Dagmar Jacobs: Verlaufene Tage
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 19.12.2017
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Dagmar Jacobs: Verlaufene Tage. Eine Geschichte und 27 Erzählungen. edition garamond (Wien) 2017. 82 Seiten. ISBN 978-3-85306-066-7. D: 19,80 EUR, A: 19,80 EUR, CH: 32,70 sFr.
Mit Worten tanzen
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler von der Berliner Universität der Künste, Stephan Porombka, hat einmal in einem Interview auf die Frage, wieso er als Professor auch gleichzeitig kreativer Schreiber, Phantasiebolzen, Kolumnist (bei der Wochenzeitung DIE ZEIT) und gelegentlich auch Clown ist, geantwortet: „Ich bin Professor, und ich spiele Professor!“. Dieses erst einmal eher despektierlich scheinende Bekenntnis ist mit Haken und Ösen zu lesen. Porombka hat z.B., zusammen mit Hanns-Josef Ortheil an der Universität Hildesheim das Studienangebot „Kreatives Schreiben“ entwickelt, das beansprucht, dass Schreiben Spiel mit der Sprache, autobiographisch, therapeutisch, didaktisch, pragmatisch, fiktiv, realistisch, futuristisch und literarisch ist, also nicht zufällig entsteht, nicht vom Himmel fällt und nicht in den Genen oder in der Wiege liegt, sondern gelernt und erworben werden kann.
Wer als SchriftstellerIn schreibt, spürt nicht selten einen Drang zum Schreiben. Manche beschreiben diese Lust als „Triebschreiben“. Wer ernsthaft literarisch schreibt weiß, dass Schreiben auch Last ist und Anstrengung, Durchhalte und Disziplin erfordert. Schreiben ist kreatives Schaffen, also eine künstlerische Tätigkeit. Künstler werden in einer aufgeklärten, liberalen und demokratischen Gesellschaft als Deuter und Signalgeber verstanden (und gebraucht!) dafür, dass der anthrôpos, der Mensch, lebenslang aufgefordert ist, seinen Verstand zu gebrauchen und ein gutes, gelingendes, friedliches und gerechtes Leben für sich und die Mitmenschen zu ermöglichen. Künstler sind auch Provokateure und Flaneure (Karsten Michael Drohsel, Das Erbe des Flanierens. Der Souveneur – ein handlungsbezogenes Konzept für urbane Erinnerungsdiskurse, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/20872.php).
Die Künstlerin Dagmar Jacobs aus der Kleinstadt Sarstedt, zwischen Hannover und Hildesheim gelegen, stützt ihr kreatives Arbeiten auf die Pfeiler: Malen – Formen – Schreiben. Als Referentin, Trainerin und Gesundheitscoach engagiert sie sich auch im Bildungs- und Sozialbereich. Ihr Schreiben hat nichts Dokumentarisches. Es ist vielmehr autobiogaphisch, euphorisch, hoffnungsvoll und zweifelnd. In der kleinen Geschichte „Ich“ schreibt sie: „Ich bin mir wenig, manchmal nicht, dann bin ich Fülle auch für viele, mir selbst vertraut in all dem Wandel, ja, dann lieb ich mich“. Ist es Stakato oder Routine, dass sie alle zwei Jahre ein Buch herausbringt, in denen sie Ein- und Ausblicke aus ihrem Leben, ihren Empfindungen, Begegnungen, Irritationen und Hoffnungen formuliert? Im Buch „Dem guten Tag flieht nie die Nacht“ (2013, www.socialnet.de/rezensionen/16510.php) sind es die Warum-Fragen, die zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung anregen. Im Buch „Das Blau der späten Stunde“ (2015, www.socialnet.de/rezensionen/20893.php) flüstert, summt, sehnt, singt, wartet und tanzt sie die Gefühle, Erinnerungen, Sehnsüchte und Befürchtungen ihres existentiellen, sozial ausgerichteten Daseins.
Nun, 2017, legt sie das dritte Buch vor: „Verlaufene Tage“. Das klingt wie Zeitvergehen, Angewiesen- und Ausgesetztsein, Aufgehobensein, Unruhe, Verletzung, Verzweiflung, Alltag und Besonderheit, Gleichförmigkeit und Abenteuer (siehe dazu: Ralf Konersmann, die Unruhe der Welt, 2015, https://www.socialnet.de/rezensionen/19459.php). Es sind 28 kurze Texte, in denen bereits in der Überschrift der Inhalt spiegelt: „Alles wird gut“ – „entliehene Gefühle“ – „Risse in der Haut“ – „getrenntes Leben“ – „festgehalten“ – „kleine Zeiten“ – „gleiche Tage“ – „Täuschung“… Sie kommen daher wie Predigten und Sprichwörter, wie spontane Empfindungen und Ratgeber. Sie lesen sich im Vorübergehn und bei der Auszeit. Was fehlt ist zum Glück der erhobene, pädagogische Zeigefinger!
Fazit
Was für ein Leben, das es möglich macht, mit Zuversicht auf die Anforderungen und Imponderabilien zu reagieren: „Tanzen, nur tanzen, aus den Tiefen in die Höhen. Melodien ziehen Kreise, die mich binden und beleben, und die Jahre ziehen weiter, und der Anfang liegt im Ende. Welche Freude, denke ich, welch ein Leben!“. Liebe Frau Jacobs, 2019 kommt bestimmt! – und damit Ihr viertes Buch!?
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 19.12.2017 zu:
Dagmar Jacobs: Verlaufene Tage. Eine Geschichte und 27 Erzählungen. edition garamond
(Wien) 2017.
ISBN 978-3-85306-066-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23759.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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