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Sylvia Näger: Literacy. Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur

Rezensiert von Ulrike Ziemer, 20.03.2018

Cover Sylvia Näger: Literacy. Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur ISBN 978-3-451-38031-0

Sylvia Näger: Literacy. Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2017. 6. Auflage. 144 Seiten. ISBN 978-3-451-38031-0. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 26,90 sFr.

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Thema

Die Autorin beschreibt in ihrem Werk zahlreiche Möglichkeiten zur frühen Begegnung mit Sprache, Schrift und Literatur. Das Ziel ist es, Kindern früh einen Zugang zur Lese-, Erzähl- und Schreibkultur zu eröffnen und in Kitas entsprechende Bildungskonzepte zu etablieren.

Autorin

Sylvia Näger berät und begleitet Träger und Institutionen in der Entwicklung und Durchführung von Plänen zur sprachlichen Bildung. Sie ist von Beruf Diplom Medienpädagogin und arbeitet als Dozentin und Autorin. Ihre Arbeitsprioritäten sind die sprachliche Bildung, die Sprachförderung sowie Literatur und Medien.

Aufbau und Inhalt

Im ersten Abschnitt des Fachbuchs erläutert Sylvia Näger den aus dem englischen kommenden Begriff „Literacy“. Sie versteht darunter die Kompetenz, durch Sprache und Schrift, in Interaktion zu treten. Literacy umfasst nicht nur die Fähigkeit Lesen und Schreiben zu können, sondern bezieht auch alle Erfahrungen und Grundfertigkeiten, die das Sprechen, Erzählen und Schreiben betreffen, mit ein. Die Geschichte der Elementarpädagogik zeigt, dass bereits Friedrich Fröbel und Maria Montessori in ihren Konzepten das Ziel verfolgten Sprach-, Lese- und Schreibkultur zu vermitteln. Sylvia Näger befasst sich im vorliegenden Werk mit Literacy- Erfahrungen im vorschulischen Bereich. Sie sieht hierbei die Fachkraft als Begleiterin für die kindliche Entwicklung.

Im zweiten Kapitel erfährt der Leser etwas über die Bereiche „Zuhören und Wahrnehmen“. Neben der Erläuterung der theoretischen Grundlagen zur Hörfähigkeit und zur phonologischen Bewusstheit, finden sich viele praxiserprobte Vorschläge zur Förderung der „Zuhörerkompetenz“. Reime, Silbenspiele, Anlaute verzaubern oder einen Koffer mit Anlauten packen. Es gibt eine beachtliche Zahl an themenbezogenen Praxistipps.

Der dritte Gliederungspunkt „Raum für Rhythmus – Speichermedien für Sprache“ beschreibt, wie die Lust am Sprechen spielerisch belebt werden kann. Gedichte und rhythmische Verse machen die Struktur von Sprache und Lyrik erlebbar. Es finden sich Reime, Abzählverse, Klatschspiele, Fingerspiele, Zungenbrecher, Malreime und Gedichte für Kindergartenkinder mit Quellenangaben und Empfehlungen. Ein Beispiel für einen Zungenbrecher:

„In den Regenrinnen wohnen Regenspinnen,
tanzen auf den Tropfen und tun Socken stopfen,
denn in Regensocken bleiben Spinnen trocken.“ (Seite 34).

Das vierte Kapitel „Noch eine Geschichte bitte“ erläutert, wie Vorlesesituationen gestaltet werden können und welche Bedeutung die Stimme beim Vorlesen hat. Es wird eine Vielfalt von Vorschlägen, Beispielen, Anleitungen und Literaturtipps zusammengetragen. Bei der Vermittlung von Literatur an Kinder, kommt dem Vorlesen eine besonders wichtige Rolle zu. Vorlesen spannt eine Brücke zwischen Schrift und Sprache.

Im fünften Teil des Buches „Ein Bild vor Augen, eine Geschichte im Ohr“, befasst sich die Autorin mit dem dialogischen Vorlesen und dem Betrachten von Bilderbüchern. Die Methode des dialogischen Vorlesens von Bilderbüchern ist eine der erfolgreichsten Ansätze der frühkindlichen Sprachförderung. Vier spezifische Fragetechniken unterstützen das dialogische Lesen und Betrachten.

  1. Bestätigung und weiterführendes nachfragen
  2. Einfache und erweiterte W-Fragen
  3. Wiederholung bzw. Paraphrasierung der kindlichen Aussage
  4. Erzählanregende Fragen, eher vage als konkret, mit Mut zu Gesprächspausen

(Seite 50)

Das sechste Kapitel „Und dann traf der Kobold das kleine Huhn“ beschreibt die Bedeutsamkeit von nicht-situativer Sprache. Im Gegensatz zur alltäglichen Sprache findet man in der Literatur einen vielfältigeren Wortschatz und eine ausgereiftere Grammatik. Geschichten ermöglichen einen Zugang zur Symbolfunktion von Sprache. Es wird deutlich, wie sich gesprochene und geschriebene Sprache unterscheiden. Außerdem erhält der Leser einen Überblick über Methoden, die dabei unterstützen, die kindliche Erzählfähigkeit zu entwickeln. Ansätze, wie zum Beispiel erzählen mit Unterstützung einer Erzählmuschel, mit einem Erzählstein, mit dem Requisitenkoffer, mit einem audio-visuellen Geschichten Guckkasten, mit Geschichtensäckchen oder mit dem Kamishibai, werden praxisorientiert vorgestellt. Kinder lernen beim Zuhören das Gerüst einer Erzählung kennen und können diese Modelle später beim eigenen Verfassen von Texten besser anwenden.

Bilderbuchkino, auditive Medien und Apps“, ist der Titel des siebten Kapitels. Es wird beschrieben, wie Medien wie Filme, CDs und Apps das Interesse an Sprache und Literatur wecken können. Hörbücher oder Filme können Bücher nicht ablösen, aber sie unterstützen die Konzentration auf sprachliches Wissen. Nachhaltig wirken sie allerdings nur, wenn Geschichten mehrfach gehört werden und die fehlende kommunikative Seite, durch anschließende Gespräche über das Gehörte und Gesehene, ausgeglichen wird. Ein weitere Möglichkeit, sind selbst aufgezeichnete CDs und Hörbücher. Eltern können zum Beispiel Geschichten in ihrer Muttersprache aufnehmen und ihren Kindern so ermöglichen, bekannte Wörter und Stimmen auch im Kindergarten zu hören. Dies ist wichtig, damit auch Kinder mit Migrationshintergrund für unterschiedliche Sprachklänge und Rhythmen sensibilisiert werden. Bilderbuchkinos, Bilderbuchfilme und Bilderbuch Apps bieten ebenfalls Zugangsmöglichkeiten zu Literatur. Einige zusammengefasste Hinweise für die digitale Lesewelt, runden die medialen Vorschläge ab.

Das achte Kapitel „Ich bin der Kasper und du das Krokodil“ zeigt auf, welche Bedeutung dem Spiel und im Besonderen dem Rollenspiel als sprachbildende Fähigkeit zukommt. Rollenspiele bieten nicht nur die Möglichkeit zum sozialen Lernen, sie stellen auch sprachliche Herausforderungen dar. Häufig werden auf dieser spielerischen Ebene auch Kinder von Sprache fasziniert, die sonst eher schweigsam sind. Beim Figurenspiel und bei szenischen Spielen lernen Kinder nicht nur sich sprachlich in Rollen hineinzugeben, sondern auch auf den jeweiligen Anderen zu hören und ihm angemessen zu antworten.

Das Thema des neunten Abschnittes lautet: „Logos, Piktogramme, Bilderschriften“ &hellipKinder beginnen bereits mit drei Jahren Zeichen und Symbole zu entdecken und zu verstehen. Verkehrszeichen, bekannte Logos und Schriftzeichen werden erkannt und mit etwas in Verbindung gebracht. Kulturunabhängige Piktogramme, wie zum Beispiel Abbildungen von Messer und Gabel oder von einem Telefonhörer werden bereits von Kindern bestimmten Angeboten zugeordnet. Andere Zeichen wie Flaggen, Fahnen, Wappen oder Landkarten wecken das Interesse und regen dazu an, auch eignen Zeichensysteme zu entwickeln. Auch Musiknoten und die Bildschriften alter Kulturen laden zum Experimentieren ein. Eine positive Fehlerkultur und ein sensibler, wertschätzender Umgang miteinander und mit den entsprechenden Phasen der Schreibversuche von Kindern, ermöglicht es, dass Kinder Zugang zur Systematik von Schrift gewinnen können.

Das zehnte Kapitel „Buchstaben, Worte und Sätze“ enthält viele Angebote, wie zum Beispiel Schwungübungen mit Musik Buchstaben entdecken, Buchstaben-Theater mit Klappmaulfiguren, ABC Bücher, ABC Collage, tanzende Buchstaben, Namen- und Bildkarten oder Wort-Schätze sammeln, die Impulse zum unbefangen Umgang mit Buchstaben und Wörtern geben. Einmal ganz anders schreiben, zum Beispiel mit unterschiedlichen Farben und Schreibgeräten und die kommunikative Funktion von geschriebener Sprache entdecken, kann viel Freude bereiten und löst Neugierde bei den Kindern aus. Vielfältige Bildungserlebnisse rund um Literatur, Schrift und Sprache können geschaffen werden, wenn es gelingt in der Kita eine persönliche, pädagogische und räumliche Stimmung zu schaffen, die Literatur willkommen heißt.

Das elfte Kapitel „Ein literarisierendes Klima in der Kita schaffen“, enthält viele kleine Bausteine, die helfen können, eine literarturfreundliche Atmosphäre zu schaffen. Das Buch- und Medien-Repertoire sollte umfassend sein und die unterschiedlichen Situationen und Entwicklungsphasen der Kinder berücksichtigen. Es werden verschieden Möglichkeiten zur Umsetzung in Kitas vorgestellt:

  • Cross- Media Angebot
  • Kita Bibliothek
  • Rucksackbibilothek
  • Gemeinsame Rituale
  • Welttag des Buches
  • Buchaustellung
  • Öffentliche Bibliothek
  • Literacy-Projekte wie zum Beispiel: Literacy-Center, Schreibwerkstatt, Lesemöbel, Bleistiftwerkstatt oder Meine Lieblingsbücher.

Es gibt eine große Vielfalt von Bücher und Medien für Kinder. Im zwölften Kapitel „Auswahlbibliographie“ werden unter den folgenden Unterpunkten, zahlreiche Vorschläge aufgelistet und jeweils inhaltlich kurz beschrieben.

  • Bücher zum Vorlesen
  • Textfreie und sprachanregende Bilderbücher
  • Lyrik im Bilderbuch
  • Wimmelbücher
  • Sachbilderbücher
  • Bild-Wörterbücher
  • Bilderbücher in zwei oder mehreren Sprachen
  • Illustrierte Liederbücher
  • CDs: Hörspiele – Kino im Kopf, Hörbücher – vorlesen lassen
  • Lyrik für Kinder: Anthologien, CDs und Bilderbücher
  • Bilderbuchkino
  • Bilderbuch-DVDs
  • Bilderbuch-Apps
  • ABC – Bücher
  • Brief- und Buchkultur in der erzählenden Kinderliteratur.

Diskussion

Das Fachbuch von Sylvia Näger wendet sich an Elementarpädagogen und Eltern von Vorschulkindern, sowie an Bibliotheken und alle Menschen die gerne Vorlesen. Die Autorin hat eine unglaubliche Vielfalt von Möglichkeiten, Vorschlägen, Ideen und Literaturhinweisen zusammengetragen. Schon beim Betrachten des Inhaltsverzeichnisses ahnt der Leser, dass das Buch zu einem hilfreichen Begleiter für die Praxis werden könnte. Es taucht aber auch die Frage auf, warum der Titel des Buches englischsprachig ist und nicht einfach mit Leseförderung benannt wurde. Bei der Analyse des Begriffs wird deutlich, dass in dem Wort Literacy sehr viel mehr steckt. Es geht nicht nur darum, Kinder mit Geschichten vertraut zu machen, sondern ein literarisches Klima zu entwickeln und durch Sprache und Schrift zu kommunizieren. Jedes der zwölf Kapitel enthält einen theoretischen Teil und eine praktische Komponente. Beide Elemente, Theorie und Praxis sind jeweils so ausgeführt, dass die Konzepte nachvollziehbar sind. Besonders die praktischen Anregungen, sind so beschrieben, dass der Leser sie direkt ausprobieren kann und nicht noch andere Praxisbücher einbeziehen muss. Es ist sehr hilfreich, dass jedes Kapitel mit einem Informativen Kasten beginnt in dem in kurzen Notizen aufgeführt ist, was der Leser im jeweiligen Kapitel erfährt. Zum Beispiel steht zu Beginn von Kapitel zehn (Seite 91):

„In diesem Kapitel erfahren Sie

  • wie Kinder Buchstaben entdecken und erobern
  • dass Kinder vielfältige Schreibanlässe brauchen
  • wie sich der Schriftspracherwerb in einer Abfolge von Stufen entwickelt“

Innerhalb der Kapitel oder am Ende finden sich farblich hinterlegte Kästen, die Erläuterungen zusammenfassen oder konkrete Tipps auflisten. Dies ist Leserfreundlich und erleichtert den inhaltlichen Überblick. Sylvia Näger macht in ihrem Fachbuch deutlich, wie wichtig eine wertschätzende Haltung ist, damit Kinder freudig mit Sprache und Schrift hantieren lernen. Das vorliegende Werk spiegelt die Liebe zur Literatur der Autorin wieder. Es ist sehr unterstützend zu lesen und zu entdecken welche Möglichkeiten Literacy für die Kultur einer Kita anbietet. Die vielen gut strukturierten Literaturtipps sind förderlich, besonders, da es sich nicht lediglich um Buchlisten handelt, sondern um jeweils kurz beschriebene Literatur. So ist gut erkennbar, welche Werke sich für bestimmte Situationen besonders gut eignen. Weitere fachliche Informationen sind mit Hilfe des Literaturverzeichnisses leicht auszuwählen. Literracy, von Sylvia Näger ist ein sehr empfehlenswertes Fachbuch für Elementarpädagogen und alle Menschen, die bereit sind sich für Buch-, Erzähl- und Schriftkultur begeistern zu lassen.

Das Arabische Sprichwort „Ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ (Seite 108), drückt aus, wie bunt und vielfältig die Welt der Bücher sein kann.

Fazit

Die Autorin setzt sich in ihrem Fachbuch „Literacy“ mit den unterschiedlichen Dimensionen von Lese-, Erzähl- und Schreibkulturen auseinander. Sie beschreibt, dass es besonders für die Bildungschancen von Vorschulkindern bedeutsam ist, inwieweit sie in einem literarisch stimulierenden Umfeld heranwachsen. Das Zusammenwirken von Erfahrungen mit Zeichen, von gedruckten und digitalen Büchern und Menschen, die durch Vorlesen Schriftsprache in eine mündliche Sprache verwandeln, eröffnet Kindern Zugang zu vielfältigen Erfahrungen. Die Erzählkultur einer Gesellschaft mit all ihren Fassetten zu erleben, ist für Menschen mit Migrationserfahrung besonders hilfreich, um die fremde Sprache mit ihren oft hintergründigen Bedeutungen wirklich zu verstehen. Das Werk enthält neben theoretischen Erläuterungen viele Praxisanregungen und hilfreiche Literaturempfehlungen.

Rezension von
Ulrike Ziemer
Dipl. Heilpädagogin (FH)
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Es gibt 32 Rezensionen von Ulrike Ziemer.

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ISSN 2190-9245