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Heike Brand: Orientierungen von professionellen Akteurinnen und (...)

Rezensiert von Ina Kaul, 26.01.2018

Cover Heike Brand: Orientierungen von professionellen Akteurinnen und (...) ISBN 978-3-8340-1768-0

Heike Brand: Orientierungen von professionellen Akteurinnen und Akteuren in der Sozialen Arbeit. Eine biographieanalytische Studie. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2017. 245 Seiten. ISBN 978-3-8340-1768-0. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Grundlagen der sozialen Arbeit, Band 42.

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Thema

Heike Brand zeichnet anhand gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und den damit verbundenen Herausforderungen Orientierungsmodi der Professionellen nach, die in der Gemengelage der Komplexität der Anforderungen Einfluss auf den Professionalisierungsprozess sowie den Grad der Reflexivität gesellschaftlicher Aspekte nehmen. Über ihre Studie verwebt sie erziehungswissenschaftliche Biographieforschung mit qualitativer Bildungsforschung und verdeutlicht, dass die Relevanzrahmen der Akteur_innen als Bildungsfiguren abbildbar sind, welche Einfluss auf die Struktur der Bewältigung und Deutung biographischer Prozesse haben. H. Brand delegiert den Professionalisierungsprozess zurück an die Disziplin und die Profession der Sozialen Arbeit und holt diesen heraus aus der alleinigen Verantwortung der einzelnen Akteur_innen.

Autorin

Dr. Heike Brand, Diplom-Sozialpädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Pädagogik und Medienbildung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, arbeitet zu den Schwerpunkten der Bildungs- und Professionstheorie sowie qualitativen Sozialforschung. Sie war u.a. Stipendiatin im Rahmen des Programms der Nachwuchsförderung von Frauen in der Wissenschaft an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

Entstehungshintergrund

Die vorliegende Publikation, welche in der Reihe „Grundlagen der Sozialen Arbeit“ unter Herausgeberschaft von Karin Bock, Margret Dörr, Hans Günther Homfeldt, Jörgen Schulze-Krüdener und Werner Thole erschien, wurde 2015 als Dissertation an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg von der Fakultät für Humanwissenschaften angenommen.

Aufbau

H. Brands Publikation gliedert sich in drei Hauptteile.

  1. Problemaufriss, theoretische und methodologische Rahmung
  2. Empirische Analysen
  3. Theoretische Kontextualisierung, Generierung neuer Erkenntnisse und Ausblick

Inhalt

1. Einleitung

H. Brand geht einleitend auf die individuell-diffusen Problemlagen ein, welche sich durch gesellschaftliche Veränderungsprozesse entwickelt hätten und sowohl die Adressat_innen der Sozialen Arbeit als auch die Professionellen selbst beträfen. In diesem Kontext benennt H. Brand ihren Forschungsfokus als Frage nach der „Entwicklung professioneller Orientierungen in der Sozialen Arbeit vor biographischem Hintergrund“ (S. 1, Hervorheb. im Orig.).

2. Professionalisierungsprozesse in der Sozialen Arbeit

Die Autorin führt Aspekte der Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse an und benennt dabei Verschiebungen und Herausforderungen in den Mandatierungs- und Lizenzierungsprozessen der Sozialen Arbeit sowie innerhalb der Gemengelage der Aufgaben, mit denen die Professionellen konfrontiert seien. Diese konkretisiert sie über drei Perspektiven:

  1. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse werden mit Hilfe der Argumentation Ulrich Becks dargestellt und seien als Systemprobleme zu verstehen, welche gesellschaftliche Krisen beförderten und zunehmend als persönliches Scheitern gedeutet würden. Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit sehen sich „demnach mit simplifizierenden jedoch gesellschaftlich ratifizierten Tendenzen […], diffusen und pluralen Aufgaben und einem anspruchsvollen politischen Mandat konfrontiert“ (S. 7) in welchem sie sich positionieren müssten.
  2. Der institutionell- organisatorische Kontext ist zunehmend Ökonomisierungstendenzen ausgesetzt, welche die individuellen Problemlagen der Adressat_innen konterkarieren und den individuellen Arbeitsbögen entgegenstünden.
  3. Mit Blick auf die Professionellen verweist H. Brand auf deren doppeltes Involviertsein. Sie seien selbst in die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse eingebunden und mit einer zunehmenden Zahl an Adressat_innen mit heterogenen Problemlagen konfrontiert. Die Autorin positioniert die Professionellen als „Biographiespezialist_innen“ in Bezug auf die Verbindung der Ebenen von Subjekt und Struktur und konstatiert, dass die Delegation der Problembearbeitung an die einzelnen Professionellen zu einer Personalisierung der Probleme beitrage und damit strukturlogisch ein „Scheiternmüssen“ (S. 14) impliziert sei.

Folgend stellt t H. Brand die symbolisch-interaktionistische Professionstheorie insbesondere in Anlehnung an Fritz Schütze dar. Sie positioniert die Soziale Arbeit als moderne Profession und verweist darauf, dass unter dem symbolisch-interaktionistischen Fokus nicht nur die Interaktionen der Professionellen, sondern insbesondere auch die „Identitätsveränderungsprozesse der Professionellen selbst“ (S. 15) Gegenstand der Betrachtung seien. Die Autorin führt in diesem Kontext die Grundlagen der Schützchen Professionstheorie aus, erläutert dezidiert Kernprobleme, Paradoxien und Handlungsprobleme und verweist auf die Aufgabenstationen innerhalb des professionellen Arbeitsbogens im jeweiligen Bezug zur gesellschaftlichen Makroebene.

Die eingenommene Perspektive konkretisiert die Autorin anschließend mit Blick auf drei Kernaspekte:

  • kollektive Professionalisierungsprozesse
  • individuelle Professionalisierungsprozesse
  • Fehlertendenzen und reflexive Bearbeitung

Folgend fängt die Autorin vorhandene empirische Befunde ein und kontrastiert darüber Professionalisierungsprozesse auf der Handlungsebene, auf der Ebene der subjektiven Biographie und der der Organisationsstrukturen. Sie konstatiert, dass bisherige Forschungsergebnisse ein Gelingen auf der Handlungsebene suggerieren, Professionalität als Produkt konstruiert und die Frage nach dem Sinn lediglich auf der Handlungsebene verortet werde. Darüber entwirft die Autorin ein Forschungsdesiderat, welches sie mit ihrer Studie in der Verbindung dieser drei Ebenen bearbeiten möchte: In Anlehnung an Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki stellt sie die „Prozesse der Bedeutungs- und Sinnverleihung“ (S. 65) als zentralen Punkt für die individuellen Orientierungen der Professionellen dar und vergleicht diese letztlich mit Bildungsprozessen, welche sowohl biographisch verortet als auch auf der Ebene der Organisation respektive der Handlungen der Professionellen wirkmächtig seien und den Prozess der Professionalisierung konturieren würden.

3. Methodologische Rahmung

H. Brand führt den Zusammenhang individueller wie kollektiver Sinnbildungsprozesse als Forschungsgegenstand der Bildungsforschung mit ihrer eigenen Fragestellung anhand einer biographischen Perspektive näher aus und erläutert das Konglomerat von Bildung und Biographie und der doppelten Situiertheit des Einzelnen/der Einzelnen mit Blick auf den Welt- und Selbstbezug. Sie konstruiert hierüber keine Gegenüberstellung von qualitativer Bildung- respektive erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung, sondern stellt beide Forschungslogiken im Kontext ihrer Fragestellung als sinnstiftende Einheit dar, da dies erlaube, sowohl Selbst- als auch Weltreferenzialität zu betrachten. Ihr Sampling, angelehnt an die Grounded Theory, umfasst insgesamt 13 biographisch-narrative Interviews mit Professionellen der Sozialen Arbeit, welche sie mit dem unter F. Schütze prominent gewordenen Forschungsprogramm des biographisch-narrativen Interviews und der Narrationsanalyse erhebt und auswertet und in den Kontext der Forschungsparadigmen, maßgeblich von Christa Hoffmann-Riem zusammengefasst, stellt.

4. Falldarstellungen

H. Brand stellt folgend drei Eckfälle vor und rekonstruiert die jeweilige Bildungsfigur anhand der Genese und Relation der fallimmanenten Orientierungsmodi. Die theoretische Ebene der Falldarstellung schließt mit der Entwicklung eines je übergeordneten Orientierungsrahmens ab. Anhand der Rekonstruktionen identifiziert die Autorin drei differente Bildungsfiguren:

  1. individualisierende Verberuflichung,
  2. transformatorische und
  3. chronologische Professionalisierung.

5. Modell zu Orientierungen der Professionellen: Verhältnisbestimmung von theoretischer und empirischer Perspektive

Zusammenfassend werden die empirischen Ergebnisse an den theoretischen Rahmen zurückgebunden. Dabei kontextualisiert die Autorin diese mit Rainer Kokemohrs bildungstheoretischem Konstrukt der Deduktionsdispositionen. „Es ist davon auszugehen, dass gerade das dialektische Verhältnis von ubiquitärer und singulärer Deduktionsdisposition eine kritische Auseinandersetzung mit resp. eine Überwindung von allgemeingültigen Erfahrungsstrukturierungsmodi ermöglicht“ (S. 211 f.) und die Frage nach der Verhinderung von Professionalisierung in beiden mitschwingt. Diese Überlegungen lehnt H. Brand an die durch W. Marotzki herausgearbeitete Genese von Individualität an und stellt einen Zusammenhang zu den eingangs aufgeworfenen Aspekten her. So vollzögen sich die Lern- und Bildungsprozesse – eben die Professionalisierung insgesamt – über „unterschiedlich komplexe Modi der Problembearbeitung“ (S. 217) innerhalb gegebener Rahmen, welche wiederum modifiziert und transformiert würden. Die Orientierungsmodi seien dahingehend als ein „Moment der Kontinuität“ (S. 222) zu verstehen. Dies und die dialektische Einheit von Bestimmtheit und Unbestimmtheit bildeten eine „konstitutive Voraussetzung für komplexe Veränderungsprozesse i.S. von Transformationsprozessen“ (S. 213), welche zudem den Grad der reflexiven Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Problemlagen bestimme. H. Brand konstatiert, dass „die Professionellen der Sozialen Arbeit ihrer Profession und Disziplin dahingehend voraus [seien I.K.], dass hoheitsstaatliche Rahmenbedingungen zwar als konstitutiv und paradoxal wahrgenommen [würden I.K.]“ (S. 215), sich die Professionellen jedoch nicht als Erfüllungsgehilf_innen verstünden. Damit arbeitet H. Brand Professionalisierungsprozesse im Sinne strukturaler Bildungsprozesse (hinsichtlich tentativer, nicht-teleologischer und unbestimmter Aspekte) heraus, welche sie dezidiert im Sinne des Konzeptes der Bildungsfigur nachzeichnet.

„Die Entwicklung der Orientierungsmodi ist – bildungstheoretisch reformuliert – von Prozessen der Genese kollektiver Identitäten, der Individualisierung oder der Subjektivierung gekennzeichnet“ (S. 228) und damit auf der Ebene des Reflexivitätsanspruches und einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Bildungsgeschichte und deren Strukturen angesiedelt.

Das Verhältnis der Orientierungsmodi lasse sich im Sinne einer Erhöhung des Kompliziertheits- respektive Komplexitätsgrades systematisieren. Für Lernprozesse inklusive Reflexivitätszuwachs respektive Bildungsprozesse seien demnach ebenso Transformation wie auch Stabilitätsmomente relevant. Die Genese der übergreifenden Orientierungsrahmen nehme die normativen respektive strukturellen Relevanzprinzipien in den Blick und „ist als Moment der Biographizität zu reformulieren“ (S. 229).

6. Fazit und Ausblick

H. Brand betont die Notwendigkeit der „Sensibilisierung für die individuellen (berufs)biographisch bedingten Potenziale“ (S. 234) ebenso wie die Grenzen der Orientierungsmodi. Gleichwohl könne deren Verhältnis und der Orientierungsrahmen initiiert werden, um entsprechend Stabilisierungs- aber auch Veränderungstendenzen zu prozessieren. Ihr Postulat akzentuiert die Unerlässlichkeit insbesondere innerhalb der Disziplin und Profession, sich sowohl mit dem Mandat als auch dessen Abgrenzung der Sozialen Arbeit intensiv und konstruktiv auseinanderzusetzen und Konsequenzen für die Kumulation der gesellschaftlich bedingten Problemlagen abzuleiten. Nur so könne das unterkomplexe, disziplinär verantwortete, theoretische Professionsmodell der vielschichtigen Praxis Rechnung tragen.

Diskussion

H. Brand gelingt eine übergreifende Kontextualisierung hinsichtlich der Professionalisierungsprozesse als Bildungsprozesse in Bezug auf gesellschaftliche Individualisierungstendenzen, welche auf mehreren Ebenen interessante Verknüpfungen aufweisen, die breiter disziplinär diskutiert werden sollten.

Die Autorin zeigt, dass die Profession der Sozialen Arbeit nicht umhin kann, die individuellen biographischen Prozesse der Professionellen als doppelte Verwobenheit ernst zu nehmen und diese in den Kontext der Professionalisierung einzubinden. Professionalisierung im Rahmen von Bildungsprozessen zu verstehen, erscheint dabei als sinnlogische Verbindung. Zugleich bleiben die Fragen, ob mit dem Konstrukt des Bildungsprozesses spezifische Normativitätsvorstellungen verwoben sind und ob Bildung letztlich empirisch rekonstruierbar ist.

Die Arbeit kann insgesamt als ein Plädoyer verstanden werden, die Soziale Arbeit als herausragende Profession zu positionieren, die in der Gemengelage der Zunahme gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und der damit einhergehenden Komplexität individueller Problemlagen breit agieren muss. Es gelingt H. Brand über die vorgestellte Systematik, nachgezeichnet und konkretisiert am empirischen Material und in Auseinandersetzung mit bestehenden Konzepten (F. Schütze, R. Kokemohr, W. Marotzki), sowohl Momente der Flexibilität und Transformation aber auch der Stabilität in den Blick zu nehmen und plausibel darzustellen, dass sich der Prozess der Professionalisierung auf mehreren Ebenen verortet und die Disziplin und die Profession herausfordert sich neu zu positionieren.

Weiter auszuführende Aspekte wären eine vergleichende Perspektive hinsichtlich des Professionalisierungsprozesses und den möglicherweise veränderten Studienbiographien und Bildungsverläufen im Kontext der Novellierung der Ausbildungen durch den Bologna-Prozess oder auch die Betrachtung der Marktförmigkeit und der Modernisierungstendenzen der Ausbildung.

Fazit

Die vorliegende Studie greift die Gemengelage der gesellschaftlichen Modernisierung und deren Einfluss auf den Prozess der Professionalisierung der Akteur_innen der Sozialen Arbeit auf. Insbesondere werden dabei die Herausforderungen für die Professionellen nachgezeichnet und der Kontext der Entwicklung von Orientierungsmodi und Orientierungsrahmen biographisch beleuchtet und mit Bildungsprozessen im Sinne W. Marotzkis kontextualisiert. Ausgehend von der Kumulation individueller Problemlagen für die Klientel und mit Blick auf die damit einhergehenden Paradoxien und Handlungsprobleme der Professionellen der Sozialen Arbeit fordert die Autorin explizit die Profession und die Disziplin auf, sich neu zu positionieren und den Prozess der Professionalisierung nicht ausschließlich an die Akteur_innen zu delegieren.

Rezension von
Ina Kaul
M.A. Sozialpädagogik für Aus-, Fort- und Weiterbildung, Dozentin am Evangelischen Fröbelseminar Kassel und Lehrbeauftragte der Universität Kassel, Fachbereich Humanwissenschaften, Mitglied der Forscher_innengruppe „Empirie der Kindheit“
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Es gibt 1 Rezension von Ina Kaul.

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Zitiervorschlag
Ina Kaul. Rezension vom 26.01.2018 zu: Heike Brand: Orientierungen von professionellen Akteurinnen und Akteuren in der Sozialen Arbeit. Eine biographieanalytische Studie. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2017. ISBN 978-3-8340-1768-0. Grundlagen der sozialen Arbeit, Band 42. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23573.php, Datum des Zugriffs 06.12.2024.


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