Franz Petermann, Ulrike Petermann: Training mit aggressiven Kindern
Rezensiert von Gertrud Ennulat, 14.06.2005

Franz Petermann, Ulrike Petermann: Training mit aggressiven Kindern.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2005.
11., überarbeitete Auflage.
370 Seiten.
ISBN 978-3-621-27552-1.
D: 44,90 EUR,
A: 46,50 EUR,
CH: 69,90 sFr.
Reihe: Materialien für die klinische Praxis. Mit CD-ROM.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-621-27947-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Ein altes Thema, leider immer noch aktuell
Ein Buch, das in der 11. Auflage erschienen ist, lenkt den Blick zurück ins Ersterscheinungsjahr 1978. Ernüchtert stelle ich fest, dass die Autoren damals bereits das Problem der zunehmenden Aggression bei Kindern wachsen hörten. Was nach wie vor ein Dauerbrenner ist, schützt das Buch davor, eine olle Kamelle zu werden.
Anforderungen an Trainingsprogramme
Der Titel "Training mit aggressiven Kindern" klang damals mutig und bleibt es sicherlich so lange, bis auch der letzte Erwachsene sein Kindheitsparadies Summerhill hinter sich gelassen und eingesehen hat, dass Kinder ein Recht auf Regeln und Vorgaben von verlässlichen Erwachsenen in einem verlässlichen Rahmen haben. Ein gutes Trainingsprogramm ist nur dann effektiv, wenn es die Trainingspartner in die Pflicht nimmt, konsequent am vereinbarten Programm zu arbeiten - und das gilt für den Erwachsenen ebenso wie für das Kind. Die sehr differenzierten Trainingsschritte nehmen dem von kindlicher Aggression geplagten Erwachsenen die Angst, im oft chaotisch anmutenden Feld der Interaktion unterzugehen. Jedes Trainingsmodul ist so klar aufgebaut, dass sich seine haltende Struktur auch auf den nicht therapeutisch geschulten Erwachsenen überträgt und seine pädagogischen Kompetenzen stärkt. Das optisch sehr gelungene Layout macht es dem Leser leicht, sich in den informativen Sequenzen ebenso sicher zu bewegen wie in den detaillierten handlungsorientierten Vorlagen.
Verhaltenstherapeutische Grundlage
Das Buch basiert auf dem Konzept einer verhaltenstherapeutisch orientierten Interventionsstrategie, welche die sozial-kognitive Lerntheorie von Bandura als theoretischen Hintergrund ausweist und konkretisiert dieses in unterschiedlichen Trainingsprogrammen, die zum Abbau aggressiver Verhaltensweisen bei Mädchen und Jungen zwischen 6 und 12 Jahren führen.
Inhalt
Die vielfältigen Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens werden erläutert, ebenso der Kreislauf angstmotivierter Aggression wie die Störungen des Sozialverhaltens durch oppositionelles Trotzverhalten. Eine Klassifikation aggressiven dissozialen Verhaltens ermöglicht die Liste der Symptome, die sich nicht nur auf das aggressive Verhalten gegenüber Menschen bezieht, sondern Tiere und Sachen mit einschließt. Formen aggressiven Verhaltens und oppositionellen Trotzverhaltens werden genannt, die viele Lehrer und Erzieher als Normalverhalten heutiger Kinder im Alltag stillschweigend akzeptieren.
Die diagnostische Vorgehensweise geschieht über die Stationen Befragung und Beobachtung der Bezugspersonen sowie Befragung und Beobachtung des Kindes. Die biologischen, psychischen und sozialen Faktoren bei der Entstehung aggressiven Verhaltens beinhalten wichtige Hinweise auf lernpsychologische Prinzipien, gegen die im Umgang mit aggressiven Kindern sehr oft verstoßen wird, bspw. durch eine zwischen Duldung und Ignorieren schwankende Haltung des Erwachsenen, die eindeutig zu einer Verstärkung kindlicher Aggressivität führt.
Das Konzept setzt sich zusammen aus Modulen zum Einzel- und Gruppentraining und schließt eine Beratung der Eltern und Familien mit ein. Die Fragen und Impulse der Explorationsbögen ermöglichen dem Berater eine genaue Analyse des familiären Umfeldes. Die Eltern- und Familienberatung ist verpflichtend. Mit Hilfe der Vorgaben kann sich der Berater weit in eine Familie hinein wagen und seine Scheu vor Hausbesuchen verlieren. Auch auf diesem Terrain heißt das Ziel des Programms: Entlastung der Eltern, damit sie mit ihrem aggressiven Kind aus dem alten Teufelskreis heraus kommen.
Die einzelnen Bausteine des Einzel- und Gruppentrainings fördern die Eigenaktivität der Kinder, eignen sich sehr gut für Rollenspiele und sind kindgemäß gestaltet. Das Ruhe- und Entspannungstraining arbeitet mit der Figur von Kapitän Nemo und bietet Kindern bspw. Instruktionskarten für die Hosentasche mit dem Spruch "Nur ruhig Blut, dann geht alles gut!" Selbstinstruktion stärkt die Autonomie des Kindes und hilft dabei, sich in kritischen Situationen in Geduld und Ruhe zu üben. Alle Bilder- und Beispielgeschichten haben einen hohen Aufforderungscharakter. Für Lehrer und Erzieher ist gerade dieser Teil eine Fundgrube.
Das Training hilft aggressiven Kindern, ihre eingeschliffenen Wahrnehmungsgewohnheiten zu verändern, damit ihr Blick in die Außenwelt weniger bedrohlich gefärbt ist. Dadurch kann sich die bisher erlebte Vehemenz ihres aggressiven Verhaltens verringern und zu einer Verstärkung des Hemmungspotentials führen. Ein Kind ist dann an einem wichtigen Trainingsziel angelangt, sobald es die Folgen des eigenen Handelns neu bewertet und die Sicht des Gegenübers mit einschließen kann. Geschenkt wird den Teilnehmern nichts, aber sobald aggressive Kinder einen Weg zum positiven Gebrauch ihrer Power gefunden haben, erleben sie einen großen Entwicklungsschub ihrer sozialen Kompetenz. Wenn am Ende bessere Sozialkontakte, eine Steigerung des Selbstwertes bei Kind und Eltern sich zeigen, hat sich die Mühe des Trainings allemal gelohnt.
Eine der Voraussetzungen für den Erfolg des Trainings ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Trainer und Kind. Lehrer sollten sich mit dem Hinweis auf die im Buch benutzte Bezeichnung Therapeut nicht aus der Verantwortung stehlen und die wichtigen Impulse für den Umgang mit Störungen von dieser Seite aufnehmen und umsetzen. Letztendlich führen sie zu einer großen Entlastung im Alltag pädagogischen Handelns.
Eine CD-ROM ist beigefügt. Sie enthält Arbeitsmaterialien zum Ausdrucken, die flexibel einsetzbar sind. Verschiedene Filmdokumente, welche die einzelnen Aspekte der Arbeitsweise illustrieren, sind ausleihbar.
Fazit
Empfehlenswert ist das Buch für Erziehungsberatung, Psychotherapie, stationäre settings. Doch gehört es vor allem in pädagogische Einrichtungen der Lehrerausbildung aller Schularten wie in den Bereich sozialpädagogischer Ausbildung. Schulen im sozialen Brennpunkt können mit diesem Buch konkret im Alltag arbeiten.
Rezension von
Gertrud Ennulat
Pädagogin, Autorin u.a. von „Wenn Kinder lügen“, Klett Verlag 2006
Es gibt 2 Rezensionen von Gertrud Ennulat.
Zitiervorschlag
Gertrud Ennulat. Rezension vom 14.06.2005 zu:
Franz Petermann, Ulrike Petermann: Training mit aggressiven Kindern. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2005. 11., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-621-27552-1.
Reihe: Materialien für die klinische Praxis. Mit CD-ROM.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2364.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.
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