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Claudia Daigler (Hrsg.): Profil und Professionalität der Jugendhilfeplanung

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Schrapper, 13.08.2020

Cover Claudia Daigler (Hrsg.): Profil und Professionalität der Jugendhilfeplanung ISBN 978-3-658-19001-9

Claudia Daigler (Hrsg.): Profil und Professionalität der Jugendhilfeplanung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2018. 253 Seiten. ISBN 978-3-658-19001-9. D: 29,99 EUR, A: 30,83 EUR, CH: 31,00 sFr.

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Thema

Jugendhilfeplanung (JHPL), gibt es die noch? So könnte der geneigte Fachmensch interessiert fragen angesichts der vehementen aktuellen Debatten rund um die Kinder- und Jugendhilfe: Gute Kitas und zuverlässiger Kinderschutz, endlich wieder mehr Jugendarbeit und Dauerstress mit sog. Systemsprengern, zu wenig Geld in zu vielen Kommunen und noch weniger Fachkräfte und über allem das große Thema der Inklusion, kommt sie noch in dieser Legislatur und wenn ja wie – oder doch irgendwann später? Aber, wo bleibt da die Jugendhilfeplanung?

Jugendhilfeplanung und Hilfeplanung, diese beiden Verfahren sind ein Kernstück des 1991 eingeführten neuen Leistungsrechts des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Wenn Bürgerinnen und Bürger, Mütter und Väter und zumindest teilweise und indirekt auch Kinder und Jugendliche einen verbrieften und einklagbaren Anspruch auf Leistungen der Bildung, Beratung und Hilfe haben, dann muss zweierlei ebenso gerichtsfest wie verbindlich geklärt werden können:

  1. Auf welche Leistung genau haben Menschen einen Anspruch in ihren Angelegenheiten? Und
  2. Wie ist sichergestellt, dass alles Erforderliche, diese Ansprüche einzulösen auch ausreichend, rechtzeitig und qualifiziert zur Verfügung steht?

Wesentliche Bedingung dafür, dass dieses Konzept der Konkretisierung und Vereinbarung von Leistungsansprüchen für berechtigte Bürgerinnen und Bürgern auch funktioniert, ist nun, dass die zuständigen Gewährleister für diese Ansprüche, also die öffentlichen Träger, meist Städte und Kreise, auch ausreichend Vorsorge getroffen haben, um grundsätzliche alle erforderlichen und geeigneten Leistungen, wie Beratung, Unterstützung und Hilfen auch in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung zu haben. Die Vorschriften des § 80 SGB VIII sollen genau dies gewährleisten. Jugendhilfeplanung heiß das Zauberwort, mit dem dieses neue Leistungsrecht für junge Menschen und ihre Familien Wirklichkeit werden sollte – soweit die gute Idee.

Inhalt und Aufbau

Was aus dieser Idee geworden ist, das beleuchten fast 20 ausgewiesene Expert*innen in diesem Buch, herausgegeben von Claudia Daigler, inzwischen Professorin an der Hochschule Esslingen mit Berufserfahrung als Jugendhilfeplanerin im Jugendamt Stuttgart und in der Beratung von Jugendämtern zu diesen Fragen im Landesjugendamt Baden-Württemberg. Auch die Reihe der Autor*innen verspricht sachkundige Analyse zu Fragen nach Profil und Professionalität in der Jugendhilfeplanung. Aber zuerst zu den Beiträgen:

In einer knappen Einleitung bietet Claudia Daigler schon eine erste Analyse zu den Entwicklungen und zentrale Befunde zum Stand von Jugendhilfeplanung, die deutlich kritisch ausfällt, bestehen doch „sowohl ressourcenbezogene als auch konzeptionelle Probleme bei der Bewältigung der Aufgabenkomplexität in der Jugendhilfeplanung (…) und kaum ein Meta-Diskurs zu Profil und Professionalität.“ Zentrale Probleme seien vor allem: Eine Entwicklung und Etablierung der Jugendhilfeplanung ohne verbindliche Standards; eine Praxis unverknüpfter Teilplanungen wie Kita- oder Jugendförderpläne; abwechselnde Themenkonjunkturen (z.B. Tagesbetreuung, Kinderschutz, „unbegleitete minderjährige Ausländer“, Inklusion …); unzureichende Datenkonzepte einerseits und ungenutzte Datenfriedhöfe andererseits sowie ein Aufgabenzuwachs, z.B. mit Schulplanungen, der zu Überkomplexität und Profilerosion führe (S. 5/6). Festgestellt wird daher eine „weitgehende Marginalisierung von Jugendhilfeplanung in den örtlichen Ämtern bei gleichzeitig steigenden Aufgaben.“ (S. 7)

Dieser Grundton kritischer Bestandsaufnahme durchzieht auch die folgenden Beiträge, gegliedert in drei Hauptkapitel: Zuerst die Grundfragen, dann Integrierte Planung und Räume und zuletzt Qualifikationsentwicklung und Qualifikation.

Die Grundfragen eröffnet Franz Hermann, wenn erim Anschluss an Fritz Scharf JHPL als politischen Prozess, als Arbeit in Widersprüchen und Konflikten untersucht, um sich dann vor allem mit den Konfliktdimensionen und Diskursarenen solcher Prozesse in der kommunalen Politik zu beschäftigen. Planung sei ernüchtern und spannend zugleich, so sein wenig überraschendes Fazit. Mit sechs knappen Fragen (S. 35) als Hinweis für die Praxis schließt der Beitrag.

Joachim Merchel thematisiert JHPL als Ort zur Erzeugung von entwicklungsnotwendigen Irritationen in der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe und betont dabei vor allem die Notwendigkeit, ein entwickeltes Profil von JHPL in der Organisation örtlicher Jugendhilfe belastungsfähig zu verankern. Im Anschluss an seine umfangreichen Arbeiten zur Notwendigkeit einer „lernfreudigen Organisationskultur“ werden auch die Planungsfachkräfte ermutigt, „sich selbst als lernbereit und irritierbar in Gremien oder internen Sitzungen darzustellen“ 'Gegen den Strich' zu denken (S. 51).

Maria Bitzan untersucht, ob und wie sich JHPL mit Beteiligung und Gendersensibiltät profilieren kann, mit dem wenig überraschenden Befund, beides sei in der Praxis eher unterbelichtet. Wichtiger als hohe und kaum handhabbare Ansprüche an Beteiligung und Gendersensibiltät hochzuhalten sei es, „den experimentellen Charakter (von JHPL zu akzeptieren) und somit eine Kultur des Umgangs mit Scheitern und Widerständen zu entwickeln.“ (S. 70/71)

Norbert Struck fragt dann nach den Profilierungsnotwendigkeiten und Anfragen an das Selbstverständnis von JHPL aus der Sicht der freien Träger, um nochmal seinem Ärger über die 2011 von Hamburg aus losgetretene Debatte um das „Steuerungsdefizit“ in der öffentlichen Jugendhilfe Luft zu machen und kritisch danach zu fragen: Wann ist Planung Steuerung? Neben einer kritischen Analyse der misslungenen SGB VIII-Reform von 2016 fordert Struck entschieden, statt technisch verkürzter Verwaltungssteuerung zu einem beteiligungsorientierten Planungskonzept zurückzukehren, für das auch Freie Träger eintreten und aktiv mitwirken.

Im zweiten und umfangreichsten Kapitel werden in sieben Artikeln verschiedene Perspektiven und Schwerpunkte beleuchtet: Schulbezogene JHPL (Werner Gaugel), Jugendberufshilfe als Haifischbecken (Claudia Daigler), JHPL im Kontext von Flucht und Integration (Eva Dittmann und Heinz Müller) sowie der Blick eines kommunalen Integrationsbeauftragten auf JHPL (Gari Pavković). Spannend sind die beiden Beiträge, die JHPL im Kontext kommunaler Stadtentwicklung diskutieren: Mario Gottwald und Kerstin Schröder zeigen für Nürnberg an drei Beispielen (Schule, Kinderarmut und Stadtentwicklung), wie JHPL sich selbstbewusst einmischt und Stadtleben mitgestaltet. Neben ausreichenden Ressourcen sei eine „intelligente Vernetzung von dezentraler Planungsverantwortung (…) und zentraler JHPL im Stab der Dienststellenleitung derzeit der Weg in Nürnberg“ (S. 176).

Für Baden-Baden arbeiten in einem Gespräch Claudia Diagler, Steffen Miller und Christoph Rukavina-Gruner auch hier an Beispielen die Funktion der JHPL als Brückenbauer heraus, um in einem Gemeinwesen bedarfsgerechte Ressourcen entwickeln und durchsetzen zu können. Reinhard Günther schließt aus der Sicht eines Praktikers mit Anmerkungen zum Profil der JHPL im ländlichen Raum ab.

Im dritten und letzten Hauptkapitel werden Frage der Qualitätsentwicklung und Qualifikation erörtert. Zuerst Oliver Herweg und Bruno Pfleifle stellen JHPL als Impulsgeberin für die Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe vor. Für das Jugendamt Stuttgart zeigen die Autoren eindrucksvoll, wie eine fundiert konzipierte und gut ausgestattete JHPL die Lebensbedingungen für junge Menschen und Familien einer Stadt an gemeinsam entwickelten Qualitätsvorstellungen orientiert folgenreich mitgestalten kann. Aus der Perspektive eines erfahrenen Jugendamtsleiters diskutiert Wolfgang Trede, was JHPL leisten kann und muss? Nach den erwartbaren Hinweisen auf die erheblichen Differenzen zwischen den großen programmatischen Ansprüchen des Bundesgesetztes und den harten Wirklichkeiten kommunaler Praxis entwickelt er aus den Erfahrungen eines engagierten Praktikers drei „Muss-Regeln“ für das, was JHPL auf jeden Fall und in jedem Amt zu leisten hat. Zum Abschluss zeigen Grit Hradetzky und Thomas Fink, welche Qualitätsanforderungen an eine Fort- und Weiterbildung für Jugendhilfeplanungsfachkräfte sie für geboten halten und sehen solche Angebote als eine zentrale Aufgabe der Landesjugendämter.

Diskussion

Das von Claudia Daigler herausgegeben Buch ist in mehrfacher Hinsicht wichtig und verdienstvoll, bündelt es doch zu einer Zeit, in der mal wieder viel und kontrovers über Bedingungen des Aufwachsens geredet wird, fundierte Einschätzungen und Erfahrungen zu einer dabei oft übersehenen Frage: Wie kann konkret bestimmt werden, was erforderlich ist, damit Aufwachsen gelingen kann? Auch in der jetzt (2020) aktuellen Debatte um eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe werden große programmatische Entwürfe (z.B. Inklusion oder besserer Kinderschutz) diskutiert, die entscheidende Frage aber, wie diese in der hoch differenzierten Landschaft von gut 600 Jugendämtern umgesetzt werden soll, bleibt weitgehend unbearbeitet. Jugendhilfeplanung ist dafür der Schlüssel; aber nicht mit einem technisch verkürztes Planungskonzept, sondern als anstrengende Arbeit profilierter und qualitätsbewusster, ebenso kommunikativer wie streitbarer Fachkräfte, eingebunden und ausgestattet in lernfähigen Organisationen, so das Fazit der Beiträge dieses Buches.

Fazit

So gebündelt fundierte Beiträge zu der dringend notwendigen Debatte über das Profil einer professionell gemachten Jugendhilfeplanung anzubieten, macht das Buch wichtig und notwendig und es gehört in das Bücherregal jedes Jugendamtes, nachdem es hoffentlich intensiv gelesen und diskutiert wurde. Allerdings sind schon eigene Kenntnisse und Erfahrungen erforderlich, um die Botschaften der Beiträge verstehen und einordnen zu können, also keine Einführung für Anfänger.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Schrapper
Prof. für Pädagogik, bis 2018 Universität Koblenz.
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Es gibt 4 Rezensionen von Christian Schrapper.

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Zitiervorschlag
Christian Schrapper. Rezension vom 13.08.2020 zu: Claudia Daigler (Hrsg.): Profil und Professionalität der Jugendhilfeplanung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2018. ISBN 978-3-658-19001-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24198.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.


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