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Udo G. Polenske: Mitarbeiterbindung in der Diakonie

Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Hoburg, 30.08.2018

Cover Udo G. Polenske: Mitarbeiterbindung in der Diakonie ISBN 978-3-8487-4129-8

Udo G. Polenske: Mitarbeiterbindung in der Diakonie. Empirische Analyse von Bindungsfaktoren diakonischer Führungskräfte. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2018. 311 Seiten. ISBN 978-3-8487-4129-8. 64,00 EUR.
Reihe Diakoniewissenschaft, Diakoniemanagement, Band 8.

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Thema

Auch wenn der Fachkräftemangel in Deutschland nicht unmittelbar das Thema dieser Arbeit ist, knüpft die Dissertation von Udo G. Polenske zum Thema Mitarbeiterbindung in gewisser Weise indirekt an diesen gesellschaftsrelevanten Aspekt an. Vermehrt wird in der Publikation, die sich in ihrem empirischen Teil auf die Situation der stationären Altenhilfe bezieht, von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Gesamtnachfrage im Gesundheits- und Pflegewesen gesprochen. Die Situation des Arbeitsmarktes macht es somit eher indirekt als direkt notwendig, Faktoren für Bindungs- und Bleibeverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in sozialen Unternehmen zu untersuchen – ein Thema, das Wirtschaftsunternehmen gleichermaßen aktuell beschäftigt. Es betrifft aber eben auch konfessionelle Unternehmen wie etwa der Diakonie und den gesamten Bereich der Sozialwirtschaft. Gerade die Diakonie ist durch ihre starke Werteorientierung besonders auf das Bindungsverhalten ihrer Mitarbeitenden angewiesen. So ist es das Kernthema der hier zu besprechenden Publikation, das „Commitment“ zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen zu beleuchten und es wird davon ausgegangen, dass der Wertepluralismus kirchlicher Wohlfahrtsverbände eine Chance bietet und gerade das Unternehmensimage der Diakonie einen entscheidenden Bleibefaktor für Mitarbeitende darstellt. (S. 128) Dies soll in der vorliegenden Publikation anhand von zwei Arbeitshypothesen nachgewiesen werden:

  1. Je stärker die emotionale und kognitive Verbundenheit, desto stärker ist die Verbleibeabsicht.
  2. Bindungsfaktoren haben in NPO wie der Diakonie eine Relevanz.

Entstehungshintergrund

Die Dissertation, die im Institut für Diakoniewissenschaft der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel 2017 angenommen wurde, bezieht sich als empirische Analyse vor allem auf diakonische Unternehmen; steht dann aber letztlich exemplarisch für den gesamten Bereich der Freien Wohlfahrtspflege und darüber hinaus wohl auch für die Einrichtungslandschaft der gesamten Sozialen Arbeit.

Aufbau und Inhalt

Nach einem einleitenden Kapitel über Methodologie und Ziele der empirisch ausgerichteten Publikation findet sich auf S. 41 ein sehr dezidierter Aufbauplan der Arbeit, der die Argumentationsstruktur sowie den Fortgang dokumentiert. Das Thema wird letztlich zwischen der Organisationssoziologie und ihrer Forschung zum Commitment und der Organisationskultur normativer Unternehmen wie der Diakonie verankert. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

In einem ersten inhaltlichen Teil geht es zunächst um propädeutische Klärungen über die Spezifika von Non-Profit-Organisation, die im Anschluss an die wissenschaftlichen Arbeiten von Alfred Jäger und Hans-Stephan Haas diskutiert werden. Danach erfolgt dann in der Arbeit ab S. 56 eine dezidierte Diskussion über den Begriff „Commitment“, der in seinen verschiedenen Facetten beleuchtet wird. Grunderkenntnis ist: Bei dem Commitment müssen die beiden Grundperspektiven der individuellen Sicht der Mitarbeitenden und die Sicht des Unternehmens betrachtet werden. (S. 58) Gerade in Bezug auf normative Unternehmen wie der Diakonie – und dies überrascht nicht – wird dem affektiven Commitment eine besondere Rolle zugewiesen. Die Untersuchung versteht daher unter Mitarbeiterbindung „die Verbundenheit, die Zugehörigkeit und die Identifikation“ mit der Unternehmung. (S. 63) Aus diesem Grund wird dann im Folgenden zwischen dem Verhaltenscommitment und dem Einstellungscommitment unterschieden. Im Zentrum der Argumentation steht die Diskussion um empirische Ergebnisse eines, auf der Grundlage von Werten zu begründenden Commitments. Dies zieht sich dann auch durch den empirischen Teil der Datenanalyse durch.

Nach einer eher allgemein gehaltenen und den Diskussionstand referierenden Erörterung über diakonische Unternehmen im vierten Kapitel (S. 117ff), in dem auch theologische Spezifika zwischen Organisationsmerkmalen und theologischen Selbstansprüchen benannt werden, bezieht sich dann der Hauptaspekt der Arbeit sich auf die primäre Datenerhebung.

Das Commitment und die Mitarbeiterbindung in der Altenhilfe

Der Forschungsgegenstand der vorliegenden Dissertation bezieht sich auf das spezifische Bindungsverhalten von Einrichtungsleitenden in der stationären Altenhilfe. Das Forschungsdesign und die Dateninterpretation werden im fünften Kapitel (ab S. 157) und sechsten Kapitel (ab S. 180) dargestellt. Der Autor entscheidet sich letztlich für die qualitative Form der Leitfaden gestützten Interviews mit Experten (d.h. den Einrichtungsleitenden), weil es dem Grunde nach um das „Verstehen sozialer Verhaltensweisen“ geht (S. 159) und wählt im Konsens mit den Grundlagen der qualitativen Sozialforschung die Form der qualitativen Inhaltsanalyse. Das Verfahren erlaubt es dann, durch Gewichtung und Verdichtung anhand der Codierungen von MaxQdata zu einer Kategorienbildung der Aussagen zu kommen. Die Inhaltsanalyse wird methodologisch eingebettet in eine Arbeitsfeldanalyse, in der dann die zuvor in Kapitel 3 beschriebenen Bindungsfaktoren an die Aussagen der Interviews rückgekoppelt werden. Lesenswert sind hierbei die zusammenfassenden Ergebnissätze, die die Auswertung kurz bündeln und präzise auf den Punkt bringen. Weiterführend ist hierbei auch die zweite Rückkoppelung an die schon bestehenden empirischen Untersuchungen. Der Autor nennt dies „Theorieabgleich“. Die jeweiligen Bindungsfaktoren werden einzeln analysiert und den Persönlichkeits- oder unternehmensbezogenen Faktoren zugeordnet.

Die wesentlichen Ergebnisse sind dann allerdings auch wieder so erstaunlich nicht. So filtert die Untersuchung heraus, dass z.B. Umweltfaktoren auf das Bleibeverhalten eher weniger Einfluss zeigt (S. 186) und dass Heimleitende einerseits unterstützendes Verhalten als bleiberelevant einschätzen als auch andererseits die kollegiale Zusammenarbeit im Team. Entscheidender – und ja auch in der Intention der Arbeit liegend – wird beim Bindungsfaktor Organisation betont, dass diakonische Werteraster und das Image der Institution Diakonie wichtige Faktoren für die Bleibemotivation darstellen (S. 204f). Das spezifische Leitbild und die Unternehmenskultur spielen hierbei nach den Untersuchungsergebnissen eine zentrale Rolle. Ab S. 217 wird dann eine Zusammenfassung der primären Datenerhebung gegeben. Danach gilt in Hinsicht auf das Commitment: „Die unternehmensbezogenen Faktoren sind die einflussreichsten Größen für das Commitment der Einrichtungsleitenden.“ (S. 217) Das wohl entscheidende bindungsfördernde Element stellt die „Wertekongruenz“ (S. 217) zwischen den Mitarbeitenden und dem Unternehmen dar. Als wichtigste Faktoren zeigen sich: Kirchlichkeit der Diakonie und christliche Wertebasis. (S. 219) Mit diesem Ergebnis – das eigentlich nicht verwundert – ist aber dennoch für die Diskussion der Unterscheidbarkeit innerhalb der Trägerlandschaft der Freien Wohlfahrtspflege viel gewonnen, denn es zeigt sich – wie auch bei anderen Feldern empirischer Religionsforschung: Kirche und Diakonie haben sich inzwischen anhand ihrer breit angelegten langjährigen Reformen neokonservativ durch Kirchlichkeit und dezidiert christliche Religionspraxis positioniert. Die kirchliche Trägerschaft ist „commitmentrelevant“ (S. 225). Kirche und Diakonie werden primär von Menschen besucht und als Arbeitgeber gewählt, die in „Wertekongruenz“ mit dem kirchlichen Werteauftrag stehen. Und letztendlich will der diakonische Arbeitgeber diese auch! Der gemeinsame Ort von Diakonie und Kirche ist damit zwar in der Gesellschaft, aber sie stehen eher bei Personengruppen hoch im Kurs, die sich durch das Faktum ihrer eigenen Bindung an die Kirchengemeinde eher am Rand der inzwischen im Kern säkularen Gesellschaft befinden.

In einem letzten Schritt unternimmt die Dissertation dann eine Typenbildung, die im alten Sinn von Max Weber eher idealtypisch verfährt und die Realität schematisch wiedergibt. Die diakonischen Bindungstypen werden auf S. 240 in einer Überblicksgrafik dargestellt und dann dem Uhrzeigersinn nach vorgestellt. Es existieren:

  1. Der diakonische Typ;
  2. der einrichtungsbezogene Chef-Typ;
  3. der vorgesetztenbezogene Typ;
  4. der tätigkeitsbezogene Typ;
  5. der Entwicklungstyp.

In Kapitel 7 schließen sich dann Handlungsempfehlungen an, die für ein konkretes „Bindungsmanagement“ (S. 259) geeignet erscheinen. Hier in diesem Kapitel finden die Praktikerinnen und Praktiker des Personalmanagements Empfehlungen, die die Bleibemotivation stärken können. Im Vordergrund der Personalentwicklung stehen demnach hausinterne Fortbildungen und individuelle Karriereplanung.

Diskussion

Es ist das Verdienst der Arbeit das Thema der Mitarbeiterbindung für den Bereich der Sozialen Arbeit und vor allem in der Diakonie ins Gespräch gebracht zu haben. Dieses Feld, das nach Angaben des Verfassers noch wenig innerhalb der personalwirtschaftlichen Diskussion untersucht wurde, bietet in der Anwendung seiner Erkenntnisse für den gesamten kommunalen und auch wohlfahrtsstaatlichen Sektor eine gute Möglichkeit eines auf Zukunft gerichteten Personalmanagements.

Neben guten Aspekten, die weiterführend sind, bleiben bei der Lektüre des Bandes beim Lesenden auch Fragen offen. Wenn beim Commitment – wie auf S. 84 hingewiesen – gerade die Verknüpfung zum „Selbstkonzept einer Person“ eine Rolle spielt, d.h. also die eigenen Wertvorstellungen mit denen der Organisation in Übereinstimmung zu bringen, wäre es doch beinahe zwingend, empirisch die Mitarbeiter-Typen nach ihrer Einstellung z.B. zu Religion und Kirche noch weiter in der Tiefe zu evaluieren und eine Verbindung zu den sehr entscheidenden Studien über Milieus in der Kirche zu ziehen. Dieses Verfahren wird ja im Übrigen auch in den Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD angewendet. So entsteht in der Dissertation der durch die Auswertung der Interviews verfestigte Eindruck, dass Wertekongruenz und Nähe zur Kirche bindungsrelevant sind. Durch die fehlende Perspektive auf die Milieus kann an dieser Stelle nur ergänzend spekuliert werden, dass die Einrichtungsleitenden sich auch wahrscheinlich eher aus binnenkirchlich ausgerichteten Milieus rekrutieren, denn: Die Kirchlichkeit und Christlichkeit sind – so sagt es der Autor selbst richtiger Weise – wichtiger Teil des Selbstkonzeptes ihrer Person. Damit tritt die Untersuchung hermeneutisch in einen Zirkel ein: Da man vermutlich eher „kirchennahe“ Mitarbeitende (da diese die Diakonie als Arbeitgeber bewusst ausgewählt haben) befragt, erhält man das Ergebnis der Wertekongruenz als bleiberelevantes Kriterium. Eine sozialempirisch breiter angelegte Gegenprobe auf quantitativer Ebene und deren Triangulation mit den Interviewauswertungen würde die Ergebnisse aus meiner Sicht stützen.

Fazit

Es liegt mit der Dissertation ein interessanter Diskussionsbeitrag zum Personalmanagement vor. Dies um so mehr als ja die europäische Rechtsprechung in jüngster Zeit die „Kirchlichkeit“ als Einstellungskriterium sehr deutlich in Frage gestellt hat. Davon abgesehen liegt nunmehr interessantes Datenmaterial vor und ein Interpretationsfaden, der weiterverfolgt werden kann. Bewährt sich die im Zentrum stehende Bindungstypologie, die als das entscheidende Ergebnis der Dissertation gesehen werden kann? Wie lassen sich die Ergebnisse und Erkenntnisse mit dem ebenfalls diskutierten Feld der Unternehmenskulturen in NPO verbinden? Und last but not least: Lassen sich die Grunderkenntnisse einer Wertekongruenz als Bleibefaktor auch auf andere Träger der Freien Wohlfahrtspflege oder auch kommunaler Träger übertragen oder liegt hier ein spezifisch diakonisches Profilmerkmal vor. Die Dissertation wirft Fragen auf, aber das ist ja auch der Sinn der Forschung, dass wir durch Fragen mehr Antworten bekommen und den Diskurs pflegen.

Rezension von
Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover, Lehrgebiet Sozialwirtschaft und Theorie des Sozialstaats
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Es gibt 14 Rezensionen von Ralf Hoburg.

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ISSN 2190-9245