Anke Ballmann: Der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung von Kindergartenkindern
Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Huppertz, 20.03.2019
Anke Ballmann: Der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung von Kindergartenkindern. Cuvillier Verlag (Göttingen) 2017. 286 Seiten. ISBN 978-3-7369-9594-9. D: 79,80 EUR, A: 82,10 EUR.
Thema
Inzwischen geht man wie selbstverständlich davon aus, dass es gut sei für Kinder, wenn sie einen Kindergarten besuchen – möglichst schon im Alter unter drei Jahren: „U3“ ist so etwas wie eine allseitig bekannte Vokabel geworden. Aber ist das wirklich in jedem Fall sinnvoll? Vor allem angehende Wissenschaftler/innen stellen sich der Aufgabe, diese Frage auch wissenschaftlich zu prüfen, d.h. für sie in der Regel empirisch zu prüfen, sei es entsprechend den Vorschriften qualitativer oder quantitativer Forschung.
Anke Ballmann arbeitet in ihrem Werk gemäß dem quantitativen Paradigma. Dabei wird „der Versuch unternommen, den Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die allgemeine und die kognitive Entwicklung des Kindes zu untersuchen“ (S. 2). Aber – und das scheint eher von der Logik des Werktitels und geäußerten Anspruches abzuweichen – „Den Einfluss der elterlichen Zielorientierung als Variable psychischer Lernumwelten zu untersuchen, ist das Hauptziel der vorliegenden Arbeit.“(S. 3)
Aufbau und Inhalt
Die Autorin präsentiert in der vorliegenden Publikation u.a. den Fleiß und Umfang ihrer Forschungsarbeit – dies u.a. auf 286 Seiten, in 40 Abbildungen und Grafiken, 115 Tabellen, in zehn Kapiteln, mehreren Hundert Literaturangaben (dabei acht von Doktorvater Ziegler). Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Für die empirische Studie wurden 203 Kinder aus Bayerischen Kitas über eine Elternbefragung einbezogen (111 Mädchen, 92 Jungen, Durchschnittsalter 4,5 Jahre). Die Kinder besuchen elf Einrichtungen verschiedener Träger (kommunal, evangelisch und katholisch).
Der von der Autorin gestellte und geäußerte Anspruch scheint nicht gerade gering, wenn sie sagt: „Die Untersuchung dient … einer genaueren Abschätzung des Einflusses von Soziotopen auf die Entwicklung von Kindern und lässt Schlussfolgerungen für den pädagogischen Alltag in Kindertagesstätten sowie eine Optimierung der Lernumgebung und des häuslichen Umfeldes zu. Die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse können im Bereich Bildung und Betreuung von Kindern und in der Elternberatung Anwendung finden.“ (S. 106 f)
Vorab sei angemerkt: Dafür muss allerdings „der Praktiker“ sich anstrengen und gut suchen, was wohl bei aller Dignität von derlei Qualifizierungsarbeiten oft genug der Fall ist. Insofern ist das nicht unbedingt ein Manko, das man Ballmann zu sehr anlasten muss.
Die Arbeit weist in ihren zehn Kapiteln zahlreiche Informationen auf, z.B. zu Themen wie:
- Psychologische Ansätze zur Erklärung von Lernen und Entwicklung (lerntheoretische, psychoanalytische, entwicklungstheoretische, konstruktivistische Ansätze);
- ökologische Perspektiven (wobei Ökologie hier nicht die Naturlehre meint);
- Modelle zum Einfluss auf die Entwicklung (Bronfenbrenner, Verhaltensgenetik, Neurobiologie usw.)
- Soziotop und Bildungskapital;
- Fragestellung, Methode, Stichprobe, Variablen usw. der Untersuchung;
- kognitive Fähigkeiten und allgemeiner Entwicklungsstand der Stichprobe (verwendete Testinstrumente);
- Darstellung der Ergebnisse;
- Zusammenfassung und kritische Reflexion.
In einer Neuauflage sollte die logische Fehlerhaftigkeit der zweimaligen Nennung von „Ökologische Perspektive in der Kindergartenpädagogik“, nämlich S. 31 und S. 48, vermieden werden.
Bei der Analyse und Bewertung des traditionellen Kindergartenwesens neigt die Autorin Anke Ballmann nicht gerade zu Lob und Anerkennung, sondern es wird von ihr in besonderem Maße konstruktivistischen Positionen das Wort geredet. So heißt es schlicht: „Bildung ist Selbstbildung …“ (S. 53) Es wird betont, „dass der Weg der Frühpädagogik wegführt von einer primär individuumszentrierten Sicht hin zu ökologischen Perspektiven“ (S. 53). Der Kindergarten werde nun endlich ein Ort, „der sich dem Kind anpasst, und nicht umgekehrt“ (a.a.O.) Auf die Gefahr der Erziehervergessenheit und des Außerachtlassens der Persönlichkeit der Erzieherinnen und Erzieher, die mit der allzu großen Betonung von Konstruktivismus und angeblich so neuem Blick auf das Kind macht die Autorin nicht aufmerksam: „Bildung ist“ (eben nicht allein, der Verf.) „Selbstbildung“, sondern zunächst einmal und in erster Linie das, was die pädagogischen Fachkräfte zu vermitteln haben. Anderenfalls kann man diesen Berufsstand abschaffen. Dass dabei das Kind eine große Leistung vollbringt und seine Bildung dann auch „Selbstbildung“ ist, das hat die klassische Pädagogik immer schon gewußt.
Was sind nun die Ergebnisse einer derartig aufwändigen Studie (außer, dass damit die Qualifizierung der Doktorandin gelungen ist)? Es liegt der empirisch erbrachte Nachweis vor, dass es „einen positiven Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die allgemeine Entwicklung“ (S. 249) gibt. Welcher Kindergarten mit welchem Konzept bzw. didaktischen Ansatz das dann sein sollte, wird leider von der Forscherin nicht gesagt. Das wäre aber nun gerade die besonders bedeutsame Frage gewesen. Außerdem werden derlei konzeptionelle Ansätze auch im sog. theoretischen Teil der Veröffentlichung dargestellt. Die mageren Hinweise auf den „offenen Kindergarten“ (S. 189), der ja auch von den Verfechtern her kein „pädagogisches Konzept“ sein will, sondern bestenfalls eine spezielle Organisationsform, geben in diesem Zusammenhang nicht viel her. Die Forscherin interessiert sich ja nun aber auch mehr für Anzahl und Qualität der Spielmaterialien in der häuslichen Umgebung der Kinder und kommt u.a. zu dem Ergebnis: Es „scheinen sowohl zu viele als auch zu wenige Spielzeuge entwicklungshemmend zu sein“ (S. 251).
Fazit
Anke Ballmann hat eine fundierte und mit großem Fleiß und Forschungsaufwand betriebene Arbeit vorgelegt, die empirisch und statistisch interessant ist – aber: Der Anteil von wirklich brauchbaren Ergebnissen für die praktische Arbeit bleibt überschaubar. Wer sich allerdings für die Ideen von „Soziotopen“ und Theorien des „Bildungskapitals“ interessiert, kann durch die Lektüre dieser Studie durchaus einen Gewinn haben.
Rezension von
Prof. Dr. Norbert Huppertz
Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozial- und Elementarpädagogik, mehrere Jahre auch Tätigkeit in der DDR
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Es gibt 16 Rezensionen von Norbert Huppertz.
Zitiervorschlag
Norbert Huppertz. Rezension vom 20.03.2019 zu:
Anke Ballmann: Der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung von Kindergartenkindern. Cuvillier Verlag
(Göttingen) 2017.
ISBN 978-3-7369-9594-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24292.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.
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