Marian Laubner, Bettina Lindmeier et al. (Hrsg.): Schulbegleitung in der inklusiven Schule
Rezensiert von Rebecca Babilon, 07.03.2018
Marian Laubner, Bettina Lindmeier, Anika Lübeck (Hrsg.): Schulbegleitung in der inklusiven Schule. Grundlagen und Praxishilfen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2017. 192 Seiten. ISBN 978-3-407-25766-6. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema und HerausgeberInnen
Mit steigenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in der inklusiven Schule steigt auch die Zahl der bewilligten Schulbegleitungen. Diese unterstützen einzelne Schülerinnen und Schüler und nehmen bei der Umsetzung inklusiver Teilhabe am Unterricht der Regelschule eine wesentliche Rolle ein. Denn im Rahmen der schulischen Möglichkeiten wäre es ohne ihre Tätigkeit derzeit vielen Schülerinnen und Schülern nicht möglich, eine Regelschule zu besuchen. Schulbegleitungen sind damit auch Kooperationspartner in den multiprofessionellen Teams der inklusiven Regelschulen.
Bislang bietet die (sonder)pädagogische Literatur allerdings nur wenige Hilfestellungen in Bezug auf die zahlreichen Fragen, Unsicherheiten und Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Schulbegleitungen. Umso erfreulicher, dass Marian Laubner (Universität Göttingen), Bettina Lindmeier (Universität Hannover) und Anika Lübeck (Universität Bielefeld) zu diesem Thema den Sammelband „Schulbegleitung in der inklusiven Schule. Grundlagen und Praxishilfen“ herausgegeben haben.
Aufbau
18 Autorinnen und Autoren beleuchten das Thema ‚Schulbegleitung‘ aus den unterschiedlichsten – sowohl wissenschaftlichen als auch praktischen – Perspektiven. Dabei gliedert sich das Werk in folgende Bereiche:
- Schulbegleitung in der inklusiven Schule – Grundlagen
- Kooperation mit Schulbegleitung
- Spannungsfelder und Herausforderungen für die Arbeit von und mit Schulbegleitungen
- Die Perspektive der Schüler/innen
- Ausblick
- Praxismaterialien.
Einführend definieren Marian Laubner, Bettina Lindmeier und Anika Lübeck Schulbegleitung als Maßnahme der Eingliederungshilfe, die je nach Art des Unterstützungsbedarfs des Kindes aus SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) oder SGB XII (Sozialhilfe) finanziert wird. Häufig werden Schulbegleitungen – synonym auch als Integrationshelfer, Schulassistenten oder Schulhelfer bezeichnet – von externen Arbeitgebern eingestellt und sind in der Regel nicht Teil des schulischen Kollegiums. Es bestehen große Unterschiede in der Beantragungs- und Bewilligungspraxis sowie große Unklarheiten darüber, welche Aufgabe externe Schulbegleitungen in der Schule wahrnehmen, wie sie in schulische Strukturen eingebunden sind und wer ihnen gegenüber weisungs- und entscheidungsbefugt ist.
Zum ersten Teil
Der erste Teil hat das Thema „Schulbegleitung in der inklusiven Schule – Grundlagen“.
Zunächst geben Anika Lübeck und Christine Demmer in ihrem Artikel „Unüberblickbares überblicken – Ausgewählte Forschungsergebnisse zu Schulbegleitung“ einen Überblick über vorliegende empirische (inter)nationale Forschungsergebnisse zur Arbeit von und mit Schulbegleitungen. Diese meist quantitativen Studien sind ausschnitthaft auf einzelne Bundesländer und Regionen gerichtet und insgesamt nur schwer miteinander zu vergleichen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse die erheblichen Variationen in Bezug auf den Personenkreis, die Arbeitssituation und die Qualifikation von Schulbegleitungen. Entgegen den administrativ-programmatischen Vorgaben werden viele Schulbegleitungen im Schulalltag auch pädagogisch-unterrichtlich tätig. Diese Umstände werden – wie auch die negativen bzw. unerwünschten Effekte einer 1:1-Begleitung – von den Autorinnen kritisch beleuchtet.
Sylvia Thiel stellt verständlich und übersichtlich die aktuelle Rechtslage zur „Beantragung und Bewilligung von Schulassistenz“ in Niedersachsen über die beiden Leistungsträger dar sowie die Leistungsbewilligung und die Zusammenarbeit der Leistungserbringer mit der Schule und den Eltern. Der Zweck der Leistung ‚Schulbegleitung‘ als Maßnahme der Eingliederungshilfe ist die ‚Hilfe zur angemessenen Schulbildung‘. Diese Leistung ist nachrangig zu allen schulischen Maßnahmen zu gewähren, ausschließlich auf das Kind bezogen und schließt die individuelle Unterrichts- und Förderplanung sowie die Vermittlung der Lerninhalte aus – wobei auch Thiel darauf aufmerksam macht, dass in der Alltagspraxis diese „trennscharfe Unterscheidung zwischen Vermittlung auf Seiten der Lehrkraft und Unterstützung bei der Bewältigung der schulischen Anforderungen und Aufgaben (Teilhabe) auf Seiten der Schulassistenz schwierig ist“ (S. 29). Sie arbeitet heraus, dass die verschiedenen Zielsetzungen, Zugangsvoraussetzungen und Systemlogiken von Eingliederungshilfe und Schule sowie die fehlende gemeinsame Definition von Behinderung bzw. Unterstützungsbedarf an vielen Stellen strukturelle Barrieren mit sich bringen und die Zusammenarbeit erheblich erschweren. Die Alternative, eine Bündelung von Bedarfen der anspruchsberechtigten Kinder einer Klasse oder einer Schule im Poolmodell, wird vorgestellt und mit Blick auf die möglichen Vorteile diskutiert. Thiel weist auch auf Schwierigkeiten hin und spart etwa die Fragestellung nicht aus, wenn sich Eltern und Schule uneins sind in Fragen Notwendigkeit einer Schulbegleitung.
Im Artikel „Zur Gewährung von Schulbegleitung – Wer erhält in welchem Umfang eine Schulbegleitung?“ geht Wolfgang Dworschak der Frage nach, welche individuellen Merkmale und Kontextfaktoren im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung den Erhalt und den Umfang einer Schulbegleitung beeinflussen und in welcher Weise sich die Schülerinnen und Schüler in den inklusiven Bildungssettings von denen an den Förderschulen unterscheiden. Als Ergebnisse seiner bayerischen Studie arbeitet Dworschak unterschiedliche Faktoren wie die Bewilligungspraxis einzelner Regierungsbezirke, den Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung, örtliche Begebenheiten sowie das Alter, die besuchte Schulform und die diagnostizierte Behinderung von Schülerinnen und Schülern heraus. Auffällig ist, dass die schulbegleiteten Kinder der Studie in der Inklusion im Vergleich zu Kindern mit Schulbegleitung an der Förderschule einen geringeren Hilfe- und Unterstützungsbedarf haben. Dworschak spitzt daher zu: Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung können die allgemeine Schule besuchen, „wenn sie eine Schulbegleitung mitbringen, die ihre Defizite so weit ausgleicht, dass sie in das bestehende Konzept der allgemeinen Schule ohne größere Anstrengung zu integrieren sind. Dabei fordert Inklusion von der Schule eigentlich ein grundlegendes Umdenken“ (S. 48). In diesem Zusammenhang setzt sich Dworschak auch mit der Konkurrenz des Aufgaben- und Tätigkeitsprofils von Pädagogischen Mitarbeitern und Schulbegleitungen auseinander.
Eva-Maria Geist befasst sich mit Fragen der „Qualifikation und Qualifizierung von Schulbegleiter/innen“. Da das Berufsbild der Schulbegleitung lediglich im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII das Fachkräftegebot beinhaltet und ansonsten keinerlei Standards unterliegt, ergibt sich in bezug auf die Qualifikationen und Qualifizierungsangebote ein sehr heterogenes Bild. Deutlich arbeitet Geist das Dilemma von Qualifizierung/Professionalisierung und Bezahlung heraus, insbesondere im Hinblick auf den vielfach diskutierten Vergleich von Schulbegleitungen und Pädagogischen Mitarbeitern. In der Inklusion werden aus Kostengründen oft Schulbegleitungen eingesetzt, was aber zu großen Problemen bei der Umsetzung von Inklusion in gemeinsamer Verantwortung führt. Geist fordert in der jetzigen Situation bundesweite Standards für Schulbegleitungen, ihre Qualifikation, die Tätigkeitsbereiche und die Bezahlung sowie qualitativ hochwertige Qualifizierungsmaßnahmen. Sie schlägt als Vorgehen die Erstellung von Qualitätsstandards vor, auf denen die Feststellung spezifischer Kompetenzen und Haltungen von Schulbegleitungen aufbauen könnte, um dann in einem dritten Schritt zu definieren, ob eine eigene Ausbildung benötigt wird oder auf qualifiziertes Personal wie Pädagogische Mitarbeiter zurückgegriffen werden sollte.
Zum zweiten Teil
Der zweite Teil des Sammelbandes nimmt Fragen der „Kooperation mit Schulbegleitung“ in den Fokus.
Anika Lübeck beschreibt in ihrem Artikel „Außen vor und doch dabei? Zur Einbindung der Schulbegleitung im schulischen Kollegium“, dass sich die Einbindung in das Schulkollegium häufig durch die Anstellungssituation bei einem anderen Träger als brisant erweist. Lübeck stellt sehr klar dar, dass die Forderung nach einer stärkeren Einbindung von Schulbegleitungen in das Kollegium und die konzeptionell-pädagogische Planung mit Blick auf die Arbeitsatmosphäre und im Sinne einer arbeitsbegleitenden Qualifizierung der Schulbegleitungen (training on the job) ein verständlicher Wunsch ist. Dennoch dürfen die Gefahren und Risiken nicht außer Acht gelassen werden. Kritisch zu betrachten ist ihrer Meinung nach vor allem die fehlende pädagogische Qualifikation, die dazu beiträgt, „eine Deprofessionalisierung in der Bildung von Menschen mit Behinderungen zu evozieren“ (S. 72). Zudem läuft Schule „bei den Forderungen nach einer stärkeren, auch konzeptionellen Einbindung der Schulbegleitung in die Gesamtförderstrategie der Schule [...] Gefahr, ein Hilfskonstrukt zu institutionalisieren, das in seiner derzeitigen Form nicht mit einer langfristig gedachten inklusiven Schulentwicklung vereinbar ist“ (S. 71).
Karina Meyer, Sonja Nonte und Ariane Willems zeigen in ihrem Beitrag „Mittendrin und doch außen vor? Eine empirische Studie zur multiprofessionellen Kooperation aus Sicht von Schulbegleiter/innen“ als ein Ergebnis der Göttinger Schulbegleitstudie auf, dass die jeweilige Klassenleitung für die Schulbegleitungen den zentralen Kooperationspartner darstellt. Je stärker diese Kooperation ausgeprägt ist, desto positiver erleben die Schulbegleitungen ihre Arbeit. Zudem wirft die Studie Fragen nach strukturellen Rahmenbedingungen für Kooperation auf. Die Schulen sind nach Meinung der Autorinnen gefragt, angemessene Standards hierfür zu entwickeln.
Zum dritten Teil
Im dritten Teil stehen die „Spannungsfelder und Herausforderungen für die Arbeit von und mit Schulbegleitungen“ im Mittelpunkt der Betrachtung.
Andreas Köpfer nimmt in seinem Beitrag „‚Raum kommt von räumen‘ – Raumhandeln als Schulassistenz“ die räumliche Dimension von Schulbegleitungs-Handeln in den Blick und arbeitet Möglichkeiten der Differenzierung und Individualisierung heraus, aber auch mögliche Komplikationen wie Stigmatisierungen, Hindernisse für die inklusive Unterrichtsgestaltung und Barrieren in der Kommunikation der Kinder untereinander.
Kathrin Schulze zeigt in ihrem Artikel „Schulbegleitung im Spannungsfeld von Nähe und Distanz – eine Einzelfallanalyse zum Umgang mit paradoxen Strukturen pädagogischen Handelns“ auf, dass Schulbegleitungen durch ihre Arbeitsituation (1:1-Begleitung mitunter über einen langen Zeitraum, breites Aufgabenspektrum, vielseitige Mittlerposition) in besonderem Maße mit der nicht aufhebbaren Antinomie von Nähe und Distanz konfrontiert sind. Wenn diese pädagogische Herausforderung auf fehlende fachlich-pädagogische Qualifikationen trifft, kann sie zu einem Problem werden. Etwa wenn „ein Zuviel an Nähe und ein Zuwenig an entwicklungsfördernder Distanz“ (S. 103) seitens der Schulbegleitung die Selbstständigkeit des zu begleitenden Schülers beeinträchtigen. Es bedarf einer reflexiven Bearbeitung und Balance dieses Spannungsverhältnisses in der täglichen Beziehungspraxis. Auch bei Schulze findet sich daher der Ruf nach einem klar umrissenen Aufgaben- und Rollenspektrum sowie Professionalisierung. Letztere muss das „Bewusstsein für die Existenz und Unauflösbarkeit von Widersprüchen innerhalb des pädagogischen Handelns“ (S. 105 f.) entwickeln, damit Schulbegleitungen eine fachbezogene Reflexivität erreichen können.
Nina Blasse analysiert anhand ethnographischer Unterrichtsbeobachtungen in Schleswig-Holstein „Vielfältige Positionen von Schulbegleitung im Unterricht“, die innerhalb der heterogenen Lehrgruppe eingenommen werden. Hierbei wird die diffuse und variable Vielfalt der Tätigkeiten und Aufgaben deutlich, „die vom passiven Beobachten bis zu aktiven pädagogischen und fachlichen Tätigkeiten, vom unterstützenden bis lehrenden Tun reichen“ (S. 115). Auch Blasse macht darauf aufmerksam, dass es eines geschärften Aufgabenprofils für Schulbegleitungen bedarf und Schulbegleitungen zumindest eine basale pädagogische Ausbildung benötigen, um Unterricht in fundierter Weise begleiten zu können.
Jan Hoyer bearbeitet in seinem Artikel „Strukturbedingte Reflexionskriterien für multiprofessionelle Zusammenarbeit im Handlungsfeld Schule“. Er zeigt auf, dass im Konstrukt Schulbegleitung unterschiedliche Systemlogiken von Schule und Jugendhilfe aufeinandertreffen und zu Schwierigkeiten in der multiprofessionellen Zusammenarbeit führen können. Aufbauend auf dieser Analyse entwickelt er Reflexionskriterien, die in der Kooperation von Lehrkräften und Schulbegleitungen zu einer gemeinsamen Zieldefinition eingesetzt werden können, welche wiederum die Effektivität und Zufriedenheit der Arbeit steigert. Als ausgewählte wichtige Reflexionsthemen nennt er neben der Auseinandersetzung mit Nähe und Distanz die Antinomie der Doppelfunktion von Schulen, einerseits Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen zu wollen, andererseits die erreichte Befähigung zu bewerten und damit Teilhabechancen zu verunmöglichen (Allokation). Ferner wird durch Inklusion der Kompensationsauftrag in die Schulen getragen und steht in einem Spannungsverhältnis zum Grundauftrag der Schule, der Befähigung. Hoyer fordert, dass dieser Bedarf an stetiger gemeinsamer Reflexion und Absprache von allen Organisationen und Trägerinstanzen als Arbeitszeit anerkannt werden muss.
Zum vierten Teil
Im vierten Teil findet die bislang in der Forschung stark vernachlässigte „Perspektive der Schüler/innen“ Berücksichtigung.
Ursula Böing und Andreas Köpfer stellen in ihrem Beitrag „Schulassistenz aus Sicht von Schülerinnen und Schülern mit Assistenzerfahrung“ erste Zwischenergebnisse einer explorativ-qualitativen Studie vor. Anhand von zwei Interviewausschnitten zeigen sie auf, dass Schulbegleitungen aus Perspektive der begleiteten Schülerinnen und Schüler beispielsweise als Unterstützung zur Bewältigung des Unterrichtsgeschehens und als Schutzschild in Konflikten erlebt werden. Diese Funktionszuschreibungen verdeutlichen zugleich die Spannungsfelder, in denen Schulbegleitungen handeln. Böing und Köpfer verweisen in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer Professionalisierung von Schulbegleitungen sowie inklusiver Schulentwicklungsprozesse, die ihrer Ansicht nach notwendig sind, um der latenten „Instrumentalisierung der Schulassistent/innen zur Beibehaltung einer auf Homogenisierung bedachten Unterrichtsgestaltung“ (S. 135) entgegenzuwirken.
In ihrem Artikel „‚In manchen Momenten wünsch ich mir auch, dass sie gar nicht da sind‘ – Schulassistenz aus der Perspektive von Mitschülerinnen und Mitschülern“ stellen Bettina Lindmeier und Katrin Ehrenberg anhand von Rekonstruktionen zweier Gruppendiskussionen die Perspektive von Mitschülern von leistungsberechtigten Schülern auf die Schulbegleitung dar. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Schulbegleitungen „durch ihre meist durchgängige Präsenz und ihr Handeln im Schulalltag eine wesentliche Rolle im sozialen Feld der Schulklasse“ (S. 137) einnehmen. Die Auswertung der Schüleraussagen liefert unter anderem die Erkenntnis, dass Ungleichbehandlungen von Schülern sehr differenziert wahrgenommen werden und die Schüler ein Bewusstsein dafür haben, welcher Erwachsene für welche Kinder zuständig ist. Es lassen sich stigmatisierende Wirkungen durch die kindbezogene Unterstützung durch Schulbegleitungen nachweisen. Zudem kann die Anwesenheit einer Schulbegleitung Kontrolle implizieren und eine symmetrische Interaktion der Kinder untereinander verhindern. Diese Spannungsfelder sind laut Lindmeier und Ehrenberg „nicht auflösbar, da sie in hohem Maße an die strukturellen Gegebenheiten der inklusiven Schule gekoppelt sind“ (S. 148). Mittelfristig sollten ihrer Meinung nach Schulbegleitungen daher durch systemisch arbeitende Pädagogische Mitarbeiter abgelöst werden.
Zum fünften Teil
Im fünften Teil, dem „Ausblick“, konstatieren Bettina Lindmeier und Wolfgang Dworschak, dass die Maßnahme der Schulbegleitung „aus struktureller Sicht bisher nicht gut in das Feld Schule implementiert ist“ (S. 150). Ihre hieraus gezogenen Schlussfolgerungen stellen sie im Artikel „Zur Notwendigkeit der konzeptionellen Weiterentwicklung der Maßnahme Schulbegleitung“ vor. Lindmeier und Dworschak analysieren in einem ersten Schritt die Kooperation zwischen Lehrkraft und Schulbegleitung aus organisationssoziologischer Sicht mit Hilfe der Strukturdimensionen Arbeitsteilung, Koordination, Hierarchie, Delegation und Formalisierung. Sie zeigen auf, dass die Stigmatisierungen der begleiteten Kinder zwar subtil, gleichwohl aber relevant für die Identitätsbildung und die Peerkontakte sind. Aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Spannungsfelder halten sie in einer Übergangszeit die Weiterentwicklung von Poolmodellen für nötig, wobei sie drei verschiedene Herangehensweisen unterscheiden. Schulbegleitung muss dabei im Sinne der UN-BRK als eine angemessene Vorkehrung verstanden werden und als Teil der Entwicklung eines inklusiven Schulsystems. Langfristig soll das Schulsystem inklusive Beschulung grundsätzlich im eigenen System und mit eigenen Mitteln erfüllen, sodass Schulbegleitungen nach und nach obsolet werden. Dworschak und Lindmeier betonen, dass kritische Anmerkungen zur derzeitigen Ausgestaltung der Maßnahme Schulbegleitung nicht die Anstrengungen aller Beteiligten schmälern sollen. „Im Gegenteil, sie sollen deutlich machen, dass es strukturelle Probleme gibt, die zum Teil außerhalb der Reichweite der Akteur/innen liegen, mit denen diese aber dennoch leben und arbeiten müssen“ (S. 157). Ihnen ist bewusst, dass Schulbegleitungen „derzeit und für das kommende Jahrzehnt aus unseren Schulen kaum wegzudenken“ (S. 158) sind und daher ‚praktikable Zwischenlösungen‘ gefunden werden müssen.
Zum sechsten Teil
Im sechsten, abschließenden Teil stellen Eva-Maria Geist, Marian Laubner, Sandra Polleschner und Mareike Wanke „Praxismaterialien“ sowie Anregungen zum Einsatz und zur Reflexion dieser Materialien vor. Die zehn „Bausteine zur Kooperation mit Schulbegleitungen in der inklusiven Schule“ decken verschiedene Situationen ab. Vorgestellt werden ein Leitfaden für die erste Hospitation der Schulbegleitung in der Klasse, drei Fallbeispiele zur Vorstellung der Schulbegleitung bei den Schülern einer Klasse, Impulse für ein Informationsschreiben an die Eltern sowie Leitfäden für ein Startgespräch mit der Schülerin bzw. dem Schüler und mit dem pädagogischen Team. Ferner wird die Pädagogische Konferenz als Möglichkeit der Kooperation mit den Fachlehrkräften der Klasse dargestellt, es finden sich Leitfäden für Elterngespräche, Hinweise zur Dokumentation und Organisation der Kooperation zwischen Lehrkräften und Schulbegleitung, ein Baustein zur Reflexion der Vereinbarungen sowie Vorschläge zu Schulentwicklungsfragen im Kontext der Kooperation mit Schulbegleitungen.
Diskussion und Fazit
Der vorliegende Sammelband, der sich an alle Akteure in der inklusiven Schule sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler richtet, wird seinem Anspruch gerecht, „die Maßnahmen der Schulbegleitung in einer bisher nicht gekannten Breite und Tiefe“ (Dworschak/Lindmeier, S. 150) zu analysieren. Er greift den aktuellen Diskurs um Schulbegleitung auf und beschreibt die vielfältigen Herausforderungen und Unsicherheiten in dieser Zusammenarbeit. Hierdurch wird deutlich, dass die Akteure in der inklusiven Schulpraxis vor Ort mit ihren Fragen und derzeit erst in Ansätzen entwickelten Standards, Lösungsvorschlägen und Konzepten nicht alleine sind. Der Sammelband bietet ihnen an vielen Stellen Anregungen zur Gestaltung und zur konzeptionellen Weiterntwicklung, beispielsweise werden Fragen der Professionalisierung diskutiert und Poolmodelle vorgestellt. Die erprobten Materialen zur Kooperation sowie die zusätzlichen Materialen zum Download bieten konkrete Unterstützung für die Praxis. Darüber hinaus werden weitere Forschungsbedarfe angesprochen und es wird das Anliegen des Buches deutlich, „das Wissen darüber offen zu halten, dass eine inklusive Schule möglicherweise auch ganz anders organisiert werden könnte“ (Dworschak/Lindmeier, S. 157 f.).
In vielen Beiträgen wird angesprochen, dass die Zunahme von Schulbegleitungen auf die derzeit unzureichende personelle Ausstattung inklusiver Schulen zurückzuführen ist. Daher darf Dworschak zufolge „die Schulbegleitung auch keinesfalls als die ideale Lösung für die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems angesehen werden“ (S. 48). Viele der Autorinnen und Autoren betonen, dass es letztlich pädagogisch qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedarf, die in den Schulen angestellt sind und systemisch statt individuumsbezogen agieren. Denn dem „Leitbild der Inklusion folgend, müsste eine inklusive Schule alle Voraussetzungen schaffen, die die volle Teilhabe behinderter Kinder […] ermöglichen, sodass es im Prinzip gar nicht zu Teilhabebeeinträchtigungen kommt. Anders ausgedrückt: Es bedarf auf Seiten der Schulgesetzgebung einer dringenden Anerkennung von Assistenzaufgaben als Kernaufgaben der Schule zur Umsetzung des Inklusionsprinzips […]. Solange dieses Umsetzungsdefizit jedoch besteht, ist der Einsatz von Jugend- oder Sozialhilfeleistungen auch weiterhin erforderlich“ (Thiel, S. 36).
Für die Reflexion und Gestaltung dieser Maßnahmen der Schulbegleitung bietet der vorliegende Sammelband wertvolle Anregungen.
Rezension von
Rebecca Babilon
Förderschullehrerin
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Zitiervorschlag
Rebecca Babilon. Rezension vom 07.03.2018 zu:
Marian Laubner, Bettina Lindmeier, Anika Lübeck (Hrsg.): Schulbegleitung in der inklusiven Schule. Grundlagen und Praxishilfen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2017.
ISBN 978-3-407-25766-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24101.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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