Herbert Schubert: Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Elmar Hinz, 15.05.2019
Herbert Schubert: Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft. Eine Einführung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2017. 134 Seiten. ISBN 978-3-658-18997-6. D: 18,99 EUR, A: 19,52 EUR, CH: 19,50 sFr.
Thema
Nachdem viele verwaltungswissenschaftliche Debatten der 1990er Jahre von der Übertragung privatwirtschaftlicher Managementansätze auf die öffentlichen Aufgabenerfüllung geprägt waren, betont Public Governance u.a. die adressatenorientierte Kooperation in Netzwerken der Leistungserstellung. Damit wird die Frage, was im öffentlichen Auftrag zu tun ist, ebenso wichtig wie die Frage, wer etwas wie tut. Mit Zunahme der Nutzung des Internets in der Privatwirtschaft wurde außerdem begonnen, vernetzte Organisations- und Geschäftsmodelle zu diskutieren. In einer sich immer stärker ausdifferenzierenden Gesellschaft erwächst damit auch an den Schnittstellen zwischen den in die öffentliche Leistungsproduktion eingebundenen Akteuren eine Managementaufgabe, deren Ausgestaltung – soweit nicht nur wohldefinierte Leistung gegen Geld getauscht wird – spezifische Anforderungen mit sich bringt. Diese generelle Entwicklung ist zudem immer für den Anwendungsbereich, hier also mindestens der Sozialwirtschaft, zu konkretisieren. Dass insofern zur Leistungsproduktion kooperiert wird, kann analytisch sicher zwischen den Steuerungsmodi Markt und Hierarchie eingeordnet werden. Damit die Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft aber von einer weiteren Governance-Perspektive oder einer deskriptiven Politikfeldbetrachtung unterschieden werden kann, sollten die Konkretisierungen auch praktisch – also für die umsetzungsorientierte Ausgestaltung einer Vielzahl vergleichbarer Fälle – wirksam werden können.
Autor
Herbert Schubert ist Diplom-Sozialwissenschaftler, promovierter Soziologie und habilitierter Regionalplaner. Während verschiedener Beschäftigungen und Projekte in Praxis und Wissenschaft hat er sich bereits mit der integrierten Betrachtung von sozialen Strukturen, räumlichen Kontexten und ihren organisatorischen Rahmenbedingungen befasst.
Entstehungshintergrund
Der Titel „Netzwerkorientierung in Kommunen und Sozialwirtschaft“ erscheint in der Lehrbuchreihe „Basiswissen Sozialwirtschaft und Sozialmanagement“, die zentrale Inhalte zur Koordination dieser u.a. im öffentlichen Auftrag erfüllten Aufgaben verständlich und didaktisch aufbereitet vermitteln will.
Aufbau
Neben einer Einführung ist der Text in sieben Kapitel eingeteilt und umfasst 140 Seiten. Jedes Kapitel hat eine vorangestellte Zusammenfassung und nennt an seinem Ende nochmals wichtige Aspekte des Textabschnitts. Außerdem werden für jedes Kapitel Lernziele formuliert sowie vertiefende Literaturempfehlungen und Empfehlungen zur praxisbezogenen Reflexion gegeben. Ein kleines Glossar erklärt 37 im Text verwendete Begriffe.
Inhalt
Nach der Einführung mit einem Überblick über das Werk wird im Kapitel 1 einleitend deutlich gemacht, dass der Netzwerkbegriff als Metapher einer modernen Gesellschaft zu deuten ist. Gestaltend wird diese Entwicklung in der Privatwirtschaft aufgegriffen und Unternehmen als Netzwerk organisiert. In der Sozialwirtschaft könnten so Funktions- und Hierarchiebarrieren überwunden werden.
Im Kapitel 2 wird knapp die Entwicklung staatlicher Steuerungsmodi nachgezeichnet. Hierarchische und marktliche Steuerungsmodi sind zwar weiter relevant. Nach der binnenorientierten Managementmodernisierung kommunaler Verwaltungen in Deutschland durch das Neue Steuerungsmodell betont Public Governance interorganisational den koproduzierenden Charakter vieler öffentlicher Dienstleistungen. In einem Netzwerk wichtig ist also die Balance dieser Steuerungsmodi mit Blick auf rechtliche Normen, Ressourcen und Leistungsadressaten.
Das Menschenbild der soziologischen Netzwerktheorie ist Basis des Kapitels 3: Demnach ist soziales Handeln von der Einbettung in direkte und indirekte Beziehungen beeinflusst. Soziale Strukturkategorien wie Geschlecht oder sozialer Status verlieren heute an Bedeutung; in Gruppen sind nur direkte Beziehungen relevant. Im Detail wird dann auf die phänomenologische Netzwerktheorie sowie die Akteur-Netzwerk-Theorie eingegangen. Am Beispiel des Kinderschutzgesetzes wird die phänomenologische Netzwerktheorie auf die Sozialwirtschaft angewendet.
Dieses Netzwerkwerkverständnis führt dazu, dass im Kapitel 4 für die Sozialwirtschaft zwei Netzwerktypen unterschieden werden: lebensweltliche und organisierte Netzwerke, wobei letztere sich insb. durch ihre fachlichen Ressourcen auszeichnen. Im Gegensatz dazu werden lebensweltliche Netzwerke als Netzwerke sozialer Ressourcen gesehen. Dass diese Netzwerke unterschiedlichen Steuerungsmodi folgen, wird am Beispiel der organisierten Netzwerke herausgearbeitet: ihre Akteure kooperieren zur Senkung von Transaktionskosten. So entsteht beispielsweise in Bildungslandschaften Wertschöpfung durch Verknüpfung der Angebote unterschiedlicher Institutionen zum Nutzen der damit adressierten Kinder.
Im Kapitel 5 werden die Beziehungen sozialwirtschaftlicher Netzwerke zu weiteren Netzwerken in Kommunen fokussiert. Aus lebensweltlicher Netzwerkperspektive basiert der gemeinsame Sozialraum auf sozialem Zusammenhalt. Das Konzept der Sozialraumorientierung beinhaltet die Identifikation und Nutzung der Ressourcen seiner Akteure, aber nur mit organisierten Netzwerken sind Entkopplungen zwischen Lebenswelt und Institutionen zu überbrücken. Zu den Netzwerken der Kommunen zählen dabei u.a. die auf unterschiedliche Ziele ausgerichteten Politik- und Kontraktnetzwerke, sodass die entsprechenden Beziehungen zwischen den Netzwerken immer Elemente verschiedener Steuerungsmodi beinhalten. Daher können nur im Zusammenwirken ausdifferenzierter Verantwortlichkeiten für diese Steuerungsmodi operative Erfolge für die Adressaten eines Netzwerkes erreicht werden.
Methoden zur Erforschung von Netzwerken werden im Kapitel 6 vorgestellt. Erwähnt werden direkte und indirekte Fragetechniken, qualitative Erhebungstechniken sowie Analyse- und Präsentationsformen wie die Netzwerkkarte und die Akteur-Ereignis-Matrix.
Im abschließenden Kapitel 7 werden nochmals die zentralen Gedankengänge zusammengefasst und auf anschlussfähige Instrumente wie Wirkungsorientierung, Berichtswesen und leistungsorientierte Vergütung verwiesen.
Diskussion
Der kenntnisreiche Text ist verständlich formuliert und fasst die für das Thema wichtigen sozialwissenschaftlichen Grundlagen zusammen. Den Netzwerkbegriff als Metapher zu erfassen und ihn dann in diesem Kontext als Kern von Public Governace zu deuten, sollte auch in der Praxis Klarheit bei der Begriffsverwendung schaffen. Ob das „Reframing“ kommunaler Steuerung als Governance bei Berücksichtigung der zahlreichen Facetten dieser Debatte in verschiedenen Politikfeldern und Wissenschaftsdisziplinen Bestand haben kann, bleibt jedoch offen. Insoweit sind die durchaus angedeuteten Verweise auf die verwaltungswissenschaftlichen und ökonomischen Erkenntnisse zur Netzwerksteuerung etwas blass.
Dem Aufbau der Argumentation kann gut gefolgt werden, auch wenn sich nicht jeder Gedanke in den präsentierten Beispielen wiederfindet. Grundsätzlich entbindet der Transfer allgemeiner theoretischer oder konzeptueller Überlegungen auf die Sozialwirtschaft an Hand von Beispielen von Erklärungsversuchen, was genau Aufgabe der Sozialwirtschaft ist. Netzwerke der Sozialwirtschaft im Lichte der Sozialraumorientierung nach ihren Funktionen zu unterscheiden, verknüpft dabei geschickt spatial turn mit Konzepten der Sozialarbeit und ihrer Koordination. Der Ressourcenbegriff bleibt dabei etwas unscharf, obwohl seine Klärung – gerade auf Grund der sehr unterschiedliche Verwendung in den hier potentiell relevanten Kontexten – für eine adressatengerechte Steuerung von Netzwerken sehr relevant ist. Deutlich erkennbar ist, in welchen Bereichen dieses umfangreichen Themengebietes der Autor auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Dass zur Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft neben der Unterscheidung von Mikro-, Meso- und Makroebene auch organisierte Netzwerke bezüglich ihrer unterschiedlichen Zwecke stärker differenziert und in den daraus folgenden interorganisationalen Beziehungen analysiert werden könnten, wäre ein möglicher Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung des Textes. So würde z.B. deutlich werden, dass Ko-Produktion und Partizipation inter- und intraorganisationale Beziehungen sehr unterschiedlich prägen. Wenn nicht alle Akteure zum Handeln direkt miteinander verbunden sind, ist zudem zu prüfen, ob vermittelnde Instanzen die Transaktionskosten senken oder erhöhen: manches vernetztes Geschäftsmodell der Privatwirtschaft ist an diesem ökonomischen Abwägen gescheitert. Letztlich könnten dann die beteiligten Akteure klarer charakterisiert und hinsichtlich ihres Beitrages zur Wertschöpfung in einem Netzwerk untersucht werden.
Selbstverständlich sind in einem Lehrbuch Wiederholungen zur Festigung des vermittelten Wissens hilfreich: Mitunter bremsen sie aber auch den Lesefluss.
Fazit
Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft ist eine lesenswerte Zusammenfassung und für den Gegenstandsbereich spezifizierte Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen und Zusammenhänge, unter denen heute viele öffentliche Aufgaben zu erfüllen sind. Beispielhaft wird in dem Text verdeutlicht, welche Erklärungskraft die zu Rate gezogenen theoretischen und konzeptionellen Überlegungen für die Sozialwirtschaft haben. Dabei sind die Checklisten und Reflexionsfragen hilfreiche Anregungen für die Praxis zur Entwicklung eigener Lösungen.
Eine facettenreiche Metapher zum Analysegegenstand zu machen kann nur gelingen, wenn entweder ein alle Facetten erfassendes Analyseinstrument gewählt oder der Umfang der Analyse beschränkt wird. Netzwerkorientierung hat mindestens eine inter- und intraorganisationale Dimension, mit wirtschaftlicher Ausrichtung sicher auch eine ziel- sowie ggf. eine wirkungsorientierte. In dem Text werden kenntnisreich über die verschiedenen Ebenen des Systems der Sozialwirtschaft hinweg interorganisationale Beziehungen aus verschiedenen theoretischen Perspektiven gedeutet. Um dabei für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle handlungsleitend zu werden, wären auch intraorganisationale Aspekte zu betonen. Dass die Netzwerk-Metapher für das Politikfeld des Sozialen u.a. durch die Unterscheidung von lebensweltlichen und organisierten Netzwerken konkretisiert werden kann, ist aber ohne Zweifel auch ein Beitrag zum Reframing staatlicher Steuerungsmodi und folglich zur staatlichen Leistungsproduktion in Netzwerken.
Rezension von
Prof. Dr. Elmar Hinz
Dipl.-Kfm.
Professor für Verwaltungswissenschaften an der FH Nordhausen
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Zitiervorschlag
Elmar Hinz. Rezension vom 15.05.2019 zu:
Herbert Schubert: Netzwerkorientierung in Kommune und Sozialwirtschaft. Eine Einführung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
(Wiesbaden) 2017.
ISBN 978-3-658-18997-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23599.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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