Ahmet Toprak: Auch Alis werden Professor
Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 07.12.2017

Ahmet Toprak: Auch Alis werden Professor. Vom Gastarbeiterkind zum Hochschullehrer. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2017. 170 Seiten. ISBN 978-3-7841-3020-0. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Es geht in dem vorliegenden Buch zwar um eine private Geschichte, das Thema des Buches ist aber im Kern auch eines, zu dem der Autor seit Jahren forscht: Integration. Eine gute Schulbildung ist einer der wesentlichen Faktoren für den Integrationserfolg. Der Autor, der ein Bildungspendler ist, will durch die Beschreibung seines alles andere als geradlinigen Wegs vom Hauptschüler zum Professor an einer deutschen Hochschule aufzeigen, wie sein Bildungsaufstieg gelang. „Anhand meiner Biografie soll deutlich werden, dass Integration von vielen Faktoren abhängt.“ (S. 14)
Autor
Dr. phil. Ahmet Toprakist Diplom-Pädagoge und Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften. Darüber hinaus ist er auch tätig in der Weiter- und Fortbildung für Multiplikatoren mit interkulturellem Ansatz.
Aufbau und Inhalt
Ahmet Toprak legt hier seine Autobiographie vor, die den Zeitraum von seiner Geburt bis in die Gegenwart umfasst. Das Buch ist zwar chronologisch gegliedert, es gibt aber zwischendurch auch zeitliche Sprünge.
Abgesehen vom Geleitwort von Serap Güler, Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, und dem Vorwort, in dem der Autor kurz erläutert, warum er dieses Buch geschrieben hat, sind die Abschnitte des Buches wie bei Autobiographien üblich nach komprimierten Lebensereignissen in sieben Kapitel gegliedert.
Im ersten Kapitel Die Anfänge der Migration – oder: Radfahren auf der A 3 werden viele bemerkenswerte Ereignisse und Begebenheiten geschildert: Hintergründe zur Entscheidung seines Vaters, nach Deutschland zu gehen, Schlaglichter aus dem Leben der Angehörigen der ersten „Gastarbeitergeneration“ aus dem Umfeld seines Vaters und Herkunftsort des Autors, ein kleines Dorf aus einer sehr konservativen Gegend Inneranatoliens sowie die Großstadt (Kayseri), in der er eingeschult wird.
Das zweite Kapitel Das Leben auf einem anderen Stern – oder: als an der Hauptschule die Ausländer in der Minderheit waren enthält Episoden aus der Hauptschulzeit, in die der Autor mit zehn Jahren in Köln eingeschrieben wurde. Bemerkenswert und interessant sind immer wieder die relativ nüchternen, aber auch an richtigen Stellen pointierten Beschreibungen und Darstellungen von Begegnungen („Mein erster deutscher Satz: ‚Keine Angst, er will nur spielen‘“), von seiner ersten Wahrnehmung Deutschlands („Die deutsche Ordnung“), von der Hauptschule und den Umgangsformen der dort Lehrenden mit Schüler/innen wie dem Autor („Warum Lehrer keine Pädagogen sind“ oder „Der Islam ist an allem schuld“) sowie von der dortigen Atmosphäre („Gewalt in der Schule“).
Das dritte Kapitel Integration ins soziale Leben – oder: Wie man ohne Lesen und Schreiben in der Arbeitswelt überlebt enthält hauptsächlich Beschreibungen aus der Lebenswelt der Familie Toprak: Fahrrad fahren und schwimmen lernen („Was man mit fünf nicht kann, muss man mit zehn lernen“), Wohnverhältnisse („Das Leben auf 70 qm ohne Badewanne“), Rückkehr seines älteren Bruders und seiner Schwester in die Türkei („Integration funktioniert nicht“) und auch die Entscheidung des Autors selbst für die Rückkehr in die Türkei nach seinem Hauptschulabschluss – er will den von seinem Vater bestimmten „Albtraumberuf“ Schlosser nicht lernen.
Das vierte Kapitel ist dem Leben in der Hauptstadt – eine Dreier-WG und Nachhilfe in Deutsch mit Tutti Frutti gewidmet. Der Autor beschreibt sein Leben in Ankara in einer Wohngemeinschaft mit seinen Verwandten und schildert seine anfänglichen Schwierigkeiten in der Schule („das autoritäre Schulsystem“), die er nach dem ersten Kulturschock überwindet. Es macht ein gutes Abitur, besteht die Hochschulaufnahmeprüfung und nimmt sein Anglistik-Studium auf. Das Kapitel schließt mit dem Zustandekommen des Entschlusses, nach circa einem Jahr das Anglistik-Studium in Deutschland fortzusetzen.
Am Ziel angekommen – Student an einer deutschen Universität heißt der Titel des umfangreichsten sechsten Kapitels, das der Studienlaufbahn des Autors gewidmet ist. Für die Fortsetzung seines Anglistik-Studiums mit einem Nebenfach (Germanistik) an der Universität Bonn muss Toprak zunächst einen Deutschkurs besuchen. Er bekommt seinen alten Aufenthaltsstatus als Familienangehöriger zurück und hat damit eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Er beschreibt im weiteren Verlauf den Wechsel des Studiums zur Pädagogik auf Diplom an der Universität Regensburg und manche seiner Erlebnisse in Bayern („Ist Bayern schlimmer als Ausland?“, „Wie ist es in Bayern sonst so?“) und im Studium. Mit zügigem Tempo schließt Toprak sein Studium ab und übernimmt kurz danach die Durchführung von Anti-Gewalt-Trainings mit straffällig gewordenen Jungen bei der Arbeiterwohlfahrt in München. Er absolviert eine berufsbegleitende Weiterbildung zu diesem Thema und bekommt dort die Anregung zu promovieren. So kommt er zum Promotionsstudium an die Universität Passau in Pädagogik sowie Schulpädagogik und Psychologie als Nebenfächer. Auch dieses absolviert er recht zügig trotz seiner Teilzeitarbeit an dem denkwürdigen Tag 11.09.2001. Weitere folgende Episoden betreffen die Einbürgerung („Ich weiß nicht, ob Sie Deutsch können“) und sein „besonderes Verhältnis zur bayerischen Polizei“.
Die zitierte Aussage des Hausmeisters einer Schule Jetzt werden die kleinen Alis auch noch Professor! ist nicht nur der Titel des sechsten Kapitels, sondern etwas gekürzt auch der des Buches. Dieses enthält Beschreibungen einerseits dazu, wie man in Deutschland Professor wird, andererseits aber wie Ahmet Toprak Professor wurde, bis hin zu seinem ersten Arbeitstag als Professor an seiner aktuellen Arbeitsstätte.
Das abschließende Kapitel trägt den Titel Trotz der Professur – bleibt der Türke immer Türke? und enthält einige Anekdoten („Wirst du Hausmeister?“, „Diese Wohnung ist nichts für Sie“, „Ich glaube, du bist wirklich Professor!“, „Machen Sie bitte schneller, wir warten auf den Herrn Professor“, „Herr Toprak, haben Sie kein Geld für ein Auto?“), die das Fragezeichen im Titel rechtfertigen.
Dem Schlusskapitel ist eine Erklärung angehängt, was aus den Mitgliedern der Familie von Ahmet Toprak wurde.
Diskussion und Fazit
Es gibt wenig Bücher, die der Rezensent in einem Zug gelesen hat. Dieses Buch gehört dazu. Das liegt sicher nicht nur an seiner sehr guten Lesbarkeit, sondern auch daran, dass der Rezensent sich in vielen Passagen dieses Buches wiederfindet, weist doch seine Biografie viele Ähnlichkeiten mit der vorgelegten auf. Obwohl die Übernahme seiner Professur im Vergleich zur Ahmet Topraks vierzehn Jahre zurückliegt, scheint sich im Bildungssektor in diesem Zeitraum diesbezüglich nicht viel geändert zu haben.
Eine solche Autobiographie zu veröffentlichen verlangt viel Mut, denn der Autor beschreibt seine persönlichen Erlebnisse und seine Empfindungen ohne Beschönigungen. Das offenbart natürlich auch ehrliche, fast intime Blicke auf den Autor und auf seine Familie.
Topraks subjektive Darstellung lässt den/die Leser/in erkennen, dass hier, wie Serap Güler im Geleitwort zutreffend feststellt, nicht nur eine Geschichte des Bildungserfolgs von Ahmet Toprak erzählt wird, sondern auch die Erfolgsgeschichte seiner Eltern. Diese haben trotz widriger Umstände wie fehlender eigener Bildung, fehlender Sprachkenntnisse allen ihren sechs Kindern eine gute Bildung ermöglicht. Zudem „ist die Geschichte auch ein Zeugnis des Danks und des Respekts gegenüber der sogenannten erster (sic.) Generation der Gastarbeiter“ (S. 9).
Was das Buch auch gut vermittelt, ist einerseits die scheinbare Widersprüchlichkeit des Bildungssystems, dessen Bildungseinrichtungen zwar allen offen und zugänglich sind, aber doch wieder nicht. Denn wie die Biografie von Toprak zeigt, gelingt der Bildungserfolg im deutschen Bildungssystem solchen Personen wie Toprak, wenn dann erst auf Umwegen. Andererseits wird deutlich, dass Menschen mit Migrationsgeschichte immer wieder Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus in ihrem (Bildungs-)Alltag erfahren, die nicht besonders förderlich sind und entmutigend für den Bildungsverlauf sein können. Ahmet Toprak hatte dennoch Erfolg, weil er starken Willen, Selbstvertrauen und auch Glück hatte, insofern dass er die richtigen Entscheidungen traf, die auch von seiner Familie getragen wurden.
Neben der Authentizität besticht das Buch durch zahlreiche eingestreute Informationen sowie durch den mal nüchternen, mal heiteren, in jedem Fall aber vorzüglichen Schreibstil und die außerordentliche Lesbarkeit. Daher verdient diese Publikation das Prädikat „besonders wertvoll“, kann daher allen, die an Bildungs- und Integrationsfragen interessiert sind, uneingeschränkt empfohlen werden.
Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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