Jörg Flecker: Arbeit und Beschäftigung
Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Elkeles, 01.10.2018
Jörg Flecker: Arbeit und Beschäftigung. Eine soziologische Einführung.
Facultas Verlag
(Wien) 2017.
265 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4860-4.
D: 22,99 EUR,
A: 23,70 EUR,
CH: 29,90 sFr.
Reihe: UTB - 4860. Soziologie.
Thema
Das Buch bietet eine soziologische Einführung in verschiedene zentrale Themen und Forschungsgebiete im Bereich Arbeit und Beschäftigung, welche andernorts auch getrennt behandelt werden. Damit solle es in Lehrveranstaltungen verwendet werden können, die in die Arbeitssoziologie einführen oder sich mit Erwerbsarbeit, Arbeitsmärkten und Arbeitsbeziehungen befassen. Die einzelnen Kapitel sollen Überblick und Orientierung in den jeweiligen Spezialthemen in leichter zugänglicher Form bieten als dies bei üblichen Handbuchartikeln der Fall sei.
Autor
Jörg Flecker ist Professor für Allgemeine Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien.
Entstehungshintergrund
Der Band wurde als Lehrbuch konzipiert. Rohfassungen der Kapitel wurden zuvor mit Mitarbeitenden und Studierenden am Institut für Soziologie an der Universität Wien diskutiert.
Aufbau und Inhalt
Nach einer kurzen Einleitung (S. 9 - 13) folgen die einzelnen neun Kapitel, die sich alle in Umfang (jeweils ca. 25 Seiten) und Struktur ähneln: Jedes Kapitel hat eine eigene Einleitung, in der die ca. 3–4 Fragestellungen herausgearbeitet werden, die behandelt werden sollen. Ebenso hat jedes einzelne Kapitel eine eigene Zusammenfassung. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Kapitel 1 „Begriff und Bedeutung der Arbeit“ befasst sich mit verschiedenen Arbeitsbegriffen, den Besonderheiten der kapitalistischen Lohnarbeit, der Erweiterung des Arbeitsbegriffs über die Erwerbsarbeit hinaus und der nach wie vor großen Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Identität der Menschen und ihre Inklusion in die Gesellschaft. Wie auch oft an anderen Stellen, in denen konzeptionell ein historischer Rückblick erforderlich ist, sind dabei besonders Karl Marx und Max Weber zu prüfen. Als allgemeinen Arbeitsbegriff scheint der Autor die Definition weitgehend zu teilen, Arbeit sei eine zielgerichtete Tätigkeit zur Befriedigung materieller oder geistiger Bedürfnisse des Menschen. Allerdings sei eine Abgrenzung nicht leicht zu vollziehen und nicht immer möglich. Wertschätzung für Arbeit sei zum Beispiel auch keine Konstante, sondern historisch gewachsen und zu verstehen. Auch oder gerade nach dem sog. Wertewandel spreche gegen einen Bedeutungsverlust der „große Stellenwert, welcher der Erwerbsarbeit gerade für die Realisierung neuer Werte, wie Selbstverwirklichung und Selbstausdruck, zuteil wird“ (S. 44).
Kapitel 2 „Arbeitsmarkt“ behandelt diesen als eine gesellschaftliche Einrichtung, wo Arbeitskraft, also die Fähigkeit zu arbeiten, gegen Geld getauscht wird. Aus der Besonderheit, dass die Ware Arbeitskraft an Personen gebunden ist, resultiert letztlich, dass jedenfalls in den europäischen Gesellschaften hier kein ganz freier Markt, sondern beginnend mit der Regulierung der Kinderarbeit ein Bündel gesellschaftlicher Institutionen und Regulierungen geschaffen wurde, mit denen nach Polanyi die Gesellschaft sich gegen die dem Marktsystem innewohnenden Gefahren selbst schützt. Mit Sozialversicherungen (insbesondere Kranken-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung) und kollektiven Verhandlungsbeziehungen wurde eine „teilweise Rücknahme des Warencharakters der Arbeitskraft“ (S. 52) bewirkt. Allerdings sind die Bedingungen in unterschiedlichen und segmentierten Teilarbeitsmärkten und dies wiederum nach Ländern unterschiedlich, mit Tendenzen zur Vertiefung der Segmentierung und der Erosion von Statusrechten; hier wird ein Unterkapitel zu Erwerbslosigkeit und ihren Folgen für betroffene Personen eingefügt.
Mit dem Kapitel 3 „Normalität und Prekarität“ wird eine der wichtigsten Veränderungen behandelt, welche sich seit den 1980er Jahren ausbreitet und als Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen diskutiert wird. Das sog. Normalarbeitsverhältnis als historischer Stand eines Klassenkompromisses mit Vorteilen für die Kapital- und Arbeitskräfte-Seite war zwar zu einem männlichen und keinem universellen Modell geworden, jedoch „zur Normvorstellung von Erwerbsarbeit avanciert“ (S. 81). Indem prekäre Beschäftigung sich durch Unterschreitung der Standards des Normalarbeitsverhältnisses auszeichne, wirkten die Normvorstellungen also fort und alle abweichenden Beschäftigungsformen werden bis heute als „atypisch“ bezeichnet. Deren Zunahme weise zwar auf einen Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses hin, es sei jedoch übertrieben, von dessen Erosion zu sprechen, beziehe man einmal absolute Zahlen ein, wie auch in Tabellenform dargelegt wird. Auch sei atypische Beschäftigung nicht schon als solche prekär, als minder geschützte Beschäftigung trage sie allerdings „ein größeres Potenzial an Prekarität in sich“ (S. 91). Flecker plädiert statt der Verwendung des Begriffes Prekarisierung für den der Prekarität. Er scheint sich der Meinung anzuschließen, „so könne man die unterschwellig patriarchale und rassistische Logik des Arguments vermeiden“ (S. 95), wie es auch „prekäre Normalarbeit“ (Jürgens 2011) geben könne. Insgesamt scheine der Kompromiss heute für die Kapitalseite weniger attraktiv zu sein, wobei sich jedoch „die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und die hegemonialen Denkweisen“ (S. 98) auch wieder ändern könnten.
Arbeitszeit (Kapitel 4) war und ist ein zentrales und hinsichtlich ihrer Dauer und Lage von Anfang an umkämpftes Maß für die Erwerbsarbeit. Seit den 1980er Jahren steht nicht mehr die Verkürzung, sondern die Flexibilisierung im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Die Entgrenzung von Arbeit in ihrer zeitlichen Dimension und die verstärkte Steuerung über Umsatzziele und Zielvereinbarungen unterminierten bisher kollektive Regulierungen in Europa. Aufschlussreich sind von Flecker präsentierte erhebliche Unterschiede zwischen den europäischen Nationalstaaten hinsichtlich der Arbeitszeitverteilung bei Frauen und Männern, die auf den Einfluss durch Kinderbetreuungs-, Schul- und Steuerpolitik und die Frage hinweisen, wer eigentlich darüber bestimme, ob Teilzeitarbeit freiwillig oder unfreiwillig geleistet wird.
Im eigenständigen Kapitel 5 „Arbeit und Geschlecht“ wird dieses „Gender-Time-Gap“ neben „Gender-Pay-Gap“ aufgegriffen und grundsätzlich danach gefragt, wie segregierte Arbeitsmärkte vor dem Hintergrund von Kapitalismus und Patriarchat (Kap. 5.4) und „Doing Gender“ (Kap. 5.5) erklärt werden.
Arbeitsorganisation (Kapitel 6) ist eines der wichtigsten Themen der Arbeitssoziologie und das Ergebnis langjähriger Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen. Auch hier lohnt sich ein historischer Zugang, sowohl mikro- als auch makrosoziologisch. Ob das Prinzip der Arbeitsteilung mit der Aufteilung nach Qualifikations- und Lohnstufen und die kleinteilige Zerlegung von Aufgaben und entsprechende Spezialisierung, jedenfalls bei ungelernten Arbeitern, mit entsprechender kleinmaschiger Management-Kontrolle, – später von Frederick Winslow Taylor zum System der ‚Grundsätze Wissenschaftlicher Betriebsführung‘ ausgebaut – ein spezifischer Typ kapitalistischer Produktionsweise sei, könnte lange diskutiert werden. Die von Kern und Schumann ausgelöste Debatte um neue Produktionskonzepte und ein „Ende der Arbeitsteilung“ in Industriebranchen schien dann eine Gegentendenz zu zeigen. Die beschriebenen Veränderungen waren jedoch nicht generell von Dauer. Das Interesse der deutschen und schwedischen Industriemanager an Gruppenarbeit und Humanisierung der Arbeit erlosch, sobald unter veränderten Bedingungen wieder andere Ansätze für neue Rationalisierungsstrategien in der Arbeitsorganisation – wie zeitweise das Schlagwort „Lean Production“ – erfolgversprechend schienen. Sowohl Zahlen über die Verbreitung von Arbeitsorganisationsformen in ihrer Bandbreite von direkter Kontrolle bis zu verantwortlicher Autonomie als auch Betrachtungen über Entwicklungen im Dienstleistungssektor und in der ‚Wissensarbeit‘ zeigen nach Flecker im Ergebnis: Die Annahme, es gebe eine notwendige Form der Arbeitsorganisation, sei „empirisch und theoretisch widerlegt. Vielmehr können Arbeitsorganisation und Managementkontrolle unterschiedliche Formen annehmen, die gleichermaßen effizient sind und die Aufrechterhaltung betrieblicher Herrschaft erlauben“ (S. 178).
Den Kontrollformen auf der Ebene der Arbeitsorganisation entsprechen umfassendere Konzepte der Herrschaft oder Sozialordnung im Betrieb (Kapitel 7: „Betriebliche Herrschaft“). Hier geht es um die verschiedenen Formen, um externe Einflüsse, um den Betriebsrat in seiner Funktion als Interessenvertretung der Arbeitenden einerseits, als Legitimation von Herrschaft andererseits, jedenfalls in Deutschland und Österreich. Hier habe die Finanzialisierung der kapitalistischen Ökonomie mit ihrer Ausrichtung der Unternehmensführung an Renditeerwartungen und Börsenkursen erhebliche Auswirkungen auf die betriebliche Herrschaft, etwa durch die Zunahme unterschiedlicher Kategorien von Arbeitskräften (Kernbelegschaften, Leiharbeitskräfte etc.). Unsicherheit für die Beschäftigten hinsichtlich sicherer Beschäftigung und Aufstieg („Aufkündigung des sozialen Tauschs“, S. 197) habe für die Beschäftigten erheblich zugenommen.
Im Kapitel 8 „Arbeit und Digitalisierung“ erinnert Flecker zunächst daran, dass – wie auch bei vorherigen technischen Innovationen – es nicht die Technik ist, welche die Veränderungen in der Arbeit verursacht, sondern dass sie lediglich bestimmte Geschäftsmodelle, Organisationsformen und Rationalisierungen erleichtere oder ermögliche. Welche mehrheitliche Entwicklung es unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ wirklich geben werde – Hochqualifizierte mit Entscheidungsbefugnissen einerseits und abgewertete ausführende Arbeitende andererseits –, sei derzeit noch offen. Die Veränderungen der Erwerbsarbeit ließen sich zunächst durchaus mit dem klassischen konzeptionellen Instrumentarium der Arbeitssoziologie behandeln. Hingegen erfordere die Transnationalisierung (Kapitel 9), welche die Souveränität der Nationalstaaten einschränke, eine Revision des Denkens in nationalen Beschäftigungsmodellen.
Diskussion
Im Abschluss-Kapitel 10 (S. 241-245) wird als Resümee gezogen, die Verheißungen der „Wissensgesellschaft“, nämlich dass überwiegend autonom und hochqualifiziert gearbeitet werde, schienen endgültig widerlegt. Vielmehr habe trotz (bzw. wegen, d.V.) der Verlagerung industrieller Produktion, insbesondere nach Asien, Einfacharbeit, nunmehr im Dienstleistungssektor, in Europa sogar zugenommen. Im Rahmen der Krise des Normalarbeitsverhältnisses sei eine starke Zunahme abweichender Beschäftigungsformen festzustellen. Dies deute auf „eine größere Offenheit in der Gestaltung von Erwerbsarbeit hin“ (S. 242). Da es ein enges Wechselspiel zwischen dem Wandel der Arbeit und dem der Beschäftigungsformen gebe, habe es sich als fruchtbar erwiesen, die Aspekte der Arbeit und der Beschäftigung gemeinsam zu behandeln.
Da es jedenfalls stets eine zu treffende Entscheidung ist, welche Aspekte man bei der Behandlung von Erwerbsarbeit einbeziehen und welche man ausklammern sollte, wenn man sich im Platz zu beschränken hat, ist das nach Auffassung des Rezensenten eine durchaus vertretbare Position. Man kann ihr insbesondere hinsichtlich der Lesbarkeit nichts Nachteiliges nachsagen. Auch innerhalb der einzelnen Kapitel finden Beschränkungen der zu behandelnden Aspekte statt, die man im Ergebnis durchaus akzeptieren kann. Nachvollziehbar ist auch, dass bei dem Anspruch, möglichst eine internationale Perspektive zu Arbeit und Beschäftigung einzunehmen, (statistisches) Material aus Österreich, der Schweiz und Deutschland eine besondere Rolle spielt. Gut ausgewogen ist das Verhältnis historischer und theoretisch-konzeptioneller Aspekte einerseits und aktueller Entwicklungen andererseits. Fleckers Ansatz, in einem Lehrbuch gleichzeitig in Forschungsgebiete einzuführen, wird nicht gesondert begründet, erweist sich aber als außerordentlich produktiv und ist bei anderen Lehrbüchern (leider) nicht selbstverständlich.
Fazit
Das Buch bietet eine gute Alternative gegenüber Handbüchern der Arbeitssoziologie mindestens für die von Flecker selbst genannten Leser- und Adressatenkreise.
Rezension von
Prof. Dr. Thomas Elkeles
bis 2018 Hochschule Neubrandenburg, FB Gesundheit, Pflege, Management
Es gibt 28 Rezensionen von Thomas Elkeles.
Zitiervorschlag
Thomas Elkeles. Rezension vom 01.10.2018 zu:
Jörg Flecker: Arbeit und Beschäftigung. Eine soziologische Einführung. Facultas Verlag
(Wien) 2017.
ISBN 978-3-8252-4860-4.
Reihe: UTB - 4860. Soziologie.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24313.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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