Andreas Schrappe: Kinder und ihre psychisch erkrankten Eltern
Rezensiert von Dr. phil. Janet Langer, 01.08.2018

Andreas Schrappe: Kinder und ihre psychisch erkrankten Eltern. Kompetent beraten, sicher kooperieren : mit Online-Materialien. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2018. 172 Seiten. ISBN 978-3-7799-3418-9. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 23,90 sFr.
Thema
Das Buch informiert über die Möglichkeiten und Umsetzungsformen bei der Beratung von psychisch Erkrankten und ihren Kindern. Es erscheint in der Reihe Basiswissen Beratung und hat den Anspruch, aktuelle, theoretisch fundierte und praktisch evaluierte Beratungspraxen vorzustellen. Es ist daher insbesondere für PraktikerInnen in der Erziehungs- und Familienberatung geeignet, die bereits eine Beratungsausbildung absolviert haben. Für Studierende der Human-, Sozial- und Erziehungswissenschaft kann das Buch jedoch ebenfalls eine Ergänzung zur bestehenden Beratungsliteratur darstellen.
Entstehungshintergrund
Seit den 1970er Jahren führten Reformen der psychiatrischen Versorgung dazu, dass anstelle großer Nervenheilanstalten, kleinere, psychiatrische Stationen für psychisch Erkrankte installiert und kürzere stationäre Aufenthalte realisiert wurden. Neben den an einer psychischen Krankheit Erkrankten wurde der Blick ebenfalls auf Beziehungen der erkrankten Person erweitert. Allerdings nicht auf die Kinder der Betroffenen. Dies änderte sich erst in den 1990er Jahren u.a. aufgrund der Beobachtung einer intergenerationalen Weitergabe psychischer Belastung und einem Fokus auf bio-psycho-soziale Verursachungsmodelle zur Krankheitsentstehung. Dieser Perspektivenwechsel mündete Anfang der 2000er in einer Bundesarbeitsgemeinschaft „Kinder psychisch erkrankter Eltern“. Insbesondere Erziehungs- und Familienberatungsstellen haben seither die Familien der psychisch erkrankten Person als Ganzes in ihr Tätigkeitsfeld einbezogen. Das Buch will dabei unterstützen, einen Zugang zu den betroffenen Familien herzustellen und zu sichern, über psychiatrische Störungsbilder verstehend aufzuklären und notwendige Netzwerkarbeit zu verdeutlichen.
Aufbau
Das Buch gliedert sich nach einer ausführlichen Einführung in vier Abschnitte:
- psychische Krankheiten im System Familie
- Potenziale der Beratung bei psychischer Beeinträchtigung
- Kooperation verschiedener InterakteurInnen z.B. der Jugendhilfe und Psychiatrie und
- Bewältigung und Beratung.
Die genannten Kapitel gliedern sich in Unterkapitel, die den jeweiligen Schwerpunkt differenziert beleuchten. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Bereits zu Beginn des Buches wird der Fokus deutlich: Im Gegensatz zu anderen Beratungskonzepten stehen nicht allein die direkt Betroffenen im Mittelpunkt, sondern ebenso deren Kinder. Dieser erweiterte Blick ist deshalb bedeutsam, da Kinder psychisch kranker Eltern häufig ebenfalls Beeinträchtigungen der sozial-emotionalen Entwicklung aufweisen, was sich über das Fürsorgeverhalten psychisch kranker Eltern erklären lässt. Aufgrund einer zumeist eingeschränkten Fürsorge entwickeln die Kinder bestimmte Strategien, um sich an die Fürsorgeumwelt anzupassen. Der Autor versucht insbesondere aus stresstheoretischer Perspektive eben genau diese Strategien als adaptive Formen des Umgangs mit belastenden Situationen zu beschreiben.
Daraus ergibt sich im folgenden Kapitel Familie und Erkrankung ein Überblick über die Folgen einer psychischen Erkrankung eines Elternteils auf das Familiensystem, unabhängig von der psychiatrischen Diagnose. Der verstehende Zugang ermöglicht dabei einen Einblick in mögliche Rollen, Denk- und Handlungsmuster der Beteiligten, ihr Belastungserleben und Erziehungsverhalten. Dabei greift der Autor auf unterschiedliche theoretische Zugänge zurück wie z.B. der Bindungstheorie und -forschung. Allerdings können die allgemeinen Beschreibungen spezifische Dynamiken bei einzelnen psychiatrischen Erkrankungen nicht umfassend erklären. Folgende Störungsbilder werden daher getrennt voneinander hinsichtlich der Symptomatik und deren Folgen für das Kind und dessen Wohlergehen beschrieben:
- Schizophrenie,
- Depression,
- die bipolare Störung,
- Persönlichkeitsstörung und
- die Suchtbelastung eines Elternteils.
Im sich anschließenden Kapitel erfolgt ein Überblick über die Grundlagen, Organisationsformen und Themen innerhalb einer Beratung von Kindern und ihren psychisch kranken Eltern. Dabei gibt der Autor immer wieder praktische Hinweise z.B. zur Gestaltung des Erstkontaktes. Der im Buch vertretene psychoedukative Ansatz ist nicht als eine eigenständige Beratungsmethode zu verstehen, sondern baut auf bestehende Beratungskonzepte auf. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass insbesondere Kinder psychisch kranker Eltern zeitweise stärker von einer aktiven Beratungsrolle anstelle einer abwartend, zuhörenden profitieren. Es werden Beispiele erläutert, wie das Kind mit der Familienproblematik konfrontiert werden kann z.B. über die Arbeit mit Kinderfachbüchern, Spielfiguren oder Metaphern. Für die Arbeit mit Kinderbüchern wird sodann die Planung einer Beratungseinheit vorgestellt. Konkrete Beispiele finden sich auch für Interventionsstrategien zur Vorbereitung auf Krisen genauso wie die Umsetzung einer Beratung in Kinder- bzw. Jugendgruppen.
Im vorletzten Kapitel widmet sich der Autor der Frage nach einer interdisziplinären Kooperation und der Netzwerkarbeit. Hierbei wird die Beratungsstelle als Bindeglied zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie in der Arbeit mit psychisch belasteten Eltern thematisiert. Darüber hinaus werden ein weiteres Mal praktische Hinweise zur Etablierung eines Netzwerkes z.B. über einen Fachtag und der Verstetigung über Kooperationsverträge erläutert.
Diskussion
Das Buch bietet einen ersten Einblick in die besondere Problemlage psychisch kranker Eltern und ihren Kindern. Praxisnah wird die Situation der InterakteurInnen innerhalb des Systems Familie beschrieben. Wie sich insbesondere das Fürsorgeverhalten auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, wurde in der Bindungstheorie- und forschung der letzten Jahrzehnte beschrieben. Die bindungstheoretische Perspektive wird immer wieder aufgegriffen, jedoch hat das Buch nicht den Anspruch, die Zusammenhänge zu erklären. Hier wird der Fokus des Buches besonders deutlich, praktische Hilfen anstelle empirisch und theoretisch fundierter Erläuterungen zu geben. Der praxisorientierte Zugang und die verstehende Perspektive für die Themen der psychisch Erkrankten und ihrer Kinder stellt dann wiederum eine Stärke des Buches dar.
Fazit
Beratungsstellen können einen Beitrag zur Hilfe psychisch Erkrankter und ihrer Kinder leisten. Insbesondere die Kinder können hier unterstützt und adaptive Bewältigungsstrategien vermittelt werden. Dies ist deshalb von Bedeutung, um einer intergenerationalen Weitergabe psychischer Belastung entgegenzuwirken. Gleichzeitig nehmen Beratungsstellen eine wichtige Rolle im Hilfenetzwerk um die Betroffenen ein. Das vorliegende Buch informiert über die besonderen Problemlagen psychisch Erkrankter und ihrer Kinder, sowie über Möglichkeiten des Zugangs zur und Themen in der Beratung. Dabei werden praktische Hinweise für die Beratung gegeben, ohne jedoch eine spezifische Beratungsmethode vorauszusetzen.
Rezension von
Dr. phil. Janet Langer
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