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Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion

Rezensiert von Prof. Dr. Heinz Lynen von Berg, 28.12.2017

Cover Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion ISBN 978-3-406-71235-7

Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt. Verlag C.H. Beck (München) 2017. 128 Seiten. ISBN 978-3-406-71235-7. D: 9,95 EUR, A: 10,30 EUR.

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Thema

Pünktlich zum „40. Jahrestag“ des „Deutschen Herbstes“ legt Petra Terhoeven eine komprimierte historische Studie zur Genese und Entwicklung der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) vor, in der sie nicht nur die Chronik der Ereignisse nachzeichnet, sondern auf der Höhe der aktuellen Forschung erklärt, wie und unter welchen Kontextbedingungen sich in Folge der 68er-Bewegung eine kleine Minderheit radikalisierte und warum aus den Stadtguerilla-Experimenten in Berlin eine terroristische Gruppe hervorging. Darüber hinaus analysiert sie die Aufarbeitung des Linksterrorismus in Politik und Gesellschaft, und nimmt auch die vernachlässigte Betrachtung der Opferperspektive in ihre Analyse und Bewertung des Terrorismus mit auf.

Autor

Petra Terhoeven ist an der Universität Göttingen Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte. Ihr Schwerpunkt ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Italien und Deutschland. Ihre viel beachtete Habilitationsschrift verfasste sie zum „Deutschen Herbst“ (Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen. Oldenbourg, München 2014).

Entstehungshintergrund

Wie Jahrestage zu politischen Ereignissen ruft auch der „Deutsche Herbst“ von 1977 eine Vielzahl von Publikationen hervor. Über die RAF als tiefgreifende politische Zäsur der Nachkriegszeit ist nicht nur ausgiebig in den siebziger und achtziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts diskutiert und publiziert worden: „Selten ist so viel über wenige geschrieben worden“ konstatierte bereits 1987 der Terrorismusexperte Walter Laqueur die Geschichte der „Roten Armee Fraktion“. Die über das Scheitern der RAF hinausgehende „morbide Faszination“ bewegt aber auch heute noch die öffentliche Diskussion. „Ein Herbst, der nicht vergeht“ bilanzierte jüngst Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 14./15.10.2017.

Auch einige wenige ehemalige Mitglieder greifen in sehr unterschiedlicher Weise in die Aufarbeitung des „Deutschen Herbstes“ ein: auf der einen Seite beispielsweise Silke Maier-Witt, die sich bei Jörg Schleyer, dem Sohn des von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten und Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Hanns Martin Schleyer, entschuldige und um Verzeihung bat (Süddeutsche Zeitung vom 29.11.2017); auf der anderen Seite Lutz Taufer, RAF-Mitglied der „zweiten Generation“, der auf seiner Lesereise seiner Autobiographie „Über Grenzen“ (2017) einer klaren Distanzierung von der RAF aus dem Wege geht.

Wie lässt sich nun dieses komplexe Phänomen in seinem historischen Kontext einordnen? Und wie lässt sich die Genese des Terrorismus aus der 68-Bewegung und die gruppendynamischen Prozesse innerhalb der RAF und in Konkurrenz mit rivalisierenden terroristischen Gruppen wie der Bewegung 2. Juni (B2J) nachvollziehen? Diesen Versuch, das komplexe Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und historisch einzuordnen, unternimmt Petra Terhoeven, zurückgreifend auf einen umfangreichen Fundus an Quellen aus ihrer zu diesem Themenfeld verfassten Habilitation.

Aufbau

Die Studie umfasst 128 Seiten, inklusive eines Personenregisters, und wird durch einen ausführlichen Prolog („Zum historischen Ort des deutschen Terrorismus“), in dem die theoriegeleitete historische Verortung skizziert wird, eingeleitet. Es folgen sechs Kapitel, die sich an der Chronologie der Ereignisse orientieren. Abgeschlossen wird der Band mit einem Epilog „Linksterrorismus als gescheiterte (deutsche) Selbstbefreiung“. Hier stellt sie den Linksterrorismus in einem Kontext zu anderen Formen des aktuelleren Terrorismus, wie der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und dem islamistischen Terrorismus. Sie macht dabei ernüchternd darauf aufmerksam, dass es eine Illusion sei, aus dem Linksterrorismus der siebziger Jahre Handlungsanleitungen für den Umgang mit dem heutigen Terrorismus abzuleiten.

Inhalt

In dem Prolog macht Terhoeven klar, dass die RAF im Kontext von mindestens drei Themenkomplexen zu betrachten ist: „1. Der Nachkriegsgeschichte des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, 2. Der Geschichte der internationalen 68er Bewegung und 3. Der Geschichte des modernen Terrorismus.“ (S. 8)

Trotz der internationalen Dimension wäre weder der Verlauf der 68er Proteste noch die spätere Gewalteskalation seit 1969/70 ohne die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit nicht zu erklären. Nach Terhoeven wirkten sich die „zahlreichen personellen Kontinuitäten in den Institutionen (…) weniger unmittelbar aus, als vermutet wird. Entscheidend war vielmehr, wie der Nationalsozialismus in der damaligen Öffentlichkeit verhandelt wurde.“ (S. 8) Die Kritik an dem „Beschweigen“ (Hermann Lübbe) der Täter- und Mittäterschaft und an der Selbststilisierung des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung als Opfer, war die spezifische deutsche Hintergrundfolie für die oft unerbittliche Auseinandersetzung zwischen der 68er Generation und deren Elterngeneration.

Jenseits berechtigter Kritik an dem fehlenden Willen zu einer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, entwickelte sich bei den Vordenkern des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) aber auch „ein feines Gespür für das Potenzial, das dem NS-Thema als politische Waffe und Instrument der Selbstdarstellung innewohnte.“ (S. 9) Diese Instrumentalisierung des NS lässt sich später bei der RAF als zentrale Strategie der Selbstviktimisierung beobachten, die auch von den Rechtsanwälten mit verbreitet wurde. Selbst als die Haftbedingungen nach Terhoeven schon gravierend verbessert worden waren, wird Otto Schily mit einer Rede in Amsterdam von Oktober 1975 zitiert, in der er die Haftbedingungen als „Folter“ bezeichnete und dazu aufforderte „härteren Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, als es bisher der Fall war.“ (S. 61)

Ebenso wie die 68er-Bewegung ein Ergebnis „transnationaler Transferprozesse“ zu betrachten ist, ist auch die ihr folgende „gewaltsame Nachgeschichte“ verwoben mit anderen terroristischen Gruppen in Europa (zunächst Brigate Rosso in Italien, später die Action Directe in Frankreich) und der Fatah der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).

Weiter arbeitet Terhoeven heraus, dass die RAF als ein Teil einer Geschichte des modernen Terrorismus zu verstehen ist. Dabei geht sie von dynamischen Prozessen von gewaltbereiten bzw. -tätigen Gruppen und den staatlichen (Über-)Reaktionen darauf aus, „die durch die Selbstdeklarationen der Protagonisten nur unzureichend zu erfassen sind.“ (S. 15) Viel mehr kommt es auf eine Beschreibung der historischen Konstellationen an, „aus denen unter bestimmten Bedingungen Terrorismus erwachsen konnte, nicht musste.“ (S. 15).

In Anlehnung an den US-amerikanischen Politologen David C. Rapoport lassen sich „vier Wellen des Terrorismus“ feststellen, die sich seit dem 19. Jahrhundert identifizieren lassen: eine anarchistische, eine antikoloniale, eine „neu-linke“ und eine religiöse. Terrorismus gilt nach Rapoports Theorie als grenzübergreifendes Medienereignis, als eine „visuell übertragene, universell verständliche Sprache der Gewalt“ wird global vermittelt. Der Kampf mit Bildern ist – um mit Herfried Münkler zu sprechen, – zentraler Bestandteil terroristischer Kriegführung (S. 18).

Aufbauend auf die o.g. drei theoretischen Perspektiven beschreibt Terhoeven die Genese der RAF und ihrer Geschichte über drei „Generationen“ hinweg. Im 1. Kapitel „Gewalt als Ab- und Irrweg der 68er-Bewegung“ werden die Vorgeschichte und Folgen des Todes von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 als ein wichtiger Ausgangspunkt der späteren terroristischen Gewalt markiert. Terhoeven zeigt dabei, wie auch Rudi Dutschke an der rhetorischen Aufrüstung nach dem 2. Juni beteiligt war; aber nach Terhoeven spricht einiges mehr dafür, dass ein „heute wie damals zu wenig ernst genommener Mann für die Vorgeschichte des Linketerrorismus eine mindestens ebenso wichtige Rolle gespielt hat: Der Spiritus Rector der skandalumwitterten Kommune I, Dieter Kunzelmann.“ (S. 23)

Terhoeven zeigt einerseits, wie die Gruppendynamik der sich bildenden persönlichen Netzwerke zu einer zunehmenden Radikalisierung führte, die durch Rivalitäten von „Alphatieren“ wie Kunzelmann, Andreas Baader und später Horst Mahler zur Überbietung des jeweils anderen durch noch radikalere Aktionen befeuert wurde. Anderseits trug die auch von Dutschke betriebene Internationalisierung und Radikalisierung der Studentenbewegung zur Legitimation von Militanz bei. Der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli avancierte dabei nach Terhoeven zum „wichtigsten Netzwerker der militantesten Gruppen (…), die vom Aufbruch der ‚68er‘ in Europa übrig geblieben waren (…).“ (S. 15)

Mit den Kaufhausbrandstiftungen im Frankfurt am Main (02.04.1968) setzten Andreas Baader, Thorwald Proll, Astrid Proll, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein ein Fanal für die Legitimität von Gewalt als Mittel im ‚revolutionären Kampf‘. Die bis dato eher als Randfiguren der Berliner Szene einzustufenden Baader und Ensslin erlangten in dem Prozess nach ihrer schnellen Verhaftung eine ungeahnte Prominenz, die ihre spätere Frontstellung in den sich weiter radikalisierenden Gruppen begründete. Das „Knast-Camp“ im fränkischen Erbach wird dabei als eine der „Urszenen des Terrorismus“ (Gerd Koenen) bezeichnet.

Terhoeven zeichnet in der Folge nach, wie sich unterschiedliche terroristische Gruppen wie die Tupamaros Westberlin (TW) entwickelten, aus denen später die Bewegung 2. Juni (B2J) hervorging. Forciert vor allem von Horst Mahler erfolgte die Gründung der RAF als marxistisch-leninistische Kaderorganisation, bestehend aus ihm, Baader, Ensslin und Ulrike Meinhof. „Für die Gründung der RAF war schließlich die Dynamik entscheidend, die sich vor dem Hintergrund des Abebbens einer ideologieaffinen Protestbewegung zwischen den genannten vier Personen entwickelte. Mit Hilfe der anderen, so schien es, würde jede von ihnen sich als das verwirklichen können, was er oder sie bleiben bzw. endgültig werden wollen: Teil einer internationalen Avantgarde der Revolution.“ (S. 39f)

Vor dem Hintergrund der facettenreich geschilderten Genese der RAF (Kap. I und II), werden in den folgenden Kapiteln die unterschiedlichen Phasen der RAF dargestellt, die nach der ersten Verhaftungswelle ihren Ausgangspunkt in den Hungerstreiks der ersten „Generation“ nahm (Kap. III „‚Ein Krieg von 6 gegen 60 Millionen‘? Reaktionen von Staat und Gesellschaft (1972-1976)“. Die Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen führten zu einer Mobilisierung der zweiten „Generation“, die dann später auch mit der sogenannten „big-raushole“ die Gründungsgeneration aus den Gefängnissen in deren Auftrag freipressen sollte.

Im vierten Kapitel „‚Offensive 77‘ und Deutscher Herbst in Europa“ wird dann die Mordserie im Verlaufe des Jahres 1977 beschrieben, die mit der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seinem Chauffeur Wolfgang Göbel begann, über die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto zur Schleyer-Entführung und der sich anschließenden Entführung der Landshut führte. Die darauf als Mord proklamierte Selbsttötung der in Stammheim einsitzenden Gefangenen Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe führte nach Terhoeven erst zur Mobilisierung einer „dritten Generation“, ohne dieses von den in Stammheim Inhaftierten inszenierte Fanal wäre nach Meinung von Terhoeven, die RAF wohl am Ende gewesen. So gelang es nicht nur, unmittelbar nach der „Todesnacht von Stammheim“ in fast allen westeuropäischen Ländern Proteste von illegalen Genossen „draußen“ zu mobilisieren, sondern dies war auch die Geburtsstunde der „dritten Generation“ (Kap. V „Von der zweiten zur dritten Generation“).

Im sechsten Kapitel („Mythos RAF“) wird mit der Auflösungserklärung (1998) der verbliebenen RAF-Mitglieder nicht nur die Selbstinszenierung der RAF „als antifaschistischer Widerstand“ wieder bemüht, sondern auch die oft verkürzte künstlerische Darstellung der RAF „als Opfer der Verhältnisse“ (S. 108) angeprangert. Diese Täterfixierung habe dazu geführt, die Geschichte der Opfer nicht angemessen zu thematisieren und deren Leid zu würdigen. „Die prominenten, gezielt angegriffenen Funktionsträger und ihre Familien avancierten üblicherweise zu Opfern ‚erster‘, die Polizisten, Fahrer und zufällig Betroffenen zu Opfern ‚zweiter‘ Klasse. Letzteren wurde nicht nur weniger Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuteil, es ging den Angehörigen auch materiell meist deutlich schlechter. (…) In jedem Falle sollten Opfer- und Tätergeschichte nicht gegeneinander ausgespielt, sondern aufeinander bezogen werden. Die Frage nach den Opfern ist vielmehr in die bekannte Geschichte des Terrorismus zu integrieren, um sie selbst dadurch zu verändern.“ (S. 108f)

Damit wird hier wie auch im Epilog „Linksterrorismus als gescheiterte (deutsche) Selbstbefreiung“ eine Brücke zu dem Umgang mit aktuellen Terrorerscheinungen und ihren Opfern geschlagen. So fühlen sich nach dem Bericht des Opferbeauftragten der Bundesregierung, Kurt Beck, die Opfer des islamistischen Terroranschlags vom Berliner Breitscheidplatz (19.12.2016) ebenso mit ihren Nöten alleine gelassen, wie die Opfer der NSU-Mordserie (Weser Kurier vom 14.12.2017).

Diskussion und Fazit

Petra Terhoeven hat in komprimierter Form eine Geschichte der RAF verfasst, und dabei ein verwobenes Bedingungsgefüge für die Entstehung und Entwicklung prägnant skizziert. Ihr gelingt es, trotz der relativen Kürze des Textes, ein facettenreiches Bild der Genese der RAF ebenso zu zeichnen, wie die vielfältigen Ereignisse terroristischer Gewaltakte in ihren zeitgeschichtlichen Kontexten zu beschreiben und deren Folgen sowohl auf Seiten der RAF als auch auf der Seite staatlicher und gesellschaftlicher Seite zu beleuchten. Diese Gruppendynamiken innerhalb einzelner, sich radikalisierender Gruppen und die Rivalität zwischen den Gruppen(mitgliedern) werden ebenso ins Bild gesetzt, wie die vorausgegangene Dynamik zwischen militantem Protest der 68er-Bewegung und daraus folgender Radikalisierung einerseits und staatlich-repressiven Reaktionen anderseits.

Terhoeven stellt bei ihrer auf Kontingenz beruhenden Argumentation fest: „Weder kritische Ereignisse noch die besondere Subjektivität der beteiligten Personen mussten als solche zur Ausbildung zur terroristischen Militanz führen“ (S. 123). Terhoeven legt aber eine plausible und logische Sicht der Entwicklung des Linksterrorismus und der vielfältig ineinander verwobenen Zusammenhänge dar, die es der RAF als aktiven Akteur ermöglichten, mit ihrer Form der Kriegführung den Staat zu Überreaktionen herauszufordern. Letztlich waren aber ‚nur‘ 60 bis 80 Personen aus allen drei „Generationen“ als Terroristen im Untergrund.

Terhoevens Kunst der prägnanten und essayistischen Darstellung komplexer Zusammenhänge resultiert wohl auch daher, dass sie lange zu diesem Thema geforscht und eine umfangreiche Habilitationsschrift vorgelegt hat. So liefert auch ihre transnationale Perspektive neue Einsichten in die Netzwerke, die deutsche terroristische Gruppen zu „Genossen“ in westeuropäischen Ländern (insbesondere Italien und Frankreich) hatten. Die hinlänglich bekannten Kontakte zur PLO werden sowohl in ihrer Idealisierung als auch in ihrer antisemitischen Ausrichtung und Ambivalenz abgehandelt.

Terhoeven dekonstruiert nüchtern und mit pointierter Klarheit die in Teilen der militanten Linken fortbestehenden Mythen über die RAF; auch wenn ein zuweilen festzustellender polemischer Unterton irritierend wirkt und für eine wissenschaftliche Argumentation abträglich ist. Sie arbeitet gut nachvollziehbar die gruppendynamischen Prozesse einer ‚Politsekte‘ heraus, die sich in einem moralischen Größenwahn dazu erhob, über Leben und Tod, über Gut und Böse zu entscheiden. „Die terroristische Tat entspringt dabei prinzipiell einem Akt der.“ (S. 16) Nicht eine konsistente (Befreiungs-)Theorie war für die RAF prägend, sondern eine „konsequente Selbstbezogenheit und existentielle Selbsterhöhung“ und diese hatten „ihre Entsprechung in der Faszination, die diesem neuen Tätertypus zumindest in seiner ersten ‚Generation‘ von verschiedenen Seiten entgegengebracht wurde.“ (S. 108)

Terhoeven beurteilt hingegen begründet den „Linksterrorismus als gescheiterte (deutsche) Selbstbefreiung“ (S. 122). Dies macht sie gleichzeitig nicht blind für die dubiosen Machenschaften bundesdeutscher Nachrichtendienste und die noch gründlich zu erforschende Verwicklung des Verfassungsschutzes in die Inkubationszeit des Terrorismus um 1968/69, oder die geheimdienstlichen Überwachungspraktiken im Stammheimer Gefängnis, vor und während der ominösen „Todesnacht“.

Den von Terhoeven geforderten Zugang von Wissenschaftler*innen zu den staatlichen Archiven sollte für einen demokratischen Staat eine Selbstverständlichkeit sein. Ob dadurch die Geschichte der RAF und des Linksterrorismus grundlegend umgeschrieben werden muss, ist wohl eher nicht zu erwarten; aber weitere Lücken in der Forschung ließen sich sicherlich zum Teil schließen. Auf einem Beitrag von Petra Terhoeven zu diesem Komplex könnte man dann gespannt sein.

Rezension von
Prof. Dr. Heinz Lynen von Berg
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Es gibt 2 Rezensionen von Heinz Lynen von Berg.

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Zitiervorschlag
Heinz Lynen von Berg. Rezension vom 28.12.2017 zu: Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt. Verlag C.H. Beck (München) 2017. ISBN 978-3-406-71235-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23623.php, Datum des Zugriffs 06.11.2024.


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