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Fabian Scheidler: Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 01.03.2018

Cover Fabian Scheidler: Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen ISBN 978-3-85371-426-3

Fabian Scheidler: Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen. Promedia Verlagsgesellschaft (Wien) 2017. 2. Auflage. 238 Seiten. ISBN 978-3-85371-426-3. D: 14,90 EUR, A: 14,90 EUR.

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Die Zeit der Monster?

Es ist (eigentlich) nicht so, dass der Mensch, angesichts von sich anbahnenden Katastrophen, Konflikten und Konklusionen, unwissend und uninformiert den Kopf in den Sand steckt oder darauf vertraut, dass „die da oben“ schon das Richtige machen würden, angekündigte Ereignisse in die richtige Richtung zu steuern oder zu vermeiden. Denn die öffentliche Meinung ist präsent, und zu jeder Zeit gab und gibt es Prognosen, Analysen und Vorhersagen, wie die Welt sich unter bestimmten Bedingungen entwickelt. Da sind die Berichte an den Club of Rome, die seit den 1970er Jahren die Menschheit warnen, dass die Grenzen des Wachstums erreicht seien. Es sind die von den Vereinten Nationen initiierten Weltberichte, die zum Perspektivenwechsel auffordern: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ (Weltkommission „Kultur und Entwicklung“, 1995). Und doch immer wieder ignorieren, verleugnen oder fakenewsen Menschen die Berichte, die auf die menschengemachten Folgen des Klimawandels verweisen, provozieren und produzieren Konflikte, die zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Kriegen führen, rennen sehenden Auges in die Kapitalismusfalle und sitzen die lokalen und globalen, sozialen Ungerechtigkeiten aus, während Friedens- und Gerechtigkeitsbemühungen eher von wenigen Kritikern und Skeptikern vorangetrieben werden müssen. Diese Unzulänglichkeiten sind es, die das Mängelwesen Mensch in die Ecke der Fatalisten, Fundamentalisten und Populisten treiben, die vorgeben, die eine, richtige, autoritäre und alleingültige Lösung der Probleme zu kennen.

Entstehungshintergrund

Nun ist es ja zum Glück nicht so, dass alle Menschen Anführern und Demagogen wie geduldige Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank folgen. Es gibt immer wieder Initiativen und Hau-Rucks, die für eine bessere, gerechtere, friedlichere und humane Eine Welt eintreten. Ohne Zweifel ist es so, dass die aktuelle Entwicklung in der Welt für Mensch und Natur unbefriedigend ist. Die Globalisierung hat nicht nur zu Grenzöffnungen, Freizügigkeit und einer erweiterten Kommunikation zwischen den Menschen geführt, sondern bewirkt auch vielfältige, negativen Folgen, wie z.B. die Big Data-Entwicklung (Ramón Reichert, Hrsg., Big Data. Analysen zum digitalen Wandel von Wissen, Macht und Ökonomie, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17608.php; sowie: www.sozial.de/big-data-heilslversprechen-oder-irrweg.html), die Veränderungen von Ordnungsvorstellungen und -prinzipien (Dana Dülcke, u.a., Hrsg., Grenzen von Ordnung. Eigensinnige Akteur_innen zwischen (Un)Sicherheit und Freiheit, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/22264.php), der Raubbau an der Seele (Wolfgang Schmidbauer, Raubbau an der Seele. Psychogramm einer überforderten Gesellschaft, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/23224.php), und den Leichtfertigkeiten und verbrecherischen Machtspielen in der Welt (Wolfgang Sternstein, Endzeit. Hoffnung und Widerstand im Atomzeitalter, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/23824.php). Chaos ist überall – und Hoffnung auch! Die Bedeutung des Begriffs „Chaos“ wird im Fremdwörterbuch erläutert als „totale Verwirrung, Auflösung aller Ordnungen, völliges Durcheinander“. Und auf Chaos folgt die Revolution! Dem Begriff und dem Zustand „Chaos“ steht also die „Chance“ als Korrelat oder Resultat gegenüber. Hier freilich ist nicht die Rede von der „Chaostheorie“, mit der erforscht wird, wann, wie und warum Prozesse von einem geordneten in einen ungeordneten Zustand übergehen. Aber doch auch – weil es höchste und dringlichste Zeit ist, dass die Menschen sich der menschengemachten Bedrohungen ihres existentiellen Lebens bewusst werden, für das individuelle wie für das lokal- und globalgesellschaftliches Dasein der Menschheit.

Autor

Der Journalist, Autor und Mitbegründer des unabhängigen Fernsehmagazins Kontakt TV, Fabian Scheidler verweist in dem 2015 erschienenem Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ auf die Gefahren, die den Individuen und Gesellschaften der Menschen drohen, wenn es nicht gelingt, den menschengemachten Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, System- und sozialen Krisen echte, humane Alternativen entgegen zu setzen. Mit seiner neuen Veröffentlichung nimmt er das „Chaos“ in der Welt zum Anlass, um ein neues Zeitalter der Revolutionen auszurufen. Damit stellt er dem Chaos die Hoffnung gegenüber, dass es gelingen möge. „dem Rüstungswahnsinn Einhalt zu gebieten und für eine neue Friedensordnung einzutreten“.

Aufbau und Inhalt

Der Autor gliedert das Buch, neben der Einleitung, in drei Teile:

  1. Im ersten Kapitel geht es um „Chaos und tödliche Ordnungen“,
  2. im zweiten um die „Reorganisation“, und
  3. im dritten Kapitel werden am Beispiel von „Chinas (Wieder-)Aufstieg“ friedenspolitische Perspektiven und Chancen für eine neue Friedensordnung entwickelt.

Die Lage der Welt stellt sich seit Jahren und aktuell als äußerst besorgniserregend dar. Die neoliberalen und kapitalistischen Entwicklungen führen dazu, dass sowohl in den nationalen Gesellschaften, als auch und vor allem im globalen Maßstab, die bereits Wohlhabenden immer reicher und die Habenichtse immer ärmer werden, die Besitzenden und gesellschaftlichen Gewinner immer mehr Macht erwerben und die Verlierer immer ohnmächtiger werden. Geostrategisch vollziehen sich aggressive und erbitterte Auseinandersetzungen darüber, welche Weltmacht den hegemonialen Anspruch erheben kann: Wie bisher die USA, oder Russland, oder China? (vgl. dazu auch: Noam Chomsky, Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/22197.php). Ökonomisch muss die verführerische Einstellung – „Immer-mehr-immer-weiter-so“ – korrigiert werden hin zu „sustainable development“, zu einer tragfähigen, ökologischen und nachhaltigen Entwicklung. Scheidler zeigt die Ursachen und Auswirkungen auf. Es ist die „Entfremdung und Entwurzelung“ des Menschen zu seiner Umwelt. Es sind ideologische, kriminelle und menschenverachtende Terroranschläge. Es ist die „globale Apartheid“, die Ungerechtigkeit präsentiert. Es sind die technologischen, medialen und digitalen Verführungen, die zu der Einstellung führen: „Ich kann alles und sofort!“. Der alte indianische Spruch – „Die Erde gehört nicht dem Menschen, der Mensch gehört zur Erde!“ – muss wieder in das Bewusstsein der Menschheit gebracht werden. Dazu ist Resilienz notwendig, die sich zeigt in den lebensbejahenden, selbstbewussten und kritischen Einstellungen wie: Optimismus – Akzeptanz – Lösungsorientiertheit – zukunftsgestaltend – Beziehungen pflegend – Verantwortung übernehmen – Selbstregulation (Stephanie Borgert).

Es ist der vielbeschworene, empfohlene und geforderte Perspektivenwechsel, der als Wunsch und Hoffnung, als Vision und Utopie daherkommt. Wie aber kann dieses angestrebte Menschenwerk gelingen? Nicht, indem die Menschen die Gewohnheiten beibehalten, die ihnen Vor- und Nachteile bringen, sondern indem jeder Einzelne und im Kollektiv der menschlichen Gemeinschaft sich eingesteht, dass der Mensch ein erdbezogenes, mundanes Lebewesen ist (Wolfgang Welsch). Diese gewaltige Entdeckung hat ihre Ecken, Kanten und Schnittstellen. Sie fällt nicht vom Himmel, liegt nicht in den Genen und darf auch nicht per Ordre du Mufti vermittelt werden. Vielmehr geht es darum, sie human und pädagogisch ein Leben lang zu lernen. Bei den existentiellen, ethischen und moralischen Herausforderung, das individuelle und kollektive Leben so zu gestalten, dass das höchste Gut der Menschen, die Menschenwürde, gewahrt wird, ist die Erfahrungsmethode „Zwei Schritte vor, einen zurück“ nicht die schlechteste. Denn der Blick nach vorne hält nicht, wenn er nicht gleichzeitig den nach der individuellen, lokalen und globalen Vergangenheit der Menschheit fasst und die aktuelle Analyse des menschlichen Daseins berücksichtigt. Es sind nämlich die zahlreichen Beispiele von Engagierten, die von der „Kraft der kleinen Handlungen“ künden und Mut machen, Wege zu einer zukünftigen, gemeinwohlorientierten, humanen Ökonomie ebnen können. Die Erkenntnis der US-amerikanischen Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften, Elenor Ostrom, dass mehr wird, wenn wir teilen, verweist auf die neuen Werte, die es zu erreichen gilt: Volkseigentum, Gemeineigentum, Commons. Dazu braucht es Lebensmut, -kraft und -einsicht – und den Willen, Wandel und Veränderung als die Antriebsriemen für ein gutes, gelingendes Leben zu begreifen.

Im philosophischen, soziologischen, anthropologischen und politischen Diskurs darüber, wie wir geworden sind, was und wie wir sind, warum Gemeinschaften herrschen oder beherrscht werden (Ian Morris, Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12186.php), weshalb Menschen schwierige, individuelle und kollektive Lebenssituationen meistern (Ben Sherwood, Wer überlebt? Warum Menschen in Grenzsituationen überleben, andere nicht, 2009, www.socialnet.de/rezensionen/8908.php), und wie es gelingen kann, Krisen und Katastrophen nicht nur zu erleiden, sondern sie auch zu bewältigen (Medico International, Hg., Fit für die Katastrophe? Kritische Anmerkungen zum Resilienzdiskurs im aktuellen Krisenmanagement, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/22199.php). Die Entwicklung in China in der Vergangenheit, die vielfältigen kulturellen, machtpolitischen und zivilisatorischen Strategien eines „Ankommens in der Welt“, einerseits des erkennbaren Strebens, eine neue, globale Friedensordnung mitzugestalten, andererseits sich als „Weltmacht“ zu etablieren, können als Blaupausen dafür dienen, welche friedenspolitischen und ideologischen Ideen, Visionen und Utopien in der Welt vorherrschen.

Fazit

Die „Megamaschine“, als Metapher und Analyse des Zustands der Welt Hier und Heute, lässt sich sowohl als Schreckgespenst und Chaos, aber auch als Chance begreifen. Im Anhang seiner Weltzustandsanalyse stellt Fabian Scheidler als „Ausstieg aus der Megamaschine“ sein 16-Punkte-Programm vor, in dem er die ökonomischen, ökologischen, anthropologischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Bedingungen für ein humanes Leben aller Menschen auf der Erde aufzählt. Es sind keine Rezepte, die der Autor liefert, sondern (Nach)denkprozesse und Aufrufe zur aktiven Beteiligung. Es gilt, „der Krise des Lebens auf der Erde ins Auge zu sehen und angemessen darauf zu reagieren“, womit wir wieder bei dem Zauberwort angelangt wären, das auf die Hoffnung setzt, dass ein friedliches, gerechtes, gleichberechtigtes und menschenwürdiges Leben für alle Menschen auf der Erde möglich sein muss: Perspektivenwechsel! Und es gilt, den Ich-und-Wir-Faktor in das Leben der Menschen zu bringen (Kurt Edler, Demokratische Resilienz auf den Punkt gebracht, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/23304.php).

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1693 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245