Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Franz Alt, Peter Spiegel: Gerechtigkeit. Zukunft für alle - die Grundsatzerklärung

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 03.01.2019

Cover Franz Alt, Peter Spiegel: Gerechtigkeit. Zukunft für alle - die Grundsatzerklärung ISBN 978-3-579-08663-7

Franz Alt, Peter Spiegel: Gerechtigkeit. Zukunft für alle - die Grundsatzerklärung. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (Gütersloh) 2017. 189 Seiten. ISBN 978-3-579-08663-7. D: 14,99 EUR, A: 15,50 EUR, CH: 20,50 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Die Autoren sehen ‚Gerechtigkeit‘ als das zentrale Stichwort aller künftigen gesellschaftlichen Debatten und leiten daraus die Notwendigkeit einer überzeugenden Leitidee für die politische Entwicklung unserer Zeit ab. Sie entwickeln eine Grundsatzerklärung bzw. ein Manifest, wie eine Umweltpolitik zum einen und eine sozial gerechtere Gesellschaft zum anderen in nächster Zukunft hinsichtlich innerer gesellschaftlicher wie auch äußerer politischer Entwicklungen aussehen könnten/müssten.

Autoren

  • Franz Alt, Jahrgang 1938,moderierte zwanzig Jahre das Politmagazin „Report Baden-Baden“, war in leitenden Funktionen bei 3SAT tätig, gilt als Umweltvisionär und wurde mit verschiedenen renommierten Preisen ausgezeichnet.
  • Peter Spiegel, Jahrgang 1953, war langjähriger Verleger des Horizonte Verlags, ist Initiator und Leiter des Think-& Do-Tanks „GENISIS. Institute for Social Innovation“ sowie des „VISION SUMMIT“ – einem Konferenzformat für visionäre gesellschaftliche Zukunftskonzepte (vgl. Klappentext) und gilt als Sozialvisionär.

Die Autoren sind durch zahlreiche Publikation an die Öffentlichkeit gelangt.

Entstehungshintergrund

Beide Autoren verstehen die Auseinandersetzung mit dem Grundwert ‚Gerechtigkeit‘ vor dem Hintergrund der gegenwärtigen globalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung als das zentrale Thema der nächsten Jahrzehnte. Sie glauben dieses „kardinale Grundprinzip der Gerechtigkeit“ aus einer derzeit falschen Sichtweise befreien und als etwas begreifen zu müssen, was als „den Entwicklungspotenzialen aller Menschen gerecht“ (S. 10)zu werdender ‚Zukunftstreibstoff‘ gelten muss.

Aufbau

Das Buch gliedert sich nach einem Vorwort in je einen Teil, der jeweils den beiden Autoren zuzurechnen ist. Franz Alt untergliedert seinen Teil in acht Kapitel, die jeweils zwischen zwei und neun Untergliederungen aufweisen; bei PeterSpiegel finden sich fünf Kapitel mit maximal vier Untergliederungen. Der Band schließt mit ‚Links‘ sowie mit einem Literaturverzeichnis und einer Danksagung ab.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

In einer Zeit, in der über zunehmende Alters- und Kinderarmut, über eine wachsende Diskrepanz zwischen Arm und Reich, über drastische Umweltverschmutzung, fortschreitenden Klimawandel, kriegerische Konflikte, Terrorismus, Flucht und Migration, sowie gesellschaftliche Wandlungsprozesse Tag für Tag geredet, geschrieben, diskutiert und verhandelt wird, liegt es nahe, dass sich die beiden durch eine Vielzahl an verbreiteten Schriften und Aktionen bekannt gewordenen Autoren grundlegende Gedanken – ausgehend von dem zentralen Thema ‚Gerechtigkeit‘ – gemacht und in ein Manifest eingebracht haben.

Und so ist es verständlich, dass bei dieser Grundkonstellation einerseits durch Franz Alt die thematische Bearbeitung eher des gegenwärtigen Stellenwertes des Menschen in einer globalisierten und von vielen Imponderabilien abhängigen Welt im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht, während Peter Spiegel stärker in die „Zukunft für alle“ hinsichtlich der Position der Menschen in einer visionären Veränderung der Welt von morgen blickt.

Franz Alt geht zunächst von ungerecht verteilten Einkommenssituationen aus, wie sich anhand eines im globalen Bereich real existierenden Finanzkapitalismus verdeutlichen lässt und fordert einen radikalen Kurswechsel zum Beispiel durch eine gerechtere Besteuerung der (Kapital-)Gewinner, um ein kostenloses Bildungssystem und eine geringere Besteuerung von Geringverdienenden durchsetzen zu können. Zudem geht es ihm um eine gerechte Gesellschaft, in welcher „auf diesem reichen Planeten alle Mitglieder ihre materiellen Grundbedürfnisse befriedigen können“ (S. 209). Dabei rekurriert er auf eine ethische Marktwirtschaft, die sich auf Ludwig Erhard zurückführen ließe. Das bedeutet unter anderem für ihn, die Forderung nach mehr Geld für die Mehrheit zu erheben, oder aber: eine Globalisierung der Menschlichkeit statt des Gewinnstrebens, des Teilens statt des Egoismus, der Solidarität statt des Machtgewinns.

In den weiteren Kapitel fordert er die Überwindung des Nationalismus, da dieser nur Krieg bedeute, was s. E. daran zu erkenne sei, dass Europa wieder in der Krise sei, „weil der Neo-Nationalismus fast überall eine Renaissance erlebt“ (S. 33). Um all dem begegnen zu können, fordert der Autor vor allem Aufklärung, ein tieferes politisches Bewusstsein und ein anderes Verhältnis zur Natur: Frieden, Stabilität, Gerechtigkeit, Gesundheit und Wohlstand könne es nur geben, „wenn wir das Klima schützen durch 100 Prozent saubere Energie“ (S. 45). Natürlich geißelt er in diesem Zusammenhang die USA und China als die größten Umweltsünder und Bremser bei jeder Weltklimakonferenz, wenngleich diese in jüngster Zeit hohe Investitionen für saubere Energien tätigten.

Alt schlägt in dem mit ‚Wendezeit‘ überschriebenen Kapitel Alternativen für Deutschland (statt AfD) vor und geht dabei auf das beginnende Solarzeitalter ein, da er in der Überwindung der fossilen Energien durch die Ökologie die preiswertere und intelligentere Ökonomie erkennt. Er plädiert für eine Verkehrswende, die ohne Energiewende nicht funktioniere und wettert zudem gegen die Bedenkenträger, Pessimisten und Zukunftsverweigerer (vgl. S. 80 fff.). Aus diesen und weiteren argumentativen Überzeugungen leitet er schließlich – in Anlehnung an die Öko-Enzyklika des Papstes oder an die ökologischen Inspirationen des Dalai Lama – eine Öko-Ethik ab, die aus dreizehn Punkten besteht, so zum Beispiel:

  • eine uns alle angehende universelle Verantwortung
  • die Bedeutung des Gleichgewichts der Ökosysteme für alle Lebewesen
  • die ökologische Organisation des Energiekonsums
  • sparsamer und nachhaltiger Ressourcenverbrauch
  • die Bewusstseinsbildung für das Entwickeln einer ökologischen Ethik

Es folgen des Weiteren Leitsätze, die mit der Forderung nach Gerechtigkeit in Verbindung zu bringen sind und schließlich wird im dreizehnten Punkt kontemplative Ethik als hilfreich zum Erreichen der Ziele genannt.

Abschließend postuliert Alt, dass es ohne Gerechtigkeit keine Demokratie geben könne und begründet dies damit, dass mehr Gerechtigkeit zur Systemfrage werde und ohne Gerechtigkeit Demokratie am Ende sei (vgl. S. 106)

Peter Spiegel greift in seiner Darlegung noch stärker das Kernthema ‚Gerechtigkeit‘ auf und versucht in seinem ersten Kapitel der Gerechtigkeit eine neue Dimension zuzuschreiben. Er hinterfragt Definitionen von ‚Gerechtigkeit‘, wie man sie etwa bei Wikipedia nachlesen kann, gibt sich aber mit dem Herausstellen von Interessensausgleich und Güter- und Chancenausgleich nicht zufrieden. Für ihn eröffnen sich mit einer sog. „systemischen Entfaltungsgerechtigkeit“ (S. 108) gänzlich andere Entwicklungspotenziale, die sich ihm durch die Konzentration auf das zwischenmenschliche Miteinander auf allen Ebenen erschließen: „Gerechtigkeit ist die Kunst, der optimalen Potenzialentwicklung jedes Menschen immer besser gerecht zu werden“ (S. 112), was für ihn am besten letztlich nur im globalen System der Menschheit gelingen könne. Spiegel sieht in diesem systemisch erweiterten Gerechtigkeitsverständnis auch neue (positive) Dimensionen für eine Wohlstandsweiterentwicklung hinsichtlich des Ökosystems, der Bildung, des sozialen Wohlstands, des Gemeinwohlstands, der Finanzmittel, der Demokratie und schließlich auch des Wertewohlstands, den er für den Kern jeglichen Wohlstandsverhältnisses hält.

In einem weiteren Kapitel plädiert der Autor für eine Revolution des Bildungswohlstands, indem er durch intensive Investition in Bildung Potenzialexplosionen ganzer Länder zu erkennen glaubt. Nach dem Blick in die Entwicklung verschiedener Länder folgt die Beschreibung von Bildungsinnovationen, hier insbesondere auf die für ihn bedeutendste Bildungsrevolution durch Salman Khan (US-amerikanischer Unternehmer, Gründer des kostenlosen Lernportals ‚Khan Academy‘) eingehend, dessen ‚online‘- oder ‚open learning‘ unter dem Motto „Recht auf beste Bildung für alle“ steht.

Spiegel fasst die Ergebnisse einer vierfachen Bildungsrevolution mit den Kernfragen ‚Wo‘, ‚Wie‘, ‚Was‘ und ‚Wer‘ in den Satz „Alle lernen mit- und voneinander“ (S. 138) zusammen, ehe er sich mit einer Revolution des sozialen Wohlstands aufgrund faszinierender sozialer Innovationen, zum Beispiel ‚Social Entrepreneurship‘ oder ‚Social Innovation‘, die für ihn eine völlig neue Dynamik im Bereich des sozialen Wohlstands eröffnen, zuwendet. Des Weiteren sieht Spiegel in uns allen Innovationsentwickler und Unternehmer, wobei innovative Lösungen als Allgemeingut verstanden werden müssen und letztlich zu systemischen politischen Innovationen führen. Als Beispiel nennt er hierfür die Einführung eines globalen Mindestlohns mit dem Ziel der Beseitigung der Folgen von globaler Armut und führt dies länger aus. Dass für den Autor schlussendlich die Revolutionierung sowohl des ‚Demokratiewohlstands‘ wie auch daraus wiederum des ‚Gemeinwohlstands‘ resultiert, liegt ganz offensichtlich auf der Hand.

Diskussion

Die beiden Autoren gelten als Visionäre, die ihre Vorstellungen in unterschiedlichen Bereichen, zum einen bzgl. der Umwelt und zum anderen bezogen auf das Soziale, entwickeln. Bei Franz Alt läuft das eher auf eine Abrechnung mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, sowohl national wie auch global hinaus, während Peter Spiegel vor allem zukunftsorientiert argumentiert.

Alt lässt sich auf all die ‚gravamina‘ ein und versucht dabei der Frage nachzugehen, inwieweit ‚Gerechtigkeit‘ als zentrales Thema der nächsten Jahrzehnte gelten kann und muss. Dabei wird lediglich deutlich, dass es sich dabei um eine Leitidee, ja sein eigentliches Leitziel handelt, die/das vor allem im ökologischen Bereich Umsetzung finden soll. Alt versucht argumentativ erfolgreich zu überzeugen, dass zum Beispiel die neue Globalisierung oder aber die Energiewende, wie auch eine ethisch(ere) Marktwirtschaft Chancen für eine gerechtere gesellschaftliche Entwicklung bieten, wenn sie denn genutzt werden.

Peter Spiegel versteht eine gerechtere Welt als neue Dimension zur Entfaltung der unerschöpflichen menschlichen Potenziale mit dem Ziel mehr allgemeinen Wohlstand, Bildungswohlstand, Demokratie- und Gemeinwohlstand bzw. Sozialen Wohlstand erreichen zu können. Sein Blick richtet sich nach vorne, unter dem Motto ‚Zukunft für alle‘. Beide sehen in ihrer Sichtweise dessen, was Gerechtigkeit sein kann, das eigentliche Entwicklungspotenzial aller Menschen im Sinne eines „Zukunftstreibstoff“ (S. 10). Während jedoch bei Alt die pessimistische Aufzählung von (Fehl-)Entwicklungen eindeutig dominiert, sodass man eher an ein Scheitern seines Leitziels an den tatsächlichen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten glauben könnte, so dringt bei Spiegel eine eher optimistische, ja beinahe euphorische Sicht der künftigen Entwicklung in den Vordergrund.

Fazit

Der schmale Band der beiden Autoren liefert eine Fülle von Gedanken hinsichtlich des Zustands unserer Welt, vermag dazu anzuregen, nachdenklicher zu werden, eigene Überlegungen anzustrengen und das eigene Bewusstsein zu schärfen und den persönlichen Stellenwert in unserer modernen Welt ebenso zu hinterfragen, wie die politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu entdecken.

Insofern ist die von den beiden Autoren so genannte ‚Grundsatzerklärung‘ durchaus aufrüttelnd, wenngleich sie keine konkrete Handlungsanweisung sein kann – und vielleicht auch nicht sein will!

Dazu verbleibt sie vielfach zu stark im Diffusen, wohl wissend, dass die politischen und gesellschaftlichen Akteure nur allzu widerstrebend die Fakten erkennen und letztlich auch verändern wollen.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
Mailformular

Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245