Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch et al. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit
Rezensiert von Dr. Remi Stork, 23.04.2018
Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch, Holger Ziegler, Rainer Treptow (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2018. 1919 Seiten. ISBN 978-3-497-02745-3. 79,90 EUR.
Thema und Ziel
Der Klassiker unter den Handbüchern der Sozialarbeit/Sozialpädagogik wird alle paar Jahre aktualisiert und liegt nunmehr in der sechsten Auflage vor. Im Titel trägt das Handbuch seit einigen Jahren nur noch die „Soziale Arbeit“, obwohl ein Großteil der Autor*innen sich dezidiert als wissenschaftliche Sozialpädagog*innen begreift. Dieses Mal ist die Neugier groß, welche Veränderungen gegenüber der letzten Auflage vorgenommen wurden, da diese Neuauflage erstmals von vier Wissenschaftlern herausgegeben wird und man dem Vorwort entnehmen kann, dass die redaktionelle Arbeit im Wesentlichen von den beiden „Neuen“, Holger Ziegler und Rainer Treptow geleistet wurde.
AutorInnen und HerausgeberInnen
Hans-Uwe Otto und Hans Thiersch sind nun schon viele Jahre emeritiert und werden deshalb nun von Rainer Treptow (Universität Tübingen) und Holger Ziegler (Universität Bielefeld) in der Herausgeberschaft unterstützt.
Die Autorinnen und Autoren sind überwiegend Wissenschaftler*innen aus der Sozialpädagogik bzw. der Sozialen Arbeit sowie benachbarten Disziplinen. Die Liste der Autor*innen liest sich wie das Who is who der deutschen Sozialpädagogik/Sozialen Arbeit – in der Regel werden die Beiträge von Wissenschaftler*innen verfasst, die zu einem Thema als „Meinungsführer*innen“ gelten; d.h. sich durch zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema auszeichnen.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau des Handbuchs wurde gegenüber früheren Auflagen nicht verändert. Die ca. 180 Beiträge beschäftigen sich mit der Geschichte Sozialer Arbeit, ihren Theorien und Methoden, gesellschaftichen Grundlagen, Professions- und Organisationsfragen, Arbeitsfeldern und Grundfragen der Sozialen Arbeit. Die Themen, die es in das Handbuch geschafft haben, sind – wie schon in den früheren Auflagen – seltsam strukturiert. Es wirkt so, als würden sie sich aus den Lieblingsthemen der Autor*innen ergeben; d.h. die Autor*innen darüber schreiben, womit sie sich im Kern befassen. Ich kann mir die Systematik jedenfalls nicht anders erklären. Wenn man sich z.B. für das Thema Schule interessiert, muss man das ganze Inhaltsverzeichnis durchsehen und wird dann an vielen Stellen im Alphabet – mehr oder weniger zufällig – fündig, von der Ästhetischen Bildung, über Bildung, Bildungsforschung, Bildungspolitik, Ganztagsbildung (was für ein blödes Wort!), Didaktik, Erziehungs- und Bildungszielen etc.
Gegenüber der letzten Auflage sind ca. 15 neue Beiträge aufgenommen wurden; überwiegend zu Themen, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben (z.B. Kinderschutz und Qualitätsmanagement) oder zu aktuellen Themen wie bspw. Soziale Arbeit und Digitalisierung. Viele andere Beiträge wurden überarbeitet; nach meinem Eindruck aber überwiegend nur geringfügig.
Einige der neuen Beiträge habe ich genauer gelesen und die Qualität der Texte ist erneut beeindruckend. Es gibt m.W. kein anderes sozialpädagogisches / sozialarbeiterisches Handbuch, in dem die Beiträge solche Substanz haben. Auch Autor*innen, die zu ihren Stichworten schon zahlreiche Publikationen vorgelegt haben, wie z.B.
- Reinhold Schone und Norbert Struck zum Kinderschutz,
- Christian Niemeyer zum Pädagogischen Bezug,
- Michael Winkler zu Allgemeiner Pädagogik und Sozialpädagogik oder
- Nadia Kutscher zu Sozialer Arbeit und Digitalisierung
fassen hier nicht einfach irgendetwas zusammen oder liefern bereits publizierte Aufsätze bei den Herausgebern ab. Nein, die Autorinnen und Autoren stellen sich der Aufgabe, ihr Wissen vom heutigen Tage aus zu bündeln, für den Gebrauch in einem Handbuch knapp und sorgfältig zu bilanzieren und den Leser / die Leserin mit einem riesigen Berg von Literaturhinweisen auf die weitere Studienreise zu schicken.
Insgesamt umfasst das Handbuch beinahe 2.000 Seiten – in gewohnter kleiner Schrift. Neben den einzelnen Aufsätzen finden sich ein alphabetisches und ein systematisches Verzeichnis der Beiträge, ein umfassendes Sachregister und ein Verzeichnis der Autor*innen – alles in (aus den ersten Auflagen) gewohnter Form und Qualität
Diskussion
Die vollständige Überarbeitung des Handbuchs merkt man als Leserin oder Leser eigentlich nicht. Dies ist einerseits ein Kompliment, wenn der „Marktführer“ zwar wieder topaktuell ist, man aber nicht beim Gebrauch fremdelt. Die Sprache und Struktur der Texte ist wie immer – die untergehende wissenschaftliche Sozialpädagogik mit ihrem hohen disziplinären Anspruch lässt hier grüßen. Das heißt, dass man in diesem Handbuch nicht mal eben schnell etwas nachschlagen kann. Man muss sich schon mit den Texten befassen: mehr als einem manchmal in stressigen Zeiten lieb ist.
Es ist den Herausgebern wieder gelungen, kompetente und im Diskurs herausragende Autor*innen für die neuen Themen zu gewinnen. Abermals bleibt dafür unklar, warum welche Themen (z.B. Leid, Freiheit, Religiosität und Spiritualität) neu aufgenommen und andere (z.B. Armut, Drogen, Konzepte, Haltungen, …) nicht aufgenommen wurden. Mit der Systematik habe ich weiter meine liebe Mühe und Not.
Die Qualität der Beiträge ist weiterhin herausragend: inhaltlich, sprachlich und formal. Das Niveau des Handbuchs bleibt demnach unübertroffen.
Fazit
Das Handbuch Soziale Arbeit ist seiner Geschichte und seiner Form treu geblieben. Die vorliegende sechste Auflage ist nicht so neu, wie man das angesichts der neuen Herausgeber vermutet hätte; es wurde eher eine Überarbeitung vorgelegt, die ganz im Sinne und Stil der letzten Neuauflagen ausgefallen ist. Für Studierende und theoretisch interessierte Fachkräfte der Sozialen Arbeit ist das Handbuch nach wie vor die erste Wahl.
Als erfahrene Fachkraft oder Wissenschaftler*in wird man angesichts von nur wenigen neuen Aufsätzen sorgfältig abwägen müssen, ob diese Neuauflage sich zu kaufen „lohnt“, zumal neben den durchgearbeiteten alten Auflagen ja im Regal langsam der Platz knapp wird.
Rezension von
Dr. Remi Stork
Professor für Kinder- und Jugendhilfe mit dem Schwerpunkt „Hilfen zur Erziehung“ an der FH Münster.
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Zitiervorschlag
Remi Stork. Rezension vom 23.04.2018 zu:
Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch, Holger Ziegler, Rainer Treptow (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2018.
ISBN 978-3-497-02745-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23785.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.
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