidarität als Bindungsmittel zum Tragen kommen könnte, all jene Situationen deckt ein zunehmend allumfassender Markt über Angebot und Nachfrage ab. Bis weit hinein ins Privatleben, in Freundschaften und Partnerschaften bestimmt der Markt mit seinem ökonomischen Regeln das Verhalten der Menschen. Dadurch wird das Solidaritätsprinzip allmählich mit dem der Effizienz und Funktionalität auch in persönlichen Beziehungen ersetzt. Das verhindert nicht nur, dass Menschen eigenständig Bindungen aufbauen, sondern Gemeinschaft überhaupt. Der Einzelne von heute ist also einem großen Einsamkeitsrisiko ausgesetzt. Dennoch wird er für die Folgen selbst verantwortlich gemacht.“
Fazit
Ist es der Verfasserin und Künstlerin gelungen, diese Botschaft zu transportieren? Die Frage kann nur mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet werden. In faszinierender, zugleich irritierender Weise, nie aber schulmeisterlich belehrend oder gar moralinsauer gelingt es Tina Brenneisen, ein Abbild unserer Zeit zu liefern, das alles in Frage, alles auf den Kopf stellt, das die Sehnsucht nach einem Neubeginn schürt. Dieses warmherzige Lehrstück über die Einsamkeit und unser aller Läufe im täglichen Hamsterrad hinterlässt Eindruck.
Zugleich stellt sich die Frage, warum noch immer in Deutschland in fast geringschätziger Weise mit dem Medium Comic umgegangen wird. Dass es sich hier in sehr vielen Fällen um hohe Kunst handelt, scheint noch nicht bewusst zu sein. Somit ist es höchste Zeit, diesbezüglich umzudenken und dem Comic zum Beispiel Eingang in die Bildungslandschaft zu gewähren.
„Das Gelbe Pony“ sei daher uneingeschränkt empfohlen – ein Lese- und Betrachtungsvergnügen der besonderen Art!
Rezension von
Thomas Hax-Schoppenhorst
pädagogischer Mitarbeiter der LVR-Klinik Düren, Sachbuchautor, Herausgeber, Erwachsenenbildner
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Es gibt 21 Rezensionen von Thomas Hax-Schoppenhorst.
Zitiervorschlag
Thomas Hax-Schoppenhorst. Rezension vom 22.01.2018 zu:
Tina Brenneisen: Das gelbe Pony. Parallelallee Verlag
(Berlin) 2017.
ISBN 978-3-946972-07-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23467.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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