Karin Leukefeld: Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und (...)
Rezensiert von Prof. Dr. Georg Auernheimer, 08.12.2017

Karin Leukefeld: Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat. PapyRossa Verlag (Köln) 2017. 3., grundlegend erweiterte und aktualisierte Auflage. 308 Seiten. ISBN 978-3-89438-577-4. 16,90 EUR.
Thema
Noch selten wurde ein militärischer Konflikt quer durch politische Lager so kontrovers diskutiert wie der Krieg in Syrien. Und selten sind die Frontlinien und beteiligten Interessen in einem Krieg für die einfachen Zeitgenossen so schwer durchschaubar gewesen. Das Buch verspricht darüber Aufklärung, wobei der Syrienkrieg in die geopolitische Auseinandersetzung um den Nahen Osten eingeordnet wird.
Autorin
Karin Leukefeld (Studium der Ethnologie, der Islam- und Politikwissenschaft) berichtet seit mehr als 15 Jahren als Korrespondentin aus dem Nahen Osten über „das Leben hinter den Schlagzeilen“, so ihre Worte (13). Von Ende der 1990er Jahre bis 2005 trotzte sie den schwierigen und gefährlichen Lebensumständen in dem von Krieg, Wirtschaftssanktionen und dann wieder Krieg beschädigten Irak. Seitdem liefert sie Reportagen und Kommentare aus Syrien, seit 2011 über den Verlauf des verwirrenden Krieges. Sie war Zeugin, wie alles begann und wie der Konflikt zum „Flächenbrand“ eskalierte.
Aufbau
Leukefeld verhehlt nicht, aus welchem Blickwinkel sie den Konflikt verfolgt. Sie schreibt im Vorwort: „Es geht um die vorsätzliche Zerstörung Syriens…“ (15). Die vierteilige Darstellung ist in Kapitel untergliedert.
Zu Teil I „Entwicklung und Lage in Syrien“
In Teil I „Entwicklung und Lage in Syrien“ protokolliert die Vf. im 1. Kapitel unter der Überschrift „Sechs Jahre Krieg in Syrien“ rückblickend Jahr für Jahr den Verlauf des zerstörerischen Konflikts von den Protesten gegen die Regierung im März 2011 an bis Ende 2016, der Befreiung Aleppos vom IS und anderen dschihadistischen Milizen. Sie verdeutlicht die frühe ausländische Parteinahme für die militante, von der Muslimbruderschaft dominierte Opposition und die militärische Unterstützung seitens Saudi-Arabiens, Katars und der Türkei, was aus der politischen Opposition rasch einen militärischen Aufstand machte. Die Regionalmächte wurden darin von der westlichen Allianz unter Führung der USA bestärkt. Die „Freunde Syriens“ werteten die Exil-Opposition zur Exil-Regierung auf und drängten offen auf einen Regime-Change. Beleuchtet werden die Rolle Russlands und des Iran sowie die Schwäche der UN-Vermittler. Wer nicht schon gut über den Syrienkrieg informiert ist, lernt die dschihadistischen Kampfverbände zu unterscheiden, die ihre Kämpfer aus zig Ländern rekrutierten.
Im Kapitel I, 2 unterscheidet die Vf. zwischen der nationalen, der regionalen und der internationalen Ebene des Konflikts. Auf der nationalen Ebene werden wirtschaftliche Probleme, verschärft durch Auflagen von IWF, Weltbank und EU angeführt, mit der ein Assoziierungsabkommen angestrebt worden war. Außerdem wird auf die Gegnerschaft der Muslimbruderschaft gegen das Regime eingegangen. Als regionale Kontrahenten werden die Türkei, Katar, Saudi-Arabien einerseits, Iran, Hisbollah und Irak andererseits vorgestellt. Als internationale Akteure werden die USA und ihre westliche Gefolgschaft behandelt. An späterer Stelle beleuchtet Leukefeld die eigenmächtige Geopolitik der USA und die dadurch bedingte Schwächung der UNO. Unter der Überschrift „Syrien heute“ macht sie auf die Zerstörung der Infrastruktur und die Vertreibung von Millionen aufmerksam.
Im Kapitel I, 3 steht der Kampf um Aleppo im Zentrum. Zum Verständnis der Konfliktlinien werden die soziokulturellen Differenzen zwischen der Stadt und ihrem Umland verdeutlicht. Behandelt werden die Rolle der türkischen und der russischen Regierung im Kampf um Aleppo. Einen eigenen Abschnitt widmet die Vf. den Ambitionen der syrischen Kurden, ihrer Liaison mit den USA und ihrer militärischen Lage.
Zu Teil II „Syriens Nachbarn: Anrainerstaaten und Akteure“
In Teil II „Syriens Nachbarn: Anrainerstaaten und Akteure“ skizziert die Vf. die politische und wirtschaftliche Entwicklung in den Nachbarstaaten, um die Kräftekonstellationen und Interessenlagen zu verdeutlichen, die nach dem Beginn des Syrienkonflikts zur Einmischung zugunsten der Opposition oder aber zugunsten der Regierung geführt haben. Von fünf Staaten wirken demnach drei an der Destabilisierung Syriens mit. Der Irak ist selbst Opfer der Destabilisierung der Region, hat aber die schiitische Achse gestärkt. Und während die Kampfverbände der Hisbollah die syrischen Regierungstruppen unterstützen, liefert die saudi-nahe Allianz aus dem Libanon Waffen für die Dschihadisten. Auch den Palästinensern in Syrien, deren Flüchtlingslager zwischen die Fronten gerieten, ist ein Kapitel gewidmet.
Zu Teil III „Befund: Flächenbrand“
Bei Teil III zeigt die Überschrift „Befund: Flächenbrand“ an, dass die Vf. hier eine Art Zwischenbilanz zieht.
In III, 1 „Regionale Interessen und Konkurrenzen in der Arabischen Welt“ schildert Leukefeld, wie sich die politische und wirtschaftliche Lage dort von 2010 bis 2013 gewandelt hat: von der gemeinsamen Frontstellung gegen die israelische Siedlungspolitik hin zur Bekämpfung des Iran als dem Hauptfeind, auch von gemeinsamer Projektmacherei hin zu Rivalitäten, von beginnender wirtschaftlicher Prosperität zu Rezession.
In III, 2 „Aufstieg und Fall der ‚Freunde Syriens‘“ wird erläutert, warum der von Frankreich initiierte Kampfbund gegen Syrien von der US-geführten „Anti-IS-Allianz“ abgelöst worden ist – beides Allianzen, die am UN-Sicherheitsrat vorbei agieren.
Thema von III, 3 ist der sog. Islamische Staat, der aus Al-Qaida im Irak hervorgegangen ist und sich teilweise der Empörung über die Besatzungspolitik der US-Administration verdankt. Die Armut führe im Übrigen der Terrororganisation stets neue Söldner zu, so Leukefeld. Ziel der Sponsoren und Unterstützer sei es, den „schiitischen Halbmond“ zu durchbrechen (261). Erläutert werden der Rückhalt des IS bei Beduinenstämmen, die Finanzquellen und die Nutzung sozialer Medien.
Zu Teil IV „Korrespondenzen aus Damaskus“
In Teil IV sind „Korrespondenzen aus Damaskus“ abgedruckt, die einen Einblick in die Arbeit der Vf. und in den Alltag der Bewohner*innen geben, sowohl ihre Not als auch ihre Überlebensstrategien.
Der Anhang enthält drei Dokumente, darunter einen Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA von 2012.
Diskussion
Die Vf., die auch Kontakte zur innersyrischen Opposition unterhält, identifiziert sich, wahrscheinlich aufgrund ihres langen Aufenthalts in der Region, offenbar mit dem Land, was auch die loyale Haltung gegenüber der Regierung erklärt und hierzulande heute manche verstören mag. Sie könnte freilich zur Bestätigung ihrer Sichtweise auf einige andere Publikationen von Kollegen und Nah-Ost-Experten verweisen. Dass sie aber auch kaum ein Wort über das repressive Regime von Hafez al-Assad verliert (Ausnahme: das Massaker in Hama 1982), könnte manche dazu verleiten, das Buch wegen des Verdachts auf Voreingenommenheit vorzeitig wegzulegen, was schade wäre.
Denn Leukefeld beleuchtet nicht nur die verzerrte bzw. propagandistische Mediendarstellung über den Konflikt, die handfesten Eingriffe unserer Bundesregierung und die undurchsichtige Politik der Obama-Administration (z.B. 85 ff.). Sie kann dabei auch mit Daten, Fakten, Zitaten aus Geheimdienstberichten, eigenen Beobachtungen und, gestützt auf Gespräche vor Ort, dagegen halten. Beachtung verdient das Bild von der Lage und den politischen Positionierungen der Palästinenser in Syrien, einer bisher wenig beachteten Bevölkerungsgruppe. Sehr aufschlussreich ist die Skizze des regionalen Konfliktkontexts in Teil II. Vermisst hat der Rezensent lediglich eine Karte von Syrien. (Eine Karte der Nah-Ost-Region findet man dagegen vorne.)
Fazit
Eine Publikation, die nicht nur den mit Politik befassten oder an Politik interessierten zu empfehlen ist, sondern unter anderem auch Leser*innen aus sozialen Berufen oder Ehrenamtlichen, die sich in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren. Wer der Darstellung der Vf. Misstrauen entgegenbringt, sollte sich immerhin damit auseinandersetzen. Manchen wird dazu z.B. ihre kritische Haltung gegenüber den von Kurden angeführten SDF, die hierzulande viel Sympathie genießen, veranlassen.
Rezension von
Prof. Dr. Georg Auernheimer
Lehrte Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Interkulturelle Pädagogik, in Marburg und Köln.
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