Carola Kuhlmann, Hildegard Mogge-Grotjahn et al. (Hrsg.): Soziale Inklusion
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 03.08.2018

Carola Kuhlmann, Hildegard Mogge-Grotjahn, Hans-Jürgen Balz, Rudolf Bieker (Hrsg.): Soziale Inklusion. Theorien, Methoden, Kontroversen.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2018.
196 Seiten.
ISBN 978-3-17-030807-7.
29,00 EUR.
Reihe Grundwissen soziale Arbeit, Band 23.
Thema
Thematisch reiht sich dieses Buch in die zahlreichen Veröffentlichungen zur Inklusion. Und doch ist es eine Bereicherung in diesem Sammelsurium, weil der Focus auf der kritischen Reflexion der beabsichtigten und praktizierten Inklusion liegt.
Autorinnen und Autor
Die Autoren/innen sind aktiv in Lehre und Forschung sowie Praxis mit dem Thema Inklusion verbunden. Sie haben an der EvH Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum diverse Professuren inne.
Entstehungshintergrund
Dieses Fachbuch reiht sich ein in die Reihe „Grundwissen Soziale Arbeit“. Dieser Band zur Inklusion beleuchtet das Thema „Inklusion“ in kompakter Form bezogen auf die Sozialen Arbeit.
Aufbau
Gerahmt vom Vorwort des Herausgebers und Literaturhinweisen und Register bietet das Buch sieben Kapitel:
- Einführung
- Meta-Theorien
- Bedeutung der Meta-Theorien für die Inklusionsdebatte in der Sozialen Arbeit
- Diskurse und Kontroversen in Wissenschaft und Politik
- Inklusive Handlungsansätze und Methoden
- Paradoxien der Inklusion und Widerstände gegen die Inklusion
- Fazit: Inklusion als Perspektive für eine menschengerechte Gesellschaft
Inhalt
Im Vorwort erläutert Prof. Dr. R. Bieker das Anliegen der Buchreihe zum Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit. Dies betrifft sowohl die Erwartung an das selbstständige Lernen und fordert gleichzeitig eine bestimmte Methodik von den Lehrenden. Die Verbindung beider findet sich in der Gestaltung dieses Fachbuches.
Zunächst werden die LeserInnen im 1. Kapitel in die Begriffe Inklusion und Exklusion eingeführt. Aus der aufgestellten Arbeitsdefinition leiten die AutorInnen Fragen ab, die unterschiedliche praktische wie auch politische Schlussfolgerungen nach sich ziehen (vgl. S. 12). Je nach Blick auf Inklusion wurden ebenfalls diverse Indizes erarbeitet. Diese Vielfalt an Indizes ergibt sich aus den Verschiedenheitsdimensionen, die durch das jeweilige Menschenbild verbunden sind. Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit Inklusion und die kapitalistische Gesellschaft miteinander vereinbar sind.
Die im 2. Kapitel ausgewählten Meta-Theorien setzen sich (in)direkt mit Fragen von Inklusion auseinander. Die Sozialtheorien von N. Luhmann, M. Foucault, P. Bourdieu, M. Nußbaum sowie N. Elias bereichern ebenso sozialarbeitswissenschaftliche Diskussionen und entwickeln unterschiedliche Erklärungsmodelle zu Veränderungsprozessen in der Gesellschaft. Die VerfasserInnen vervollständigen die Ausführungen mit der Stigmatheorie von E. Goffman sowie der Anerkennungstheorie von A. Honneth.
Der Transfer der vorgestellten Sozialtheorien auf die Soziale Arbeit sowie die Inklusion wird im 3. Kapitel thematisiert. Die Metatheorien werden vor dem Hintergrund der „Praxistauglichkeit“ in sozialen, pädagogischen sowie gesundheitsbezogenen Handlungsfeldern interpretiert und diskutiert. Entscheidend, so das Fazit, ist das System, in welches Menschen hinein „inkludiert“ werden. (vgl. S. 72)
Die dargestellten theoretischen Grundlagen werden in Kapitel 4 vertieft und auf diverse Kontroversen und Diskurse bezogen. Zunächst suchen die AutorInnen den Zugang über sozialwissenschaftliche sowie politischen Themen. Wobei als Schlüssel zur Inklusion der Zugang zur Bildung identifiziert wurde. Die aufgeführten Good Practice Beispiele belegen Chancen zur Inklusion. Trotz der Unterrepräsentation von psychologischer Fachliteratur zum Thema Inklusion werden die unterschiedlichen Aspekte der Sozialpsychologie und der pädagogischen Psychologie herausgearbeitet. Und es wird das große Potenzial der Psychologie für das Handeln und Forschen im Zusammenhang mit Inklusion dargestellt, z.B. in der politischen Psychologie.
Aufbauend auf die vorangegangenen Ausführungen wird im 5. Kapitel auf methodische Ansätze der Sozialen Arbeit eingegangen. Methodisch bezieht sich die Soziale Arbeit zum einen auf Ansätze, die älter sind als die Inklusionsdebatte selbst wie u.a. der Empowerment-Ansatz und das Konzept der Resilienz. Zum anderen entwickelten sich auch im Zuge der Inklusionsdebatte Konzepte, Methoden und Techniken, die bereichsübergreifend und inklusionsfördernd angewendet werden. Zukunftsweisend ist der Beitrag zur inklusionsorientierten Diagnostik, in der die Menschen mit ihren individuellen Bedarfen im Focus stehen.
Kapitel 6 thematisiert vorhandene Paradoxien im Prozess der Umsetzung von Inklusion, exemplarisch auch dargestellt am Handlungsfeld Schule. Der kritischen Reflexion diverser praktischer Erfahrungen geht die Diskussion um die „inkludierende Exklusion“ und der „exkludierenden Inklusion“ voran. Abschließend laden die AutorInnen ein zur generellen Auseinandersetzung mit der Frage nach der inklusiven Gesellschaft innerhalb kapitalistischer Gesellschaftssysteme.
Im Fazit plädieren Kuhlmann, Mogge-Grotjahn und Balz für die Inklusion als Perspektive für eine menschengerechte Gesellschaft. Es geht also um die Frage, „auf welche Weise und unter welchen Bedingungen Teilhabe gesellschaftlich ermöglicht wird.“ (S. 170)
Diskussion und Fazit
Die AutorInnen betten dieses Grundlagenbuch in sozialwissenschaftliche Meta-Theorien ein und betrachten die aktuelle Inklusionsdebatte vor deren Hintergrund. Die Studierenden werden in die Lage versetzt, die Praxis(projekte) mit Hilfe des theoretischen Wissens kritisch zu betrachten, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren sowie die komplexe Verwobenheit von Gesellschaft, Politik und Wissenschaft bzgl. der Inklusion zu betrachten. Die Anregung zum sektorenübergreifenden Denken und Handeln wird als Notwendigkeit zum Weg in eine inklusive Gesellschaft betrachtet. Der Rahmen schließt sich mit der Betrachtung aktueller Kontroversen, Paradoxien und Barrieren auch unter dem Blickwinkel der anfangs beschriebenen Meta-Theorien. Gerade diese Rahmung lädt zum Mitdenken ein und fordert auf zum Überwinden extremer Positionen bzgl. Inklusion bzw. inklusiver Gesellschaft.
Neben der tiefgehenden Auseinandersetzung mit der sozialen Inklusion beeindruckt dieses Fachbuch durch seinen Aufbau. Vorangestellte Inhalte und Lernziele der Kapitel, verständliche Einführung in Fachbegriffe sowie Theorien und abschließende Diskussionsfragen nehmen die LeserInnen bei jedem Gedanken mit und regen zum Weiterdenken an. Der offene Blick für kontroverse politische sowie Fachdiskussionen zur Inklusion sind herzerfrischend und erinnert daran, dass jegliche fachliche Einseitigkeit auch Inklusion einengt.
Fazit: Ein hochkarätiges Fachbuch. Verständlich geschrieben, leitet Schritt für Schritt zum Eintauchen in das komplexe System von Theorie und Praxis, von Politik und Gesellschaft an. Inklusion wird lebendig mit allen Möglichkeiten, Barrieren und Missverständnissen. Dieses Buch gehört in jeden Katalog von Fachbüchereien und sollte Pflichtliteratur für jeden Menschen sein, dem beruflich und allgemein Inklusion am Herzen liegt. Richtig gelesen, öffnet „Soziale Inklusion“ den Blick für die vielen Dimensionen, Ebenen und Facetten eines inklusiven Lebens, das auch Exklusion beinhaltet. Den AutorInnen ist großer Dank für dieses Buch entgegenzubringen!
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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