Gudrun Ehlert, Silke Birgitta Gahleitner u.a. (Hrsg.): Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Katrin Liel, 14.11.2017

Gudrun Ehlert, Silke Birgitta Gahleitner, Michaela Köttig, Stefanie Sauer, Gerhard Riemann ... (Hrsg.): Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2017.
160 Seiten.
ISBN 978-3-8474-2070-5.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR.
Weitere HerausgeberInnen: Rudolf Schmitt und Bettina Völter
Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit 15.
Thema
Im Zuge der fortschreitenden Professionalisierung der Sozialen Arbeit wird auch der Ruf nach eigenständiger Forschung und dem Promotionsrecht für Hochschulen für Soziale Arbeit laut. Die Soziale Arbeit als Disziplin, die vorwiegend an Hochschulen für angewandte Wissenschaften ohne entsprechendes Pendant an Universitäten unterrichtet wird, sieht sich hier vielfältigen Herausforderungen und Barrieren konfrontiert. Aktuell sind Promovend*innen der Sozialen Arbeit, die nicht im Kontext der universitären Sozialpädagogik oder Sozialen Arbeit forschen und promoviert werden, im Rahmen kooperativer Promotionen auf sogenannte „Bezugswissenschaften Sozialer Arbeit“ angewiesen. Dies kann zwar eine professionsübergreifende Wissenserweiterung mit sich bringen, führt jedoch meist zu einer diffusen beruflichen Identitätsentwicklung und zu einem „brain drain“ für die Soziale Arbeit. Das Buch bilanziert kritisch den aktuellen Stand der Forschungs- und Promotionsförderung in der Sozialen Arbeit, lotet aber auch Lösungswege aus und entwickelt Standpunkte weiter.
Herausgeberinnen und Herausgeber
Die Herausgeber*innen sind Mitglieder des DGSA (Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit) und Professor*innen an Hochschulen für Soziale Arbeit. Sie, und alle weiteren Autor*innen, sind mit Kurzlebenslauf und Kontaktadresse am Ende des Buches aufgeführt.
Entstehungshintergrund
Der vorliegende Band entstand im Zuge der Tagung „forschen und promovieren in der sozialen arbeit“ am 15./16.Januar 2017 an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Diese mit 220 Teilnehmer*innen überaus gut besuchte Tagung kann für Deutschland als Meilenstein in der Forschungs- und Promotionsförderung der Sozialen Arbeit bezeichnet werden, lieferte sie doch erstmals umfassende Ein- und Ausblicke zu diesem Thema. Die Beiträge der Autor*innen zeigen die öffentlich diskutieren Themen und bereiten diese fundiert und nachvollziehbar auf. Das vorliegende Buch ist als Band 15 in der Buchreihe „Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“, die von der DGSA herausgegeben wird, erschienen.
Aufbau
Der Aufbau des Buches ist in drei Bereiche unterteilt:
- Forschen in der Sozialen Arbeit (mit 6 Beiträge zu verschiedenen Aspekten)
- Promovieren in der Sozialen Arbeit (ebenfalls 6 verschiedene Aufsätze) und
- Erleben und Reflexionen von Forschungs- und Promotionsprozessen (4 Beiträge).
Inhalt
Das Kapitel Forschen in der Sozialen Arbeit widmet sich unter anderem der Bedeutung der Forschung für die eigene Professionsentwicklung, diskutiert die Wissenschaft Sozialer Arbeit als theoretische Praxis und zieht eine Bilanz über forschungsorientierten Masterstudiengängen Sozialer Arbeit in Deutschland.
Der Beitrag von Sonja Kubisch, Michaela Köttig, Ute Reichmann und Bettina Völter mit einer Reflexion gegenwärtiger Rahmenbedingungen zu Facetten des Forschens in der Sozialen Arbeit sticht hier hervor. Es ihnen klar und knapp Forschungsstrukturen und -dilemmata an Hochschulen kritisch zu beleuchten (z.B. DFG Forschungsvolumen für HAWs, Förderprogramm SILQUA, grundlagen- vs. anwendungsorientierte Forschung, fehlende Kostendeckung für indirekte Kosten, hohes Lehrdeputat an HAWs) und in einem Ausblick vier zentrale Punkte zu benennen. Zur Weiterentwicklung der Forschung scheint es den Autorinnen nötig a) Forschung über Forschung in der Sozialen Arbeit zu initiieren b) Agenda-Setting bei der Forschungsförderung zu betreiben c) Bewusstheit über dilemmatische Zusammenhänge zu schaffen, um hochschulpolitische Forderungen entwickeln zu können d) die Praxisrelevanz der Forschungsergebnisse und deren Anschlussfähigkeit zu steigern.
Diese Aspekte und Prozesse werden in zwei weiteren Beiträgen anhand aktueller Forschungsprojekte verdeutlicht („Geschlechtsspezifische Indikatorenentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe“ von Constanze Engelfried und Florian Schäffler und „PRIMSA – Prävention und Intervention bei Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung“ von Silke Birgitta Gahleitner, Roshan Heiler, Katharina Gerlich, Mascha Körner und Yvette Völschow).
Das Kapitel Promovieren in der Sozialen Arbeit zieht eine Bilanz über aktuelle Entwicklungen der Promotionsförderung, liefert Hintergründe z.B. zum Graduierteninstitut in NRW oder zu Promotionsmöglichkeiten im Ausland und diskutiert das Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.
Der erste Beitrag von Rudolf Schmitt zeichnet knapp und prägnant die rasante Entwicklung der Promotionsförderung in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nach und liefert sowohl Gründe dafür, warum Promotionsförderung an HAWs erschwert ist (first generation students, gender gap, (stille) Vorbehalte aus den eigenen Reihen bezogen auf Forschung und Promotionsförderung) als auch Ansätze, die ein Gelingen erleichtern (Habilitation von HAW Professor*innen, regionale Entwicklungen in einzelnen Bundesländern).
Ein weiterer zentraler Artikel des Sammelbandes ist die Zusammenfassung des Diskussionsstandes zum Thema Promotionsrecht und Promotionsmöglichkeiten an Hochschulen für angewandte Wissenschaften von Gudrun Ehlert und Michaela Köttig. Hier werden die aktuellen hochschulpolitischen Standpunkte der Hochschulrektorenkonferenz, des Deutschen Hochschulverbands, des Bundesbildungsministeriums sowie des Wissenschaftsrates und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit dargestellt und miteinander in Bezug gebracht. Am Beispiel Hessen wird das eigenständige befristete und an Bedingungen geknüpfte (Forschungsstärke der beteiligten Professor*innen) Promotionsrecht beschrieben.
Unabhängig von der Entwicklung des Promotionsrechts werden von Matthias Müller, Barbara Bräutigam, Silke Birgitta Gahleitner, Judith Rieger, Stefanie Sauer, Claudia Steckelberg und Ute Elisabeth Volkmann Möglichkeiten der Promotionsförderung an Hochschulen für Soziale Arbeit beschrieben. An den Beispielen des Graduiertenforums der Hochschule Neubrandenburg, der Eigeninitiative von Promovend*innen der Katholischen Hochschule Berlin und der Promotionsförderung an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin zeigen sich eindrücklich die Chancen der Begleitung und Unterstützung von Absolvent*innen der Sozialen Arbeit auf dem Weg der Promotion.
Im dritten und letzten Teil des Buches kommen unter dem Titel Erleben und Reflexionen von Forschungs, und Promotionsprozessen – ganz der Tradition der Sozialen Arbeit entsprechend – die Adressat*innen also Promovend*innen selbst zu Wort. Hier beschreiben unter anderem Kathrin Aghamiri, Rebekka Streck, Anja Reinecke-Terner und Ursula Unterkofler im Rahmen einer szenischen Reflexion die Chancen selbstorganisierter Arbeitsgruppen, während Christian Ghanem und Sabine Pankofer die Promotion als konstruktive psychosoziale Krise aus Sicht eines Doktoranden und seiner Betreuerin beschreiben.
Diskussion
Das Thema Forschen in der Sozialen Arbeit wird in diesem Buch aus den Perspektiven der rekonstruktiven Sozialarbeitsforschung, aus professionstheoretischen Diskursen oder anhand von Praxisbeispielen dargestellt. Der Notwendigkeit und der Begründung für Forschung – die eigentlich eine Selbstverständlichkeit für eine selbstbewusste Fachdisziplin Soziale Arbeit sein sollte – wird hierbei ein großer Raum gegeben. Die Darstellung aktueller Förderschwerpunkte oder -strategien großer Drittmittelgeber, inklusive kritischer Diskussion inwiefern diese Programme auf die Soziale Arbeit übertragbar sind, fällt hingegen sehr knapp aus. Die bundesweite HRK-Forschungslandkarte zur profilbildenden Forschung an Fachhochschulen und die Diskussion, inwieweit Forschung in Sozialer Arbeit hier abgebildet ist, finden gar keine Erwähnung.
Das Thema Promovieren in der Sozialen Arbeit ist in diesem Buch umfassender abgedeckt und liefert sehr gute Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Diskussionen. Allerdings wird erst noch zu beobachten sein, ob es gelingt mit den neuen Formaten (Promotionsrecht der Hochschule Fulda, Promotionskolleg mit Promotionsrecht in Schleswig Holstein, diverse Verbundstrukturen ohne Promotionsrecht) genuin sozialarbeitswissenschaftliche Forschungen durchzuführen und die Entwicklung einer professionellen beruflichen Identität als Sozialarbeiter*in / Sozialpädagog*in mit Doktortitel zu unterstützen.
Fazit
Das Buch „Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit“ bietet einen guten und aktuellen Überblick über die lebendige und sich in Umbrüchen befindliche Thematik. Auch wenn sich einige wenige Aspekte in den Beiträgen der unterschiedlichen Autoren wiederholen, so liefert das Buch dennoch eine erstaunliche Vielfalt. Vor allem für Promotionsinteressierte ist das dritte Kapitel zu empfehlen, liefert es doch wertvolle, zwar individuelle, aber durchaus generalisierbare Einblicke in das Innenleben von Promovendinnen. Gerade dieser Aspekt kommt bei vielen andern Büchern zum Thema viel zu kurz.
Rezension von
Prof. Dr. Katrin Liel
M.A., Dipl. Sozialpäd. (FH), Promotionsbeauftragte der Fakultät Soziale Arbeit der HAW Landshut
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Zitiervorschlag
Katrin Liel. Rezension vom 14.11.2017 zu:
Gudrun Ehlert, Silke Birgitta Gahleitner, Michaela Köttig, Stefanie Sauer, Gerhard Riemann ... (Hrsg.): Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2017.
ISBN 978-3-8474-2070-5.
Weitere HerausgeberInnen: Rudolf Schmitt und Bettina Völter
Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit 15.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23576.php, Datum des Zugriffs 28.03.2023.
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