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Hartmut Bauer, Lydia Hajasch et al. (Hrsg.): Partizipation in der Bürgerkommune

Rezensiert von Dr. Rolf Frankenberger, 23.10.2018

Cover Hartmut Bauer, Lydia Hajasch et al. (Hrsg.): Partizipation in der Bürgerkommune ISBN 978-3-86956-371-8

Hartmut Bauer, Lydia Hajasch, Christiane Büchner (Hrsg.): Partizipation in der Bürgerkommune. Universitätsverlag Potsdam (Potsdam ) 2017. 214 Seiten. ISBN 978-3-86956-371-8. D: 10,50 EUR, A: 10,80 EUR.
Reihe: Universität Potsdam. Kommunalwissenschaftliches Institut: KWI-Schriften - 10.

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Thema

Der vorliegende Band setzt sich mit verschiedenen Aspekten der politischen Partizipation auf lokaler Ebene, in der Kommune auseinander. Denn die Kommune ist in der Regel der Ort, an dem Politik am direktesten erfahrbar ist.

Entstehungshintergrund

Die Texte entstanden im Rahmen der 21. Fachtagung des im Jahre 1993 gegründeten Kommunalwissenschaftlichen Instituts (KWI) der Universität Potsdam. Das KWI ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut, das seinen Schwerpunkt auf „der kommunalwissenschaftlichen Forschung, Lehre und Weiterbildung namentlich auf den Gebieten der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft“ (vgl. www.uni-potsdam.de/de/kwi/institut.html) hat und darüber hinaus beraterisch sowie in der Aus- und Weiterbildung tätig ist. Die Ergebnisse der Fachtagungen werden, wie auch im vorliegenden Fall, regelmäßig der eigenen Schriftenreihe (KWI-Schriften) publiziert. Schwerpunkt der 21. Fachtagung waren „Schlüsselthemen der Neuen Partizipationskultur in der Bürgerkommune, namentlich der normativen Rahmenbedingungen, politischen Direktiven, Modernisierungsimpulse und Aktivierungsstrategien, Erfolgsbedingungen und spezifische Problemlagen“ (S. 8) sowie der Praxis.

Herausgeberinnen und Herausgeber

Die HerausgeberInnen Hartmut Bauer, Christiane Büchner und Lydia Hajasch waren zum Entstehungszeitpunkt des Bandes an der Universität Potsdam tätig.

  • Hartmut Bauer war und ist Professor für Europäisches und Deutsches Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht und Vorstandsmitglied des KWI.
  • Christiane Büchner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am KWI und
  • Lydia Hajasch war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europäisches und Deutsches Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht.

Aufbau und Inhalt

Der Tagungsband umfasst ein Editorial und elf inhaltliche Beiträge, die allesamt auch auf der Tagung vorgetragen und diskutiert wurden und sich aus der Perspektive verschiedener Disziplinen mit unterschiedlichen Aspekten von Bürgerbeteiligung in der Kommune beschäftigen. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Hartmut Bauer und Lydia Hajasch beleuchten in ihrem Beitrag „Vom passiven Untertan über den Wutbürger zum aktiven Citoyen in der Bürgerkommune“ (S. 15-32) den Wandel der Beteiligungskultur. Das Leitbild der Bürgerkommune setze dabei auf „bürgerschaftliches Engagement auch zur Erschließung von Informationen und Ressourcen von privaten Akteuren sowie von Akteuren aus dem dritten Sektor für die Bereitstellung öffentlicher Leistungen“ (S. 18), wobei Bürgerbeteiligung und Bürgeraktivierung in diesem Konzept „zu einer übergreifenden Modernisierungsstrategie“ verbunden würden. Dabei unterscheiden sie zwischen formalen und informellen Beteiligungsformen, die es zu verbinden gelte. Eine besondere herausforderung stelle für die Bürgerkommune die Frage dar, „wie die Einrichtung dauerhaft vernetzter, über die herkömmlich anlass- bzw. projektbezogene Mitwirkung“ (S. 30) in der Bürgerkommune gewährleistet werden könne, um diese nachhaltig zu gestalten.

Mit „Rechtlichen Grundlagen der Bürgerbeteiligung“ (S. 33-44) befasst sich Uwe Lübking, Beigeordneter und Leiter des Dezernat 1 (Recht, Verfassung, Bildung, Kultur, Sport, Arbeitsmarkt, Dienstrecht, Soziales, Jugend, Gesundheit und Feuerwehr) des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Dabei betont er zunächst, dass Bürgerbeteiligung ein Grundprinzip der Kommunalpolitik und der Kern kommunaler Selbstverwaltung sei. In der Folge stellt er rechtlich normierte Verfahren und Beteiligungsformen wie etwa Fragestunde, Bürgerantrag, Bürgerversammlung und Bürgerbegehren vor und bilanziert, dass sich diese weitgehend am Grundsatz der repräsentativen Demokratie orientieren. Er kommt zu der Bewertung, dass Bürgerbeteiligung eine Ergänzung dieser repräsentativen Demokratie seien und dies auch bleiben sollten, um „Ausgleiche zwischen Einzelinteressen und dem Gemeinwohl“ (S. 44) finden zu können.

Welche Rolle Verwaltungen bei der Umsetzung von Partizipation spielen, untersucht Ursula Stein, selbstständige Stadt- und Regionalplanerin und Honorarprofessorin an der Universität Kassel, in ihrem Beitrag „Bürgerpartizipation durch eine Änderung der Verwaltungskultur“ (S. 45-56). Sie betont, dass es vor allem einer veränderten Haltung der Verwaltungen bedürfe, um Beteiligungsprozesse erfolgreich zu machen. Eine Kommunikation „auf Augenhöhe“ sei unabdingbar für die partizipative Gestaltung zukunftsfähiger Kommunen.

Roland Roth, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule Magdeburg-Stendal, wirft in seinem Aufsatz „Bürgerpartizipation – Stärkung oder Aushöhlung kommunaler Demokratie“ (S. 57-80) einen kritischen Blick auf die Entwicklung von Bürgerbeteiligung in den letzten Jahren. Zunächst betont auch er die Bedeutung von Bürgerbeteiligung in der kommunalen Selbstverwaltung und bilanziert anschließend die „kommunalen Beteiligungswellen seit den 1960er Jahren“ (S. 59f). Die 1960er Jahre stellen für Ihn insofern einen Bruch dar, als dass sie seitdem kaum mehr ohne demokratische Verhältnisse zu denken sei. Beteiligung habe sich seitdem vom bürgerlichen Widerstand über basisdemokratische Ansprüche hin zur Bürgerkommune entwickelt. Die gegenwärtige Beteiligungswelle sei nun Ausdruck gestiegener und mehrheitsfähiger Beteiligungsansprüche. Roth reflektiert zudem die normativen Bewertungen sowie empirische Befunde zu Bürgerbeteiligung und skizziert die „vielfältige Demokratie“ als Antwort auf die Herausforderungen modernen kommunalen Regierens: Repräsentative Demokratie wird durch direktdemokratische und dialogorientierte Verfahren ergänzt. Proteste und Engagement sind die Motoren der neuen Beteiligungskultur (S. 75).

Auf dem Weg zu einer (neuen) politischen Kultur der Beteiligung“ (S. 81-102) sieht der Vorsitzende der Stiftung Mitarbeit, Hanns-Jörg Sippel, die Entwicklung kommunaler Beteiligung, auch wenn dieser Weg noch lang sei. Er betont, dass „die Stärke und Vitalität der Demokratie“ davon abhängig sei, „dass sie von einer stabilen Beteiligungskultur gestützt und getragen wird“ (S. 98). Ähnlich wie Roland Roth im voranstehenden Beitrag kommt er zu dem Schluss, dass die Kombination repräsentativer mit direktdemokratischen und dialogischen Verfahren zu einer Vitalisierung der Demokratie beitragen (S. 99). Allerdings fehle es in Deutschland an einer „breiten strategischen und infrastrukturellen Basis für mehr politische Partizipation“ sowohl in der Politik als auch in den Verwaltungen.

Stephanie Bock, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Urbanistik, beleuchtet in Ihrem Beitrag „Erfolgsbedingungen kommunaler Bürgerbeteiligung: Perspektiven, Chancen und Fallstricke in der Praxis“ (S. 103-116) den empirischen Erfahrungsstand der Forschung zu Partizipation und arbeitet „Bausteine und Stolpersteine einer Beteiligungskultur“ (S. 10) heraus und betont die Bedeutung der „Haltung der beteiligten Akteure (…). Mehr Experimente, mehr Offenheit sowie Chaos und Spontaneität von Prozessen“ (S. 116) könne man auch als Chance begreifen.

Dass die Organisation von Beteiligung aufgrund von ganz unterschiedlichen Zielgruppen mitunter ein schwieriges Geschäft ist, zeigt der Aufsatz von Frank Friesecke, Geschäftsfeldleiter Stadterneuerung bei STEG Stadtentwicklung GmbH und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen zur „Aktivierung von beteiligungsschwachen Gruppen in der Stadt- und Quartiersentwicklung“ (S. 117-138). Denn so sind zum Beispiel Jugendliche, Studierende und Migranten Personengruppen, die in „klassische Beteiligungsverfahren nur schwer einzubinden sind“ (S. 120). Ein erster Ansatz zur Einbindung sei dabei in der Auswahl der Beteiligten zu sehen. Neben der häufig zu findenden Selbstauswahl könnten Beteiligte gezielt (Vertreter der betroffenen Gruppen) oder per Zufall (und somit repräsentativer) ausgewählt werden. Friesecke stellt zudem Herausforderungen, Methoden und Erfolgsfaktoren der Beteiligung von Jugendlichen und Migranten unter Berücksichtigung von Methoden der Online-Partizipation dar.

Heinz Kleger, inzwischen emeritierter Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam illustriert am Beispiel Potsdam „Neue Wege in die Beteiligungskommune: Strukturierte Bürgerbeteiligung in Potsdam“ (S. 139-158). Er zeigt auf, dass Potsdam neue Elemente der Beteiligung wie etwa den Bürgerhaushalt, Kinder- und Jugendbüro, ein Stadtforum, Bürgerversammlungen oder ein Online-Beschwerdemanagement eingeführt haben. Ein Konzept zur Koordinierung der neuen Möglichkeiten wurde in einem zweiten Schritt in einem Beteiligungsverfahren entwickelt und in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Kernbestandteile sind dabei fixierte Grundsätze für Bürgerbeiteiligung, ein Büro für Bürgerbeteiligung und der Beteiligungsbeirat. In einer ersten Zwischenevaluation zieht Kleger eine positive Bilanz der Arbeit. Die Frage nach einer neuen Beteiligungskultur beantwortet er zunächst mit einer Unterscheidung zwischen plebiszitärer und direkter Demokratie und dem Verweis auf einen Baukasten der demokratischen Regierbarkeit (S. 154), der sich durch das Werden und den Diskurs auszeichne. Abschließend verweist er darauf, dass die Machtteilung durch gelingende Bürgerbeteiligung im eigenen Interesse städtischer Politik liege, „um den eigenen Überforderungen in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht entgegenwirken und so besser wirken zu können“ (S. 158).

Partizipation über und durch das Netz“ (S. 159-172) ist das Thema des Beitrags von Gerhard Vowe, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. Er untersucht Veränderungen in der politischen Kommunikation und deren Auswirkungen, die sich in der Kontinuität der Analyse des Strukturwandels der Öffentlichkeit von Jürgen Habermas (1965) lesen lassen. Er argumentiert, dass etwa die „Volatilität der Wählergunst, das hektische Auf und Ab in der Zustimmung zu Parteien und Kandidaten, zu einem guten Teil auf die Durchsetzung von Online-Medien zurückzuführen ist“ (S. 171). Auch auf der Ebene der Parteien und Organisationen sei ein Machtverlust durch den strukturellen Wandel der Kommunikation zu beobachten. Nicht zuletzt führe er zu einem Wandel des Politischen selbst, so Vowe, denn „in einem demokratischen Kontext bedürfen kollektiv bindende Entscheidungen einer öffentlich erörterbaren Legitimität“ (S. 171)

Stephanie Sophia Utz, Planerin und Beraterin in der Stadtentwicklung sowie Eigentümerin der SINNWERKSTADT und referiert über „Bürgerbeteiligung bei der Stadt- und Stadtteilentwicklung“ (S. 173-184). Sie zeigt Vielfalt und Anwendungsgebiete, Potenziale und Erfolgsfaktoren von Bürgerbeteiligung knapp und übersichtlich auf. Abschließend verweist sie darauf, dass gerade in Planungsprozessen eine Zunahme erfahren und dass daher „in Zukunft entsprechende Ressourcen finanzieller, persönlicher und technischer Art zur Verfügung gestellt werden“ (S. 183) müssten. Auch wandle sich das Berufsfeld von Planern, die neue Fähigkeiten benötigen, um Beteiligungsprozesse zu gestalten.

Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag „Miteinander gehen: Förderung der deliberativen Demokratie durch Bürgerbeteiligung in demografisch sensiblen ländlichen Räumen“ (S. 185-214) von Madeleine Buchmann, Roland Löffler und Johanna Zielske, allesamt tätig bei der Herbert Quandt-Stiftung, die von der Arbeit der Herbert Quandt-Stiftung im Themenfeld Bürger und Gesellschaft berichten. Die Herbert Quandt Stiftung betreibt eine Reihe bürgerschaftlicher Projekte wie etwa den „Ideenwettbewerb für Bürgerstiftungen“, das Programm „Bürger.Innen.Land. Für eine aktive Zivilgesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern“ oder das Programm „Land mit Zukunft. Demografischer Wandel und Bürgergesellschaft in Hessen“. An einigen Beispielen zeigen sie auf, wie Bürgerbeteiligung gut funktionieren und welche positiven Wirkungen sie gerade im ländlichen Raum entfalten könne.

Diskussion

Der vorliegende Band reiht sich als Dokumentation einer Fachtagung ein in eine ganze Reihe von Publikationen, die sich intensiv mit Fragen und Themen rund um Partizipation und Bürgerbeteiligung beschäftigen. Dabei zeichnet er sich durch eine ausgewogene Mischung an stärker theoretisch-reflektierenden und an der Praxis orientierten Beiträgen aus. Gerade die Reflektionen hinsichtlich der Herausforderungen und Chancen von Bürgerbeteiligung sind interessant und verweisen auf die zentrale Bedeutung friedlicher, dialogischer und an der Problemlösung ausgerichteter diskursiver Praktiken und deren Verankerung als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie.

Nicht genug betont werden kann, dass Bürgerbeteiligung weder plebiszitärer noch populistischer Natur ist, sondern der Einbindung und Abwägung von Interessen dient. Dies ist gerade angesichts der sich polarisierenden und immer roher werdenden politischen Kommunikation in den sozialen Medien und darüber hinaus von Bedeutung. Denn wie geht man mit grundlegenden Anti-Haltungen, mit weitgehend Argumenten nicht zugänglicher Fundamentalopposition um? Wie mit Hate-Speech? Welche Lösungen bieten partizipative Verfahren und das Konzept der Bürgerkommune? Dass solche Aspekte in den Beiträgen des Bandes kaum diskutiert werden, kann man den Autorinnen und Autoren aber schlecht zum Vorwurf machen, sind die Beiträge doch alle 2015 verfasst und damit vor den Erfolgen vor allem rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien in Deutschland. Dennoch sehe ich hier die zentrale Aufgabe zukünftiger Beteiligungsforschung: (wie) kann es gelingen, dass Bürgerkommunen den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, auch und gerade, wenn einige gesellschaftliche Kräfte die Spaltung vorantreiben? Liest man die Beiträge vor diesem Hintergrund, so finden sich durchaus Ansätze für Antworten.

Fazit

Mit „Partizipation in der Bürgerkommune“ legen Hartmut Bauer, Christiane Büchner und Lydia Hajasch einen Tagungsband vor, der sowohl theoretische als auch empirisch-praktische Aspekte von Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene beleuchtet und damit nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern von PraktikerInnen gewinnbringend rezipiert werden kann.

Quelle

Habermas, Jürgen. Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Luchterhand, 1965.

Rezension von
Dr. Rolf Frankenberger
Politikwissenschaftler
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Zitiervorschlag
Rolf Frankenberger. Rezension vom 23.10.2018 zu: Hartmut Bauer, Lydia Hajasch, Christiane Büchner (Hrsg.): Partizipation in der Bürgerkommune. Universitätsverlag Potsdam (Potsdam ) 2017. ISBN 978-3-86956-371-8. Reihe: Universität Potsdam. Kommunalwissenschaftliches Institut: KWI-Schriften - 10. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24320.php, Datum des Zugriffs 16.10.2024.


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