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Philipp Sandermann, Sascha Neumann: Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 10.04.2018

Cover Philipp Sandermann, Sascha Neumann: Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-8252-4948-9

Philipp Sandermann, Sascha Neumann: Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit. UTB (Stuttgart) 2018. 238 Seiten. ISBN 978-3-8252-4948-9. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 26,90 sFr.

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Entstehungshintergrund und Thema

Die Autoren begründen in der Einleitung des Buches diesen Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit damit, dass die vor allen Dingen in den 2010er Jahren vorgelegten Lehr- und Einführungsbücher sowie Handbuchartikel zwar alle Skizzierungen der Theorien und auch eine gewisse Systematisierung vorgenommen haben, aber diese Theorie nebeneinander für sich stehen. Dieses Nebeneinander soll mit diesem Buch überwunden werden und ein Ausblick auf eine zeitgemäße Theorie der Sozialen Arbeit gegeben werden.

Autoren

Prof. Dr. Philipp Sandermann lehrt Sozialpädagogik an der Leuphana Universität Lüneburg.

Prof. Dr. Sascha Neumann lehrt Pädagogik der frühen Kindheit und Kinderforschung an der Universität Luxemburg.

Aufbau

Neben der Einleitung hat das Buch sechs Kapitel:

  1. Was sind Theorien der Sozialen Arbeit?
  2. Historische Stationen auf dem Weg zu Theorien der Sozialen Arbeit
  3. Systematisierender Überblick: Beispiele etablierter Theorien
  4. Was unterscheidet Theorien der Sozialen Arbeit?
  5. Inwiefern ähneln sich Theorien der Sozialen Arbeit?
  6. Das Ende der Grand Theories? Neuere Entwicklungen und Ausblick

Die Einleitung bietet einen guten Überblick über die Inhalte des Buches, womit aber auch klar wird, dass dieses Buch nicht als Nachschlagewerk benutzt werden kann (wie andere Einführungen zu diesem Thema), sondern es erforderlich ist, das Buch insgesamt zu lesen. Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Autoren die Theorien nicht vertikal nebeneinander stellen, sondern anhand dreier ausgewählter Fragen horizontal durchleuchten:

  1. Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie?
  2. Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit, und auf welchen Vorannahmen werden diese Beobachtungen aufgebaut?
  3. Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? (S. 15)

Damit lassen sich Unterschiede skizzieren und auch Gemeinsamkeiten herausfinden. „Dies gilt in Hinsicht auf das, was (kursiv im Original) die Theorien im Ergebnis als Soziale Arbeit präsentieren. Vor allem aber gilt es in Hinsicht darauf, wie Soziale Arbeit als Gegenstand hergestellt wird“ (S. 15).

Das 1. Kapitel fragt danach, was Theorien der Sozialen Arbeit sind. Dabei geht es zuerst um den Zusammenhang von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Dazu wird ein wissenschaftstheoretischer Bogen geschlagen von Abduktion über Erkenntnisgewinnung (Empirie) hin zu Inkommensurabilität und letztendlich Habitus. Die Unterscheidung von wissenschaftlichen Theorien und Alltagstheorien verdeutlicht die verschiedenen Denkweisen wie auch die Reichweite und Fundierung der Theorien. Die Fragestellungen und Probleme der Praxis sind zwangsläufig mit Theorien verbunden, insofern kommt das eine nicht ohne das Andere aus. „Hierfür ist eine Differenzierung nötig. Zutreffend ist: Theorien der Sozialen Arbeit dienen nicht als solche dazu, direkte Lösungen (Hervorhebung im Original) für konkrete Handlungsprobleme anzubieten. Eben deshalb sind sie keine Technologien oder gar Rezepte. Das heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass sie für eine Aufklärung konkreter Handlungsprobleme und Lösungen für die Praxis nicht taugen würden. Mit Theorien der Sozialen Arbeit kann man sich durchaus für konkrete Momente interessieren. Allerdings nicht, um dann konkrete Lösungen aus der Theorie einfach abzuleiten, sondern aus der Beobachtung konkreter Momente Sozialer Arbeit allgemeine Schlussfolgerungen (Hervorhebung im Original) ziehen zu können“(S. 40).

Kapitel 2 referiert die historische Positionen auf dem Weg zu Theorien der Sozialen Arbeit. Entsprechend dem schon skizzierten Verständnis von Theorie als Zusammenhang zwischen mehreren Begriffen und den durch sie bezeichneten Phänomenen geht es nicht um eine Aufzählung in historischer Abfolge, sondern um die ideengeschichtliche Bedeutung wie auch deren Rezeption. Damit geht es einerseits um die gesellschaftliche Relevanz (z.B. Soziale Fragen), aber auch um den Gegenstand und die Adressaten (z.B. Kinder- und Jugendhilfe). In diesem Kontext geht es auch wieder um die Erkenntnisgewinnung (Induktion – Deduktion), die theoretische Verantwortung (z.B. geisteswissenschaftliche Pädagogik) sowie der Theoriediskurs jüngeren Datums, der in diesem Buch stärkeres Gewicht erfährt. Theorien der Sozialen Arbeit im engeren Sinne verstehen die Autoren als „Theorien, die sich in ihrem Aufbau einerseits auf einen akademisch institutionalisierten Diskussionszusammenhang beziehen, und andererseits auf einem über den Bezug auf diesem Diskussionszusammenhang hergestellten Wirklichkeitsbereich, der in der Theorie als ihr ‚Gegenüber‘ bzw. genauer: als ihr Gegenstand angesprochen und mehr oder weniger minder explizit als Soziale Arbeit, Sozialarbeit oder Sozialpädagogik bezeichnet wird“ (S. 65).

Nach diesem Hinführen zum Thema und zur Systematik des Buches geht es im 3. Kapitel um Beispiele etablierter Theorien. Wie schon angedeutet geht es um einen fokussierten und systematischen Vergleich ausgewählter Theorien der Sozialen Arbeit (vgl.S. 68). Die Auswahl der Theorien erfolgte anhand der Regelmäßigkeit, wie es sich aus Übersichtsartikeln bzw. Lehrbüchern ergibt. Die Systematik und damit der Vergleich ergeben sich aus drei Fragestellungen, mit der jede Theorie untersucht wird:

  1. Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie?
  2. Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit, und auf welchen Vorannahmen werden diese Beobachtung aufgebaut?
  3. Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit?

Die Autoren weisen darauf hin, dass nicht jede aufgeführte Theorie ausführlich dargestellt wird (das erlaubt der Umfang des Buches schon nicht), weshalb die bestehenden Bücher zu Einführungen in das Thema auch weiterhin ihre Berechtigung haben. Es geht um eine Skizzierung der Theorie auf den Hintergrund der Systematisierung, damit Studierende einen Grundsätzlichen Zugang zu dem Thema bekommen bzw. eine andere Form der Erkenntnis sich erschließt: Was ist die Theorie hinter der Theorie?

Folgende theoretische Ansätze werden hier in der genannten Systematik untersucht:

  • Theorie der industriegesellschaftlich gerahmten Erziehungswirklichkeit
  • Theorie der Alltags- und Lebensweltorientierung
  • Theorie zur Unterstützung der Lebensbewältigung
  • Theorie der Dienstleistungsorientierung
  • Theorie der reflexiven Sozialpädagogik
  • Theorie des sozialpädagogischen Diskurses
  • Theorie der organisierten Hilfe
  • Theorie des Funktionssystems sozialer Hilfe
  • Theorie des Regierungshandels
  • Theorie der intervenierenden Sozialpolitik

Wer mit dem Thema vertraut ist weiß, dass es sich häufig nicht um geschlossene Theorie(n) handelt, sondern um theoretische Implikationen von (ehemals) lehrenden Kolleg_innen, die in Aufsätzen, Vorträgen und Diskursen weiterentwickelt wurden, z.T. auch in Autorenkollektiven. Daher sind die Bennungen der Theorien nicht als eine eindeutige Zuordnung zu verstehen, sondern die Autoren haben Charakteristika benannt, die die jeweilige Theorie ihrer Meinung am ehesten nach kennzeichnet.

Kapitel 4 fragt gemäß der zugrunde gelegten Systematik nach den Unterschieden der Theorien der Sozialen Arbeit. Dieses wird durch die Items Erkenntnisziele, Gegenstandsauffassung und Praxisverständnisse weiter strukturiert. Dabei werden die im Kapitel zuvor aufgeführten Theorien der Sozialen Arbeit aufgegriffen und der jeweilige Inhalt kurz dargestellt. Insofern ergibt sich daraus kein direkter Vergleich miteinander, sondern es ist ein Abgleich in der Abfolge der Theorien.

Im Fortgang der Logik des Buches werden im 5. Kapitel die Gemeinsamkeiten herausgestellt. Frühere Systematisierungen haben danach gefragt, was (Hervorhebung im Original) Theorien der Sozialen Arbeit aussagen. Die Autoren wählen einen anderen Zugang und fragen danach, wie Theorien der Sozialen Arbeit aufgebaut sind, indem Erkenntnisanspruch, Vergegenständlichungsprozesse und Praxisverständnisse in den Blick genommen werden.

Hinter der Theoriediskussion steckt die Frage, ob es eine umfassende Theorie Sozialer Arbeit geben kann, die so alleinfassend ist, dass sowohl Inhalte als auch Gegenstände als auch Verantwortung zusammenhängend dargestellt werden können. Diese Frage wird im 6.Kapitel aufgegriffen und diskutiert, denn während die 1980er und 1990er Jahre von einer solchen Diskussion gekennzeichnet waren, ist es ab den 2000er Jahren ehr ruhig geworden. Gibt es Grand Theories für die Soziale Arbeit mit einer höchst generalisierenden Argumentation, die unterschiedliche Ebenen und heterogene Zusammenhänge einbezieht und auch noch mit alltäglichem Handeln in einen Kontext zu bringen ist? Oder sind eher Middle Range Theories angemessen, wo es um spezifischere Fragestellungen geht, was sich auch mit dem aktuellen Trend zur Empirisierung lässt? Die Autoren vertreten die Auffassung, dass die Zeit für Grand Theories wieder kommen wird. Sie argumentieren, dass die Theoriedebatten ihre Spuren hinterlassen haben: so ist heute in Theorie und Praxis von dem Gegenstand der Sozialen Arbeit die Rede, auch wenn es keine explizite Ausformulierung im Sinne einer Grand Theorie als alleinige Theorie gibt (Hervorhebungen im Original) (vgl. S. 217 ff.).

Diskussion

Das Buch und dieser Ansatz wird die Theoriediskussion Sozialer Arbeit auf jeden Fall wieder voranbringen, vielleicht sogar im Sinne der von ihnen erhofften Pfandunabhängigkeit (S. 217 f.). Die Problematik bisheriger Diskussionen lag vielfach darin, dass Theorien nebeneinander gestellt wurden, aber weniger miteinander befragt wurden. Damit muss in der Lehre auch anders begonnen werden: mit Studierenden muss die Frage von Sozialer Arbeit als Disziplin, als Gegenstand mit einem großen Spektrum an Inhalten, als gesellschaftliche und wissenschaftliche Verordnung und als Praxis aufgegriffen und diskutiert werden. Dabei kommt man an der Frage der Erkenntnisgewinnung und Art und Weise von Theoriebildung nicht vorbei.

Wenn aber der Zugang so gewählt werden kann, geht es nicht um das Auswählen vorhandener Ansätze, sondern um die Gewinnung einiger Erkenntnisse mittels eines systematischen Denkens. Theorie Sozialer Arbeit könnte somit tatsächlich stärker zur Reflexivität einiger beruflicher Identität werden, zu einem (professionellen) Habitus beitragen und -bei aller Notwendigkeiten Bescheidenheit- auch ein Baustein zu Grand Theory werden.

Fazit

Das Buch nennt sich im Untertitel „Grundkurs“ und das löst es vollständig ein. Als Einführung in die Soziale Arbeit ist es nicht geeignet (heißt auch nicht so), denn es setzt Grundkenntnisse vom Feld Sozialer Arbeit und von Wissenschaftstheorie voraus. Die Kapitel sind sehr übersichtlich aufgebaut mit vielen Zusammenfassungen, ausdrückliche Begriffserklärungen und Kontrollfragen am Ende eines jeden Kapitels machen es zu einem studentischen Arbeitsbuch. Es liegt am Thema und Gegenstand des Buches, dass es einiger Mühen als Studierender bedarf, um es zu lesen, aber das darf auch verlangt werden. Die Autoren haben es geschafft, mit ihrem Denkansatz und ihrem Buch eine Grundlage für jede Lehrveranstaltung vorzulegen, die Theorien Sozialer Arbeit zum Inhalt hat. Es bleibt zu hoffen, dass der skizzierte Weg von Middle Range Theories im Kontext der Pfandabhängigkeit wieder zu Grand Theory gelangt, der Diskurs damit neu belebt wird, wozu die Autoren sicherlich auch beide weiter beitragen werden.

Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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Zitiervorschlag
Stefan Müller-Teusler. Rezension vom 10.04.2018 zu: Philipp Sandermann, Sascha Neumann: Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit. UTB (Stuttgart) 2018. ISBN 978-3-8252-4948-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23873.php, Datum des Zugriffs 28.09.2023.


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