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Ute Daniel: Beziehungs­geschichten – Politik und Medien (...)

Rezensiert von Prof. Dr. Frank Überall, 20.06.2018

Cover Ute Daniel: Beziehungs­geschichten – Politik und Medien (...) ISBN 978-3-86854-317-9

Ute Daniel: Beziehungsgeschichten – Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburger Edition (Hamburg) 2018. 464 Seiten. ISBN 978-3-86854-317-9. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.

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Thema

Politik lässt sich nicht alleine durch die Beschreibung und Analyse von Strukturen erklären. Um ein vollständiges und nachvollziehbares Bild politischer Entwicklungen zu bekommen, muss man sich dem Prozess auch auf soziologische Weise nähern. Ute Daniel beschreibt mit den Ansätzen der Kulturgeschichte und der Akteurs-Zentrierung die Entwicklung der Medienpolitik in Deutschland und in Großbritannien. Anhand ausgewählter Beispiele zieht sie Vergleiche und versucht Gesetzmäßigkeiten zu definieren.

Autorin

Ute Daniel ist Professorin für Neuere Geschichte an der TU Braunschweig.

Aufbau

Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert:

  1. Die Presse des 19. Jahrhunderts im Ersten Weltkrieg
  2. Pressezaren in der Politik der Zwischenkriegszeit
  3. Die Medienpolitik des ‚Dritten Reichs‘ und Goebbels' Sportpalastrede
  4. Vierte Gewalt hinter Gittern. Presse und Politik im Skandal (1962/63)
  5. Fernsehpolitik. Die Dezentrierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Außerdem gibt es umfangreiche Nachweise für Quellen und Literatur sowie ein Personenregister.

Zu I.

Im Kapitel über die Presse im Ersten Weltkrieg beschreibt Ute Daniel, dass die „Propaganda im Sinn einer obrigkeitlichen Kontrolle und Lenkung der Medien und ihrer Inhalte“ in der wissenschaftlichen Forschung häufig überschätzt werde. In Großbritannien seien politisches Handeln und entsprechende Divergenzen zumindest noch in den Medien öffentlich diskutierbar gewesen. In Deutschland dagegen sei das nicht möglich gewesen, was politische Aushandlungsprozesse erschwert und „illusionistische Nachrichtenlagen“ gefördert habe. In beiden Ländern habe es eine Art „Vertraulichkeitskartell“ gegeben, „in London auf individueller und Pateibasis als Beziehung unter Gleichgesinnten, die sich als Gentlemen und als politische Akteure begegneten. (…) In Berlin waren es die persönlichen Netzwerke, die Journalisten und Politiker verbanden.“

Die Autorin zeichnet die politisch-inhaltliche Veränderung des „Daily Chronicle“ im Jahr 1913 nach, die durch einen Verkauf an den amtierenden Premierminister David Lloyd George verursacht wurde. Zensur und Selbstzensur seien in Großbritannien zwar an der Tagesordnung gewesen, trotzdem seien die Zeitungen die einzige Informationsquelle gewesen, um zu erfahren, „was politisch geplant oder entschieden wurde, wer welche politischen oder militärischen Positionen innehatte, was sich im neutralen oder im feindlichen Ausland tat und wie die Situation an den Fronten war“. Faktisch sei die Presse aber keine gesellschaftliche Instanz gewesen, die der Politik kritisch gegenüberstand. Pressevertreter hätten sich auch selbst als „politisch handelnde Personen“ gesehen. In einer Art „Vertraulichkeitskartell“ seien Informationen vom Staat an die Pressebesitzer gegeben worden, dem allgemeinen Publikum sei vieles davon vorenthalten worden. Anfang der 1920er Jahre sei dann mit neuen Massenblättern ein Wettkampf um Auflagen entbrannt, was die Medienlandschaft deutlich veränderte.

In Deutschland habe es um 1917 zwar viele amtliche Zensurstellen gegeben, so die Autorin, das sei aber „kein guter Gradmesser für Ausmaß und Effizienz der Presselenkung“. Die deutschen Journalisten hätten den Parteien seinerzeit ohnehin sehr nahe gestanden. Man habe jeweils für ein parteipolitisch interessiertes Publikum geschrieben, weshalb die Zeitungsbetriebe oft von Zuschüssen (etwa von Parteien) abhängig gewesen seien. Bei Pressekonferenzen seien regelmäßig auch vertrauliche Informationen gegeben worden: „Gegen Ende des Krieges erfuhren die Journalisten hier praktisch gar nichts mehr, was zur Veröffentlichung bestimmt war.“ Wie sich die formalen und informellen Vorgaben entwickelten, zeichnet Ute Daniel unter anderem anhand der zeitweise untersagten öffentlichen Diskussion über Kriegsziele, der Zunahme von Pressestellen in Behörden und der regelmäßigen Treffen zwischen Journalisten und Politikern nach.

Zu II.

Für die Zwischenkriegszeit beschreibt die Autorin den Aufstieg von „Pressezaren“, deren Blätter immer höhere Auflagen erreichen konnten und die bewusst politischen Einfluss nahmen. Ausführlich wird der Aufstieg von Alfred Hugenberg beschrieben, der als Verleger in die Politik strebte. Für Großbritannien wird der Begriff der „press barons“ geprägt und anhand verschiedener Beispiele der Einfluss einzelner Medienunternehmer auf die Politik des Landes nachgezeichnet.

Zu III.

Das Kapitel über Medienpolitik im „Dritten Reich“ durchbricht die Dualität der beiden Länderdarstellungen, indem es sich nur auf Deutschland bezieht. Von 1933 bis 1945 hatten die Redakteure „täglich ausgegebenen minutiösen Sprach- beziehungsweise Schweigeregelungen zu folgen“, schreibt Ute Daniel. Anhand der „Sportpalastrede“ von Joseph Goebbels ordnet sie die Adressaten der verschiedenen öffentlichen Foren systematisch zu. Daraus wiederum leitet die Autorin grundsätzliche Einschätzungen zur Rolle der Medien in und jenseits von Diktaturen ab.

Zu IV.

In einem Kapitel über Skandale geht es zum einen um eine Berichterstattung, die im Jahr 1963 zwei britische Journalisten ins Gefängnis brachte, weil sie ihre Quellen nicht preisgeben wollten. Anhand des „Falls Profumo“ wird auch erörtert, welche besonderen rechtlichen Grundsätze bei (vermeintlicher) Rufschädigung in Großbritannien die Pressefreiheit einschränkten und welches Konstrukt aus Lügen und Bedrohungen von Seiten der Politik wirkte. Parallel wird für Deutschland die „Spiegel-Affäre“ beleuchtet, bei der sich nach Darstellung von Ute Daniel erstmals alle politisch meinungsführenden Zeitungen auf eine Linie gegenüber der Regierung festlegten. Die Rolle des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) wird genauso intensiv dargestellt wie konservative „Ängste vor einer schwachen Staatsautorität, die eine Neuauflage Weimarer Verhältnisse nicht verhindern konnte“.

Zu V.

Zur „Fernsehpolitik“ wird im letzten Kapitel des Werkes die Historie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des später aufgekommenen Privatfernsehens erörtert. Unter anderem ist dabei zu erfahren, dass der britischen BBC in ihren Anfangsjahren jegliche politische Kommentierung untersagt war und dass um Sendezeiten für Politiker hart gerungen wurde. Für Deutschland wird beschrieben, wie empfindlich Regierende 1976 auf die bloße Erwähnung von Gegnern des Atomkraftwerks Brokdorf in den Fernsehnachrichten reagierten. Vor allem die CDU habe Stimmung gegen diese Art der Berichterstattung gemacht, die sich nicht bloß auf staatliche und politische Autoritäten stützte. Die in den 1970er Jahren betriebene Zerschlagung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) wird genauso intensiv beleuchtet wie andere Einflussnahmen der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Diskussion

Das Werk bietet mit seiner Akteurszentrierung einen nicht bloß historischen, sondern auch soziologischen Ansatz. Ohne die Rolle der verschiedenen „Player“ auszuforschen, lassen sich Strukturen und Interessendurchsetzung nicht verstehen. Ute Daniel ist es gelungen, anhand von schillernden Einzelbeispielen einen wichtigen Beitrag zur europäischen Pressegeschichte zu leisten.

Fazit

Die quellenreiche Einordnung britischer und deutscher Mediengeschichte bietet einen tiefen Einblick in historische Abläufe politischer Entscheidungsfindung und des Einflusses der Medien. Wie sich Journalismus und die Beziehung zu den Staatsgewalten verändert hat, lässt sich anhand zahlreicher Beispiele, die hervorragend mit Quellen belegt werden, gut nachvollziehen. Vor allem der Zusammenhang zwischen der Finanzierung journalistischer Produkte und möglicher wie tatsächlicher staatlicher Einflussnahme wird historisch gut beleuchtet – woraus sich vieles für die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft lernen lässt.

Rezension von
Prof. Dr. Frank Überall
Medien- und Politikwissenschaftler an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft; www.politikinstitut.de
Website
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Es gibt 24 Rezensionen von Frank Überall.

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Zitiervorschlag
Frank Überall. Rezension vom 20.06.2018 zu: Ute Daniel: Beziehungsgeschichten – Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburger Edition (Hamburg) 2018. ISBN 978-3-86854-317-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23774.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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