Anke Hußmann, Wilfried Bos et al. (Hrsg.): IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern (...)
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens, 16.01.2018
Anke Hußmann, Wilfried Bos, Albert Bremerich-Vos, Daniel Kasper, Eva-Maria Lankes et al. (Hrsg.): IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern im internationalen Vergleich.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2017.
342 Seiten.
ISBN 978-3-8309-3700-5.
39,90 EUR.
Weitere HerausgeberInnen: Nele McElvany, Tobias C. Stubbe, Renate Valtin.
Thema
Das im Dezember 2017 veröffentlichte und auch online kostenlos verfügbare Buch stellt Anlage, Ergebnisse und kontextuelle Überlegungen der/zur Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (lGLU; internationale Bezeichnung: PIRLS= Progress in International Reading Literacy Study) 2016 vor; die online kostenlos verfügbare Pressemappe (Hußmann, Wendt & Bos, 2017) bietet eine vorzügliche Zusammenfassung.
IGLU/PIRLS ist eine international-vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) verantwortet wird. Die IEA ist ein unabhängiger, internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Forschungseinrichtungen und Regierungsstellen und führt seit 1959 international-vergleichende Schulleistungsstudien durch. IGLU gehört seit 2001 zu den Kernstudien der IEA und wird im Abstand von fünf Jahren durchgeführt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das Leseverständnis von Schüler(inne)n am Ende der vierten Jahrgangsstufe, das unter Berücksichtigung zentraler Rahmenbedingungen schulischer Lernumgebungen betrachtet wird.
Ein zentrales Anliegen der Studie ist es, langfristige Entwicklungen in den teilnehmenden Bildungssystemen zu dokumentieren. Da mit IGLU 2016 nun vier Erhebungen seit 2001 vorliegen, können im vorliegenden Buch längerfristige Trends analysiert werden.
„Was geht uns das an?“ mögen da viele, wenn nicht die meisten, Praktiker(innen), Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit sagen. Nun, die international-vergleichen Schulleistungsstudien, neben IGLU / PIRLS auch PISA (Programme for International Student Assessment) und TIMMS (Trends in International Mathematics and Science Study) waren und sind auch immer solche, in denen der Einfluss sozio-struktureller Merkmale von Schüler(innen) auf deren Leistungen analysiert wurden. Oder anders formuliert: Sie waren und sind empirische Studien zur Bildungs(un)gerechtigkeit (Eckert & Gniewosz, 2016; Heekerens, 2017). Unter diesem Gesichtspunkt kann man die vorliegende Analyse auch lesen. Martin Spiewak (2017) etwa ist in seinem ZEIT-Artikel so verfahren; sein Fazit hat er zum Ausdruck gebracht in dem ironischen Titel „Mehr Ungleichheit, bitte!“
Herausgeber- und Autor(inn)en
Es scheint sinnvoll, die Nennung der Herausgeber(innen) zu verknüpfen mit einer Darstellung der Organisationsstruktur von IGLU 2016 (Deutschland). Die wissenschaftliche Leitung lag – wie schon bei IGLU 2011 – bei Wilfried Bos, Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der TU Dortmund und bis 2014 Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung, und die Projektleitung bei Anke Hußmann und Heike Wendt , beide TU Dortmund, Institut für Schulentwicklungsforschung.
Dem wissenschaftlichen Konsortium von IGLU 2016 gehören an Albert Bremerich-Vos, Professor für Linguistik und Sprachdidaktik an der Universität Duisburg-Essen und Nele McElvany, Professorin für Empirische Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Lehren und Lernen im schulischen Kontext an der TU Dortmund. Zu den kooptierten Mitgliedern zählen Eva-Maria Lankes, Professorin für Schulpädagogik an der TU München, School of Education sowie Leitung der Qualitätsagentur des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung München, Tobias C. Stubbe, Professor für Schulpädagogik und Empirische Schulforschung an der Universität Göttingen und Renate Valtin, bis 2008 Professorin für Grundschulpädagogik an der HU zu Berlin sowie Präsidentin der Europäischen Lesegesellschaften.
Alle Herausgeber(innen) sind zugleich auch – in unterschiedlicher Anzahl und wechselnder Besetzung – Autor(inn)en der zwölf auf das Vorwort von Wilfried Bos folgenden Kapitel. Als (Co-)Autor(innen) einzelner Kapitel sind ferner zu finden: Martin Goy, TU Dortmund, Institut für Schulentwicklungsforschung, Prof. Ursula Kessels, FU Berlin, Arbeitsbereich Bildungsforschung / Heterogenität und Bildung, Svenja Rieser, Bergische Universität Wuppertal, Institut für Bildungsforschung, Franziska Schwabe, TU Dortmund mit Arbeitsschwerpunkt (u.a.) Lesekompetenz, Knut Schwippert, Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Empirische Bildungsforschung – Internationales Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung an der Universität Hamburg, Michael Schurig, TU Dortmund, Arbeitsschwerpunkte Quantitative Forschungsmethoden, Datenmanagement und Data Capturing sowie Ruven Stahns, Universität Duisburg-Essen.
Aufbau und Inhalt
Nach einem kurzen Vorwort von Wilfried Bos folgen – von bestimmten Autor(inn)en verfassten, in sich abgerundete und mit gesonderten Literaturnachweisen versehene – zwölf Kapitel, deren Inhalt (orientiert am vermuteten Interesse einer an der Sozialen Arbeit interessierten Leserschaft) knapp skizziert sei.
Das 1. Kapitel IGLU 2016: Wichtige Ergebnisse im Überblick bietet, was die Überschrift verspricht. Die hier zu findende verdichtete Gesamtergebnisdarstellung mag für manche Zwecke als knappe Antwort dienen auf die Frage: „Was kam denn eigentlich bei IGLU 2016 raus?“ An dieser Stelle sei auf ein nochmals verknapptes Referieren verzichtet; relevant erscheinende Resultate zu einzelnen Fragestellungen werden nachfolgend unter den jeweils einschlägigen Kapiteln referiert.
Am Ende des Kapitels findet sich ein auf den Ergebnissen der vier IGLU-Untersuchungen seit 2011 basierender Handlungs(aufforderungs)katalog, der illustriert, dass PIRLS-Studien wie andere international-vergleichende Schulleistungsstudien keine abgehobenen Veranstaltungen ohne jegliche praktische Relevanz sind. Für Deutschland von heute werden folgende Maßnahmen, institutionelle, schulstrukturelle und unterrichtliche Faktoren betreffend, gefordert:
- „Verstärkung des kognitiven Anregungspotentials im Leseunterricht
- gezielte Förderung für lesestarke Schülerinnen und Schüler
- gezielte Förderung für leseschwächere Schülerinnen und Schüler
- Verbesserung der Leseleistung bei ‚wissensbasierten‘ Leseaufgaben
- verstärkter Einsatz von Sachtexten im Leseunterricht
- Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sozialen Herkunft, ihrem Migrationshintergrund oder anderen Merkmalen
- Förderung gezielter Elternarbeit
- Verbesserung der Lehreraus- und -fortbildung
- Ausweitung und Verbesserung von Aus- und Fortbildungsangeboten gezielt im Bereich des adaptiven Unterrichtens
- Verstärkung des Angebots an Ganztagsgrundschulen
- Erhöhung der Durchlässigkeit im Schulsystem
- verstärkte Implementation von Leseförderung in der Sekundarstufe I
- Sicherung einer qualitativ hochwertigen Bildung und Erziehung im Elementarbereich.“ (S. 26)
Im 2. Kapitel Ziele, Anlage und Durchführung der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU 2016) werden eine Reihe methodischer Aspekte der Untersuchung behandelt.
Wie Lesekompetenz bei IGLU erfasst wird, ist im 3. Kapitel Lesekompetenzen im internationalen Vergleich: Testkonzeption und Ergebnisse dargestellt. Von den dort zu findenden Resultaten sind nachstehend sechs dargestellt. Und zwar in Gestalt dreier „Paare“; zuerst den Ist-Zustand (IGLU 2016), dann den langfristigen Trend (IGLU 2001 – 2006) betreffend:
- „Im Jahr 2016 erreichen die Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland einen Mittelwert von 537 Punkten und damit einen Platz im Mittelfeld. Dieser Wert unterscheidet sich nicht bedeutsam vom EU- und OECD-Durchschnitt.“ (S. 138)
- „Betrachtet man die Ergebnisse im Trend, das heißt im Vergleich mit Resultaten im Jahr 2001, so ergibt sich für Deutschland keine statistisch relevante Veränderung. Dieser Befund bleibt auch bestehen, wenn man die Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft berücksichtigt.“ (S. 138)
- „2016 fällt die Streuung der Leistungen in Deutschland besonders hoch aus. Die Differenz zwischen dem 5. und dem 95. Perzentil, also den Leistungen, die die 5 Prozent der schwächsten Kinder maximal und die 5 Prozent der leistungsstärksten Kinder mindestens erreichen, beträgt 257 Punkte und ist EU-weit nur in Malta bedeutsam größer. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Betrachtung der Standardabweichung. In 17 der EU-Staaten ist sie signifikant geringer.“ (S. 138)
- „Im Trend zeigt sich, dass die Leistungen in Deutschland 2016 deutlich heterogener ausfallen als im Jahr 2001. Die Standardabweichung vergrößert sich von 67 auf 78 Punkte, im 5. Perzentil wurden im Jahr 2001 maximal 419, im Jahr 2016 jedoch nur 395 Punkte erreicht. Auch in Bezug auf das 95. Perzentil sind deutliche Veränderungen zu verzeichnen: 2001 wurden hier minimal 640, 2016 aber 652 Punkte erzielt. Die gewachsene Heterogenität resultiert somit sowohl aus geringeren Leistungen der schwächeren als auch aus besseren Leistungen der stärksten Schülerinnen und Schüler.“ (S. 138)
- „Kompetenzstufe III [die mittlere der Stufen I=sehr schwach bis V=sehr gut]wird in Deutschland von ca. 19 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler nicht erreicht. Auch diese Quote ist, international betrachtet, recht hoch. Von den meisten europäischen Staaten wird sie signifikant unterschritten, signifikant überboten nur von Frankreich, der Französischen Gemeinschaft in Belgien und Malta.“ (S. 139)
- „Betrachtet man die Befunde für Deutschland im Trend, das heißt, vergleicht man die Ergebnisse für 2001 und 2016, dann zeigt sich, dass der Anteil sehr guter Leserinnen und Leser von knapp 9 auf 11 Prozent gestiegen ist. Zugleich wuchs die Gruppe der sehr schwachen Viertklässlerinnen und Viertklässler von 3 auf fast 6 Prozent und auch der Anteil derjenigen, die Stufe III nicht erreichen, stieg von 17 auf 19 Prozent.“ (S. 139)
In Kapitel 4 Leseselbstkonzept, Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz werden die in drei Konstrukte Leseselbstkonzept, -motivation und -verhalten sowie ihre Erfassung beschrieben und ihre Bedeutung für die Lesekompetenz analysiert. Neben diesen drei individuellen Bedingungsgrößen werden auch vier verschiedenen familiäre Faktoren (Lesesozialisation im Elternhaus, Migrationshintergrund, Bildungsniveau und Berufsstatus) darauf hin geprüft, welchen Beitrag sie zur Lesekompetenz leisten. Ein Ergebnis dieser Analysen ist, dass hoher Berufsstatus eine positive und Migrationshintergrund eine negative Wirkung auf die Lesekompetenz haben; dies bei zusammenfassender Betrachtung der vier IGLU-Studien seit 2001.
Im 5. Kapitel Geschlecht und Lesekompetenz werden Analysen sowohl zum Ist-Zustand als auf zum 15-Jahres-Trend durchgeführt. Das zentrale Ergebnis zum zweiten Punkt ist:
„Die Ergebnisse der Analysen zu Unterschieden in motivationalen und verhaltensbezogenen Merkmalen weisen darauf hin, dass Mädchen in allen untersuchten Bereichen – dem Leseselbstkonzept, der Lesemotivation und dem Leseverhalten – am Ende der vierten Klassenstufe in Deutschland im Mittel über ein höheres Niveau als die Jungen verfügen. Kontrolliert man diese Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, findet sich im Trendmodell kein bedeutsamer
Kompetenzunterschied im Lesen zwischen den Geschlechtern mehr. Jungen und Mädchen mit gleichem Niveau im Leseselbstkonzept, in der Lesemotivation und im Leseverhalten verfügen demnach über gleich gute Lesekompetenzen.“ (S. 191)
Geschlecht ist eine der drei Größen, deren möglicher eigenständiger Effekt auf schulische Kompetenz im Allgemeinen und hier im Speziellen auf die Lesekompetenz immer wieder betrachtet wird. Das individuelle Merkmal „Geschlecht“ wurde oben betrachtet. Dem folgen in den beiden nächsten Kapiteln Analysen der strukturellen Größen „soziale Herkunft“ (in der sozialwissenschaftlichen Forschung oft auch „familiärer Hintergrund“ genannt) und „Migrationshintergrund“.
Die wesentlichen im 6. Kapitel Soziale Herkunft und Lesekompetenzen von Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Ergebnisse sind: „In nationaler Perspektive sind vertiefende Analysen zum Zusammenhang von Lesekompetenzen und sozialer Herkunft auf Basis der IGLU-Daten 2016 möglich, da hierzulande mehr Indikatoren der sozialen Lage durch die schriftliche Befragung der Eltern erfasst wurden als international. Die internationalen Befunde bestätigen sich aber auch hier, das heißt, es zeigt sich deutlich, dass ausgeprägte soziale Disparitäten im deutschen Bildungssystem vorhanden sind. Trotz verbreiteter, programmatischer Bemühungen in den vergangenen 15 Jahren haben sich somit keine signifikanten Veränderungen der sozialen Disparitäten ergeben. Nach wie vor sind die Leistungsunterschiede zwischen Kindern, die in armutsgefährdeten Elternhäusern aufwachsen, und ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, die nicht armutsgefährdet sind, sehr groß. Sie entsprechen umgerechnet etwa einem Lernjahr. Selbiges gilt für Kinder, deren Eltern den Dienstklassen angehören im Vergleich zu jenen, deren Eltern den Gruppen der Arbeiter angehören. Im Hinblick auf die bereits einleitend genannten Teilhabechancen ist damit festzustellen, dass es Deutschland noch nicht gelungen ist, einen allgemeinen Anspruch auf Chancengleichheit im Bildungssystem durch- beziehungsweise umzusetzen.“ (S. 214)
Dass es in Sachen „Migrationshintergrund“ nicht besser steht – wie denn auch! –, zeigen Resultate, die im 7. Kapitel Lesekompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund referiert werden. Referiert sind nachfolgend zwei zentral erscheinende, die erste zum Ist-Zustand, die zweite den langfristigen Trend betreffend: „Die Befunde aus IGLU 2016 bestätigen, dass Schülerinnen und Schüler, die zu Hause nicht die Testsprache sprechen, in fast allen Teilnehmerstaaten und -regionen niedrigere Leseleistungen aufweisen als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die zu Hause die Testsprache sprechen. Dies ist auch in Deutschland nicht anders. Hier liegt der Unterschied in der Leseleistung bei 40
Punkten und damit in der Größenordnung dessen, was Kinder im Laufe eines Jahres durchschnittlich dazulernen.“ (S. 231)
„Die [in Deutschland zu findenden] migrationsbezogenen Leistungsdisparitäten sind seit 2001 praktisch unverändert. Ergebnisse aus IGLU 2011, die auf eine Reduktion der Leistungsdisparitäten hindeuteten, lassen sich 2016 nicht nachweisen.“ (S. 232)
Das 8. Kapitel Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe hebt hervor, dass am Ende des vierten Schuljahrs, am Ende der Grundschule eine zwar zunehmend an Bedeutung verlierende, aber nach wie vor bedeutsame – in ihrem Gewicht von Bundesland zu Bundesland schwankende – Schaltstelle für Bildungsentscheidungen liegt. Von den zahlreichen (auch) für die Soziale Arbeit interessanten Ergebnissen sei hier nur eines zur Kenntnis gebracht: „Bedenklich ist hingegen der konstant hohe Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler und den Schullaufbahnpräferenzen. Auch unter Kontrolle der Lesekompetenz und der Deutschnote haben Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern eine deutlich höhere Chance auf eine Gymnasialpräferenz als Kinder aus bildungsfernen Familien.“ (S. 248)
Die vier letzten Kapitel des Buches sind nicht mehr der Datengewinnung und -interpretation gewidmet, sondern Fragen möglicher praktischer Schlussfolgerungen. Die ersten drei gehören in den Bereich der Grundschulpädagogik im engeren Sinne. National wie international haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten solche Studien Aufmerksamkeit erregt, deren Ziel es ist, Unterrichtsmerkmale zu identifizieren, die Lernfortschritte direkt oder indirekt positiv beeinflussen. International betrachtet scheinen am meisten Einfluss zu haben, die auch hierzulande an Bedeutung gewinnenden Analysen von John Hattie (vgl. hierzu folgende Rezensionen:
- www.socialnet.de/rezensionen/22322.php
- www.socialnet.de/rezensionen/15009.php
- www.socialnet.de/rezensionen/15193.php).
Im 9. Kapitel gilt die Betrachtung Unterrichtsführung, Sozialklima und kognitive Aktivierung
im Deutschunterricht in vierten Klassen,
während Merkmale des Leseunterrichts Gegenstand des 10. Kapitels
Förderung von Leseflüssigkeit und Leseverstehen im Leseunterricht sind.
Angesichts sich keineswegs verringernder, sondern nach Ausweis der Längsschnittbetrachtung der IGLU-Ergebnisse von 2001 bis 2016 sogar wachsender Unterschiede in den Lesekompetenzen müssen Lehrer(innen) bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben und/oder verfestigen, die in der Schulpädagogik unter dem Begriff „Adaptive Lehrkompetenz“ diskutiert werden. Was es damit konkret auf sich hat wird abgehandelt in Kapitel 11 Bausteine adaptiven Leseunterrichts angesichts gewachsener Heterogenität.
Im 12. Kapitel Einordnung der IGLU-2016-Befunde in das europäische Rahmenkonzept für gute Leseförderung werden die am Ende des 1. Kapitels genannten und oben referierten Handlungsaufforderungen in einen gesamteuropäischen Rahmen gestellt.
Am Ende des Buches finden sich zunächst zwei Anhänge.
- Anhang A enthält nach Erfassungsgebieten geordnete Angaben zu PIRLS 2001,
- Anhang B bietet eine Längsschnittanalyse von IGLU für 2001 – 2016.
Danach folgen ein Abbildungs- sowie daran anschließend ein Tabellenverzeichnis.
Diskussion
Die drei für die Soziale Arbeit in Deutschland bedeutsamsten Ergebnisse von IGLU 2016 sind:
- In den letzten 15 Jahren hat sich hierzulande die Bildungsungerechtigkeit nicht verringert.
- Im selben Zeitraum gibt keine Verbesserung in Sachen Migrationshintergrund.
- Die Trendanalyse zeigt sogar, dass sich die Schere in der Lesekompetenz sogar noch geweitet hat. (Dass sich in diesem Trend die zunehmende soziale Kluft spiegelt, ist eine wohl begründete Hypothese.)
Ich sprach vor fünf Jahren von einem für die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland verlorenen Jahrzehnt (Heekerens, 2013). IGLU 2016 gibt Grund zur Klage, dass sich hierzulande die Bildungsungerechtigkeit in den anderthalb Jahrzehnten sei dem „PISA-Schock“ nicht verringert hat – trotz allseitiger Willensbekundungen und hohem Ressourceneinsatz.
Die genaue Kenntnis der im vorliegenden Buch ausgebreiteten Forschungsergebnisse und der dazu vorgebrachten weiterführenden Überlegungen scheint mir unverzichtbar, will man sich in Bildungsfragen im Allgemeinen und solchen zur Bildungsungerechtigkeit im Besonderen als kompetent zeigen.
Fazit
Sofern die Soziale Arbeit solche Ansprüche erhebt, sollten alle, die sich der Sozialen Arbeit zurechnen und mit der hier behandelten Thematik befasst sind, das Buch gründlich studieren. Um den Nachwuchs der Disziplin und Profession mit dem Thema „Bildungsungerechtigkeit“ in sachkundiger Weise vertraut zu machen, sollte der Bericht über IGLU 2016 – in welchen Teilen und im Rahmen welcher Lehrveranstaltungen auch immer – Eingang finden in den Lehr-/Lernstoff an akademischen Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit. Zu solchen Bildungsmaßnahmen gehört auch, das Buch in mindestens einem Exemplar in die entsprechenden Bibliotheken zu stellen – und in mindestens zwei Exemplaren, wenn an der entsprechenden Hochschuleinheit zumindest ein Studiengang vorhanden ist, der sich speziell Bildungsfragen (auch vor- und/oder außerschulischen) widmet.
Ergänzende Literaturnachweise
- Eckert, T. & Gniewosz, B. (Hrsg.) (2016). Bildungsgerechtigkeit. Wiesbaden: Springer Fachmedien. (socialnet Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/22103.php).
- Heekerens, H.-P. (2013). Ein verlorenes Jahrzehnt. Bildungsgerechtigkeit im Spiegel jüngster Schulleistungsstudien. Unsere Jugend, 2013, 65, 485-494.
- Heekerens, H.-P. (2017). PISA und die Bildungsgerechtigkeit – Denkanstöße aus Anlass von PISA 2015 und TIMSS 2015. socialnet Materialien (www.socialnet.de/materialien/27661.php).
- Hußmann, A., Wendt, H., Bos, W. (Hrsg.) (2017). IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Pressemappe. Online verfügbar unter www.ifs.tu-dortmund.de (letzter Aufruf am 26.12.2017).
- Spiewak, M. (2017). Mehr Ungleichheit, bitte! DIE ZEIT 52/2017 vom 14.12.2017, S. 39-40.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens
Hochschullehrer i.R. für Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Pädagogik an der Hochschule München
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Zitiervorschlag
Hans-Peter Heekerens. Rezension vom 16.01.2018 zu:
Anke Hußmann, Wilfried Bos, Albert Bremerich-Vos, Daniel Kasper, Eva-Maria Lankes et al. (Hrsg.): IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschulkindern im internationalen Vergleich. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2017.
ISBN 978-3-8309-3700-5.
Weitere HerausgeberInnen: Nele McElvany, Tobias C. Stubbe, Renate Valtin.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23757.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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