Arnold Köpcke-Duttler: Ethos der Inklusion
Rezensiert von Prof.in Dr.in Karin E. Sauer, 05.06.2018

Arnold Köpcke-Duttler: Ethos der Inklusion. Eine Spurensuche in der Behindertenrechtskonvention.
Paulo Freire Verlag
(Oldenburg) 2017.
152 Seiten.
ISBN 978-3-86585-226-7.
D: 23,90 EUR,
A: 24,60 EUR.
Pädagogische Reihe, Bd. 26.
Thema
Arnold Köpcke-Duttler untersucht in seiner aktuellen Veröffentlichung die ethischen Grundgedanken von Inklusion – schwerpunktmäßig mit Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK). Dabei thematisiert er Inklusion als eine regulative Idee und lotet diese bezüglich ihrer menschenrechtlichen und sozialrechtlichen Implikationen aus. Er bezieht dabei sowohl globale als auch nationale und länderspezifische Diskussionen ein, unter besonderer Berücksichtigung der sozialrechtlichen und schulrechtlichen Diskurse sowie der damit verbundenen Politiken.
Autor
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Diplom Pädagoge und Rechtsanwalt mit einer Kanzlei in Ochsenfurt (Bayern). Die Schwerpunkte seiner Kanzlei liegen an der Schnittstelle zu pädagogischen Fragen (z.B. Rechte der Kinder und Jugendlichen, Kinderschutz, Kindertagesstätten).
Entstehungshintergrund
Der Autor begann seine „Spurensuche in der Behindertenrechtskonvention“ zum „Ethos der Inklusion“ 2006 mit einer Veröffentlichung zu Behindertenrecht und dem Menschenrecht auf Gleichheit. In ca. zweijährigen Intervallen und setzte er seine Veröffentlichungstätigkeit mit dem Fokus auf Menschen- und Behindertenrechte fort. Neun von 13 Kapiteln des hier rezensierten Bandes sind Überarbeitungen von Beiträgen, die zwischen 2006 und 2016 im Rahmen von Tagungen und in Fachzeitschriften publiziert wurden.
Aufbau
Nach einer Einleitung zum Zusammenhang von Leiblichkeit, Verletzbarkeit und Würde führt der Autor in die Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen ein (Kap 2). Er bringt diese mit dem Menschenrecht auf Ernährung in Zusammenhang (Kap 3), und stellt einen Bezug zur Konzeption von Montessori-Schulen her (Kap 4).
Es folgen Auseinandersetzungen mit pädagogischen Fragen im Kontext von Inklusion (Kap 5), welche daraufhin auf Elementar-Pädagogik fokussiert werden (Kap 6). Kapitel 7 hebt das Menschenrecht auf Gleichheit hervor; daran anschließend wird das Menschenrecht auf inklusive Bildung erörtert (Kap. 8). In Kapitel 9 reflektiert der Autor rechtliche und pädagogische Gedanken zur UN-BRK.
Kapitel 10 propagiert das Menschenrecht auf Bildung in gegenseitiger Achtung. Im elften Kapitel wird der Disput zwischen Sozialrecht und Schulrecht geschildert. Das zwölfte Kapitel enthält eine Stellungnahme zum Bericht des Wissenschaftlichen Beirats Inklusion. Im letzten Kapitel wird der rechtliche Rahmen einer inklusiven Bildungslandschaft aufgespannt.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Arnold Köpcke-Duttler setzt mit seinem Buch einen Kontrapunkt zu einer zuweilen unbedachten und mittlerweile inflationären Verwendung des Begriffs Inklusion (vgl. Klappentext). Dazu stellt er grundlegende begriffliche Überlegungen an. Anhand des ersten Artikels des deutschen Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ geht er auf Würde, Unwürde (vgl. S. 11) und Er-würdigung ein, auf Wahr-nehmung und Wahr-gebung (sic, vgl. S. 12 f.), sowie auf die existenzielle Bedingtheit des Menschseins in seiner Leiblichkeit und damit Verletzbarkeit. Letztere arbeitet Köpcke-Duttler als Kern aller Menschenrechtskonventionen heraus, besonders aber der UN-Behindertenrechtskonvention. Am Beispiel eines Priesters, der nur mit der Auflage, „seine Armstummel hinter Prothesen zu verstecken“ (S. 45) sein Amt ausüben darf, beschreibt Köpcke-Duttler das Recht auf Unvollkommenheit, das sich verbindet „mit dem Blick auf die Antastungen und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die nicht gebeugt werden darf unter den Idealtypus des Starken und vollkommen Ungehinderten“ (sic, ebd.).
Als Basis der ethischen Grundgedanken von Inklusion stellt er die menschenrechtliche Trias Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Teilhabe dar (vgl. S. 43) und leitet das Behindertenrecht als ein Menschenrecht der Gleichheit her (S. 59). Daran knüpft er Forderungen eines Menschenrechts auf inklusive Bildung, die er durch unterschiedliche diskursiven Zugänge untermauert: Er nimmt sowohl auf Artikel der UN BRK Bezug, als auch auf pädagogische Auseinandersetzungen, etwa von Korczak, Montessori, Pestalozzi aber auch Gandhi. Zusätzlich wird auf belletristische Werke eingegangen, z.B. von Astrid Lindgren und Joseph Roth.
Köpcke-Duttler vertritt, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte (Monitoringstelle der UN-BRK), die Überzeugung, dass das Menschenrecht auf Bildung in separierenden Institutionen nicht zu verwirklichen sei (vgl. S. 90, 122). Je nach Bundesland (genannt werden Sachsen-Anhalt, Bayern und Hessen), herrschen unterschiedliche Gegebenheiten vor, die eine vollständige Einlösung dieses Rechtsanspruchs erschweren, insbesondere, da Sozialrecht und Schulrecht oft gegenläufig argumentieren, wodurch pädagogisch sinnvolle Zielsetzungen nur bedingt erreicht werden können.
Mit Blick auf das Bundesteilhabegesetz (BTHG) setzt sich Köpcke-Duttler für die rechtliche Rahmung einer inklusiven Bildungslandschaft ein. Dabei spielen u.a. „Gemeinsinn und Menschensinn“ (S. 138) eine bedeutende Rolle. Als Schlüsselelement benennt er „eine von Nächsten- und Fernsten-Liebe geprägte Zwischenmenschlichkeit“ (S. 143), die sich in den gemeinsam genutzten Sozialräumen materialisiert. Wird die „Kommune als Bildungslandschaft“ entdeckt (S. 149), können alle Beteiligten sozialräumliche Ressourcen erschließen und ein ökologisches Gemeinwesen entwickeln.
Diskussion
Der Band nimmt ohne akademische Scheuklappen äußerst facettenreiche Diskurse zum Ethos der Inklusion auf. Ein assoziativer Stil und Wort-Neuschöpfungen bieten interessante Zugänge, jedoch auf Kosten einer systematischen und strukturierten Vertiefung wesentlicher Gedankengänge. Da die Kapitel jeweils für sich stehen und zwischen ihnen keine Verbindungen hergestellt werden, bleiben zentrale Themen teilweise oberflächlich, teilweise treten starke Redundanzen auf. Ein formales Defizit liegt im Layout des Textes, das nicht barrierefrei gestaltet ist und somit hinter die propagierten Ideale inklusiver Bildung zurückfällt.
Fazit
Arnold Köpcke-Duttlers Buch zeigt, welche Tragweite Inklusion als regulative Idee hat, wenn sie in unterschiedlichen pädagogischen und rechtlichen Bereichen Anwendung finden soll. Die Komplexität und die Verwobenheit globaler Diskurse und lokaler Praxen wird in jedem einzelnen Kapitel deutlich. Eine durchgehende Argumentationslinie wird jedoch nicht systematisch verfolgt. Hinzu kommt, dass einiges Vorwissen vorausgesetzt wird, weshalb das Buch für eine erste Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten eher weniger geeignet ist. Bei entsprechenden Vorkenntnissen – insbesondere zu den aktuellen Neuerungen des BTHG – bietet es durchaus interessante Impulse und Positionierungen, auch jenseits gängiger Fachdiskurse.
Rezension von
Prof.in Dr.in Karin E. Sauer
Dipl.-Päd., Master in Diversity Education, Professorin für Soziale Arbeit an der DHBW VS, Fakultät für Sozialwesen
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