Eduard Waidhofer: Jungen stärken
Rezensiert von Dr. Winfried Leisgang, 16.07.2018

Eduard Waidhofer: Jungen stärken. So gelingt die Entwicklung zum selbstbewussten Mann. Fischer & Gann (Munderfing) 2018. 312 Seiten. ISBN 978-3-903072-68-8. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.
Autor
Dr. Eduard Waidhofer ist Psychologie und Psychotherapeut mit Schwerpunktthema Männlichkeit.
Aufbau
Das Buch umfasst fünf größere Kapitel und einen Anhang mit nützlichen weiterführenden Informationen. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Kapitel 1 beschäftigt sich mit der Suche nach Identität. Dafür setzt sich der Autor mit den nach wie vor tradierten Rollenbildern von Mann und Frau auseinander und fragt, wie das traditionelle männliche Verhalten aussieht? Er weist auf die emotionale Verletzlichkeit von pubertierenden Jungen, die sie aber nicht zeigen dürfen. Vor allem die neuesten neurologischen Erkenntnisse werfen ein differenzierteres Bild auf das Verhalten von Jungen in diesem Alter. Sie zeigt, dass vor allem hormonelle Veränderungen bestimmte Verhaltensweisen beeinflussen. Aktivitätsdrang, aggressives (Spiel)Verhalten, Demonstration von Stärke, Dominanzstreben, Konkurrenzkampf (S. 25). Die Gruppe gewinnt eine wichtige Stellung und Angst zu zeigen wird vermieden – obwohl sie in Form von vielfältigen Verunsicherungen doch existiert. Gefühle werden u.a. mit Außenorientierung, Rationalität, Kontrolle oder Gewalt abgewehrt. Es wird deutlich, welche Rolle die Mütter in der Sozialisation der Jungen spielen und wie hartnäckig sich alte Rollenklischees halten. Die mittlerweile dennoch vorherrschende Vielfalt macht es den Jungen schwer, Orientierung zu finden. Hier sind die Väter gefragt! Väter, die von klein auf eine Beziehung zum Sohn herstellen können und diese in schwierigen Phasen aufrechterhalten. Und wenn es die Väter nicht gibt, braucht es Vaterersatzfiguren. Ihre Aufgabe ist es, „Struktur, Rituale und Regeln zu vermitteln und sich selbst an Vereinbarungen zu halten.“ (S. 55).
Das zweite Kapitel wirft einen Blick auf die körperliche und seelische Gesundheit von Jungen. Dabei werden die Aspekte von körperlicher Konstitution (Männer das schwache Geschlecht), Suizid- und Risikoverhalten, Drogen und der Umgang mit dem Internet und dem PC gestreift. Anhand von statischen Zahlen wird der Unterschied zwischen Jungs und Mädchen deutlich.
Das dritte Kapitel befasst sich damit, wie sich Eltern und Jungen gleichberechtigt begegnen, Eltern ihre Autorität zurückgewinnen und ihrer Verantwortung gerecht werden können. Machtkämpfe zeigen sich im Alltag immer wieder in den Bereichen gemeinsames Essen, Hausaufgaben, Hygiene, Computerspielen, Schlafenszeit. Der Autor macht klar, dass sich Eltern hier nicht zurückziehen können, sondern kreativ mit den Kindern nach Lösungen suchen sollten. Als Methoden nennt er u.a. aus der Eskalationsspirale aussteigen, gewaltloser Widerstand, Sit-in. Wesentlich ist für ihn, dass nicht nur Negatives bei den Kindern gesehen, sondern gerade auch das Positive wahrgenommen wird.
Kapitel vier beschreibt das Verhältnis von Jungen und der Schule. Statistiken zeigen deutliche Unterschiede in den Bildungskarrieren von Jungen und Mädchen. Jungen besuchen prozentual weniger die höheren Schulen, sind mit Zweidritteln in den Förderschulen in der Mehrheit. Hurrelmann spricht gar von „Jungen als Bildungsverlierer“ (S. 196). Ungeachtet dieser These sind nach wie vor die soziale Lage und die ethnische Zugehörigkeit die Hauptursachen für Bildungsbenachteiligung. „Bildung wird quasi vererbt“ (S. 197). Da helfen dann alleine auch nicht mehr Lehrer in den Grundschulen. Es wird danach gefragt, wie sich Jungen vor diesem Hintergrund schulisch fördern lassen. Hier nennt Waidhofer folgende Faktoren: „jungenfreundliche Schule, viel Zuspruch, klare Strukturen, Konsequenz, viel Bewegung …, Zeit unter sich, Verständnis für ihr Anderssein“ (S. 204). Er bringt auch Unterricht getrennt nach Geschlechtern und eine spezielle Leseförderung für Jungen ins Spiel. Vom ganzheitlichen Lernen im Sinne von Pestalozzi und Montessori profitieren vor allem auch die Jungen.
Ein eigener kurzer Abschnitt widmet sich Jungen mit Migrationshintergrund. Sie sind kulturell häufig in einem traditionellen und tradierten Männlichkeitsbild gefangen. Sie haben mehr Freiheiten und von ihnen erwartet man die Verteidigung der „Ehre“.
Im Kapitel fünf wird das Thema Jungen und Gewalt thematisiert. Jungen sind deutlich in der Mehrzahl, wenn es um Gewaltverbrechen geht. In zwei Drittel aller Fälle ist Alkohol mit im Spiel. Die Ursachen für Gewaltanwendung liegen, wie so oft, in der Kindheit. Gewalt ist eine Reaktion auf Kränkungen und Demütigungen. Häufig werden Minderwertigkeitsgefühle durch Straftaten kompensiert. Der Autor beschreibt Gewalt auch kurz aus neurobiologischer Sicht und geht dann ausführlicher auf eine Sonderform, dem Mobbing ein. Aber: „Jungen üben nicht nur Gewalt aus, sie sind auch häufig Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt“ (S. 239), wie sexualisierter Gewalt.
Ein angehängter Exkurs beschäftigt sich mit Impulsen für Sozialarbeiter*innen. Hier wird der Frage nachgegangen, was die Arbeit mit Jungen zur Jungenarbeit macht? Für den Autor geht es in erster Linie um ein „kritisches Geschlechtsbewusstsein“ (S. 249) und eine „Selbstreflexion der Pädagogen“ (ebd.). Es geht darum, „hinter den Problemen, die Jungen verursachen, die Probleme zu sehen, die sie haben.“ (S. 250). Weiter wird auf die Beziehungsarbeit eingegangen, sowohl zum Sozialpädagogen als auch zu Gleichaltrigen. Zum Abschluss finden sich Beispiele von Jungenarbeit: „Balanciertes Jungensein“, Jungenarbeit in der Schule, Jungenkonferenzen, Umgang mit Sexualität, Selbstbehauptungstraining und Kampfesspiele, Boy's Day.
Diskussion und Fazit
Das Buch ist vor allem als Leitfaden für Eltern im Umgang mit Jungs geschrieben. Damit werden alle Aspekte im Leben von Jungs inhaltlich abgedeckt. Leider geschieht dies, aus Sicht eines Professionellen, an vielen Stellen wenig vertiefend. Da helfen auch die kompakten Hinweise für die Eltern zu einzelnen Themen nicht weiter, die man am Ende eines jeden Abschnitts findet. Die Beziehung eines Professionellen zu einem Jungen unterscheidet sich einfach prinzipiell von der Beziehung, die die Eltern zu ihm pflegen. Positiv fallen vor allem die neuesten neurobiologischen Forschungen zum Erleben von Jungen in der Pubertät und ausführliches statistischen Material auf, die das Buch enthält.
So bleibt die Frage, wie professionelle Jungenarbeit aussehen kann im Konkreten unbeantwortet. Die Beispiele, die im Buch aufgeführt sind, bilden Anregungen für eine weitere Vertiefung. Die Suche nach Antworten auf die o.g. Frage bleibt so jedem selbst überlassen. Man wünscht sich einen zweiten Teil des Buches, das sich vertiefend mit der Jungenarbeit von Professionellen auseinandersetzt.
Rezension von
Dr. Winfried Leisgang
Dipl. Soz.-Päd., Master of Social Work (M.S.W.)
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Zitiervorschlag
Winfried Leisgang. Rezension vom 16.07.2018 zu:
Eduard Waidhofer: Jungen stärken. So gelingt die Entwicklung zum selbstbewussten Mann. Fischer & Gann
(Munderfing) 2018.
ISBN 978-3-903072-68-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24229.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
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