Dagmar Härle: Trauma und Coaching
Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 04.07.2018
Dagmar Härle: Trauma und Coaching. Trauma-Signale erkennen und professionell handeln. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2018. 240 Seiten. ISBN 978-3-95571-677-6. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.
Thema
Traumatisierende Lebensereignisse, wie körperliche Gewalt, lebensbedrohliche Erkrankungen oder Unfälle, begegnen uns in möglichen Nachwirkungen (z.B. Depressionen, Angsterkrankungen, Suchtmittelmissbrauch) auch im Coaching. Traumata oder psychische Störungen zu verarbeiten, würde den Rahmen des Coaching-Auftrags sprengen. Wie können Coaches Traumafolgen erkennen, ihre Klienten einfühlsam abholen und schließlich entscheiden, ob eine Therapie angezeigt ist? Dagmar Härle beschreibt in ihrem Buch, welche Rolle ein professioneller Coach in solchen Fällen einnehmen kann, um dem Anliegen des Klienten gerecht zu werden.
Autorin
Dagmar Härle ist Master der Psychotraumatologie, Fachsupervisorin in Traumatherapie sowie DVNLP Lehrtrainerin und Lehrcoach. Sie ist seit mehreren Jahren in eigener Praxis als Coach und Traumatherapeutin tätig.
Aufbau
- In den ersten drei Kapiteln werden die zentralen Begriffe erklärt und in Zusammenhang gebracht.
- Das vierte Kapitel stattet den Coach mit Akutmaßnahmen aus.
- Kapitel 5 widmet sich Entwicklungstraumata und geeigneten Coaching-Maßnahmen.
- Kapitel 6 bis 8 vertiefen Stressbewältigung, Burnout sowie Demütigung und Schamgefühle.
- Das nötige Handwerkzeug für das Coaching finden wir in Kapitel 9.
- In Kapitel 10 geht es um den beruflichen Wiedereingliederung nach einer Traumatisierung, und
- Kapitel 11 widmet sich den Maßnahmen für den Selbstschutz und die Selbstfürsorge des Coachs.
- Im Anhang finden wir Fragebögen und Arbeitsblätter.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Nach der Erklärung und Abgrenzung der Konzepte von Coaching, Psychotherapie und Psychotraumatologie, erhalten wir in Kapitel 3 das nötige Grundwissen zur Psychotraumatologie und erfahren, was man unter einem Trauma versteht, und wie sich akute Belastungsreaktionen und -störungen, die nach Weile wieder abklingen sollten, von posttraumatischen Belastungsstörungen, die mit längerfristigen Traumafolgestörungen und gegebenenfalls Anpassungsstörungen einhergehen, unterscheiden.
Ein wichtiger Theorieabschnitt beschäftigt sich mit den neurophysiologischen und biologischen Zusammenhängen, die dem Coach verstehen helfen, was bei Traumafolgestörungen, Stress oder Burnout in unserem Organismus passiert. Härle erklärt die typischen Selbstverteidigungsabläufe, wie wir mithilfe unseres sympathischen oder parasympathischen Systems versuchen, Sicherheit zu generieren und schließlich, wie wir im Coaching helfen können, den ventralen Vagus, das Erleben einer positiven, beruhigenden und Sicherheit vermittelnden Beziehung, zu aktivieren. Eine Kurzcharakteristik häufiger Begleiterscheinungen unbehandelter Traumafolgestörungen und ein Ausblick über gängige Verfahren in der Traumatherapie, unterstützen dem Coach bei der Einschätzung und Empfehlung des weiteren Vorgehens.
Das vierte Kapitel ist zentral für die Praxis des traumainformierten Coachings, da die Autorin hier ganz konkrete Anleitungen der Psychoedukation und Akutintervention zur Verfügung stellt und dem Coach eine traumainformierte Toolbox mit verschiedenen Übungen an die Hand gibt.
Die folgenden Kapitel erklären die psychologischen Grundlagen komplexer Traumafolgestörungen, Bindungstraumata, traumatischen Stress und Burnout.
Das neunte Kapitel ist wieder praktisch ausgerichtet und dem Umgang mit langfristigen Folgestörungen im traumainformierten Coaching gewidmet. Anhand von Fallbeispielen erklärt die Autorin, wie der Coach den Klienten aufklären, den Stress reduzieren, sowie die Fähigkeit zur Mentalisierung, also Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, verbessern kann. Darüber hinaus beschreibt sie Techniken und Übungen zur Achtsamkeit und zur Förderung der Selbstwirksamkeit. Dabei macht sie deutlich, dass dies keine Traumatherapie ist und eine solche auch nicht ersetzten kann.
Die letzten beiden Kapitel geben einen Einblick in die berufliche Wiedereingliederung nach einer Traumatisierung und die eigene Selbstfürsorge als Coach.
Im Schlusswort fasst die Autorin die Kernelemente und Aufgaben des traumainformierten Coachings zusammen. Der Coach kann Traumata erkennen und dem Betroffenen seine Reaktionen und Verhalten erklären und ihm so mehr Sicherheit vermitteln (Psychoedukation), sowie Techniken zur Beruhigung anwenden und den Coachee durch das eigene sensible Verhalten positive Beziehung erfahren lassen. Darüber hinaus kann er Übertragungsphänomene erkennen und einschätzen, wann eine psychotherapeutische Behandlung empfehlenswert ist.
Diskussion
Das ist ein Buch für praktizierende Coaches, die Symptome akuter und früherer Traumata bei ihren Klienten erkennen sowie angemessen darauf reagieren möchten. Die Autorin beschreibt das nötige Grundlagenwissen, um das Verhalten und Erleben von Klienten nach einem traumatischen Ereignis zu verstehen, und was ein Coach im Rahmen eines traumainformierten Coachings ganz konkret tun kann, um ihnen wirksam zu helfen, ohne die Grenzen des Coachings zu übertreten.
Dabei findet Dagmar Härle eine gute Balance zwischen jeweils Theorie und Praxis, Übungen und pragmatischem Überblickswissen, sowie Beispielen und hinreichend differenzierter Tiefe. Auch der Aufbau des Buches ist übersichtlich gestaltet: Fallbeispiele sind ebenso optisch abgesetzt, wie Symptom- und Checklisten, und die Abbildungen tragen zum Verständnis bei. Im Anhang finden sich Fragebögen und Checklisten für die praktische Arbeit. Dank spezifischer Überschriften und einem ausführlichen Stichwortverzeichnis sowie vieler Querverweise im Text, findet man sich im Buch gut zurecht und kann einzelne Themen schnell nachschlagen. Fachbegriffe werden in Fußnoten erklärt. Während das Buch sprachlich einfach zu lesen ist, stellt es doch komplexe Zusammenhänge dar, die ein intensiveres Durcharbeiten lohnenswert und – vor der Anwendung – erforderlich machen.
Fazit
Dagmar Härle beschreibt die Grundlagen eines traumainformierten Coachings und hilft Coaches akute Traumata und langfristigere Traumafolgestörungen zu erkennen und zu adressieren, sowie zu entscheiden, wann eine Therapie empfehlenswert oder notwendig ist. Dazu enthält das Buch nicht nur psychologische Grundlagen, sondern auch Checklisten zur Symptomerkennung, Maßnahmen und Übungen, die im Coaching angewendet werden können.
Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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Zitiervorschlag
Tatjana van de Kamp. Rezension vom 04.07.2018 zu:
Dagmar Härle: Trauma und Coaching. Trauma-Signale erkennen und professionell handeln. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2018.
ISBN 978-3-95571-677-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23878.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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