Gisela Notz: Warum flog die Tomate? (autonome Frauenbewegungen)
Rezensiert von Prof. Dr. Christa Paulini, 19.09.2018

Gisela Notz: Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegungen der Siebzigerjahre. AG SPAK Bücher (Neu Ulm) 2018. 2. Komplett überarbeitete und aktualisierte Neu Auflage. 90 Seiten. ISBN 978-3-945959-26-8. D: 10,00 EUR, A: 10,00 EUR, CH: 12,00 sFr.
Thema
Angaben des Verlags: „Die Autorin beschreibt die Herausbildung eigenständiger Frauenbewegungen in der BRD, die ihre agitatorischen Schwerpunkte und ihre größte Breitenwirkung in den 1970er Jahren erreichten. Es geht auch um Organisationsformen, Programme und Institutionen, um politische Wirksamkeit sowie um Auswirkungen über die Gründerinnengeneration hinaus.“
Autorin und Entstehungshintergrund
Gisela Notz, Dr. phil, arbeitete bis 2007 hauptberuflich als wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte. Zudem war sie als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten, darunter die TU Berlin, Hannover, Marburg, Essen sowie die Fachhochschule Jena tätig. Von 1985 bis 1997 wirkte Gisela Notz als Redakteurin der Zeitschrift Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis und ist damit mit den damaligen Diskussionen sehr gut vertraut. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Arbeitsmarkt-, Familien- und Sozialpolitik, Alternative Ökonomie sowie die historische Frauenforschung.
Aufbau und Inhalt
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
In der Einleitung nimmt die Autorin Bezug auf Karl Marx, der 2018 200 Jahre alt geworden wäre. Sie verweist aber auf ein ebenso wichtiges Datum und zwar auf 1968 und den Aufbruch der damals jungen Generation, die die Gesellschaft verändern wollten. „1968 ist zu einer Chiffre geworden für eine Revolte, die so viel in Gang gesetzt und so viel angestoßen hat, dass sie auch 50 Jahre danach noch zum Buhmann taugt“ (S. 7). Ihr Ziel ist es mit diesen Band die Revolutionärinnen und ihre Anliegen in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Autorin beginnt mit einem Rückblick auf die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, und deren unterschiedlichen Stationen. Dies beinhaltet den Kampf der bürgerlichen als auch der proletarischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, das Reichsvereinsgesetz von 1908, der erste Weltkrieg, der internationale Verbindungen unmöglich machte, aber auch die Gründung des „Internationalen Komitees für dauernden Frieden“ 1915 mit Sitz in Den Haag. Es geht um die Frauenbewegung während der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus sowie der Nachkriegszeit mit einer starken Frauenfriedensbewegung.
Das nächste Kapitel widmet sich den Anfängen der Neuen Frauenbewegung und die Sicht der einzelnen Akteurinnen auf die damaligen Entwicklungen in den 1968er Jahren aber auch der Zeit davor. Dies schließt die Rolle des SDS (Sozialistischen Studentenbund) in den Diskussionen um Pressefreiheit, Notstandgesetzgebung, Vietnamkrieg, die atomare Aufrüstung, die Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit etc. ein.
Der Beginn der neuen Frauenbewegung wird oft mit der Rede von Helke Sanders (1968) auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt/Main gleichgesetzt, die den männlichen Delegierten vorwarf „die spezifische Ausbeutung der Frauen im privaten Bereich zu tabuisieren.“ (S. 17). Bei der Rekonstruktion der damaligen Ereignisse spielen neben individuellen Erinnerungen auf frühe Presseberichte eine Rolle (vgl. S. 19). So wurde auch über den berühmten Tomatenwurf in der Frankfurter Rundschau (1968) berichtet. Wichtig sind die Zusammenschlüsse von Frauen wie u.a. der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ der sowohl die Kinderfrage als auch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung und das gewaltförmige Geschlechterverhältnis kritisiert. Der Slogan „Das Private ist politisch“ ist Ausdruck dieser Kritik.
Im weiteren Verlauf geht die Autorin näher auf die Organisationsformen der Neuen Frauenbewegung ein, ihre Auseinandersetzung mit den Männern im SDS und stellt fest, dass der „Rückzug der Frauen, obwohl er zunächst kein endgültiger sein sollte, zu längerfristigen Veränderungen von Mentalitäten und zur Eigenaktivität der Akteurinnen, zu neuen Aktions- und Organisationsformen und zu internationalen Vernetzungen“ (S. 35f) führte. Frauenzentren und autonome Frauenräume waren die logische Konsequenz dieses Rückzugs. Mit basisdemokratischen Organisationsformen grenzten sich die neuen Gruppen von den bestehenden etablierten Frauengruppen der Nachkriegszeit ab.
Die 1970er Jahre waren ein Jahrzehnt blühender feministischer Theorien und Strömungen. Es gab liberale und „gemäßigte“ Feministinnen, radikal autonome Feministinnen, sozialistische oder linke Feministinnen und marxistische Feministinnen. Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sozialismus und Feminismus wurde unterschiedlich beantwortet.
In nächsten Kapitel geht die Autorin näher auf die Programme und Projekte der Neuen Frauenbewegung ein. Einig waren sich die frauenbewegten Frauen „in ihrem radikalen Einspruch gegen die wenigen, engen für Frauen vorgesehenen Lebenswege“ (Holland-Cunz). Die wichtigsten Ziele reichten von der Forderung nach Teilhabe an allen gesellschaftlichen Entscheidungen, der Problematisierung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung im Berufsleben und der Familie etc. bis zum Kampf gegen Misshandlung und Gewalt gegen Frauen und Kinder.
Bewegungen zu Einzelthemen waren u.a. der Kampf gegen das Verbot der Abtreibung unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“, Projekte im Bereich Gewalt gegen Frauen mit dem Ziel der Sicherung der körperlichen, seelischen und geistigen Unversehrtheit sowie der Bereich Arbeit von Frauen, deren Forderungen von „Lohn für Hausarbeit“ bis zur „gleichberechtigten Beteiligung an der Erwerbsarbeit“ reichten. Antiautoritäre Kinderläden und ein emanzipatorisches Gegenmodell bei Erziehung der Kinder sowie feministische Gegenkulturen u.a. auch im Medienbereich gehörten dazu.
Auf dem Weg zur Institutionalisierung geht die Autorin u.a. auf die Erfolge an den Universitäten z.B. mit der Schaffung von Frauenlehrstühlen oder auf die Erfolge im Bereich der Politik durch „aktive Gleichstellungspolitik“ sowohl in der EU als auch der Bundesregierung näher ein.
„Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 lief die ‚Frauenfrage‘ schnell Gefahr im Strudel der großen Veränderungen zum Randproblem degradiert zu werden. Leider hat sich eine gemeinsame Ost-West-Frauenbewegung in der Hektik des Vereinigungsprozesses nicht wirklich formieren können“ (vgl. S. 68). Die Autorin schließt ihren Beitrag mit dem Fazit, dass die Frauenbewegung nicht nur das Leben der in ihr engagierten Frauen stark verändert haben, sondern auch insgesamt auf die Beziehung der Geschlechter gewirkt haben, auch wenn Geschlechtergerechtigkeit noch immer nicht erreicht ist.
Zielgruppen
Dieses Buch ist für alle am Zeitgeschehen Interessierten Personen, nicht nur für Studierende sondern auch für Lehrende – nicht nur aus der Sozialen Arbeit – sehr interessant. Es vermittelt einen sehr guten Überblick über die Entwicklung der autonomen Frauenbewegungen der 1970er Jahre und macht die Verbindungen zur heutigen gesellschaftlichen Situation deutlich.
Fazit
Der Titel macht neugierig, die Ausführungen sind spannend und gut nachvollziehbar. Das Buch wird seinen Anspruch „Warum flog die Tomate“ darzustellen sehr gut gerecht und bietet einen guten Überblick über die Entwicklung der autonomen Frauenbewegung der 1970er Jahre.
Rezension von
Prof. Dr. Christa Paulini
HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 16 Rezensionen von Christa Paulini.