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Burkhard Müller, Ursula Hochuli-Freund: Sozialpädagogisches Können

Rezensiert von Prof. Dr. Cornelia Füssenhäuser, 29.07.2020

Cover Burkhard Müller, Ursula Hochuli-Freund: Sozialpädagogisches Können ISBN 978-3-7841-2757-6

Burkhard Müller, Ursula Hochuli-Freund: Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2017. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. 223 Seiten. ISBN 978-3-7841-2757-6. D: 19,00 EUR, A: 19,60 EUR, CH: 22,80 sFr.

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Thema

Die vorliegende 8. Auflage „Sozialpädagogisches Können“ aktualisiert das in Wissenschaft wie Praxis Sozialer Arbeit weit verbreitete Lehrbuch zu „multiperspektivischer Fallarbeit“ von Burkhard Müller. Die zentrale Zielsetzung der vorhergehenden Auflagen bleibt auch in der Aktualisierung von Ursula Hochuli Freud des Bandes weitgehend unverändert erhalten. Neu ist hingegen ein Wechsel in der Begrifflichkeit wie die Veränderung des Begriffs „Sozialpädagogik“ zum Oberbegriff „Soziale Arbeit sowie der damit verknüpften Adjektive anzeigt. Der von Müller gewählte hermeneutische Zugang wurde von Hochuli Freud beibehalten und durch die „inhaltliche Erweiterung in Zusammenhang mit dem aktuellen Diskurs um die Soziale Diagnostik noch gestärkt“ (S. 9). Deutlicher als in den vorhergehenden Auflagen wird dabei die Aufgabe des Fallverstehens thematisiert (Kapitel 7). Ebenso finden sich kleinere Aktualisierungen bei der Formulierung von Arbeitsregeln und Schemata sowie – vereinzelt – sprachliche Veränderungen in der Gliederung sowie der Formulierung der Überschriften. Der Text wurde darüber hinaus sprachlich gestrafft und präzisiert sowie die Literatur aktualisiert und erweitert.

Lernen an und mit Fällen ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein zentrales methodisch-didaktisches Element in der akademischen Ausbildung mit hoher Bedeutsamkeit für die Praxis Sozialer Arbeit. Müllers Entwurf einer sozialpädagogischen Kasuistik stellt dabei – neben anderen Zugängen – sicherlich einen zentralen Beitrag und vielfachen Bezugspunkt des Fachdiskurses dar.

AutorIn oder HerausgeberIn

Prof. Dr. Burkhard Müller, Dr. theol. und habilitierter Sozialpädagoge, 9. Mai 1939; † 23. Mai 2013, Professor für Theorie und Methodologie sozialpädagogischer Intervention an der Universität Hildesheim (1983 – 2004), Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Methodik sozialpädagogischen Handelns, Jugendarbeit, psychoanalytische Pädagogik.

Prof. Dr. Ursula Hochuli Freud, Dr. phil., Professorin am Institut für Professionsforschung und Professionsentwicklung an der Fachhochschule der Nordwestschweiz FHNW in Olten, Arbeitsschwerpunkte: Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit. Sie ist zudem am Institut für Professionsforschung und Professionsentwicklung zuständig für dem Kompetenzschwerpunkt Diagnostik und Prozessgestaltung“.

Entstehungshintergrund

Der von Ursula Hochuli Freud in der 8. Auflage aktualisierte und erweiterte Band „Sozialpädagogisches Können“ erschien 1993 in der ersten Auflage. Die hohe Zahl der Auflagen wie die Aktualisierung aus dem Jahr 2017 belegen das Interesse und die Notwendigkeit einer fallbezogenen Strukturierung und Reflexion des professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit. Zentraler Bezugspunkt der Arbeit von Burkhard Müller sind Fallgeschichten von Studierenden denen der Autor drei Fallperspektiven „Fall von“ – „Fall für“ und „Fall mit“ entgegenstellt. Der Beitrag ist auch zu verstehen als Beitrag zur Handlungskompetenzdebatte wie auch zur Professionalisierung Sozialer Arbeit zu der Burkhard Müller maßgeblich beigetragen hat. Die Fundierung sozialpädagogischen/​sozialarbeiterischen Handelns im Kontext einer sozialpädagogischen Kasuistik bzw. der multiperspektivischen Fallarbeit verdeutlicht sein hohes Interesse an einer theoriegeleiteten und methodischen Fundierung der Sozialpädagogik bzw. der Sozialen Arbeit.

Aufbau und Inhalt

Der zentrale Fokus des Bandes lässt sich mit den nachfolgenden Ausführungen von Hochuli Freud (2017) in ihrem Vorwort zur 8. Auflage treffend beschreiben: „Das Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit von Burkhard Müller ist ein Klassiker der Methodenliteratur in der Sozialen Arbeit“ (S. 7). „Es will das Nachdenken über Fälle unterstützen, Hilfestellungen bieten zum selbst Ausprobieren und Lernen, es will den Mut unterstützen, sich ein eigenes sachliches Urteilvermögen zu trauen und zugleich dieses Vermögen auch zu verbessern“ (S. 8).

Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit lehren

Das erste Kapitel richtet sich insbesondere an Lehrende, diskutiert wird hier die Besonderheit des gewählten Zugangs in Abgrenzung zu anderen Konzepten methodischen Handelns. Das Kapitel ist in sich voraussetzungsvoll und setzt eine solide Kenntnis der historischen wie aktuellen Diskurse zu den Handlungsmodellen von professionellem Können voraus. Fälle bzw. Fallgeschichten werden dabei nicht illustrativ, sondern heuristisch verstanden und so zum Ausgangspunkt der theoriegeleiteten Analyse und Interpretation.

Aus Geschichten lernen – oder: Wie wird der Fall zum Fall?

Im zweiten Kapitel wird verdeutlicht, wie aus sich aus studentischen Erfahrungen und „Geschichten“ (S. 28) lernen lässt bzw. kasuistische Reflexionen herausbilden. Zudem wird geklärt wie ein Fall zu einem sozialpädagogischen bzw. sozialarbeiterischen Fall wird und worin sich die spezifische Perspektive Sozialer Arbeit „Fall für“ darstellt. Fallarbeit in der Sozialen Arbeit zielt darauf „Orte des Nachdenkens zu schaffen, in denen Fälle erster Ordnung (…) in Fälle zweiter Ordnung verwandelt werden können“ (S. 40).

Dimensionen von Fällen: „Fall von“, „Fall für“, „Fall mit“

Kapitel drei veranschaulicht die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Bearbeitung von Fällen als genuines Kennzeichen professioneller Sozialen Arbeit. Sozialpädagogische Fallarbeit verweist auf ein vielschichtiges Zusammenspiel der genannten drei Dimensionen als unterschiedliche Zugangsweisen zu einem komplexen Geschehen. Professionelle Kompetenz und Fachlichkeit realisieren sich in der systematischen Unterscheidung der drei Dimensionen und dem flexiblen Changieren zwischen ihnen. Dies erfordert zugleich den Zugriff auf unterschiedliche Wissensbezüge (wie z.B. theoretisches, methodisches, rechtliches, administratives Wissen) sowie Wissen über die Beziehungsgestaltung.

Prozess professioneller Fallarbeit

Müller entwickelt sein Schema professioneller Fallbearbeitung mit einer methodisch-strukturierten Abfolge der Prozessschritte Anamnese, Diagnose, Intervention und Evaluation.

Am Beispiel: „Hilfeplanung“ im Kinder- und Jugendhilfegesetz wird vertiefend gezeigt, dass der im vorhergehenden Kapitel eingeführte Prozess der Fallarbeit „kein beliebig zu verwendendes Schema darstellt, sondern notwendige Schritte und Betrachtungsebenen benennt, die fachgerecht abgearbeitet werden müssen“ (S. 29).

In den nachfolgenden Kapiteln 6 bis 9 wird das Herzstück der sozialpädagogischen Kasuistik von B. Müller entfaltet. In je einem Kapitel werden zu den Stichworten soziale Anamnese, soziale Diagnose, soziale Intervention und soziale Evaluation Beispiele, Arbeitsschritte, Frage- und Bearbeitungsschemata vorgestellt und in Blick auf die drei Modi der Fallbearbeitung „Fall von“, „Fall für“, „Fall mit“ differenziert. Intendiert wird von Müller damit nicht ein schematisches Abarbeiten von Schritten und Techniken, sondern ein heuristischer Zugang, der in einem mehrfachen Durchgang durch „den Fall“ mit immer wieder neuen Fragen und Einsichten die bearbeiteten Situationen durchichtiger und verstehbarer macht. Professionellen Sozialer Arbeit ermöglicht dies eine kritische Selbstvergewisserung im Umgang mit Fällen und den darin eingelagerten Fallkonstruktionen.

  • Soziale Anamnese: Aufmerksamer Umfang mit Nichtwissen
  • Soziale Diagnose: Wer hat welches Problem? 
  • Soziale Intervention: Was tun?
  • Soziale Evaluation: Was hat’s gebracht? 

Professionalität in der Sozialen Arbeit – abschließende Bemerkungen

Der Band schließt mit einer Zusammenfassung der in den einzelnen Kapiteln entwickelten professionellen Haltung als genuin sozialpädagogischem Blick. Müller plädiert mit diesem für einen offenen Typus sozialpädagogischer und multiperspektivischer Professionalität (S. 199) und macht Praktiker*innen wie Studierenden Mut, sich auf die Praxis Sozialer Arbeit einzulassen und darin fachlich selbstbewusst und professionell zu agieren.

Diskussion

Die vorsichtige Aktualisierung und Bearbeitung des Bandes „Sozialpädagogisches Können“ von Burkhard Müller in der 8. Auflage von Ursula Hochuli Freud überzeugt. Die Grundfigur und zentrale Argumentation des Lehrbuchs als Klassiker in der Kasuistik-Ausbildung und im Methodendiskurs Sozialer Arbeit ist erkennbar und wurde behutsam um Zugänge des Fallverstehens ergänzt. Insbesondere in der Re-Formulierung der Arbeitsregeln in den einzelnen Kapiteln scheinen aktuelle Debatten und Bezüge der Professionsforschung und sowie die Professionalisierung Sozialer Arbeit als professionelle Dienstleistung in der postmodernen Gesellschaft auf. Der Band ermöglicht zugleich Anschlüsse an die Frage nach einer neuen Fachlichkeit sowie einer diskursiven und handlungspraktischen Bewältigung des sogenannten Theorie-Praxis-Problems.

Burkhard Müller zeigt in seinem Entwurf einer professionellen Kasuistik auf, dass Professionalität und Organisation Sozialer Arbeit eng miteinander verwoben sind. Soziale Arbeit steht in der professionellen Bearbeitung von „Fällen“ vor einer mehrfachen Herausforderung: Professionelles Können muss sich am „Fall von“ bewähren, d.h. an der Offenheit und Klärungsbedürftigkeit der Situation. „Fall mit“ verweist darauf, dass sich Professionelle der Sozialen Arbeit dabei nicht nur auf ihre eigene Expertise beziehen können, sondern diese mit den oft widersprüchlichen Deutungen der Adressat*innen verhandeln müssen. Als „Fall für“ arbeitet sie zudem an Zielen, die sie nicht alleine in der Hand hat, da Adressat*innen häufig auch zugleich Fall für andere Institutionen sind. Erforderlich sind daher Kompetenzen der Kooperation, Vernetzung sowie der sozialpolitischen Lobbyarbeit.

Fazit

Der Band eignet sich sowohl für die Diskussion in Studiengängen der Sozialen Arbeit und der Erziehungswissenschaft sowie als Reflexionsfolie im Kontext von Weiterbildungen. Darüber hinaus richtet sich der Band an erfahrende Professionelle in der Praxis Sozialer Arbeit, diesen ermöglicht er eine systematische und wissensgeleitete Reflexion des professionellen Handelns sowie die Fundierung eines transdisziplinären Dialogs mit anderen Professionen. Die Arbeit von B. Müller in der Aktualisierung von Hochuli Freud stellt zugleich einen wichtigen historischen wie aktuellen Beitrag zur wissenschaftlichen Vergewisserung einer sozialpädagogischen Kasuistik jenseits eines technologischen Zugriffs auf Fälle dar. Darüber hinaus kann der von Müller entwickelte Zugang auch als hochschuldidaktisches Lehrbeispiel gelesen werden, das aufgrund seiner heuristischen Perspektive in hohem Maße für die akademische Ausbildung geeignet ist.

Rezension von
Prof. Dr. Cornelia Füssenhäuser
Diplom-Pädagogin, Sozialarbeiterin, Hochschule RheinMain, Professorin für Theorien, Geschichte und Ethik Sozialer Arbeit
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Es gibt 2 Rezensionen von Cornelia Füssenhäuser.

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ISSN 2190-9245