Ulrike Backhaus: Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer
Rezensiert von Dr. Mechthild Herberhold, 06.03.2018

Ulrike Backhaus: Personzentrierte Beratung und Therapie bei Verlust und Trauer. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2017. 188 Seiten. ISBN 978-3-497-02667-8. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Thema
Was macht für Menschen in Trauerprozessen eine Beratung hilfreich? Ulrike Backhaus führt in ihrem Buch „den Personzentrierten Ansatz mit dem fachlichen Wissen um Trauerprozesse und die Unterstützung von Menschen bei Verlusten zusammen“ (12). Ausgehend von der Beobachtung, dass sich in Deutschland „Hospiz- und Selbsthilfegruppenbewegungen … und die Berufsgruppen der Berater und Psychotherapeuten seltsam fremd und unverbunden gegenüber[stehen]“ (12), ist es der Autorin ein Anliegen, das vorhandene Wissen und die Erfahrungen beider Seiten zu verbinden.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich an diejenigen, die trauernde Menschen begleiten (werden), d.h. an TherapeutInnen und BeraterInnen, an Studierende und BerufsanfängerInnen sowie an Ehrenamtliche etwa in der Hospizarbeit.
Autorin
In ihrer Praxis für Psychotherapie, Paar- und Trauerberatung begleitet und unterstützt Ulrike Backhaus seit 2004 Menschen bei „Krise – Verlust – Trauer – Entwicklung – Neubeginn“ (www.ulrike-backhaus.de). Dabei kann sie auf langjährige Erfahrungen und vielfältige Ausbildungen zurückgreifen. Sie ist Dipl. Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin und Heilpraktikerin (Psychotherapie), hat eine Zusatzausbildung in personzentrierter Psychotherapie (Gesprächstherapie) abgeschlossen und weitere umfangreiche Fortbildungen in den Bereichen der Paartherapie/Paarberatung und der Trauerberatung absolviert. In den Jahren 1987 bis 1995 hat sie kranke, sterbende und trauernde Menschen in Krankenhäusern und Hospizen begleitet. Seit 2005 bildet sie HospizmitarbeiterInnen, Pflegekräfte und TrauerbegleiterInnen mit aus. Biographische Erfahrungen – „Trauer ist eines der zentralen Themen in meinem Leben“ (9) verrät die Autorin im Vorwort des Buches – tragen mit zu ihrer umfassenden Kompetenz bei.
Aufbau und Inhalt
Das Buch besteht – neben Vorwort, Nachwort, Danksagung, Literatur und Sachregister – aus acht Kapiteln.
In der Einleitung (1. Kapitel) greift die Autorin die oben genannte Ausgangslage auf, sie legt offen, warum und für wen sie dieses Buch schreibt, und gibt Hinweise zum Aufbau des Buches und dem Umgang damit.
Die „Grundlagen des Personzentrierten Ansatzes in Psychotherapie und Beratung“, den der Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers entwickelt hat, sind Thema des 2. Kapitels. Rogers´ Ansatz nimmt die KlientInnen als ganze Menschen wahr und vertraut auf die positiven Entwicklungskräfte in jedem Menschen. Aufgabe der BeraterInnen ist es, sie nicht-direktiv, durch Echtheit, Wertschätzung und Empathie auf ihrem je eigenen Bewältigungs- und Heilungsweg zu unterstützen.
Im 3. Kapitel „Personzentrierte Grundhaltungen und Werte im Umgang mit Trauer und Verlust“ geht Ulrike Backhaus auf die Entstehung von Hospizbewegung und Selbsthilfegruppen und deren Position(en) ein. Was dort gedacht, gelehrt und umgesetzt wird, weist große Nähe zu Rogers´ Ansatz auf: es geht um menschliche Nähe und Ressourcenorientierung, und nicht darum, jemanden zu diagnostizieren oder zu verändern. Auf mehreren Seiten stellt die Autorin die Ende der 1980er Jahre in Essen entwickelte „Klientenzentrierte Trauertherapie“ vor, die die Grundprinzipien der Personzentrierten Beratung explizit auf die Begleitung von trauernden Menschen bezieht.
Das 4. Kapitel befasst sich mit dem „Trauerprozess aus fachlicher Sicht“. Beginnend bei Sigmund Freud stellt die Psychotherapeutin verschiedene Ansätze von Trauertheorie und Trauermodellen vor (4.1 und 4.3.), etwa das Duale-Prozess-Modell, das Verlust- und Wiederherstellungsorientierung als Pole sieht, zwischen denen sich Trauernde bewegen. Ausführlich schildert sie eine durch Chris Paul erweiterte Fassung von William Wordens Modell der Traueraufgaben (4.2), mit dem sie selbst gerne arbeitet, wie sie im Buch anmerkt (45). Abschließend gibt sie wertvolle Hinweise, wie man theoretische Modelle in der Beratungspraxis nutzen kann (4.4): Das Wissen wird hier nicht für eine Symptombeurteilung und Diagnose gebraucht, sondern es hilft vor allem bei der Akzeptanz unterschiedlicher Trauerreaktionen, beim empathischen Verstehen, bei der Auswahl der Beratungsinterventionen und beim Aufbau der Beratungsbeziehung.
„Aspekte aus der Existenzphilosophie“ präsentiert Ulrike Backhaus im 5. Kapitel. Unter Rückgriff auf Hans Swildens, Paul Tillich, Bronnie Ware und andere zeigt sie auf, wo existenzielle Aspekte in der Gesprächspsychotherapie allgemein und insbesondere mit Trauernden eine Rolle spielen. Die existenzielle Sichtweise sieht sie „als Bereicherung des Personzentrierten Ansatzes“ (71) und fordert dazu auf, für die existenzielle Dimension stets offen zu sein, ohne sie den KlientInnen überzustülpen.
Unter dem Titel „Wenn Trauer problematisch wird“ (6. Kapitel) stellt sie Konzepte erschwerter und komplizierter Trauer vor. Sie hinterfragt Bestrebungen, Trauer als psychiatrische Diagnose zu verstehen (6.1), und erläutert die Begrifflichkeit des Bundesverbandes Trauerbegleitung (nicht-erschwerte Trauer, erschwerte Trauer, komplizierte/verlängerte/anhaltende Trauer und traumatische Trauer; 6.2). Sie unterscheidet zwischen verzögerter Trauer und resilienzbedingt milderen Trauerverläufen (6.3) und wirft einen kritischen Blick auf den Umgang mit Diagnosen in der personzentrierten Trauerberatung (6.4).
Im 7. Kapitel, dem umfangreichsten, gewährt die Psychotherapeutin und Trauerberaterin einen Einblick in ihre Praxis. Anhand von zahlreichen Fallbeispielen zu verschiedenen Trauerreaktionen, ergänzt durch zwei Exkurse (zu Schuld im Trauerprozess und zur Trauer von Kindern und Jugendlichen), stellt sie ihre Arbeit mit dem personzentrierten Ansatz konkret vor und reflektiert diese. Im Beispiel einer ambivalenten Beziehung zum Verstorbenen etwa arbeitet sie mit dem Klienten an den vergangenheitsorientierten Fragen „Was war mir wichtig?“ und „Womit hatte ich es schwer?“ sowie an den gegenwartsorientierten Fragen „Was möchte ich mir bewahren?“ und „Wovon grenze ich mich ab?“ (117). Symptome bei traumatisiert Trauernden bearbeitet sie sofort. „Dahinter steht eine Sichtweise, die die Symptome nicht nur im Rahmen eines kausalen Denkens als Folgen bestimmter Ursachen sieht, die beseitigt werden müssen, sondern auch als eingebrannte ‚Gewohnheiten‘ in Geist und Psyche, die pragmatisch durch die Schaffung anderer Begleitbedingungen zu beeinflussen sind“ (127). An vielen Stellen wird deutlich, mit welcher Wertschätzung, Sensibilität und Präsenz Ulrike Backhaus in die Beratungen geht. Die Trauernden stehen ganz klar im Mittelpunkt: „In der Regel richte ich mich in meiner Arbeit nach dem Erzählfluss meiner Klienten und vertraue darauf, dass sie mich im Erzählen zu den Themen führen, die für sie wichtig sind und daher des genaueren Verstehens bedürfen“ (125).
„Selbstschutz und Selbstpflege für Beratende“ (8. Kapitel) gehören für die Therapeutin zum professionellen Arbeiten dazu. Sie regt an, mit sich selbst stets genauso achtsam und wertschätzend umzugehen wie mit den KlientInnen, sich mit eigenen Verlusterfahrungen zu befassen, sich den eigenen Nutzen in der Arbeit bewusst zu machen, den Austausch mit TeamkollegInnen zu pflegen, die eigene Tätigkeit und Einstellung zu reflektieren und nicht zuletzt der Lebensfreude einen Platz zu geben.
Im Nachwort zieht Backhaus, die ja auch unterrichtet, Parallelen zu einem Seminarabschluss. Sie spricht die LeserInnen direkt an, lädt sie ein, „zu überlegen, was aus diesem Buch Sie gebrauchen können und was eher nicht“ (173) und gibt ihnen gute Wünsche zum Thema mit.
Diskussion
Die Autorin schlägt einen weiten Bogen: vom Personzentrierten Ansatz, Trauerprozessen und existenzphilosophischen Aspekten über ihre Beratungspraxis bis hin zur Selbstpflege für diejenigen, die trauernde Menschen begleiten. Vor- und Nachwort ordnen den Gesamttext ein. Der klar strukturierte Aufbau, das detaillierte Inhaltsverzeichnis, das Sachregister und zahlreiche Verweise innerhalb des Buches ermöglichen es, Themen schnell gezielt nachzuschlagen.
Ulrike Backhaus formuliert anschaulich und spannend. Es gelingt ihr, jeweils auf wenigen Seiten die Grundzüge des jeweiligen Themenaspektes verständlich zu machen. Der rote Faden ist durch viele Überleitungen zu Beginn oder Ende der Kapitel permanent klar. Dass die Therapeutin personzentrierte Beratung lebt, sich „den Werten personzentrierter Arbeit in der Tiefe verpflichtet“ fühlt (13), wird in ihrem Text deutlich. Sie bezieht sich auf eine Vielzahl von Vor- und MitdenkerInnen und macht transparent, wem sie ihre Inspirationen verdankt. Mit kurzen Zitaten gibt sie einen Eindruck von der genannten Position, Literaturhinweise ermöglichen bei Bedarf eine Vertiefung. Backhaus schreibt an keiner Stelle belehrend und doch überaus inspirierend und lehrreich. Die ersten Kapitel erweitern das Wissen in Bezug auf Trauerprozesse, das Praxiskapitel regt dazu an, die eigene Arbeit mit Trauernden zu reflektieren, und die Ausführungen im Selbstsorgekapitel entsprechen einem wertschätzenden Menschenbild generell (nicht nur KlientInnenbild).
Am Ende des Buches habe ich fast den Eindruck, dass ich mich mit einer Kollegin austauschen konnte. Ja sicher, Ulrike Backhaus hat meine Gedanken, meine Zustimmung, meine Einwände und Fragen nicht gehört. Und dennoch ist sie auf viele von ihnen im Laufe des Buches eingegangen. Ich bin dankbar für diese umfangreiche, fundierte und anregende Zusammenstellung, habe das Buch gern gelesen und werde es sicherlich immer wieder zur Hand nehmen.
Ob Ehren- oder Hauptamtliche, ob BeraterIn, TherapeutIn oder MitarbeiterIn in Einrichtungen des Gesundheitswesens, ob in eigener Praxis oder im Hospiz – LeserInnen dürften in jedem Falle fündig werden. Die Autorin schlägt nicht nur die Brücke zwischen Hospiz- und Selbsthilfegruppenbewegungen und den BeraterInnen/PsychotherapeutInnen, sie macht auch deren Wissen – quasi die Brückenpfeiler – anschaulich. Sie präsentiert eigene Beratungsprozesse, legt ihre Interventionen offen und kommentiert sie zum Teil aus ihrer heutigen Wissens- und Erfahrungsperspektive.
Fazit
Das Buch ist breit aufgestellt, behandelt vielfältige Aspekte kurz und informativ, fast ein Handbuch, angenehm zu lesen. Auf jeden Fall ist es allen zu empfehlen, die mit trauernden Menschen arbeiten – PsychotherapeutInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen, Pflegenden, SeelsorgerInnen, SozialarbeiterInnen, Ehrenamtlichen und anderen. Darüber hinaus ist durchaus vorstellbar, dass auch Angehörige und Menschen in Trauerprozessen von der Kompetenz und dem einfühlsamen Stil der Psychotherapeutin profitieren.
Rezension von
Dr. Mechthild Herberhold
Ethik konkret, Altena (Westf.).
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