Annette Plankensteiner, Kristina Greißl: Auf dem Weg in eine inklusive Gemeinde
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 20.12.2018

Annette Plankensteiner, Kristina Greißl: Auf dem Weg in eine inklusive Gemeinde. Perspektiven für die Praxis.
Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2018.
143 Seiten.
ISBN 978-3-7841-2904-4.
20,00 EUR.
Herausgegeben vom Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V.
Thema
Thematisch bezieht sich dieses Buch auf Inklusion, wie sie exemplarisch in einer Gemeinde umgesetzt und gelebt wird.
Autorinnen
Dr. A. Plankensteiner studierte Soziologie und hat eine Professur für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg inne. Frau Kr. Greißl arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Soziologie an der Universität Augsburg.
Entstehungshintergrund
Die Autorinnen fassen in diesem Fachbuch ihre Erkenntnisse und Einschätzungen aus drei Jahren wissenschaftlicher Begleitung des Projektes „Wir – Daheim in Graben“ zusammen.
Aufbau
Nach dem Vorwort sowie der Einleitung folgen vier inhaltliche Schwerpunkte:
- Theoretische Hinführung: Übergeordnete Auseinandersetzung mit der Programmatik Inklusion
- Das Inklusionsprojekt und die wissenschaftliche Begleitforschung
- Befunde aus der Praxis des Modellprojektes „Wir – Daheim in Graben!“
- „Wir – Daheim in Graben!“ – Ein Leuchtturmprojekt?
Die Autorinnen runden den Inhalt ab mit dem soziologisch eingefärbten Glossar zentraler Begrifflichkeiten, dem Literaturverzeichnis und der Vorstellung der Autorinnen.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Dr. A. Maag verweist im Vorwort darauf, dass Teilhabechancen bei höherem Teilhabebedarf abnehmen können, besonders im ländlichen Raum. Darauf basierend entwickeln die Caritas in der Diözese Augsburg mit Unterstützung der Wissenschaftlerinnen und anderen das Projekt „Wir – Daheim in Graben“.
Die Erhöhung der Teilhabechancen soll, wie in der Einleitung betont, dank Inklusion in der Gemeinde Graben zur Regelaufgabe werden.
Für die Theoretische Hinführung wählten Plankensteiner und Greißl drei soziologische Zugänge zur sozialen Inklusion. Neben der systemischen Sicht auf Inklusion und Exklusion wird auf Exklusion als soziales Problem geschaut. Die inhaltliche Auseinandersetzung zur Zugehörigkeit in die Gesellschaft einerseits sowie zunehmende Einengung von individuellen Optionsräumen anderseits verdeutlich die Komplexität der Fragen nach Inklusion und Exklusion. Die Betrachtung der Exklusion als wohlfahrtsstaatliche Bewältigungsstrategie geht einher mit der kritischen Auseinandersetzung mit der Disziplinierungsmacht (Foucault) und mündet in der kritischen Auseinandersetzung mit der sozialarbeiterischen Praxis der inkludierenden Exklusion von Menschen mit Behinderung.
Vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen identifizieren die Verfasserinnen Vier Prämissen zum Verständnis der aktuellen Programmatik von Inklusionsprozessen. Aus diesen leiten sich die Praxisanforderungen für die Gestaltung der angestrebten inklusiven Gemeinde Graben ab. Zur Praxisanforderung zählt u.a. ein Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialen Arbeit hin zur inklusiven Sozialen Arbeit.
Das Inklusionsprojekt „Wir – Daheim in Graben!“ war für drei Jahre (bis 2016) angelegt. Die Chancen dieses Modellprojektes liegen einerseits auf der Ebene der Gemeinde. Inklusionsbedarfe und -bedürfnisse werden deutlich und neue Möglichkeiten zur Befriedigung der Teilhabewünsche der BürgerInnen erprobt. Auf der Ebene der Wissenschaft können die Wissenschaftlerinnen dank der detaillierten Dokumentation sowie Wirkungsanalyse wesentliche Projektergebnisse verallgemeinert und anderen Gemeinden zur Verfügung stellen.
Bei den Befunde[n] aus der Praxis des Inklusionsprojektes setzen sich Plankensteiner und Greißl zuerst mit dem Kernstück des Projektes, dem Inklusionsbüro, auseinander. Für die sechs definierten Aufgaben engagiert sich eine hauptamtliche sozialpädagogische Fachkraft. Ebenso wesentlich für den Erfolg des Projektes ist die bürgerschaftliche Beteiligung u.a. dank des Helferpools sowie des Asylhelferkreises. Neben der Dokumentation der konkreten Handlungen begleiteten die Forscherinnen die Arbeit der sogenannten Themengruppe, die für die Strategie zur Entwicklung einer inklusiven Gemeinde verantwortlich war.
In der Bilanz des Projektes „Wir – Daheim in Graben!“ identifizieren die Verfasserinnen, ebenfalls belegt mit Zitaten, die Gelingensfaktoren sowie Herausforderungen der Gemeinde bei der Umsetzung der Idee der inklusiven Gemeinde. Sowohl für das Gelingen als auch für die Verstetigung der aufgebauten inklusiven Ansätze sind die BürgerInnen der Kern dieses Prozesses. Aus der Analyse des dreijährigen Prozesses in Garben leiteten Plankensteiner und Greißl zehn Thesen zur Umsetzung von Inklusionsprojekten ab.
Im Glossar bündeln die Verfasserinnen Definitionen, Hintergrundwissen sowie wissenschaftlich geprägte Diskussionen zu den jeweiligen Begriffen.
Diskussion und Fazit
Die Autorinnen bieten den LeserInnen ein nachvollziehbares Modell einer inklusiven Gemeinde. Aufbauend auf dem Stand der Forschung zur Inklusion wird quasi vor den „Augen“ der Lesenden die Idee zur inklusiven Gemeinde entwickelt. Man wird förmlich in den Prozess von der Idee bis zur inklusiven Gemeinde hineingezogen. Ausgesprochen detailliert beschreiben die Wissenschaftlerinnen die Meilensteine der Entwicklung, beschreiben Schwierigkeiten und benennen klar die Schwierigkeiten der Verstetigung des inklusiven Zusammenlebens und -arbeitens in der Gemeinde Graben. Fragen der Bedarfsstellung, des Missbrauchs, der Ehrenamtlichkeit, all diese und weitere Diskussionspunkte sind ein Beleg für die offene Darstellung und auch fachlich fundierte Diskussion der Erfahrungen in Graben.
Dieses Fachbuch beeindruckt mit seiner Wissenschaftlichkeit, klaren Dokumentation der Gestaltungsprozesse sowie die fachlich fundierte Reflexion des Modellprojektes nach drei Jahren. Ein absolut lesenswertes Fachbuch. Es ist nicht nur gut lesbar, es ist vor allem beispielgebend für „Nachahmungen“. Damit macht dieses Buch Mut und rückt das Konzept der Inklusion in die reale Welt.
Fazit: Ein schmales Fachbuch – mit sehr viel und tiefgründigem Inhalt! Gemeinsam mit den Bewohnern der Modellgemeinde dokumentieren Plankensteiner/Greißl, was alles möglich ist, wenn Inklusion ein Ziel jedes einzelnen Bewohners ist, wenn Inklusion aus dem Rahmen der Bekenntnisse in das konkrete Leben rückt. Inklusion wird lebbar, im komplexen System Gemeinde. Diesen „Geist“ zu vermitteln ist der größte Verdienst der Verfasserinnen. Dieses Fachbuch ist ein „Muss“ für (angehende) SozialwissenschaftlerInnen ebenso wie für Verantwortliche in Städten und Gemeinden. Denn, die „inklusive Gemeinde“ soll der Start inklusiver Praxis auf Gemeindeebene sein.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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