Juliane Falk: Sozialkultureller Wandel und biografische Entwicklung
Rezensiert von Erna Dosch, 18.01.2018

Juliane Falk: Sozialkultureller Wandel und biografische Entwicklung. Methodische Anregungen zu einer Biografie-orientierten Bildung für Berufe im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 110 Seiten. ISBN 978-3-7799-3756-2. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
Das Buch bietet methodische Anregungen durch konkrete Übungsbeispiele für eine biografieorientierte Bildungsarbeit. Es bezieht zeitgeschichtliche und sozialkulturelle Einflussfaktoren der 50er- bis 80er-Jahre, der Gegenwart und Zukunftsvorstellungen mit ein und regt zur Reflexion der eigenen und fremden Biografie an. Die Methodensammlung enthält viele Fotografien, die die Rekonstruktion und Reflexion der entsprechenden zeittypischen Begebenheiten unterstützen. Die Auseinandersetzung mit Biografien gewinnt in modernen Gesellschaften und der damit verbundenen komplexer werdenden Lebensgestaltung zunehmend an Bedeutung, weshalb dieses Buch wichtige Impulse für die Praxis der Biografiearbeit liefert. Sie kann der Selbstvergewisserung und dem Lebensrückblick dienen und deshalb Orientierung zur Lebensplanung und -gestaltung geben. Um relevante Kompetenzen über zeitgeschichtliche und sozialkulturelle Faktoren zu erhalten, sollte Biografiearbeit Bestandteil in der Ausbildung von Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen sein.
Autorin
Juliane Falk ist Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin und war langjährige Leiterin einer Pflegeschule, interne Auditorin (DGQ- Deutsche Gesellschaft für Qualität), Referentin für Unternehmenskommunikation und individualpsychologische Beraterin (DGIP). Sie ist verantwortliche Redakteurin der Zeitschrift „Pflege & Gesellschaft“ und freiberufliche Dozentin im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich.
Aufbau
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert, wobei Kapitel 3 eine Methodensammlung mit 6 Unterkapiteln enthält. Die Kapitel haben folgende Bezeichnungen:
- Einführung
- Hinweise zur Bearbeitung der Methoden
- Methodensammlung
- Politischer und sozialkultureller Hintergrund der 50er- bis 80er-Jahre
Inhalt
Die Autorin führt im ersten Kapitel in die Inhalte der biografieorientierten Bildungsarbeit ein. Diese zielen auf das Erlernen von biografischen Kompetenzen in der Ausbildung von Berufen im Gesundheitswesen und der Sozialpflege ab. Bildungsarbeit beinhaltet nach Auffassung der Autorin die Vermittlung von professionellem Handeln, das sowohl die Auseinandersetzung mit Aspekten der eigenen Lebensgeschichte als auch Faktoren der Fremdbiografien (pflegebedürftiger) Menschen jeden Alters betrachtet. Hieraus resultiert eine umfassende Handlungskompetenz, die unterstützend bei der Bearbeitung unterschiedlicher Lebens- und Entwicklungsphasen wirkt, beispielsweise zur Bewältigung von lebensbedrohlichen Situationen (z.B. Unfall, Erkrankungen und Behinderungen).
Im zweiten Kapitel gibt die Autorin Hinweise zur Anwendung der in Kapitel 3 beschriebenen Methoden. Dabei betont sie die Relevanz der sozialkulturellen und politischen Bildung als wichtigen Bestandteil in der Ausbildung für Gesundheits- und Sozialpflegerische Berufe. Nach Ansicht der Autorin können tiefgehende Lernprozesse nur durch die Kombination des Verstehens der eigenen biografischen Hintergründe und des Kennenlernens der verschiedenen Perspektiven von Fremdbiografien erreicht werden.
Der Kern des Buches besteht aus Kapitel 3, einer umfassenden Methodensammlung zur biografieorientierten Bildung. Die jeweiligen Methodenerläuterungen gliedern sich inhaltlich in Ziele, den Ablauf der Methodendurchführung, die didaktische Reichweite zur Förderung von biografischen Kompetenzen und den Kontext der Methodenanwendung.
- In Kapitel 3.1 stellt die Autorin Methoden zur Vergegenwärtigung der zeitgeschichtlichen und sozialkulturellen Einflussfaktoren vor. Themen sind beispielsweise eine Fotodokumentation über den Wandel des Arbeitslebens, des Freizeitverhaltens, der Mode im Wandel der Zeit, über die Frauenbewegung der 70er Jahre, die Nachkriegsarchitektur zwischen Tradition und Moderne, die Friedensbewegung, über Bildungsbiografien im Ost-West Vergleich und über geschlechtsspezifische Sozialisation und Verhaltensweisen.
- In Kapitel 3.2 zeigt sie Methoden zur Betrachtung der eigenen Bildungs- und Berufsbiografie auf. Diese beinhalten u.a. Themenstellungen zur Reflexion des Selbst- und Fremdbildes, über Leitbilder des beruflichen Handelns, zu Einflussfaktoren auf die Berufswahl und den Berufsweg sowie des beruflichen Rollenhandelns im Kontext der eigenen Biografie.
- Kapitel 3.3 behandelt Methoden in Bezug auf Familienkultur und Lebensgeschichte. Diese beinhalten beispielsweise die Erstellung eines Familienstammbaums, Sprichwörter im eigenen Leben, die Einhaltung von Nähe und Distanz in privaten und beruflichen Beziehungen, die Bedeutung von Heimat, Veränderungen von Erziehungszielen und Umgang mit eigenen Ängsten.
- Kapitel 3.4 umfasst Methoden zur Reflexion des individuellen Beurteilungs- und Wertesystems, z.B. der eigenen Grundwerte, das Mitgestalten der Gesellschaft durch soziales Engagement und dem eigenen religiösen Verständnis. Besonders interessant sind die Übung zum Kennenlernen von kulturellen Gewohnheiten und Riten von Menschen mit muslimischem Hintergrund und das aus den USA stammende Unterrichtsmodell zum Kennenlernen sozialkultureller Unterschiede „ABC´s Of Cultural Understanding And Communication“.
- Kapitel 3.5 unterstützt bei der Entwicklung der Phantasie und Kreativität und zeigt Übungen zu künstlerischen Themen (z.B. Pop Art, jeder Mensch ist ein Künstler, Kunst der Fotografie, Pantomime- und Theaterspiel, Geschichtenerzählen) auf.
- Kapitel 3.6 umfasst Methoden zur Entwicklung von Perspektiven für die Zukunft. Anhand der Szenario-Methode soll ein Zukunftsbild des bildhaften Beschreibens entwickelt werden, beispielsweise über die zukünftige Arbeitssituation.
Kapitel 4 beinhaltet eine kurze Zusammenfassung zentraler politischer, ökonomischer, sozialkultureller und künstlerischer Begebenheiten der 50er- bis 80er-Jahre, z.B. die Gründerjahre der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, die Studentenbewegung, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und die Ökologiebewegung.
Diskussion
Die Autorin bietet in ihrem für die Praxis der Bildungsarbeit ausgerichteten Buch vielfältige methodische Impulse für ein biografieorientiertes Lernen. Besonders hervorzuheben ist die umfassende Methodensammlung und der gelungene Bezug zu sozial- und zeitgeschichtlichen Ereignissen, die zum Teil durch entsprechende Fotografien gestützt werden und den entsprechenden Zeitgeist vermitteln. MitarbeiterInnen im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich benötigen Kompetenzen zu den zentralen historischen Hintergründen der unterschiedlichen Generationen ihrer KlientInnen. Die Arbeit mit der eigenen und der fremden Biografie kann einen besonderen Schutzraum des Vertrauens und der Verschwiegenheit erfordern und weist auch Grenzen auf. Die Thematisierung von Grenzen in Ausbildungskontexten und mit beeinträchtigten Menschen wären als Orientierungshilfe sinnvoll.
Fazit
Das Buch liefert umfangreiche methodische Anregungen in Form von Übungsbeispielen im Rahmen einer biografieorientierten Bildungsarbeit sowohl in der Ausbildung für Berufe im Gesundheits-, Pflege-, und Sozialbereich als auch für die direkte Arbeit mit beeinträchtigten Menschen jeden Alters. Es dient der Reflexion der eigenen Biografie und von Fremdbiografien und bezieht zeitgeschichtliche Ereignisse der Vergangenheit der 50er bis 80er Jahre, der Gegenwart und Perspektiven für die Zukunft mit ein. Das Buch beinhaltet viele Fotografien zeittypischer Begebenheiten, die sich gut für Assoziationen und Reflexionsprozesse eignen. Die vorgestellte Methodensammlung regt insgesamt zum kreativen Erforschen, Gestalten und zu einem Austausch über biografische Ereignisse an.
Rezension von
Erna Dosch
Dipl. Sozialgerontologin, Diplom- Sozialarbeiterin, exam. Gesundheits- und Krankenpflegerin, Forschungsschwerpunkte: Beratungs- und Biografiearbeit, Genderspezifische Aspekte im Gesundheits- und Sozialbereich
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Zitiervorschlag
Erna Dosch. Rezension vom 18.01.2018 zu:
Juliane Falk: Sozialkultureller Wandel und biografische Entwicklung. Methodische Anregungen zu einer Biografie-orientierten Bildung für Berufe im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2017.
ISBN 978-3-7799-3756-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23491.php, Datum des Zugriffs 30.11.2023.
Urheberrecht
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