Walter Eberlei, Katja Neuhoff et al.: Menschenrechte - Kompass für die Soziale Arbeit
Rezensiert von Prof. Michael Rothschuh, 13.04.2018
Walter Eberlei, Katja Neuhoff, Klaus Riekenbrauk: Menschenrechte - Kompass für die Soziale Arbeit.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2018.
227 Seiten.
ISBN 978-3-17-030811-4.
30,00 EUR.
Mit aktualisierter Website zum Buch (Literatur, Akteur*innen, Forum, Glossar, Feedback) https://soz-kult.hs-duesseldorf.de (3.4.2018).
Thema
„Soziale Arbeit ist eine Menschenrechtsprofession“ – diese Aussage kommt Studierenden und Lehrenden oft und zumeist unter Berufung auf Silvia Staub-Bernasconi über die Lippen (vgl. u.a. Soziale Arbeit und Menschenrechte, 2008). Sie gehört zum verinnerlichten normativen Berufsbild – aber ist sie auch Teil des deskriptiven Berufsbildes? Wird der hehre Anspruch in die Praxis der Sozialen Arbeit umgesetzt?
Der Politologe Prof. Dr. Walter Eberlei, die Sozialpädagogin und Sozialethikerin Dr. Katja Neuhoff und der Jurist Prof. Dr. Klaus Riekenbrauk, Lehrende der Hochschule Düsseldorf, stellen sich der Aufgabe, in diesem Lehrbuch die Debatte um Menschenrechte und Soziale Arbeit „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen und dazu beizutragen, dass die Studierenden „menschenrechtlich basierte Handlungskompetenzen für die berufliche Praxis“ erwerben und stärken. (S. 16).
Entstehungshintergrund
Das Buch ist der 23.Band der Reihe „Grundwissen Soziale Arbeit“ des Kohlhammer-Verlags, die sich angesichts des Bologna-Prozesses den Anspruch stellt, Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereit zu stellen und dabei lesefreundlich und für das Selbststudium geeignet zu sein, durch lernzielorientierte Begründung der Inhalte, Begrenzung der Stoffmenge, Verständlichkeit der Sprache, Anschaulichkeit sowie gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen.
Das Buch, so heißt es im Vorwort, analysiert „typische Handlungsfelder Sozialer Arbeit, leuchtet ihre ethischen, juristischen und politischen Dimensionen aus und stellt konkrete Ansätze und Praxisbeispiele für menschenrechtliches Handeln vor.“ Die Trias von Recht, Politikwissenschaft und Ethik durchzieht das gesamte Buch.
Aufbau
Dem Einleitungsaufsatz „Der Menschenrechtsansatz der Sozialen Arbeit“ folgt „Teil I Der menschenrechtliche Blick auf Handlungsfelder“ mit zwölf Kapiteln von jeweils etwa zehn Seiten. Dieser Teil bildet mit ca. 2/3 Umfang den Kern des Buches.
Teil II „Systematischen Zugängen zu den Menschenrechten“ mit drei Aufsätzen sowie Teil III „Zusammenfassung methodischer Ansätze“ mit einem Aufsatz umfassen zusammen etwa 1/3 des Bandes.
Angehängt werden neben einem Abkürzungsverzeichnis ein ausführliches Glossar zu Kernbegriffen der Menschenrechtsdiskussion sowie ein Stichwortverzeichnis. Ergänzt wird das Buch durch über QR-Codes und die Internetseite der Hochschule erreichbare ausführliche Literatur- und Linkverzeichnisse, sowie in Zukunft mögliche Feedbacks, Ergänzungen und Aktualisierungen.
Inhalt
Die Einleitung: „Der Menschenrechtsansatz der Sozialen Arbeit“ geht von Silvia Staub-Bernadonis „Tripel-Mandat“ der Soziale Arbeit aus „Es geht nicht darum, als Dienstleister für die tägliche Bedürfniserfüllung von Klienten verantwortlich zu sein. Ebenso wenig gilt es, als Erfüllungsgehilfe staatlich finanzierter Fürsorge zu fungieren und Menschen, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, wieder in die Spur zu bringen oder unter Kontrolle zu halten, mit anderen Worten der Gesellschaft soziale Probleme vom Hals zu schaffen.“(S. 13) Die Profession Soziale Arbeit und ihre Bindung an die Menschenrechte wird als dritter Eckpunkt der Sozialen Arbeit angesehen.
Teil I Der menschenrechtliche Blick auf Handlungsfelder richtet sich auf zwölf Handlungsfelder. Bereits bei der Auswahl werden Akzente gesetzt, indem von Menschenrechtsverletzungen bedrohte Gruppen hervorgehoben sind. Die Kapitel sind:
- Kinder- und Jugendhilfe
- Soziale Arbeit im Bereich der Bildung
- Schulsozialarbeit
- Antirassistische Jugendarbeit
- Soziale Arbeit gegen Armut und soziale Ausgrenzung
- Community Organizing/ Gemeinwesenarbeit
- Soziale Arbeit mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt
- Streetwork für und mit Wohnungslosen
- Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen
- Soziale Arbeit mit alten Menschen
- Soziale Arbeit im Strafvollzug
- Soziale Arbeit in der Psychiatrie
Die einzelnen Kapitel beginnen mit einem Fallbeispiel, das aber – anders als in juristischen Lehrbüchern – nicht auf eine „Lösung“ ausgerichtet ist. In ihm stellen sich die Verfasser*innen die Leser*innen als Berufstätige der Sozialen Arbeit vor. Anschließend wird die Bedeutung der Menschenrechte im jeweiligen Handlungsfeld dargestellt sowie die Gefahren, die Betroffenen durch Menschenrechtsverletzungen drohen. Es folgen „Positivbeispiele aus der Praxis“ zur Stärkung der Menschenrechte sowie ein Fazit.
Exemplarisch soll dieses an drei Kapiteln skizziert werden: Kap. 1 „Kinder- und Jugendhilfe“, Kap. 4 „Antirassistische Jugendarbeit“ sowie Kap. 9 „Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen“.
Zu 1 Kinder- und Jugendhilfe (S. 21-31)
Das Fallbeispiel (hier und im Folgenden verkürzt): Sie werden als Mitarbeiter*in des Allgemeinen Sozialdienstes durch einen Anruf aus dem Gesundheitsamt auf eine alleinerziehende Mutter aufmerksam gemacht, die seit einem halben Jahr nicht mit ihrer einjährigen Tochter zur Gesundheitsuntersuchung gekommen sei. Sie erreichen die Mutter nicht, eine Nachbarin erzählt, dass die Mutter das Kind oft allein lasse, weil sie nachts in einer Kneipe kellnere, und dass das Kind oft schreie. Sie beraten im Team das Vorgehen.
„Kindeswohl versus Elternrecht: Moralische Normen in Konflikt“ ist der analytische Abschnitt überschrieben, in dem das Kindeswohl als zentraler Begriff der UN-Kinderrechtskommission dargestellt wird. Unter der Überschrift „Kinder sind Menschenrechtssubjekte“ wird die europäische und deutsche Rechtslage erörtert. Zum langwierigen politischen Kampf um die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz heißt es „Von einer notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit ist die Forderung noch weit entfernt“.
Eines der Positivbeispiele ist eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt Düsseldorf namens „Till Eulenspiegel“ die sich als Anwalt für Kinder und Jugendliche und Mittler zwischen Erwachsenen- und Kinderwelt versteht und sich vor allem auf kommunaler Ebene für das Verständnis und die Verwirklichung von Kinderrechten und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Weitere positive Beispiele beziehen sich auf Motivationsprogramme für die ärztlichen Gesundheitsuntersuchungen.
Zu 4 Antirassistische Jugendarbeit (S. 54-65)
Das Fallbeispiel: Im Jugendclub, in dem Sie arbeiten, eskaliert die Situation, rassistische Sprüche gibt es schon, bevor jugendliche Eritreer im Club auftauchen. Es gibt Sprüche „Du Jude“, „Warum vergewaltigt ihr Araber unsere deutschen Frauen?“. Rassistische Rap-Musik hat Fans. Ehrenamtliche Mitarbeiter fragen: Wie gehen wir mit den jungen Menschen mit Migrationshintergrund um, die die weißen Mädchen anmachen. Sprüche an der Wand: „Neger – go home“, „Adolf statt Angela“. Was tun?
Mit den Fragen „Was darf ich in legitimer Weise sagen?“, „Welche Äußerungen muss ich tolerieren?“ und „Was ist die angemessene Reaktion?“ konzentriert sich der Diskurs auf das Verhältnis des Schutzes der Meinungsfreiheit zum Schutz der Menschenwürde. Unter der Überschrift „Volksverhetzung bildet die Grenze der Meinungsfreiheit“ wird der Bogen von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte über die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz bis zum Strafgesetzbuch gezogen. Erläutert werden gruppendynamische Hintergründe von rassistischer Diskriminierung. Gefordert wird, den Kampf gegen Rassismus auch politisch zu führen.
Als Positivbeispiele aus der Praxis werden u.a. die Amadeo Antonio Stiftung aufgeführt, die antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit fördert, sowie Zusammenschlüsse von Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen gegen Diskriminierung.
Zu 9 Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen (S. 109-120)
Das Fallbeispiel: Sie sind für Beratung und Begleitung von Geflüchteten verantwortlich. Eine Familie mit sechs Kindern kam aus dem Iran über die Türkei und auf dem Seeweg nach Italien, wurde dort registriert. Sie fühlte sich dort bedroht auch durch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern. Sie floh und kam in ihre Stadt. Jetzt geben Behörden Anweisung zur Rückschiebung nach Italien. Sie empfehlen Beratung durch einen Anwalt und beraten die Familie im weiteren Verlauf.
Die an Fluchtgründen wie Verfolgung und Krieg orientierten rechtlichen Status der Geflüchteten werden einer ethischen Position, die von der gleichen Menschenwürde aller Menschen ausgeht, gegenüber gestellt: „Ethisch zählt die Schwere der Notlage und das Vermögen zu helfen“. Die staatlichen Schutzgarantien würden diesen Maßstäben nicht gerecht, sodass der „politische Kampf für die Rechte von Geflüchteten“ notwendig sei.
Als positives Praxisbeispiel wird die Düsseldorfer Initiative „Stay“ vorgestellt, in der es um Menschenrechtsbildung, Lobbyarbeit, Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete sowie Beratung und Vernetzung geht. Sie nimmt lokalpolitisch, aber auch auf der Ebene der Bundespolitik, eindeutig gegen Abschiebungen und für das Bleiberecht der Geflüchteten Stellung.
Teil II „Systematische Zugänge zu den Menschenrechten“(S. 155-181) macht in drei Kapiteln die Beiträge der im Buch vertretenen Disziplinen Ethik, Recht und Politik deutlich: Juristisch verwiesen die Menschenrechte auf bestimmte Ansprüche, die vor nationalen und internationalen Gerichten einklagbar sind. Moralisch seien Menschenrechte als vorpolitische Normen unabhängige Maßstäbe zur Beurteilung und Kritik der Gesellschaft zu verstehen. Politisch seien Menschenrechte als Resultat politischer Auseinandersetzungen, der Willensbildung des kollektiven politischen Subjekts und Ausdruck einer politischen Selbstverpflichtung einzuordnen.
Im Kapitel 13 „Die Menschenrechtsidee“ werden die Menschenrechte als Verbindung von Freiheits-, Gleichheits- und Inklusionsrechten dargestellt und auf die Menschenwürde als Grund für Menschenrechte zurückgeführt. Die Entwicklung der Menschenrechte sei kein abgeschlossener Vorgang, sondern eine unabgeschlossene Lerngeschichte und regelmäßig Gegenstand zivilgesellschaftlicher und politischer Aushandlungsprozesse.
Das Kapitel 14 „Das System der Menschenrechte und seine institutionellen Schutzvorrichtungen“ bietet einen sehr umfassenden und zugleich komprimierten Überblick über die institutionellen und rechtlichen Verankerungen der Menschenrechte auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene, von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10.12.1948 bis zu aktuellen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts.
Kapitel 15 stellt die „Menschenrechte als Konfliktfeld“ dar, das die politischen Inhalte, die politischen Institutionen und politischen Prozesse betrifft. Von wesentlicher Bedeutung sei dabei die „kommunikative Macht“ der zivilgesellschaftlich basierten Öffentlichkeit und menschenrechtlich orientierter Lobbyarbeit, wie z.B. von Amnesty International.
Teil III „Zusammenfassung methodischer Ansätze“ (S. 197-211) umfasst ein Kapitel 16 zum „Menschenrechtsansatz in der Praxis der Sozialen Arbeit“.
Dargestellt werden als Handlungsmöglichkeiten Menschenrechtsbildung und Empowerment, die Rechtsberatung durch Soziale Arbeit – mit ihren Möglichkeiten und juristischen Grenzen – sowie die möglichen Beiträge Sozialer Arbeit zur menschenrechtlichen Organisationsentwicklung insbesondere bei der Formulierung von Leitbildern. Ein wesentliches Gewicht legt das Buch auf die „Politische Menschenrechtsarbeit“ mit der möglichen Einwirkung auf der Makro-Ebene, der lokalen Meso-Ebene und der Mikro-Ebene des Berufsalltags.
Abschließend heißt es: „Die konsequente Umsetzung des Menschenrechtsansatzes erfordert, dass menschenrechtliches Sehen, Urteilen und Handeln in Seminaren z.B. anhand von Falldiskussionen eingeübt wird, dass die Menschenrechtsperspektive über Fächergrenzen hinweg zu einer Leitperspektive wird und eine menschenrechtliche Debattenkultur …gefördert wird.“ (S. 208)
Diskussion
Soziale Arbeit als Gratwanderung zwischen Menschenrechtsverwirklichung und Menschenrechtsverletzung
Gerade in Bezug auf die Verwirklichung der Menschenrechte ist Soziale Arbeit oft eine Gratwanderung. Das zeigt sich auch in den skizzierten Fallbeispielen:
Im Kinder- und Jugendhilfe-Fallbeispiel spricht zunächst nichts dafür, dass die Mutter das Kind hat vernachlässigen wollen, sondern dass sie das Kind alleine gelassen hat, um durch Nachtarbeit materiell für Mutter und Kind sorgen zu können. Aber Vernachlässigung und Gefahr für das Kind könnte ein Ergebnis sein, sodass eine Risikoeinschätzung erforderlich sein könnte. Eine Lösung wiederum liegt nicht einfach in der „Rettung“ des Kindes vor der Mutter, sondern eher in der mühsamen Arbeit an einer für Mutter und Kind erträglichen Lebenssituation. Aber ob dies gelingt, stellt sich oft erst im Nachhinein heraus. Zu welchen Menschenrechtsverletzungen sowohl der Eltern als auch der Kinder ein Eingriff der Sozialen Arbeit führen kann, hat bereits 1973 die Jugendamtsakten-Analyse von Prodosh Aich „Da weitere Verwahrlosung droht“ gezeigt.
Durchaus auch ambivalent ist die Situation im Jugendclub. „Rassismus ist ein Alltagsphänomen. Leider ist dies auch in der sozialen Kinder- und Jugendarbeit der Fall“ (S. 63), schreiben die Autor*innen. Auch viele von denen, die sich abwehrend und faktisch auch rassistisch gegenüber Fremden verhalten, sind ja Zielgruppen der Sozialen Arbeit. Prävention heißt nicht einfach, die „Rassisten“ aus dem Jugendclub zu werfen, was durchaus auch einmal notwendig sein kann, sondern mit ihnen so zu arbeiten, dass sie Erfahrungen des guten Zusammenlebens machen.
Im Fall der geflüchteten Familie verschärft sich die Problematik: Es ist ja richtig, für juristische Beratung und politischen Protest zu sorgen. Aber was ist, wenn es dann doch auf eine Rückschiebung hinausläuft? Zieht sich die Sozialarbeit dann von den Familien zurück oder führt sie die Betreuung der Familie bis zu ihrer Rückschiebung fort, um das Leben der Familie zu erleichtern und Gewalt gegen die Familien zu verhindern? Und leistet so indirekt einen Beitrag zur Rückschiebung selbst?
Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu bestimmen, bedeutet nicht, Soziale Arbeit damit zum Beruf der Guten zu adeln. Soziale Arbeit nimmt Menschenrechtsverletzungen besonders wahr und versucht, sich in ihrer Praxis gegen sie einzusetzen. Aber sie hat auch selbst Anteil an Menschenrechtsverletzungen, wie Beispiele aus der Geschichte der Sozialen Arbeit im Faschismus, in der Heimerziehung in West-und Ostdeutschland, in der Psychiatrie, aber selbst in lange Zeit als Ideal angesehenen Einrichtungen wie der Odenwaldschule gezeigt haben. Gerade in „totalen Institutionen“ wie Heimen, dem Strafvollzug oder auch künftig den geplanten Abschiebezentren für Geflüchtete wird die Menschenrechtsverletzung strukturell induziert.
Die Positivbeispiele zeigen, dass menschenrechtlich orientierte Soziale Arbeit auf die Vernetzung mit anderen Berufen, vor allem auch zivilgesellschaftlichen Akteuren und oft auch die Selbstorganisation der Betroffenen angewiesen ist. Erst im Bündnis mit diesen erscheint wirksames politisches Handeln als möglich. Der Begriff Menschenrechtsprofession darf gerade deshalb nicht als Alleinstellungsmerkmal der Sozialen Arbeit verstanden werden (vgl. Prasad, 2017).
Jim Ife (2016 und 2017) weist zudem darauf hin, dass Menschenrechte zunächst einmal auf Individuen bezogen sind, das Handlungsfeld der Sozialen Arbeit aber auf das „Soziale“, auf die sozialen Beziehungen. Dies sollte nicht zur Relativierung der individuellen Menschenrechte führen, wohl aber zu einer Unterscheidung der Handlungsmodi.
Lehrbuch für wissenschaftlich arbeitende Hochschulen
Für den didaktischen Nutzen sind hervorzuheben:
- die klare Gliederung,
- treffende Überschriften und wiederkehrende Unterpunkte
- die gut verständliche, aber nicht vereinfachende Sprache
- die gut begründeten Positionierungen
- die hervorgehobenen Zitate
- das Glossar
- die ergänzende Website.
Es gibt ein Versehen: S. 77-152 erscheint „Community Organizing/Gemeinwesen“ fälschlich als Überschrift des gesamten Teils und nicht, wie es richtig wäre, nur des von S. 76-85 reichenden Kapitels
Der Band ist kein Lehrbuch, das „Lösungen“ in Merksätzen zum Auswendiglernen anbietet, sondern ein Arbeitsbuch, das viele Fragen aufwirft und zur Diskussion und Kritik anregt. Es vermeidet Verkürzungen, einfache Antworten und erzwingt Diskurse und Prüfung von Wegen und Umwegen.
Das Buch ist ein hervorragendes Lehrbuch für eine Hochschule, weil es einerseits fundiert Informationen, Theoriezusammenhänge und konkrete Positionen bereit stellt, andererseits aber nicht der Versuchung erliegt, fertige Antworten oder Rezepte zu geben. Es regt vielmehr zur weiteren Forschung, zur Diskussion, auch zum Widerspruch sowie zur Erprobung von Ansätzen in der Praxis an.
Es gibt den Lehrenden Material in die Hand, um den Anspruch einer „Menschenrechtsprofession“ in den Handlungsfeldern und in Projekten zu erproben und auszuwerten.
Für Außenstehende bietet es Information über eine menschenrechtlich orientierte Soziale Arbeit.
Fazit
Das Thema Menschenrechte und Soziale Arbeit gehört zum Selbstverständnis der Sozialen Arbeit, ist aber eher Teil der Theorie der Sozialen Arbeit und noch nicht durchgängig bis zur Konzeption, Realisierung und Evaluierung der Praxis in den verschiedenen Handlungsfeldern vorgedrungen. Dieses aber ist notwendig, wenn Soziale Arbeit nicht nur in ihrem Selbstverständnis, sondern auch durch das berufliche Umfeld, die Zivilgesellschaft und vor allem die Betroffenen als Menschenrechtsprofession wahrgenommen werden soll.
Endlich, so empfinde ich es, gibt ein Buch in dem das Thema Menschenrechte nicht abstrakt und allgemein, sondern konkret auf die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit bezogen zur Diskussion gestellt wird.
Das ist ein gelungener Kompass, der die Richtung zeigen soll, in der Soziale Arbeit sich in ihren konkreten Aufgabenstellungen bewegen sollte. Ein Kompass ist aber kein Navigator, der Wege vorgibt. Die oft verschlungenen Wege zu finden, bleibt Aufgabe der professionellen Sozialen Arbeit, aber auch anderer Berufe und der Zivilgesellschaft.
Es ist ein Buch für Studierende, Forschende und Lehrende. Es macht die Frage nach den Menschenrechten von einer Frage einer Theorie der Sozialen Arbeit zu einem Kernbestandteil in allen Handlungsfeldern.
Literatur
- Ife, Jim (2016) Human Rights and Social Work: Beyond Conservative Law, Journal of Human Rights and Social Work (Springer) S. 3-8
- Ife, Jim (2017): The ‚Human‘, the ‚Social‘ and the Collapse of Modernity, Vortrag bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA), https://www.youtube.com/watch?v=dQ0AqUQWNnI
- Soziale Arbeit und Menschenrechte, Themenheft (2008) Zeitschrift Widersprüche Band 107
- Aich, Prodosh, (1973) Da weitere Verwahrlosung droht… – Fürsorgeerziehung und Verwaltung, rororo (Reinbek)
- Prasad, Nivideta (2017): Soziale Arbeit: Eine umstrittene Menschenrechtsprofession!, Vortrag bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA), www.dgsa.de
Rezension von
Prof. Michael Rothschuh
Professor an der HAWK-Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Lehrgebiete Sozialpolitik, Gemeinwesenarbeit. Pensioniert.
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Zitiervorschlag
Michael Rothschuh. Rezension vom 13.04.2018 zu:
Walter Eberlei, Katja Neuhoff, Klaus Riekenbrauk: Menschenrechte - Kompass für die Soziale Arbeit. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2018.
ISBN 978-3-17-030811-4.
Mit aktualisierter Website zum Buch (Literatur, Akteur*innen, Forum, Glossar, Feedback) https://soz-kult.hs-duesseldorf.de (3.4.2018).
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23960.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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