Ingrid Brodnig: Hass im Netz
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.01.2018

Ingrid Brodnig: Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Brandstätter Verlag (Wien) 2016. 230 Seiten. ISBN 978-3-7106-0035-7. D: 17,90 EUR, A: 17,90 EUR.
Fake News oder Faktencheck?
„Wir werden sie jagen“, das ist die eine populistische Kakophonie, die von der Ideologie und der Fake-Politik mehr verrät, als den Verursachern bewusst ist und recht sein kann. Die andere Diskussion kündet davon, dass die individuellen und lokal- und globalgesellschaftlichen Einflussnahmen, die sich durch die Neuen Technologien ergeben, eine kritische Aufmerksamkeit erforderlich machen. Die Imponderabilien verdeutlichen sich in Stichworten wie „gehetzte Politik“ (Bernhard Pörksen / Wolfgang Krischke, Hrsg., Die gehetzte Politik. Die neue Macht der Medien und Märkte, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/14641.php), „entfesselter Skandal“ (Bernhard Pörksen / Hanne Detel, Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13302.php), „Big Data“ (Ramón Reichert, Hrsg., Big Data. Analysen zum digitalen Wandel von Wissen, Macht und Ökonomie, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17608.php) und „Medienlügen“ (Jörg Becker, Medien im Krieg – Krieg in den Medien, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/20864.php).
Entstehungshintergrund und Autorin
Nun ist es so, dass Veränderungen, die das private wie gesellschaftliche Leben der Menschen in unterschiedlicher Weise beeinflussen, sowohl positive als auch negative Wirkungen haben können. Es ist unbestritten, dass die Digitalisierung und Medialisierung in der Welt Fortschritte gebracht hat, sich als begrüßenswerte und innovative Weiterentwicklung der Menschheit darstellen. Es ist aber auch gleichzeitig so, dass die Neuen Technologien Machtstrukturen schaffen, die Abhängigkeiten produzieren, Manipulationen bewirken und zum Schaden für eine humane, gerechte, selbstbestimmte und menschenwürdige Entwicklung werden. Der Medienkrieg um die Wahrheit ist in vollem Gange. Die Medienkritik ist gefordert! (vgl. dazu auch: Maximilian Probst / Daniel Pelletier, Der Krieg gegen die Wahrheit, DIE ZEIT, Nr. 51 vom 7.12.2017, S. 58f).
Die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig setzt sich ein für eine digitale Debattenkultur, bei der im Mittelpunkt steht, was individuelles und kollektives, humanes Menschsein ausmacht und als „globale Ethik“ in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte postuliert ist: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. In ihrem Buch „Hass im Netz“ (2016) zeigt sie auf, was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Mit ihrem neuen Buch „Lügen im Netz“ setzt sie sich vor allem mit Fake News auseinander, wie sie von Populisten und kriminellen Machern zur Manipulation von Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen in Gang gesetzt werden. Für ihr Engagement wurde sie 2017 zum „Digital Champion Österreichs für die Europäische Kommission“ gekürt.
Aufbau und Inhalt
Menschen waren immer schon – und sind es vor allem in den Zeiten der so genannten sozialen Medien, in denen Anonymität, Spontaneität und Unverbindlichkeit serviert werden – anfällig für wohlfeile, manipulierte und allzu vereinfachende, falsche Informationen, die ihre Instinkte und Wünsche zu befriedigen scheinen, ohne eigene Anstrengung, Nachdenken und Nachfragen notwendig machen. So entstehen nationalistische, rassistische, ego-, ethnozentristische und populistische Bewegungen: „Im Netz ist ein Markt an Irreführung und Desinformation entstanden, der bis zu ‚Fake News‘ reicht, also vollständig erfundenen Meldungen“. Das World Wide Web ist von Menschen gemacht. Es muss deshalb auch daraufhin geprüft werden, wie wahrheitsgemäß und menschenwürdig darin agiert wird. Die Autorin gliedert ihr Aufklärungsbuch in fünf Teile. In den ersten Kapiteln zeigt sie auf, in welchem Ausmaß Irreführungen im Netz bereits wirksam sind und sucht nach den Gründen und Hintergründen dieser Fälschungen. Im zweiten Teil diskutiert sie, wie sich diese Tendenzen und Machtverhältnisse lokal und global darstellen. Im dritten Teil fragt sie danach, ob wir uns tatsächlich bereits in einem „Informationskrieg“ befinden. Im vierten Teil nennt sie Agenten, Internetnutzer und Gruppierungen, die das Ziel verfolgen, politisch und ökonomisch falsche Meldungen und gefälschte Studien in die Öffentlichkeit zu bringen und z.B. Wahlen zu beeinflussen. Im letzten Teil schließlich nennt sie Rechtsgrundlagen, bietet technische, widerständige Lösungsmöglichkeiten an und gibt Hinweise, wie ein wahrhaftiger, toleranter Internet-Diskurs aussehen könnte.
In Übereinstimmung mit der ebenfalls engagierten Expertin im Kampf gegen Fake News, der US-amerikanischen Journalistin und Medienpraktikerin Claire Wardle, macht sie deutlich, dass bei den Widerständen gegen Falschmeldungen im Netz und in den Medien insgesamt sieben Typen unterschieden werden müssen: Zum einen die Unterscheidung zwischen Satire und Parodie, bei denen Aussagen nicht deshalb formuliert werden, um Schaden anzurichten, die aber trotzdem irreführend sein können. Zum zweiten sind es falsche Verknüpfungen, bei denen Überschriften, visuelle Inhalte oder Bildunterschriften nicht mit dem Inhalt übereinstimmen. Drittens geht es um irreführende Inhalte mit dem Ziel, einem Thema, einem Individuum oder eine Gruppe etwas anzudichten. Viertens, wenn falsche Zusammenhänge hergestellt und mit falschen Informationen belegt werden sollen. Fünftens, wenn betrügerische Inhalte vorgeben, authentisch zu sein. Sechstens, wenn Inhalte mit dem Ziel überarbeitet werden, Wahrheiten vorzugaukeln. Und siebtens, wenn Fakten erfunden und mit Fake News bewiesen werden sollen.
„Angry people click more“; diese Erfahrung verweist darauf, dass Wut und Hass die Motoren sind, die populistisches Denken und Handeln produzieren. Wichtig ist der Hinweis, dass Wut und Zorn nicht einfach als Non-Eigenschaften abgetan werden dürfen, sondern es der Auseinandersetzung und des Dialogs über die Ursachen, Gründe und der Suche nach möglichen Lösungen bedarf (vgl. dazu auch: Martha Nussbaum, Zorn und Vergebung. Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/23585.php).
Fazit
Die Bestrebungen, Fake News als „alternative Fakten“ verharmlosend zu deklarieren und sie sogar zu scheinbar „echten“ Fakten zu machen, sind nur dann zu durchschauen und zu widerlegen, wenn es gelingt, die Menschen aufzuklären. Darin steckt ja die existente Herausforderung, Menschen davon zu überzeugen, dass sie aufgeklärt sein wollen – eine lebenslange, individuelle und kollektive Aufgabe. Ingrid Brodnigs Analyse ermutigt, sich gegen die wohlfeilen und vereinfachten Auffassungen, gegen die Macht im Netz könne der Einzelne sowieso nichts ausrichten, zur Wehr zu setzen. Einige Möglichkeiten, Denkansätze und Beispiele gibt die Autorin zu bedenken!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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