Michael Gehler: Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung, Zusammenhalt
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 06.12.2017

Michael Gehler: Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung, Zusammenhalt. Lau-Verlag (Reinbek) 2017. 3., komplett überarbeitete und erheblich erweitert Auflage. 1318 Seiten. ISBN 978-3-95768-188-1. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR.
Thema
Geschichtsschreibung ist Fortschreibung von Wirklichkeiten und Veränderungsprozessen. Von der wissenschaftlichen Europaschmiede und Geschichtswerkstatt, dem Institut für Geschichte der Stiftung Universität Hildesheim, kommt wieder etwas Neues! Der Lehrstuhlinhaber und Jean-Monnet Chair ad personam für vergleichende Zeitgeschichte Europas und europäischer Integrationsgeschichte, Michael Gehler, gibt das erstmals 2010 erschienene Werk (Michael Gehler, Europa. Ideen – Institutionen – Vereinigung, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/13724.php ) in neuer, erweiterter und aktualisierter Auflage heraus. Er stellt sich damit der Herausforderung, die sich verändernden positiven, stagnierenden und negativen Entwicklungen im europäischen Einigungsprozess zu beobachten und zu analysieren.
Gehler nimmt mit dem umfangreichen Werk mit dem Datum des 60jährigen Jubiläums der Unterzeichnung der Römischen Verträge und damit der neueren Geburtsstunde eines Gemeinsamen Europas die Entwicklungen auf, erläutert und analysiert die historischen Hintergründe, Ursprünge und Zusammenhänge und diskutiert Perspektiven, wie der Gedanke der europäischen Einigung gegen verzögernde und widerständige Prozesse verwirklicht werden kann, um damit den Europagedanken in ein notwendiges und unverzichtbares Eine-Welt-Bewusstsein zu bringen.
Aufbau und Inhalt
Die Sorge der Europaüberzeugten, dass der historische und aktuelle Europagedanke in den Zeiten von Brexit und nationalen Egoismen, Nationalismen und Populismen Schaden nehmen könne, wird von Michael Gehler nicht mit einem Lamento oder gar fatalistischen Auffassungen versehen; vielmehr verdeutlicht er und fordert dazu auf, „das einmalige Projekt der Geschichte Europas … ausgewogen, angemessen, sachgemäß und dabei nicht weniger kritisch“ zu betrachten und zu verteidigen.
Er gliedert sein Werk in sieben Kapitel.
- Im ersten diskutiert er die „Ursprünge und Charakteristika“ der historischen Entwicklung des Kontinents Europa und zeigt die Janusköpfigkeit des politischen und kulturellen Werdens auf.
- Im zweiten stellt er „Historische Europa-Ideen im Spannungsfeld von Anspruch, Vision und Wirklichkeit“ dar.
- Im dritten Kapitel verdeutlicht er den „Weg vom Europa der Institutionen zur Vereinigung des Kontinents“.
- Im vierten entwickelt er für die „EU im 21. Jahrhundert“ Zukunftsperspektiven mit Blick auf eine europäische Identitätsbildung und plädiert für Geduld und Realismus.
- Im fünften Kapitel spricht der Autor vom „Triumph einer Trias“, indem er eine positive Bilanz zieht bei den institutionellen Bemühungen, Ideen, Institutionen und Vereinigungsprozesse zu bündeln.
- Mit dem sechsten Kapitel stellt der Autor „die Europäische Union im Zeichen einer mehrdimensionalen Komplexitätskrise der Gegenwart“ dar; und
- im siebten Kapitel formuliert er „Ideen – Institutionen – Europäisierung“, indem er mit Zuversicht und Optimismus Garantien benennt, wie eine gesicherte Zukunft und ein EU-Zusammenhalt aussehen könnte. Die Analysen und Perspektiven sind von der optimistischen Hoffnung und der positiven Erwartungshaltung getragen, dass eine humane, friedliche, gleichberechtigte und demokratische europäische Einigung zustande kommt.
Gehler bringt es auf den Punkt: „Der Zusammenhalt der Union ist für die Akteure der EU und ihre Mitgliedsstaaten zunächst weniger eine vordringliche Aufgabe zur Neubegründung basierend auf dem Anliegen einer Kulturethik…, sondern vielmehr eine Frage der Verantwortungsethik für den inneren Frieden Europas wie auch für eine europäische Politik der äußeren Friedfertigkeit und Stabilisierung sowohl mit Blick auf die unsicheren Nachbarschaften als auch im Sinne eine Beitrags der EU für den Weltfrieden“.
Etwas mehr als ein Drittel des umfangreichen Bandes nehmen die Anmerkungen und Quellenhinweise ein, das Glossarium als für den Leser hilfreiches Kompendium, die Chronologie der Geschichte des Europas der Institutionen, das Abkürzungsverzeichnis, das Verzeichnis der zahlreichen (SW)Abbildungen und Karikaturen mit Quellenangaben, die Bibliographie zur Geschichte Europas und zur europäischen Integration, die Linkhinweise und das Personenverzeichnis.
Fazit
Dass eine humane, demokratische, friedlich und lokal- und globalpolitische Entwicklung etwas mit dir, mir und allen Europäern zu tun hat, wird auch deutlich in dem Werk, das Gehler ebenfalls 2010 veröffentlicht hat: Deutschland. Von der Teilung zur Einigung 1945 bis heute, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/13169.php, und das er ebenfalls 2017 in Zusammenarbeit mit dem Historiker Maximilian Graf vom Institut für Neuzeit und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vorlegt: Michael Gehler / Maximilian Graf, Hg., Europa und die deutsche Einheit. Beobachtungen, Entscheidungen und Folgen. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, Festeinband, 848 S., 60,00 Euro (Print), 49,99 Euro (E-Book), ISBN 978-3-525-30186-9.
Das Buch, in erster Auflage 2005 erschienen, in der zweiten Auflage 2010 erweitert und nun in der dritten Auflage die neue Entwicklung berücksichtigend, will einen Überblick über die Geschichte des vereinten Europa vermitteln und für Studierende und Interessierte Informationen anbieten, „dass die Entwicklung und Propagierung von Ideen sowie ihre Umsetzung, also die daraus folgenden Institutionenbildungen nicht nur entscheidend für die wirtschaftliche Integration, sondern letztlich auch für die politische Vereinigung des Kontinents waren“, und weiterhin sind. Man wird sicher sein können, dass von der Hildesheimer Europaschmiede der weitere Integrations- und Vereinigungsverlauf Europas in der vierten Auflage (2022?) registriert und analysiert wird – hoffentlich mit einer weiteren, festigenden und zukunftsweisenden, gemeinsamen europäischen Entwicklung!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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