Colombine Eisele: Moralischer Stress in der Pflege
Rezensiert von Alexandra Günther, 01.03.2018

Colombine Eisele: Moralischer Stress in der Pflege. Auseinandersetzungen mit ethischen Dilemmasituationen. Facultas Verlag (Wien) 2017. 120 Seiten. ISBN 978-3-7089-1558-6. D: 14,50 EUR, A: 14,90 EUR, CH: 18,90 sFr.
Thema
Wenn die berufsethischen Werte im Pflegealltag missachtet werden müssen, erzeugt das moralischen Stress. Eine dauerhafte Belastung kann zu Krankheitsausfällen, emotionalem Abstumpfen oder sogar Kündigung führen. Moralischer Stress betrifft den Einzelnen, das Team und Führungskräfte in der Organisation.
Autorinnen und Autoren
- Dr. Stefan Dinges
- Silke Doppelfeld, MA
- Colombine Eisele, Dipl. Pflegepäd.
- Mag. rer. nat. Alexander Engelmann
- Michael Kleinknecht, MNSc
- Dr. Doris Pfabigan
- Mag. Dr. Berta Schrems, MA, Priv.-Doz.
- Prof. Dr. Rebecca Spirig
- Dr. phil. Diana Staudacher
Entstehungshintergrund
Die Fachtagung „Moralischer Stress in der Pflege – Auseinandersetzung mit ethischen Dilemmasituationen“ fand 2017 am Campus Rudolfinerhaus statt, in Kooperation mit dem Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband-Förderverein. Das Fachbuch enthält die Tagungsbeiträge der oben genannten Autoren.
Aufbau
Das Fachbuch umfasst folgende sechs Beiträge:
- Moralischer Stress im Gesundheitswesen. Theoretische Grundlagen und empirische Erkenntnisse im Überblick,
- Führung in der Pflege. Herausforderungen, Belastungen und Ressourcen,
- „Der Patient soll nicht zu Schaden kommen“. Moralischer Stress bei Pflegefachpersonen im Akutspital: Erkenntnisse einer schweizerischen Studie,
- Ethik und Qualitätsmanagement,
- Ethikberatung als Prävention von moralischem Stress im Bereich von Pflege- und Gesundheitsberufen,
- Moralischer Stress als Aspekt in der Ausbildung.
Das vollständige Inhaltsverzeichnis ist bei der Deutschen Nationalbibliothek einsehbar.
Inhalt
Colombine Eisele führt im Vorwort in das aktuell diskutierte Phänomen „moralischer Stress“ ein.
Im Anschluss daran gibt Berta Schrems einen Überblick über Theorien und empirische Erkenntnisse zu moralischem Stress in der Pflege. Sie erläutert Ursachen und zeigt auf, dass in keiner Studie eine positive Wirkung von moralischem Stress festgestellt werden konnte. Die negativen Folgen der Belastung für Pflegekräfte sind dagegen weitreichend. Schrems stellt Ansätze zur Vermeidung und zum Umgang vor.
Alexander Engelmann geht auf seine Studie in Österreich ein, in der landesweit die Bedeutung von moralischem Stress bei Führungskräften in der Pflege untersucht wurde. Die Führungskräfte, als Funktionsträger zwischen Management und Pflegemitarbeitern, wurden zu ihren Einschätzungen hinsichtlich aktueller Herausforderungen, Belastungen und vorhandener Ressourcen befragt. Engelmann weist aufgrund der Ergebnisse u.a. darauf hin, dass betriebswirtschaftliche Effizienz und pflegerische Fürsorge verstärkt als gleichberechtigte Ziele in der Organisationskultur anerkannt werden sollten.
Michael Kleinknecht, Diana Staudacher, Rebecca Spirig stellen ihre Studien zu „moralischem Stress“ als Pflegekontextfaktor in Schweizer Krankenhäusern vor. Diese entstanden im Rahmen der DRG-Begleitforschung Pflege. Die Autoren untersuchten dabei: Anzeichen bei der Pflegekraft, Reaktionen, persönliche Belastbarkeit, Toleranz und Ursachen für moralischen Stress. Die Ergebnisse zeigen, wie sich das ethische Klima einer Institution und die ethische Qualität der Arbeitsumgebung auf die Pflegequalität auswirken. Moralischer Stress ist ein wichtiger Indikator für die Qualität der Arbeitsumgebung. Die Autoren gehen u.a. darauf ein, dass der Schutz der moralischen Integrität der Pflegenden Bestandteil eines ethischen Arbeitsumfeldes ist und eine wichtige Aufgabe der Führung darstellt.
Doris Pfabigan geht auf den Zusammenhang von Ethik und Qualitätsmanagement ein. Sie stellt dar, welche Schwierigkeiten sich durch die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen im Gesundheitsbereich ergeben. Nach Pfabigan ist u.a. eine Diskussion von Wert- und Zielkonflikten innerhalb und zwischen den Ebenen der Organisation notwendig. Ethisches Verhalten muss als Teil der Organisationskultur und des Qualitätsmanagements gefördert werden.
Stefan Dinges erläutert die Ethikberatung im Pflege- und Gesundheitsbereich. Moralischer Stress weist auf ungelöste Wertekonflikte in Pflegesituationen hin. Ethische Aufmerksamkeit ist nach Dinges eine grundsätzlich zu fördernde Reaktion in der Pflegearbeit. Verstärkter Stress bei Mitarbeitern z.B. aufgrund fixierender Pflegemaßnahmen, darf allerdings nicht als moralische Reaktion und persönlicher Wertekonflikt abgetan werden. Ethische Konflikte und Dilemmata betreffen ebenso die Team- und Organisationsebene. Dinges zeigt, wie sich durch Ethikarbeit die Versorgungsqualität, (Berufs)Zufriedenheit aller Beteiligten verbessert und der moralische Distress im Team langfristig reduziert wird. Er stellt u.a. dar, wie ethische Entscheidungen für Pflegesituationen entwickelt werden, die von allen Beteiligten mitgetragen werden können.
Silke Doppelfeld setzt sich mit moralischem Stress als Thema für die Pflegeausbildung auseinander. Aufgrund ökonomischer Zwänge wird die Pflegearbeit z.B. auf funktionale Abläufe reduziert. Das geht zu Lasten der in der Pflegeausbildung vermittelten patientenorientierten Pflege, berufsethischer Werte und fördert moralische Dilemmata. Die Autorin zeigt u.a., wie die Entwicklung von Mitgefühls- und Selbstfürsorgekompetenz dazu beiträgt, moralischer Desensibilisierung und dem Cool-Out-Phänomen im Gesundheitsbereich entgegenzuwirken. Die Persönlichkeitsentwicklung durch pflegepädagogische Konzepte und die Unterstützung im Umgang mit moralischem Stress durch ethische, seelsorgerische und Supervisionsangebote sind nach Doppelfeld zentrale, zukünftige Ziele.
Diskussion
Zunehmende Arbeitsverdichtung, ökonomischer Druck und Personalmangel verändern den Pflegealltag. Ethische Dilemmasituationen in der Pflege führen zu emotionaler Belastung. Ein schlechtes Betriebsklima, Überforderung oder Rollenunklarheiten in der Pflege verstärken dies. Die aktuelle Forschung zeigt, wie gravierend die Folgen von Stress sein können.
Moralischer Stress ist kein Problem der einzelnen Pflegekraft. Es betrifft langfristig auch das Team und die Führung. Die aktuelle Organisationsentwicklung muss daher Ethikarbeit bzw. Ethikberatung in verschiedenen Formen integrieren. Die Auseinandersetzung mit Werte- und Zielkonflikten verbessert dabei nachhaltig die Qualität der Pflege und der Organisationskultur.
Fazit
Das Fachbuch befasst sich mit dem Phänomen „moralischer Stress“ in der Pflege. Die Autoren zeigen Ursachen, Auswirkungen und Lösungsansätze.
Die Beiträge des Fachbuches bieten einen spannenden und vielschichtigen Einblick in die aktuelle Diskussion. Führungskräfte im Gesundheitsbereich finden wissenschaftlich fundierte Informationen und Studienergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum, um präventive Konzepte für die eigene Organisation zu entwickeln.
Rezension von
Alexandra Günther
Sozialpädagogin und Ethikerin
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Zitiervorschlag
Alexandra Günther. Rezension vom 01.03.2018 zu:
Colombine Eisele: Moralischer Stress in der Pflege. Auseinandersetzungen mit ethischen Dilemmasituationen. Facultas Verlag
(Wien) 2017.
ISBN 978-3-7089-1558-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23494.php, Datum des Zugriffs 29.09.2023.
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