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Annette Spellerberg (Hrsg.): Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich

Rezensiert von Prof. Dr. Frank Eckardt, 04.04.2018

Cover Annette Spellerberg (Hrsg.): Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich ISBN 978-3-658-19607-3

Annette Spellerberg (Hrsg.): Neue Wohnformen – gemeinschaftlich und genossenschaftlich. Erfolgsfaktoren im Entstehungsprozess gemeinschaftlichen Wohnens. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2018. 197 Seiten. ISBN 978-3-658-19607-3. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 41,50 sFr.

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Thema

Neue Formen des Wohnens als Alternative zu Miete und Eigentum sind seit einiger Zeit auf dem Wohnungsmarkt zu beobachten. Insbesondere die Generation 50plus scheint für das Gründen von Wohnprojekten und neuen genossenschaftlichen Formen des Zusammenlebens offen zu sein. Die Realisierung eines solchen Vorhabens ist komplex und ruft viele praktische und soziale Fragestellungen hervor, die bislang nicht wissenschaftlich systematisch behandelt worden sind. Dieses Buch verschafft hierzu einen Überblick und will auch mit der Identifizierung von Erfolgsfaktoren nützliches Wissen bereitstellen.

Herausgeberin

Annette Spellerberg ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der TU Kaiserslautern.

Entstehungshintergrund

Die Publikation basiert auf zwei Projekten zum Thema gemeinschaftlichen Wohnens, die vom Land Rheinland-Pfalz gefördert wurden und am Lehrstuhl der Herausgeberin durchgeführt wurden.

Aufbau

  • Einleitung
  • Teil 1: Gemeinschaftliche Wohnprojekte und Nachbarschaften (4 Unterkapitel: Studiendesign, Entstehung von Wohnprojekten, Realisierte Wohnprojekte: Utopie des Zusammenlebens? Fazit
  • Teil 2: Gemeinschaftliche Wohnprojekte als Genossenschaft(4 Unterkapitel: Aufbau der Studie, Entstehung von Wohnprojekten in genossenschaftlicher Form, Unterstützngsstrukturen genossenschaftlicher Wohnprojekte in verschiedenden Bundesländern, Traditionelle und junge Wohngenossenschaften)
  • Fazit

Inhalt

Die Einleitung zu diesem Buch kontextualisiert das Entstehen der neuen Wohnformen in einen Zusammenhang von demographischer Entwicklung, der veränderten Familienkonstellationen und Lebensstile, den Prozessen der Lebensstil-Diversität und der sozialräumlichen Veränderungen. Gemeinschaftliches Wohnen wird als eine neue Form des nachbarschaftlichen Zusammenlebens verstanden, wobei die Aspekte der Unterstützung im Alltag, vor allem für immobile Gruppen wie Senioren und Kinder, im Vordergrund stehen. Identifiziert wird das „soziale Kapital“, das durch gemeinschaftliches Zusammenleben entstehen kann, und das auch für die Außenbeziehung etwa gegenüber bei Grundstückserwerbungen wichtig. Ausgehend von der Einschätzung von der Wichtigkeit der „schwachen“ Beziehungen (im Sinne Granovetters) werden Formen des gemeinschaftlichen Wohnens als auch allgemein für gesellschaftlich wertvoll erachtet.

Trotz der offensichtlichen Vorteile des gemeinschaftlichen Wohnens für das Individuum wie für die Gesellschaft sind die neuen Wohnformen ein Randphänomen geblieben, wofür die Autor/innen in der Forschungsliteratur aber keine schlüssige Erklärung finden können. Hürden für das Entstehen von gemeinschaftlichen Wohnformen motivieren deshalb die erste Studie. In der Einleitung wird aber zunächst das gesamte Spektrum von Definitionen von gemeinschaftlichen Wohnprojekten aufgezeigt. Die dazu entwickelte Abbildung 1 ist dabei sehr hilfreich. Fokussiert wird in diesem Buch auf die gemeinschaftlichen Wohnprojekte, die nur einen Ausschnitt aus den neuen Wohnformen darstellen. Sie kennzeichnen sich durch den Anspruch, in Gemeinschaft zusammenleben zu wollen, sich auf freiwilliger Basis zu unterstützen, gemeinschaftliche Aktivitäten auszuführen, keine familiären Bindungen und keine Pflegeleistungen aufzuweisen. Es handelt sich dabei um mindestens drei Parteien mit Gebäuden in räumlicher Nähe. Es gibt Gemeinschaftsräume, aber man lebt in privaten Wohneinheiten. Das organisatorische Ziel der Gemeinschaft ist die Realisierung des Wohnprojekts. Die zweite Studie richtet sich auf genossenschaftliches Wohnen, wobei zwischen traditionellen Genossenschaften, die teilweise schon vor dem Ersten Weltkrieg bestehen und ca. 2,2 Millionen Wohnungen in Deutschland in zumeist großen Organisationsstrukturen beherbergen, und jüngeren Wohngenossenschaften, die in den letzten Jahren verstärkt auftreten und eher kleine Organisationsformen aufweisen, zu unterscheiden ist.

Teil 1 des Bandes bezieht sich vor allem auf eine Befragung unter existierenden Wohnprojekten, geplanten und abgebrochenen Initiativen und Bewohner/innen „normaler“ Nachbarschaften, sowie eine Kurzbefragung von 47 gemeinschaftlichen Wohnprojekten in Rheinland-Pfalz. Zu den einzelnen Fragestellungen der Befragung, etwa zu Motivation und Verlauf der Planung von Wohnprojekten werden in den Unterkapiteln die wichtigsten Ergebnisse der Befragung dargestellt. Dabei können durchaus aufschlussreiche Erkenntnisse vermittelt werden, etwa wie normalerweise die Realisierung von Wohnprojekten verläuft. Die Autor/innen verweisen darauf, dass solche Projekte in der Regel erste in Angriff genommen werden, wenn der Alltag in halbwegs geregelten Bahnen verläuft. Selbst dann ist der Erfolg aber nicht selbstverständlich. Motivation und Engagement bleiben die entscheidenden Faktoren, die von der Idee zum Projekt führen können. Die Beteiligten müssen sich dabei vom Laien zum Experten entwickeln und viel Zeit für Besprechungen und Kommunikation einplanen. Kontakte zu anderen Projekte und zur Kommune können dabei sehr helfen. Damit sind auch zugleich die Schwierigkeiten benannt, an denen solche Projekte scheitern können. Da der Prozess lange dauert und anstrengend ist, springen Mitglieder ab und die Gruppe zerstreitet sich. Die Studie schließt mit fünf Empfehlungen für die Finanzierung, Beratung, Grundstückerwerb, Werbung von Interessenten und externen Kontakten ab.

Teil 2 der Publikation beschäftigt sich mit den alten und neuen Genossenschaften. Auch hier ist eine leitfadengestützte Befragung Grundlage für die dann folgend dargestellten Aussagen zum Thema. Hierbei handelt es sich um wesentlich weniger Interviews als im ersten Teil. Dies ist aufgrund der geringen Neugründungen in Deutschland insgesamt (2013: 13) nachvollziehbar. Genossenschaften werden hier als rein rechtlich definierte Organisationsformen verstanden, wodurch der Kreis der potentiell Befragten noch kleiner ist. In summa, kann man die gleichen ökonomischen, planerisch-baulichen und gruppendynamischen Schwierigkeiten identifizieren wie bei den Wohnprojekten im ersten Teil. Dazu kommen aber auch noch genossenschaftsspezifische Schwierigkeiten, wie etwa das verstaubte Image von Genossenschaften und die oftmals schwierigen Verhandungen mit Banken. Dargestellt wird zudem, welche Unterstützungsmöglichkeiten in den verschiedenen Bundesländer vorhanden sind.

Diskussion

Die vorgelegte Publikation greift ein wichtiges Thema auf, auch wenn es nach wie vor randständig ist. Damit ist zum zweiten Mal nach einer Veröffentlichung der Akademie für Raum- und Landesplanung (2016) das Thema Wohnprojekte von prominenten Vertreterinnen aufgegriffen worden. Das vorgelegte Buch ist in zweierlei Hinsicht begrenzt.

Erstens ist es weitgehend auf Rheinland-Pfalz beschränkt und kann die vermutete Dynamik in den Großstädten nicht aufgreifen. Angenommen wird hierbei, dass die Gründung von Wohnprojekten in noch stärker nachgefragten Wohnungsmärkten wie Frankfurt oder München andere Einsichten vermitteln könnte und auch zu anderen Schlussfolgerungen kommen müsste, was die Unterstützungsmöglichkeiten betrifft. Seit dem Ende der Projekte, die hier vorgestellt wurden, sind inzwischen auch wiederum vier Jahre vergangen und die Entwicklung auf den lokalen Wohnungsmärkten hat noch mehr Dringlichkeit erzeugt, um Alternativen zum bestehenden Wohnungsangebot zu konzipieren.

Zweitens muss eingewandt werden, dass dieses Buch sehr deutlich für potentielle Gründer von Wohnprojekten und -genossenschaften wichtige Einsichten in die Schwierigkeiten vermitteln kann und dass diese auch eine interessierte Politik informieren müsste, dennoch ist zu bedenken, dass mit der Fokussierung auf Wohnprojekte und rechtlich definierte Genossenschaften auch ein großer Teil von neuen Wohnformen herausfällt, die durchaus erkennbar werden lassen könnte, dass eine neue Perspektive auf das Wohnen in der Gesellschaft sich zumindest anbahnen könnte. Wie beim Auto ist das Wohneigentum nicht mehr das Statussymbol für viele Menschen, wie es das noch vor ca. 10-15 Jahren war. als „Dritte Säule“ dem gemeinschaftlichen Wohnen einen Platz einzuräumen, mag diesem Wandel entsprechen, aber damit wäre der symbolische Bedeutungsverlust von Wohneigentum noch nicht hinreichend beschrieben. Die Wohnung gilt noch immer landläufig als Altersvorsorge und Kapitalinvestition, doch mit der zunehmenden sozialen Ungleichheit werden diese Auffassung ausgehöhlt. Wenn wieder mehr Gemeinschaftlichkeit entstehen soll, dann wäre ein kultureller Wandel notwendig, der gesellschaftliche Leitbilder von Eigentum und Individualisierung in Frage stellt.

Fazit

Mit dem vorgelegten Buch von Annette Spellerberg und ihrem Autorenteam ist ein wichtiger, systematischer Überblick in das Thema des gemeinschaftlichen und genossenschaftlichen Wohnens vorgelegt worden. Die beiden Studien, auf denen das Buch basiert, geben am Beispiel von Rheinland-Pfalz, sehr gute Einblicke in die Prozesse, Möglichkeiten und Schwierigkeiten von Wohnprojekten und Wohngemeinschaften. Damit ist für viele Leser/innen, die sich eventuell mit dem Gedanken beschäftigen, weder eine Wohnung zu mieten oder kaufen zu wollen, ein guter und wichtiger erster Schritt gemacht worden, um sich kundig zu informieren. Wenn sich gemeinschaftliches Wohnen als zukunftsweisendes Konzept durchsetzen soll, dann braucht es hierfür viele funktionierende Projekte und eine gute Kommunikation über das Thema, wozu dieses Buch mit großer Übersichtlichkeit beiträgt.

Rezension von
Prof. Dr. Frank Eckardt
Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar
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Es gibt 12 Rezensionen von Frank Eckardt.

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ISSN 2190-9245