Susanne Guski-Leinwand (Hrsg.): Curt Werner Bondy
Rezensiert von Prof. em. Dr. Helmut E. Lück, 15.03.2018
Susanne Guski-Leinwand (Hrsg.): Curt Werner Bondy. Psychologe und Strafgefangenenfürsorger.
Hentrich & Hentrich Verlag
(Berlin) 2018.
90 Seiten.
ISBN 978-3-95565-202-9.
D: 8,90 EUR,
A: 9,20 EUR.
Jüdische Miniaturen Bd. 183.
Thema
Dieser kleine Band aus der langen Reihe der Jüdischen Miniaturen ist dem Hamburger Psychologen Curt Bondy (1894-1972) gewidmet. Durch Julian Bondy, einen Großneffen, und durch Heinz Warnecke, einen früheren Studenten von Bondy, durch Fotos und einen Beitrag der Herausgeberin will dieses Buch die Persönlichkeit, den Lebenslauf und vor allem die Leistungen von Curt Bondy im Bereich der Jugendfürsorge und der Psychologie sichtbar machen. Bondy, Schüler von William Stern, war jüdischer Herkunft und Zwangsemigrant. Er war in der Weimarer Zeit Jugendfürsorger und Leiter einer Jugendstrafanstalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er in seine Heimatstadt Hamburg zurück und lehrte an der Universität Psychologie. Die Beiträge des Buches haben neben der Darstellung der Biographie das Ziel, die Leistungen von Bondy zu würdigen.
Autorin
Susanne Guski-Leinwand ist Privatdozentin für Psychologie und Geschichte der Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie lehrt an der Fachhochschule Dortmund im Bereich Angewandte Sozialwissenschaften sowie an weiteren Hochschulen. Zuvor war sie Professorin an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Susanne Guski-Leinwand hat in Heidelberg promoviert und auch gelehrt. Seit etwa zwei Jahrzehnten befasst sie sich mit der Disziplingeschichte der Psychologie.
Aufbau und Inhalt
Der Band enthält folgende Beiträge:
- Vorwort der Herausgeberin
- Julian Bondy: Curt Bondy - ein Gigant der Familie (Englisch, sowie in Übersetzung)
- Bilder aus dem Leben von Curt Werner Bondy.
- Susanne Guski-Leinwand: Zu Leben und Werk Curt Werner Bondys und seiner Bedeutung für die Psychologie in Deutschland
- Heinz Warnecke: Eine Begegnung mit Curt Bondy
- Verzeichnis der Schriften von Curt Bondy.
Curt Bondy wurde 1894 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Hamburg geboren. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Walter besuchte er ein Internat, wodurch er mit der Jugendbewegung in Berührung kam. 1914 begann er ein Medizinstudium, das er aber abbrechen musste, als er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg meldete, wie man es von jungen Männern verlangte. Der Zwillingsbruder Walter wurde Opfer dieses Krieges. Curt Bondy studierte dann in Hamburg Philosophie und Psychologie und promovierte 1921 als erster Doktorand William Sterns. Das Thema der Dissertation war „Die Proletarische Jugendbewegung in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung der Hamburger Verhältnisse“. Bondy gehörte selbst der sozialistischen Jugendbewegung an und nahm verschiedene Aufgaben im Bereich der Jugendfürsorge an. Er arbeitete im Jugendstrafvollzug, leitete später eine Jugendstrafanstalt in Eisenach und unternahm Reformversuche im Bereich der Resozialisierung von Jugendlichen. Bondy hatte Kontakte mit dem Pädagogen Herman Nohl, er war mit dem Philosophen Martin Buber befreundet; seine Reformvorhaben wurden diskutiert. 1925 habilitierte sich Bondy in Hamburg, ab 1930 hatte er zusätzlich eine Honorarprofessur in Göttingen.
In der Nazizeit war Bondy in vielfacher Hinsicht gefährdet: er war jüdischer Herkunft, was er aber nie betont hatte, er war homosexuell und er war sozialistisch bzw. sozialdemokratisch orientiert. In Groß Breesen war Bondy dann für ein jüdisch finanziertes Auswanderer-Jugendheim (Lehrgut) tätig. Dies war eingerichtet worden, um jüdische Jugendliche auf die Auswanderung in verschiedene Länder (außer Palästina) vorzubereiten. Das pädagogische Konzept für die Arbeit im Lehrgut stammte von Bondy. Die Jugendlichen wurden nach strengen Regeln durch Landarbeit, Sprachunterricht usw. auf ihre Auswanderung vorbereitet. Von Groß Breesen geriet Bondy mit Jugendlichen des Jugendheims in das KZ Buchenwald. Die Gruppe konnte dann aber wegen der geplanten Emigration freikommen. Bondy konnte über Holland und England in die USA emigrieren, wo er in Virginia als Dozent und ab 1948 als Professor für Psychologie lehrte. Als einer der ganz wenigen Exilanten kam Bondy nach dem Krieg in das zerstörte Deutschland zurück, was seine Verwandten kaum verstehen konnten, und lehrte ab 1949 an der Universität seiner Heimatstadt Hamburg. Der frühere Bondy-Student Heinz Warnecke beschreibt in seinem kurzen Beitrag anschaulich, wie Bondy lehrte und sich auch als Ordinarius der Universität fürsorglich für seine Studierenden einsetze.
Vermutlich gehörte Bondy nicht zu den ganz prominenten Psychologen der frühen Bundesrepublik, aber sein Taschenbuch „Einführung in die Psychologie“ (1967) erlebte bis heute 16 Auflagen und seine Arbeit an der deutschen Version des Wechsler-Tests 1956 führte zum Hamburg Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE), der in revidierter Fassung (seit 2013 WAIS-IV) heute noch Verwendung findet. Die Verdienste von Bondy sind unbestritten. Guski-Leinwand stellt mehrere Leistungen heraus, darunter Bondys Bemühen um die Erarbeitung von berufsethischen Verpflichtungen, als diese im Berufsverband Deutscher Psychologen und in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie noch kein zentrales Thema waren. Für den Berufsverband Deutscher Psychologen fungierte Bondy von 1961-1968 als Erster Vorsitzender.
Fazit
Mit dem schmalen und preiswerten Band wird sehr anschaulich an den Jugendfürsorger und späteren Professor für Psychologie erinnert. Über die Biographie hinaus enthält die Darstellung viele interessante Details, vor allem zur Jugendfürsorge und Psychologie, insbesondere zur Pädagogischen Psychologie und Psychodiagnostik. Natürlich kann man über Bondy in der psychologiegeschichtlichen Literatur und in Biographien zu Psychologen und jüdischen Wissenschaftlern einzelne Angaben finden. Der Band enthält jedoch viel Unbekanntes aus seiner Familie und zu seinem professionellen Verhalten als akademischer Lehrer. Alle Beiträge sind informativ und anschaulich – insbesondere, was die Lebensbedingungen dieser Generation in der Nazizeit betrifft. Da Bondy heute eher zu den unbekannteren Psychologen gehört, ist die Herausgabe des Buches vermutlich nicht ganz einfach gewesen. Schon deswegen ist das kleine Buch eine verdienstvolle Leistung. Eine umfassende Biographie zu Bondy fehlt einstweilen noch. Da es um zwei große Arbeitsbereiche von Bondy, die Jugendfürsorge und die Psychologie geht, wäre die Erarbeitung einer solchen Biographie nicht einfach, aber lohnend. Die Lebensumstände und die Lebensleistung dieses deutschen Jugendfürsorgers, Psychologen, Autors und verdienten akademischen Lehrers wären diese Mühe wert.
Rezension von
Prof. em. Dr. Helmut E. Lück
FernUniversität in Hagen, Fakultät für Psychologie
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Es gibt 13 Rezensionen von Helmut E. Lück.
Zitiervorschlag
Helmut E. Lück. Rezension vom 15.03.2018 zu:
Susanne Guski-Leinwand (Hrsg.): Curt Werner Bondy. Psychologe und Strafgefangenenfürsorger. Hentrich & Hentrich Verlag
(Berlin) 2018.
ISBN 978-3-95565-202-9.
Jüdische Miniaturen Bd. 183.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24124.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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