Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa (Hrsg.): Soziale Bildungsarbeit für junge Menschen
Rezensiert von Prof. Dr. Ina Schildbach, 10.01.2018

Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa (Hrsg.): Soziale Bildungsarbeit für junge Menschen. Handlungsfelder, Konzepte, Qualitätsmerkmale.
transcript
(Bielefeld) 2017.
358 Seiten.
ISBN 978-3-8376-3840-0.
D: 39,99 EUR,
A: 41,20 EUR,
CH: 48,70 sFr.
Theorie Bilden, Band 41.
Thema
Angesichts der zahlreichen Studien, die immer wieder aufs neue die wachsende Ungleichheit und insbesondere auch die Armut der Kinder und Jugendlichen in Deutschland aufzeigen, bearbeitet der Band ein aktuelles sowie für Wissenschaft und Praxis der Kinder-und Jugendhilfe hochrelevantes Thema: „Soziale Bildungsarbeit mit jungen Menschen“ meint in Anlehnung an Paul Natorp die Erforschung der Möglichkeit und der Bedingungen einer Pädagogik, die junge Menschen (zwischen 14 und 27 Jahren) in prekären Lebenslagen zum Adressaten hat. Da es hierbei nicht nur um die Analyse der sozialen Bedingung von Bildung, sondern auch um die Voraussetzungen für Erziehung und soziale Unterstützung geht, befindet sich der Forschungsgegenstand somit „im Schnittpunkt aus Erziehungs-, Bildungs- und Sozialarbeitswissenschaft“ (S. 12).
Wie werden sozialarbeiterische Unterstützungsangebote mit solchen der Bildung in den einzelnen Handlungsfeldern verknüpft und welche Entwicklungspotentiale zeigen sich durch deren empirische Untersuchung? Dieses Erkenntnisinteresse begründet, weswegen die Beiträge des Bandes primär nach Qualitätsmerkmalen fragen, die in der Praxis bereits verankert sind oder die in Zukunft verwirklicht werden sollten. Den Herausgebern zufolge liegt die Intention des vorliegenden Bandes darin, „in einer Gesamtschau das Feld der sozialen Bildungsarbeit empirisch zu vermessen und Qualitätsmerkmale des professionellen Handelns zu bestimmen“ (S. 19).
Der Band ist in der Schriftenreihe „Theorie Bilden“ des transcript-Verlages erschienen. Dem Verlag zufolge soll sie den Zusammenhang zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung in Erinnerung rufen „in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden“ (Editorial). Zu diesem Zweck werden Ergebnisse vor allem aus der Erziehungswissenschaft sowie transdisziplinäre Ansätze publiziert.
Herausgeber
Joachim Schroeder ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Lernen unter Bedingungen von Armut und Migration.
Louis Henri Seukwa ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Forschungsschwerpunkte: u.a. Erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung, Postkoloniale Theorien, interkulturelle Bildungsforschung.
Entstehungshintergrund
Das Buch entstand im Rahmen des Kooperativen Graduiertenkollegs „Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit“, das an der Universität Hamburg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg verortet war (2015-2017). Der Herausgeber Joachim Schroeder ist der Sprecher des Graduiertenkollegs, die Autoren/innen sind zumeist Stipendiaten/innen des Kollegs.
Aufbau
Nach einer Einführung in die Gesamtthematik des Bandes durch die Herausgeber gliedert sich das Buch in drei Teile:
- Zunächst wird die „Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Sozialen Dienste“ thematisiert, sodann
- „Soziale Bildungsarbeit im schulischen Kontext“ dargelegt und schließlich
- „Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Kultur- und Medienarbeit“ aufgezeigt.
Der Band schließt mit dem zusammenfassenden Schlusstext „Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit“. Insgesamt umfasst er neben der Einführung und dem Schlusstextes 13 Aufsätze.
Inhalt
In ihrer Einführung umreißen die beiden Herausgeber Joachim Sauer und Louis Henri Seukwa die Kernthemen des Bandes, wobei insbesondere die zentralen Begrifflichkeiten (soziale Bildungsarbeit, Qualität) geklärt werden. Der Leser wird in Forschungsgegenstand und Forschungsfragen des Graduiertenkollegs eingeführt, um den theoretischen Hintergrund und den praktischen Rahmen zu verstehen, in dem sich die Aufsätze bewegen.
Der erste Teil setzt sich mit „Sozialer Bildungsarbeit im Kontext der Sozialen Dienste“ auseinander. Während sich Thorben Struck mit der Qualität von Lernprozessen im informellen Setting des urbanen Raumes beschäftigt, geht Uta Wagner in ihrem Beitragauf die oftmals schwierige Übergangphase von der Jugendhaft in die Freiheit ein. Zwar hat der Gesetzgeber inzwischen einen rechtlichen Anspruch auf ein sogenanntes „Übergangsmanagement“ geschaffen, deren Umsetzung in der Praxis die Autorin darlegt. Dennoch, so argumentiert Wagner, existiert eine „Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis“ (S. 61). Eine Leerstelle zeigt sich zum Beispiel in der fehlenden Einbindung der Familie in die Übergangsmaßnahmen, die aufgrund des zentralen Stellenwerts der Familie für die Jugendlichen dringend behoben werden müsste.
Der folgende Beitrag von Hanna Gundlach beschäftigt sich mit Qualitätskriterien in der Familienbildung. Moussa Dieng erläutert, weswegen„Lebenslagenorientierung“ zur Leitlinie der Organisation von Not- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete werden sollte. Das Dilemma der Sozialen Arbeit besteht dem Autor zufolge darin, dass die vielfältigen rechtlichen Restriktionen, denen Flüchtlinge in Deutschland unterliegen, nur politisch bearbeitet werden können; „strukturelle, aufenthalts-, asyl- und sozialrechtliche Veränderungen“ (S. 98) könnten von der Sozialen Arbeit nicht initiiert werden. Und dennoch muss sie sich darum bemühen, die Bildungs- und Teilhabesituation der Geflüchteten in den Gemeinschaftsunterkünften zumindest zu verbessern. Dies kann, wie das Beispiel der Stadt Bremen zeigt, nur dann gelingen, wenn die Unterstützungs- und Förderangebote eine Professionalisierung erfahren, indem unter anderem das Qualitätsmerkmal der Adressatinnen- und Adressatenorientierung systematisch berücksichtigt wird. Folglich wäre man sich der Heterogenität der konstruierten Gruppe „Geflüchtete“ bewusst (vgl. S. 110) und kann zunächst mit einer Lebenslagenanalyse die unterschiedlichen Bedarfe erfassen und schließlich in der sozialarbeiterischen Praxis berücksichtigen.
Sally Peters beschäftigt sich mit der Thematik der finanziellen Grundbildung: Schätzungen zufolge sind circa 10 Prozent der Deutschen überschuldet, sodass sich die Schuldnerberatung zu einem wichtigen Feld der Sozialen Arbeit entwickelt hat. Dabei wird bislang sowohl in der Forschung als auch in der Praxis vernachlässigt, dass es einen Zusammenhang von fehlender Grundbildung bzw. der Rechenkompetenz und Verschuldung geben könnte, obwohl funktionale Analphabeten/innen häufiger von Überschuldung betroffen sind (S. 127). Stattdessen reduziert sich die Qualitätsdebatte auf diesem Feld – so sie denn geführt wird – auf die Ergebnisqualität, sprich auf die Schuldenfreiheit. Peters zufolge sollte stattdessen die finanzielle Grundbildung als Qualitätskriterium in der Schuldnerberatung berücksichtigt werden. Zugleich muss die Forschung die Fokussierung auf (vermeintliches) individuelles Fehlverhalten aufbrechen, indem auch strukturelle Ursachen des sozialen Problems Überschuldung reflektiert werden.
Gegenstand des Beitrages von Jana Molle ist die Beratung in den Jobcentern zum Zwecke der (Re-) Integration in den Arbeitsmarkt. Beratende Fachkräfte haben ein „doppelte[s] Mandat von Kontrolle und Hilfe“ (S. 144), wobei es besonderer Qualitätsmerkmale bedarf, um Arbeitslose nicht zu „Verfahrensobjekten“ (S. 141) der Beratung zu machen. Molle führt dies am Beispiel des ihrer Ansicht nach zentralen Qualitätsmerkmals „Arbeitsbeziehung“ zwischen den Fachkräften und den Beratenen aus, bei dem es um die Befähigung zur selbstständigen Alltagsbewältigung durch die Soziale Arbeit statt um „Instrumentalisierung durch erwerbszentrierte Aktivierungsstrategien“ (S. 146) gehen muss.
Der diesen Teil des Buches abschließende Beitrag von Daniel Beume und Lisa-Marie Klinger beschäftigt sich mit dem Qualitätsmanagementprozess der öffentlichen Jugendhilfe in Hamburg.
Den zweiten Teil des Bandes „Soziale Bildungsarbeit im schulischen Kontext“ eröffnet Tobias Hensel mit einer Analyse des Übergangs vom Unterricht in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in das allgemeine Bildungssystem: Werden Jugendliche aus der KJP entlassen, müssen sie sich in das reguläre Schulsystem integrieren, was in der Regel eine große Hürde darstellt. Die Verknüpfung der in der KJP offerierten Bildungsmaßnahmen mit spezifischen Unterstützungsangeboten kann zur Bewältigung dieses Übergangs beitragen.
Cornelia Syllas Beitrag widmet sich den schulischen Angeboten für jugendliche Mütter und Tatjana Beer beschäftigt sich mit der schulischen Berufsorientierung.
Im dritten Teil „Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Kultur- und Medienarbeit“ setzt sich Laura Röhr mit der Qualität in der außerschulischen Jugendbildung auseinander. Roxana Dauer geht davon aus, „dass soziale Ungleichheit entlang ‚nationalstaatlicher Zugehörigkeit‘ und der Positionierung von Menschen als ‚Flüchtlinge‘ als das Ergebnis diskursiver Praktiken betrachtet werden kann“ (S. 269), die unter anderem durch die mediale Berichterstattung erzeugt wird.Sozialarbeiter benötigen Dauer zufolge diese diskursanalytische und dekonstruktivistische Sicht, um dadurch sozialer Exklusion entgegenwirken zu können.
Der Beitrag von Sofie Olbers untersucht die Repräsentation von Geflüchteten in den Darstellenden Künsten, um diese machtkritisch zu hinterfragen.
Harald Ansen, Roxana Dauer, Jana Molle, Thorben Struck, Uta Wagner sowie die beiden Herausgeber leisten in dem ausführlichen Schlusstext „Bildung sozial denken“ eine abschließende Gesamtschau der einzelnen Beiträge, die unter anderem in Hinblick auf die in den einzelnen Artikeln herausgearbeiteten, empirisch gewonnenen Qualitätsmerkmale handlungsfeldbezogen zusammengefasst werden. Kern der Ausführungen ist außerdem eine detaillierte Darlegung des Begriffes „sozialer Bildungsarbeit“ sowie der daraus abgeleiteten Konsequenzen für die Soziale Arbeit, die durch das Graduiertenkolleg erarbeitet wurden.
Diskussion
Handlungsfelder, Konzepte und Qualitätsmerkmale der Sozialen Bildungsarbeit stellen das einende Band der unterschiedlichen Beiträge in diesem Band dar. Er bietet einen instruktiven Überblick über den Stand der Implementierung von Qualitätskriterien in verschiedenen Bereichen primär der Kinder und Jugendarbeit. Den Aufsätzen gelingt dabei eine Verknüpfung von empirisch gewonnenen Erkenntnissen mit einer theoretischen Fundierung, wenn sie sich auch – wie zumeist in einem Sammelband – in ihrer Qualität als durchaus heterogen erweisen.
Trotz der unterschiedlichen Praxisfelder, auf die im Band Bezug genommen wird, und angesichts der Interdisziplinarität des Gegenstandsbereichs gelingt es den Herausgebern, die Beiträge in den Kontext der Sozialen Bildungsarbeit einzuordnen. Da dieser Zusammenschluss primär im Schlusstext geleistet wird und auch erst hier eine ausführliche Begriffsbestimmung des relativ neuen – wenn auch nicht neu in der Sache – Terminus der Sozialen Bildungsarbeit geleistet wird, sei dem/der Leser/in empfohlen, das letzte Kapitel in der Lektüre vorzuziehen.
Mit dem Band von Schroeder und Seukwa liegt insgesamt also eine gelungene Synthese aus detailliertem Einblick in die Praxis und theoretischer Fundierung von „sozialer Bildungsarbeit“ vor, die den Lesern/innen einen Überblick über den Status Quo der Qualität unterschiedlicher Unterstützungs- und Bildungsangebote bietet.
Fazit
Die Beiträge des Bandes bieten einen theoretisch fundierten Überblick über die Weise, wie alltagsorientierte Hilfen mit sozialen Bildungsangeboten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe verknüpft werden und darüber, welche Qualitätsmerkmale dabei institutionell und konzeptionell berücksichtigt werden bzw. zukünftig implementiert werden sollten. Es richtet sich dadurch an Professionelle unter anderem in der Schuldnerberatung, in Gemeinschaftsunterkünften von Geflüchteten sowie in den Klinikschulen. Angesprochen werden aber auch Erziehungs-, Bildungs- und Sozialarbeitswissenschaftler/innen, die auf diesem Feld an interdisziplinärer Forschung interessiert sind.
Rezension von
Prof. Dr. Ina Schildbach
Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpolitik an der OTH Regensburg
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